Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Ulrich Wilken: Wir brauchen einen neuen Kompass für Pressefreiheit

In seiner 103. Plenarsitzung am 11. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Setzpunkt der Regierungsfraktionen zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai. Dazu die Rede unseres medienpolitischen Sprechers Dr. Ulrich Wilken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsfraktionen ist meinungsstark, wenn es darum geht, die Verletzungen der Pressefreiheit in vielen Ländern, insbesondere Russland, anzuprangern. Er ist aber äußerst dünn, wenn es darum geht, was in Hessen passiert, um Pressefreiheit sicherzustellen. Genau dies zu reflektieren und dafür zu sorgen, dass sich Pressefreiheit, also die Arbeitsfähigkeit der Journalistinnen und Journalisten, hier verbessert, muss aber unsere Aufgabe sein. (Beifall DIE LINKE)

Bereits dargestellt ist: Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat Deutschland in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit erneut herabgestuft. Deutschland rangiert nun drei Plätze tiefer auf Rang 16 hinter Ländern wie Litauen, Jamaika und den Seychellen. Schon im Jahr 2021 war Deutschland von Platz 11 herabgestuft worden.

Wenn sich die Landesregierung mit einem der vorderen Plätze noch zufrieden zeigt, dann ist das die Sache der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Ich bin Herrn Frömmrich sehr dankbar, dass er gerade deutlicher, als es im Antragstext formuliert ist, gesagt hat, dass aufrechte Demokratinnen und Demokraten sich damit nicht zufriedengeben können; denn es ist kein vorderer Platz mehr, auf dem die Beurteilung gut ausfällt, sondern es ist ein mittlerer Platz mit dem Urteil „zufriedenstellend“ wie bei Osttimor mit Platz 17, Namibia mit Platz 18, Trinidad und Tobago oder einer Reihe anderer subsaharischer Staaten.

Reporter ohne Grenzen begründet das Abrutschen Deutschlands mit mehreren Faktoren: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie vor allem Gewalt bei Demonstrationen. Die Zahl der gewaltsamen Angriffe habe mit 80 verifizierten Fällen so hoch wie noch nie gelegen. Wir müssen von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen. Nicht gezählt wurden z. B. andere Behinderungen journalistischer Arbeit wie Platzverweise und Durchsuchungen durch die Polizei oder Fälle, in denen Reporterinnen und Reporter auf Demonstrationen weggedrängt oder gestoßen wurden, wo Kameraleute geblendet wurden oder Protestierende ihnen die Hand vor die Kamera hielten.

Das Problem der Dunkelziffer scheint auch in der Antwort des Innenministeriums auf die Kleine Anfrage meines Kollegen Felstehausen vom Januar dieses Jahres auf. Dort wird deutlich, dass eine statistische Erfassung von strafrechtlich und/oder dienstrechtlich relevanten Verfahren, die auf einer vermeintlichen Behinderung von Pressevertretern basieren, überhaupt nicht vorgehalten wird.

Als sei die mangelnde Transparenz nicht schlimm genug, zeigt der Innenminister auch keinerlei Problembewusstsein, wenn er pauschal behauptet: Die Polizei stellt die Pressefreiheit sicher. Sie schränkt sie nicht ein. – Gegenbeispiele zu dieser steilen These finden sich auf der Webseite der Reporter ohne Grenzen zuhauf.

Bei der Beantwortung einer mündlichen Frage am 18. Mai 2021 in diesem Haus weist der Innenminister selbst vollkommen zu Recht auf das Spannungsfeld hin, das aus den unterschiedlichen Aufträgen resultiert. Es ist der Auftrag der Presse, die Öffentlichkeit aus unmittelbarer Nähe und durch Beobachtung der Geschehnisse zu unterrichten. Es ist die Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen bzw. aufzuklären. Das ist vollkommen unstrittig. Die Frage ist, wie mit diesem Konflikt im konkreten Fall umgegangen wird. Genau da bemängeln die Reporter ohne Grenzen eine Verschlechterung in Deutschland.

Auch in Hessen gibt es diese Vorkommnisse. Es kommt leider immer wieder zu Angriffen auf Pressevertreter. Ich erinnere nur einmal an die Demonstration der CoronaLeugner in Kassel im März letzten Jahres.

Da wären Informationen in diesem Haus bzw. gegenüber der Öffentlichkeit wichtig, wie dem zukünftig begegnet werden soll. Aber dazu schweigen die Regierungsfraktionen.

Oder es geht um den Vorgang um die im Irak inhaftierte hessische Journalistin Marlene Förster und ihren slowenischen Kollegen Matej. Selbstverständlich müssen diplomatische Bemühungen für die Genannten, von denen ich hoffe, dass sie stattfinden, vertraulich bleiben. Das ist doch klar.

Aber öffentliche Solidaritätserklärungen sind etwas anderes. Marlene und Matej schreiben gegen das Wegschauen der Welt gegenüber der Situation der jesidischen Gemeinschaft an. Ihre Inhaftierung ist der Versuch, diese Aufklärung zu unterbinden. Da ist unsere Aufmerksamkeit wichtig. Doch von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen kommt nur beredtes Schweigen.

Ich komme noch einmal auf den Innenminister zu sprechen. Auf eine mündliche Frage vor ziemlich genau einem Jahr antwortetet er, dass der Schutz der Pressefreiheit „fortwährender Auftrag der Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ sei. Ich muss leider feststellen: Im Detail liegt da einiges im Argen. – Die Reporter ohne Grenzen formulieren als zentrale Forderung, dass der Umgang mit der Presse stärker in die Ausbildung der Polizei integriert wird.

Als Konsequenz daraus wurden in der Vergangenheit bei einigen Demonstrationen Schutzzonen für die Presse geschaffen. Auch wenn das auf den ersten Blick keine schlechte Idee zu sein scheint, wird bei genauerem Hinsehen deutlich: In Deutschland können sich Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen nicht mehr frei bewegen. Das ist kein hinnehmbarer Zustand.

Das Problem ist noch größer. Denn es wird immer wieder berichtet, dass viele auf den Demonstrationen eingesetzte Polizistinnen und Polizisten noch nicht einmal wissen, wie ein Presseausweis aussieht. Da sind Schulungen dringend notwendig. Wenn am Ende doch jeder in die Schutzzone kommen kann, sind die Pressevertreterinnen und -vertreter auch dort nicht mehr sicher.

Wir müssen jetzt etwas machen. Wir müssen genau hinschauen, wie es besser eingestufte Länder anders und besser machen. Wir müssen dabei nach Skandinavien und vor allem nach Norwegen schauen. Da fällt als Erstes auf, dass Gefahren für die Pressefreiheit, die in Deutschland zu Recht angeprangert werden, dort nicht oder deutlich geringer gegeben sind. Wir reden über die Überwachung der Medienschaffenden. Wir reden über Gefahren durch das BND-Gesetz, die Pegasus-Software, den Staatstrojaner und die deutsche Strategie zur Cybersicherheit.

Zum Schluss will ich noch einige wenige Gedanken zu einer anderen, auch von den Reportern ohne Grenzen bemängelten Bedrohung der Pressefreiheit sagen. Die publizistische Vielfalt nimmt stetig und vor allem in den Regionen weiter ab. Wir haben das anlässlich einer Großen Anfrage der SPD-Fraktion unlängst in diesem Hause diskutiert.

Die Pressefreiheit ist aber mehr als die Freiheit fünf reicher Männer, sich einen Zeitungsverlag zu gönnen. Ein Problem aufgrund dieser Konzentration ist das Erschweren, das Unterdrücken oder das Zurückhalten unliebsamer Recherchen aus Loyalität und Rücksichtnahme unter den einflussreichen Verlegern.

Ich möchte ein Beispiel nennen. Der Verleger Dirk Ippen, also „Frankfurter Rundschau“ und „Hessische Niedersächsische Allgemeine“, stoppte im Oktober 2021 die Veröffentlichung der Recherche seines eigenen investigativen Teams rund um Juliane Löffler über die „Bild“-Zeitung und ihren Chefredakteur Julian Reichelt. Später erklärte Ippen zwar, dies sei ein Fehler gewesen, aber die Unterdrückung hat erst einmal stattgefunden. Als Konsequenz daraus hat das investigative Team den Verlag Anfang 2022 verlassen. – Das ist die Pressefreiheit in Deutschland im Jahr 2022.

Das machen andere Länder, z. B. Norwegen, besser. Dort gibt es z. B. den Norwegian media ownership act, der untersagt, dass irgendein Konzern oder eine Person mehr als 40 % an irgendeiner Fernseh-, Radiostation oder einer Zeitung hält. Das befördert im Gegensatz zu dem, was hier geschieht, die Medienvielfalt.

(Beifall DIE LINKE)

Zum guten Schluss habe ich noch eine sehr provokante Frage. Wo haben wir eigentlich unseren Kompass für die Pressefreiheit gelassen? Wo ist unser Kompass geblieben, wenn Julian Assange, der Kriegsverbrechen publiziert hat, an das Rechtssystem ausgeliefert werden soll, das seine Kriegsverbrechen vertuschen will? Pressefreiheit heißt, Julian Assange sofort Asyl anzubieten und ihn auszuzeichnen, anstatt ihn auszuliefern.

(Beifall DIE LINKE und AfD)

Das wären wichtige Aktivitäten, für die wir uns selbstverständlich zivilgesellschaftlich engagieren. Dabei habe ich aber noch nie Mitglieder der Hessischen Landesregierung gesehen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)