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Rede

Saadet Sönmez - Das Integrations- und Teilhabegesetz verdient seinen Namen nicht

In seiner 118. Plenarsitzung am 15. November 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Gesetz zur Verbesserung der Integration und Teilhabe und zur Gestaltung des Zusammenlebens in Vielfalt. Dazu die Rede unserer migrations- und integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Herr Pürsün, es sind hehre Ziele, die Sie hier formuliert haben. Im Gegensatz zu Herrn Bocklet finde ich es nicht unbedingt schlecht oder schlimm, wenn man in anderen Bundesländern schaut, was da gut läuft, und das übernimmt. Damit habe ich kein Problem. Aber er ist tatsächlich ein bisschen verspätet eingegangen, sodass wir uns jetzt nicht wirklich eingehend mit ihm beschäftigen konnten. Aber wir werden noch die Gelegenheit dazu haben. Das werden wir dann auch tun.

Das wurde schon gesagt: Die Integrationskonferenz wurde von Herrn Staatsminister Klose angesprochen. Bei der Integrationskonferenz für zugewanderte Menschen haben sich zivilgesellschaftliche Akteure aus der Wissenschaft, aus den Sozialverbänden und aus Organisationen, die sich mit Migration beschäftigen, in fünf Themenforen wirklich engagiert eingesetzt. Sie haben vernünftige und sinnvolle Vorschläge eingebracht.

Was davon hat jetzt Einzug in den Integrationsplan und in Ihr Gesetz gefunden?

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): Gute Frage!)

Ganz wenig bis nichts.

(Beifall DIE LINKE)

Da muss man sich schon fragen, was das soll. Diese Menschen haben im Rahmen ihrer ohnehin schon wenigen prekären Stellen schon viel Zeit aufgewendet, weil ihnen das Thema tatsächlich am Herzen liegt, und Sie benutzen sie als Feigenblatt, um zivilgesellschaftliche Beteiligung zu simulieren. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. Diese Herangehensweise der Landesregierung ist beschämend, meine Damen und Herren; denn das produziert Politikverdrossenheit und macht Demokratie verächtlich.

Der vorliegende Entwurf der Landesregierung – Herr Bocklet und der Staatsminister selbst haben es bestätigt – gießt im Prinzip bereits bestehende und projektbasierte Integrationsmaßnahmen, die aber nicht ausreichend sind und die Sie im Laufe der Jahre halbherzig auf den Weg gebracht haben, in Gesetzesform. Wie gesagt, das lagert große Teile der eigentlichen Integrationsarbeit auf ehrenamtliche, gemeinnützige und kirchliche Träger aus. Das kann man meiner Meinung nach nicht wirklich als Weiterentwicklung, als ein Gesetz, als Fortschritt oder als einen Meilenstein bezeichnen. So geht ein Meilenstein-Gesetz meiner Meinung nach nicht.

Das von Ihnen viel propagierte WIR-Programm hat auch in § 12 und § 13 Einzug gefunden. Die aktuelle Förderrichtlinie sieht die Einrichtung von zwei Vollzeitstellen pro Landkreis vor, die vor allem vernetzende und koordinierende Aufgaben übernehmen sollen. Das Budget kann sich mit 60.000 € pro Stelle zwar sehen lassen, doch die eigentliche Integrationsarbeit, die Orientierung im Alltag, die Vermittlung an die richtigen Stellen und die Hilfe bei Behördengängen usw., soll von ehrenamtlichen Integrationslotsen und -lotsinnen übernommen werden, für sage und schreibe 5 € Aufwandsentschädigung pro Stunde: Das ist echt Ausbeutung vom Feinsten – damit auch das hier noch einmal in aller Klarheit gesagt wird.

(Beifall DIE LINKE)

Bei den Laiendolmetschenden kommt es zum Teil noch schlimmer: Die bekommen pro Einsatz, unabhängig von der Dauer, 20 €. Darin sind die Fahrtkosten schon enthalten. Auch das ist Ausbeutung vom Feinsten.

Außerdem setzen diese Förderprogramme den guten Willen und vor allem die Kapazitäten von Kommunen, kirchlichen und gemeinnützigen Trägern voraus. Nur wenn diese in der Lage und bereit sind, sich durch den Antrags-, Abrechnungs- und Berichtsdschungel der landesgeförderten Projektgelder zu schlagen, können diese Angebote überhaupt vor Ort erbracht werden und entstehen. So aber geht das eben nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Sowohl kleine Vereine als auch kommunale Träger sagen, sie greifen lieber auf Spendengelder zurück, um die Finanzierung besser und schneller durchzubekommen, anstatt auf diese Projektmittel der Landesregierung zurückzugreifen. Wir sagen: Es braucht dauerhafte Finanzierung für die Daueraufgabe der Integration. Es kann nicht sein, dass das alles immer an Projekte gebunden wird.

Was Sie in Ihrem Gesetz gänzlich vergessen: Menschen können sich erst umfassend integrieren, wenn ihnen ganz grundlegende Dinge gelungen sind. Wer hilft ihnen dabei? Es sind die Sozialberatungsstellen, die im Moment fast ausschließlich durch Kirchen, Sozialverbände und die Kommunen finanziert werden. Sich daran zu beteiligen, daran hat die Landesregierung immer noch kein Interesse; es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das ist ein weiteres Armutszeugnis für dieses Gesetz, das Sie hier eingebracht haben.

Die nächste gravierende Leerstelle in Ihrem Gesetz, das Teilhabe nur im Namen trägt, ist die politische Teilhabe von Migrantinnen und Migranten. In § 6 halten Sie zwar fest, dass der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in Landesgremien erhöht werden solle; aber ich denke nicht, dass es der Tierschutzbeirat oder die Landessportkonferenz sind, die Zugewanderte meinen, wenn sie von mehr politischer Teilhabe reden. Was es stattdessen eigentlich bräuchte, wäre ein Wahlrecht für Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt hier haben; denn die hiesige Politik bestimmt eben auch ihren Lebensbereich. Ein erster Schritt hierfür wäre mindestens die Stärkung der politischen Rolle von Ausländerbeiräten. Stattdessen aber haben Sie sich mit der letzten Änderung der Hessischen Gemeindeordnung dafür entschieden, die politische Vertretung von Migrantinnen und Migranten weiter zu entpolitisieren.

(Zuruf: Das stimmt!)

Sie haben anscheinend weiterhin kein Interesse daran, das zu verändern. So ist es um die politische Teilhabe von Zugewanderten im Hessenland bestellt.

(Beifall DIE LINKE)

Als Ausweg aus der Misere der mangelnden Beteiligungsmöglichkeit für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit wird immer auch von Ihnen genannt, man könne sich ja einbürgern lassen. Die Einbürgerung wollen Sie laut vorliegendem Gesetzentwurf – sie haben es jetzt noch einmal bekräftigt – auch stärken. Aber wir haben in den Haushaltsberatungen und in den Haushaltsplänen keinerlei Anzeichen dafür gefunden, dass z. B. beim Regierungspräsidium Darmstadt das Personal in diesem Bereich aufgestockt werden soll. Wir haben in den vergangenen Monaten thematisiert, dass Sie noch immer kein Konzept für die Aufarbeitung des Rückstaus der Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen vorgelegt haben.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Sönmez, bitte kommen Sie zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ein letzter Satz, Herr Präsident. – Das ist eher ein Zeichen dafür, dass Sie Einbürgerungen verhindern statt stärken wollen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Dieses Gesetz ist eine vertane Chance und zeigt deutlich, wie viel Ihnen echte Integrationspolitik wert ist, nämlich herzlich wenig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)