Biodiversität erhalten, Artensterben stoppen – gemeinsame europäische Agrarpolitik grundlegend ändern

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz
Heidemarie Scheuch-PaschkewitzBiodiversitätLandwirtschaft und Tierschutz

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,

„Die Bewahrung der biologischen Vielfalt ist eine wesentliche Voraussetzung, um unsere Lebensgrundlagen und Ressourcen zu sichern",

stellte Priska Hinz im letzten hessischen Biodiversitätsbericht fest. Alles richtig – nur dass es in Hessen noch nicht einmal in den Naturschutzgebieten gelungen ist, das Artensterben zu stoppen.

Keine klaren Zielvorgaben, kaum Kontrollen, oft isoliert und oft zu kleine Schutzgebiete, so kritisiert die EU-Kommission auch Hessen. Nach sechs Jahren grün geführtem Umweltministerium sind das hausgemachte Probleme. Noch nicht einmal in Naturschutzgebieten ist der Einsatz von Glyphosat in Hessen verboten. Das ist ein Skandal.

Wie bei der Werraversalzung, der Nitratbelastung oder der Feinstaubbelastung läuft auch hier ein EU-Vertragsverletzungsverfahren und es drohen Strafzahlungen.

Kein Wort davon in dem hessischen Biodiversitätsbericht. Im Vergleich zum gerade erschienenen Weltbiodiversitätsbericht liest er sich wie ein Werbeprospekt für Naturschutzmaßnahmen. Statt Informationen über den tatsächlichen Zustand der Artenvielfalt erhält man Ankündigungen, was die Landesregierung alles machen will bzw. schon Tolles getan hat. Das hat aber nachprüfbar nicht ausgereicht. Die hessische Umweltministerin ist mit dem Biodiversitätsschutz gescheitert. Es gibt keine Trendumkehr. Weder in den Schutzgebieten und schon gar nicht auf den Äckern.

Es wird auch nicht gelingen, den Schwund der Biodiversität allein mit Mitteln des Naturschutzes, von Blühstreifen und der Aufforderung zur individuellen Gartengestaltung oder des Konsums zu stoppen. Das wird nur gelingen, wenn wir den Klimawandel aufhalten und viele Lebens- und Produktionsbereiche ökologisch und sozialverträglich umbauen. Systemwandel statt Klimawandel und Artensterben.

Machen wir das nicht, geht das Artensterben dramatisch weiter. Wie bei dem Klimawandel stehen wir am Rand einer Katastrophe und streiten uns darüber, 2

wie viel Artenschutz wir uns leisten können, was mehr Arbeitsplätze kostet‚ was ‚der Wirtschaft‘ und ‚den Verbrauchern‘ zuzumuten sei.

Eine Politik, die fragt, wie viel Artenschutz können wir uns leisten, hat grundsätzlich nicht verstanden, was auf dem Spiel steht. Was wir uns sicher nicht leisten können, sind die Folgen der aktuellen Politik!

Sie zerstört unsere Lebensgrundlagen – meine Damen und Herren und wenn wir bei Klima- und Artenschutz versagen, wird der Verlust von Arbeitsplätzen zu unseren kleinsten Problemen zählen.

Was wir in den letzten Jahrzehnten auf den Feldern erlebt haben, ist die Folge eines gravierenden Politikversagens. Glyphosatgespritzte Monokulturen, lobbygesteuerte Zulassungsverfahren für Pestizide, Vergüllung der Landschaft und klimaschädliche Subventionen, die europäisches Fleisch mit Antibiotika bis auf die Märkte des globalen Südens schwemmt. Agrarkonzerne und Lebensmittelindustrie geben den Kurs an und der heißt Industriealisierung, Marktöffnung, Export und Gewinnmaximierung.

Diese Politik richtet sich gegen das Gemeinwohl und auch gegen die Interessen der meisten Landwirte und diese Politik zerstört die Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Eine Wirtschaftsweise, die unsere Lebensgrundlagen zerstört, verstößt ganz klar gegen das Grundgesetz. Ein Systemwandel ist nicht nur verfassungskonform, das Grundgesetz verlangt sogar nach einem Systemwandel – meine Damen und Herren.

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." [Art.20a,GG]

In der Landwirtschaft brauchen wir einen Systemwandel und der gelingt nur mit einer Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik in Europa (GAP). Auch darum geht es bei der Europawahl.

Der Schutz der Biodiversität kann nur auf der ganzen Fläche gelingen. 25 Prozent ökologischer Landbau sind entschieden zu wenig. EU-Zuschüsse darf es nur noch für gemeinwohlorientierte soziale und ökologische Leistungen geben. Aber nicht mehr für die exportorientierte Fleisch-, Milch- oder Zuckerproduktion. Totalherbizide - wie Glyphosat - und Insektengifte wie Neonikotinoide müssen verboten werden.

Noch immer warten wir darauf, dass ein Verbot dieser Mittel auf allen dem Land Hessen gehörenden Flächen durchgesetzt wird. Mit der Begründung, dass durch den Einsatz von Totalherbiziden dem Gemeinwesen erheblicher Schaden zugefügt wird, könnte Hessen ein Verbot sofort durchsetzen. Die Landesregierung wartet aber lieber bis die Pachtverträge ausgelaufen sind.3

Wir haben aber diese Zeit nicht mehr. Für eine klima- und umweltfreundliche sowie sozial verträgliche Landwirtschaft brauchen wir die Agrarwende jetzt.

Dafür muss man sich aber mit den Agrarkonzernen und der Nahrungsmittelindustrie und ihren Lobbyisten im Bauernverband und im poltischen Apparat anlegen. Sie wollen von dem EU-Agrarhaushalt - das sind in diesem Jahr 60 Milliarden Euro –möglichst viel abbekommen. Von einer Ökologisierung der Landwirtschaft profitieren sie nicht. Sie sind alleine den Profiten, aber sicher nicht dem Gemeinwohl mit einer solidarischen Landwirtschaft verpflichtet. Für sie steht ein Milliardengeschäft auf dem Spiel.

Die Lobbyisten in der Politik kenntlich machen und die Gemeinwohlinteressen durchsetzen, das wäre verantwortungsvolle Politik.

Bodenschutz, Biodiversitätsschutz und eine Pestizid-Strategie haben sich Schwarz-Grün auf die Fahne und in den Koalitionsvertrag geschrieben. Was macht aber die hessische Umweltministerin? Sie hilft am Weltbienentag das grüne Image des Supermarktbetreibers Rewe aufzupolieren, der in der Wetterau 30 Hektar besten Ackerboden für ein Logistikzentrum versiegeln möchte.

Wie heißt denn da Ihre Strategie? Systemwandel durch Kuschelkurs? Oder: In einem halben Jahr kann sich die Öffentlichkeit an nichts mehr erinnern? Sie haben eine grüne Kollegin, die Regierungspräsidentin in Darmstadt ist. Wo sind Ihre Initiativen, die Versiegelung von guten Ackerböden in der Wetterau und in Neu-Eichenberg zu verhindern? Was haben Sie unternommen, außer Rewe beim Greenwashing zu helfen?

Mit unzähligen Maßnahmen verwaltet die hessische Umweltministerin den Klimawandel und das Artensterben - garniert mit Blühstreifen. Für einen Systemwandel sind Sie eine Fehlbesetzung.

In acht Bundesländern besetzen die Grünen das Umweltministerium. Zusammen mit der SPD sind es sogar 12 Landesministerien. Warum knüpfen sie keine sogenannte Koalition der Willigen? 12 grün-rote Umweltministerinnen und Umweltminister sollten es doch schaffen, der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Glöckner die Stirn zu bieten. Wie der Verkehrsminister Scheurer zeigt sich Frau Glöckner als Erfüllungsgehilfin der Agrarindustrie und ihrer Lobbyisten. Damit muss Schluss sein und das haben Sie jetzt in der Hand.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit