Torsten Felstehausen - Erschreckendes Behördenversagen Teil 1

"Erschreckendes Behördenversagen" Teil 1

Torsten Felstehausen
Torsten FelstehausenDaten- und Verbraucherschutz

In seiner 25. Plenarsitzung am 31. Oktober 2019 diskutierte der Hessische Landtag über den Lebensmittelskandal bei Wilke-Wurst. Dazu die erste Rede unseres verbraucherschutzpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Auch heute –fast einen Monat nach Schließung der Firma Wilke – kommen laufend neue ekelhafte Details ans Licht der Öffentlichkeit. Dabei hätte dieser Skandal, der mit mindestens drei nachgewiesenen Todesfällen und vielen ernsthaften Erkrankungen einer der größten Lebensmittelskandale der letzten Jahre war, verhindert werden können. Nein, er hätte auch verhindert werden müssen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Er hätte verhindert werden können, wenn nicht Profitgier und multiples Behördenversagen diesen Skandal erst möglich gemacht hätten. Daran trägt die hessische Ministerin, die auch für den Bereich des Verbraucherschutzes zuständig ist, ein gehöriges Maß an Mitverantwortung.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten)

Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass das Eigenkontrollsystem – das ist die erste Stufe der Lebensmittelüberwachung – und die privatrechtlich organisierten Audits und Qualitätsprüfungen offensichtlich das Papier nicht wert waren, auf dem sie ausgedruckt worden sind.

Seit Jahren stellte die interne Qualitätskontrolle bei der Firma Wilke erhebliche Keimbelastungen der Wurstwaren fest. Die Keimzahl lag dabei oftmals weit über den zulässigen Grenzwerten. Auch in den Auditberichten war immer wieder die Rede von Versäumnissen im Qualitätsmanagement. Personelle, organisatorische, aber auch bauliche Mängel wurden zwar immer wieder festgestellt, aber es folgten seitens der Geschäftsführung keine nennenswerten Reaktionen.

Meine Damen und Herren, stattdessen wurden Schimmel abgekratzt, Würste neu etikettiert und ungenießbares Fleisch mit Frischware vermengt. All diese Vorgänge – das ist der erste Teil des Skandals – sind dokumentiert und wurden auch protokolliert.

Diese Gier nach Profit stand bei der Firma Wilke über allen Regeln der Lebensmittelhygiene und der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn die abhängig Beschäftigten und die bezahlten Beraterinnen und Berater in der Qualitätskontrolle diejenigen sind, die diese Überprüfungen durchführen sollen, dann besteht auch immer eine wirtschaftliche Abhängigkeit mit dem Ergebnis, dass das Prüfurteil am Ende trotz aller bekannten Mängel positiv ausfällt.

Meine Damen und Herren, der Trend, die Sicherstellung des Verbraucherschutzes in so sensiblen Bereichen wie der Lebensmittelproduktion dem Markt zu überlassen, ist krachend gescheitert. Wir haben das Ergebnis jetzt bei der Firma Wilke gesehen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Natürlich muss man sich fragen, ob dies alles nicht hätte auffallen müssen. Da kommen wir zum zweiten Problemkreis in der Lebensmittelindustrie. Die Kontrollen der Aufsichtsbehörden scheinen ebenfalls mehr ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung gewesen zu sein.

Zu Recht hatten die GRÜNEN, als sie noch in der Opposition waren, die Kommunalisierung der Lebensmittelüberwachung scharf kritisiert. Wenn, wie im Fall Wilke, wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Akteuren des Veterinäramtes und den zu prüfenden Firmen bestehen, wenn der Landrat von „Freunden und Bekannten“ spricht, zu denen man hat gehen müssen, dann wird deutlich, dass fundamentale Regeln der Lebensmittelhygiene genau von diesen wirtschaftlichen und privaten Beziehungen überlagert worden sind. Dann darf man sich auch nicht über das Wegschauen im Landkreis Waldeck-Frankenberg wundern.

Meine Damen und Herren, das Veterinäramt war personell chronisch unterbesetzt. Nur drei Kontrolleure waren für die Aufgabe, über 3.000 Betriebe zu kontrollieren, zuständig. Da wundert es auch nicht, dass bei der Firma Wilke nur die Hälfte der gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen stattgefunden hat. Wenn kontrolliert wurde, dann offensichtlich immer nur mit Ankündigung und ausreichend Vorlauf, um die schlimmsten Zustände zu kaschieren.

Aber auch wenn Mängel über Jahre hinweg bekannt waren, wurde nicht auf Abhilfe gedrängt. Die baulichen Mängel führten dazu, dass Abfall und verdorbene Ware immer wieder mit Frischware in Berührung kamen. Verrostete Anlagen und Schimmel an den Wänden wurden immer wieder festgestellt und angemahnt, aber ein entscheidendes Eingreifen und systematische Nachkontrollen seitens des Veterinäramtes fanden nicht statt.

2014 war die Taskforce – also die Gruppe, in der auch das Ministerium vertreten ist, in der die RPs vertreten sind – bereits bei der Firma Wilke; aber offensichtlich ist auch dabei nichts aufgefallen.

(Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie wissen doch ganz genau, was da los war!)

– Ja, man hat nicht hingeschaut. Das war an der Stelle los. Man hat nicht hingeschaut, und es steht die Frage im Raum, ob man es nicht hat sehen wollen oder nicht sehen können.

Meine Damen und Herren, Bußgelder wurden in der Zeit durchaus verhängt – aber in einer Höhe, die in keinem Verhältnis zu dem Gewinn durch kriminelle Gesetzesverstöße steht. Das ist ein weiteres Problem. Wenn es für Firmen günstiger ist, diese Bußgelder billigend in Kauf zu nehmen, und die Verstöße nichts weiter nach sich ziehen als die Geldzahlung, dann öffnen wir tatsächlich Tür und Tor für solche Machenschaften.

(Beifall DIE LINKE und Knut John (SPD))

Die Kommunalisierung der Lebensmittelüberwachung war und ist ein schwerer Fehler. Persönliche Verflechtungen, Rotstiftkürzungen durch Schutzschirm, die schwarze Null und die fatale Nähe zwischen kommunaler Wirtschaftsförderung und Lebensmittelüberwachung verhindern eine neutrale und sachgerechte Prüfung. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte: Die Todesfälle haben dies auf traurige Art und Weise zutage gebracht.

Wir fragen uns, ob die Zustände im Veterinäramt Waldeck- Frankenberg der Fachaufsicht, die beim RP Kassel lag und damit unmittelbar dem Umweltministerium unterstellt ist, nicht aufgefallen sind oder ob auch hier nach der Devise gehandelt wurde: Es ist schon immer gut gegangen.

Meine Damen und Herren, die Ministerin will uns weismachen, dass das Ministerium an dieser Stelle keine Verantwortung träfe. Damit reihen Sie sich in die Reihe der Verantwortungslosigkeit und des Nichtwissens ein. Aber – ich glaube, so viel steht heute fest – das stimmt nicht. Denn spätestens seit Ostern 2019 war auch im Ministerium bekannt, dass Listerien weit über dem Grenzwert in den Produkten der Firma Wilke nachzuweisen waren. Das hat auf jeden Fall Ihr Amtskollege, der Verbraucherschutzminister des Landes Baden-Württemberg, öffentlich mitgeteilt.

Jetzt wird von der Ministerin gesagt: Ja, aber es gab noch keinen definitiven Match zwischen diesen Listerien und den Todesfällen. – Das mag richtig sein. Aber die Listerien in der Wurst bleiben nach wie vor ekelhaft und hätten Anlass dafür sein müssen, diesen Betrieb genauer unter die Lupe zu nehmen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

So wiederholt Frau Hinz gebetsmühlenartig, dass man erst am 28. Oktober von diesem Match, also dem definitiven Nachweis, erfahren hätte und erst dann hätte handeln können, weil die Fachaufsicht vorher nicht in der Lage gewesen sei, tatsächlich einzugreifen. Ich frage mich in der Tat, meine Damen und Herren: Wofür gibt es diese Fachaufsicht, wenn trotz eindeutiger Hinweise diese Fachaufsicht nicht in der Lage ist, entsprechende Maßnahmen umzusetzen und einzuleiten?

(Beifall DIE LINKE)

Neben der Frage, die die Ministerin beantworten muss, was eigentlich mit diesen Meldungen war, die seit Ostern 2019 bekannt waren, muss natürlich auch die Frage aufklärt werden: Wie kommen eigentlich diese acht Tage zustande, und was soll zukünftig gemacht werden, damit so wichtige Mitteilungen, etwa über Todesfälle durch die Lebensmittelindustrie, nicht weiterhin in Postfächern der Ministerin schlummern und nicht zu sofortigem Handeln führen?

Meine Damen und Herren, die systematische Überschreitung von Grenzwerten sowie das deutschland- und europaweite Inverkehrbringen von Lebensmitteln hätten dem Ministerium die Rechtsgrundlage gegeben, tatsächlich einzugreifen. Es wäre an dieser Stelle sogar zwingend erforderlich gewesen. Aber unabhängig davon, ob sich diese Listerienfunde erst am 28. Oktober einem Cluster hätten zuordnen lassen können, wäre Handeln deutlich früher angezeigt gewesen. Doch das Handeln ist unterblieben, und das ist unsere zentrale Kritik, die wir an dieser Stelle an Ministerin Hinz haben.

(Beifall DIE LINKE und Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

Wir fordern als LINKE – gestern Abend wurde das im Obleutegespräch zugesichert; das muss man fairerweise sagen –, dass alle Unterlagen, also nicht nur der Bericht der Taskforce, sondern auch die angeforderten Berichte des Regierungspräsidiums und des Landkreises Waldeck-Frankenberg, unverzüglich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; denn die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu erfahren, wie es in diesem Land um Lebensmittelsicherheit bestellt ist und wer die Verantwortung für dieses multiple Behördenversagen hat.

(René Rock (Freie Demokraten): Richtig!)

Aber auch nach der viel zu spät erfolgten Schließung der Firma Wilke setzten sich der skandalöse Umgang und die stümperhafte Krisenbewältigung fort. Bis heute sind die Lieferwege bis zu den Verbrauchern, also bis in die Kühlschränke, eben nicht lückenlos aufgeklärt.

Vizepräsidentin Heike Hofmann: Herr Felstehausen, kommen Sie bitte zum Schluss? Die von den Fraktionen vereinbarte Redezeit ist überschritten.

Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, vielen Dank für den Hinweis. – An der Stelle hat uns Bayern vorgemacht, wie es gehen könnte. Bayern hat unmittelbar verfügt, dass an Verkaufsstellen, wo möglicherweise belastetes Material der Firma Wilke zu finden war, entsprechende Hinweise angebracht werden mussten. Wir als LINKE hätten uns von der Ministerin sofortiges Handeln und eine Informierung der Verbraucher gewünscht, die diese tatsächlich erreicht. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)