Hermann Schaus - Innenminister Beuth hat wenig Grund zum Eigenlob

Hermann Schaus
Hermann SchausInnenpolitik

In seiner 33. Plenarsitzung am 18. Februar 2020 gab Innenminister Peter Beuth eine Regierungserklärung zur Kriminalstatistik für das Jahr 2019 ab. Hier die Antwort unseres innenpolitischen Sprechers Hermann Schaus dazu:

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Alle Jahre wieder möchte sich der Innenminister im Glanz der Polizeiarbeit sonnen. Das Problem: Die Menschen fühlen sich weniger sicher; sie machen sich große Sorge um die Zukunft und neuerdings auch verstärkt um die Demokratie in unserem Lande.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Aber ich will zunächst einmal auf positive Entwicklungen bei der Kriminalitätsbekämpfung eingehen. Ich freue mich, dass die Aufklärungsquote insgesamt weiter gestiegen ist. Das trifft zwar nicht für alle Kriminalitätsbereiche zu, ist aber eine gute Entwicklung.

Ebenso erfreulich ist es, dass Straßenkriminalität um weitere 7 % zurückgegangen ist. Allerdings stagniert hierbei leider die Aufklärungsquote. Ob dies jedoch ursächlich mit der verstärkten Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen zu tun hat, so wie Sie, Herr Innenminister, es gestern in Ihrer Presseerklärung in Zusammenhang gebracht haben, bezweifle ich stark. Erfahrungsgemäß verlagert sich die Kriminalität nur von einem solchen beobachteten Ort weg und hin zu anderen Plätzen.

In diesem Zusammenhang möchte ich erneut das KOMPASS-Programm ansprechen. Es ist gut, wenn sich die Polizeiexperten zwischenzeitlich intensiver als in der Vergangenheit in mehr als 70 Städten und Gemeinden mit Vereinen und Verbänden sowie den Ordnungsbehörden regelmäßig zusammensetzen, um die oftmals gefühlte Unsicherheit abzubauen. Dazu bedarf es aber keines besonderen Programms mit Zertifikat; das ist ganz normale Polizeiarbeit, Herr Minister.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das KOMPASS-Programm wurde aber zuvörderst, seinerzeit mit viel Presserummel, dafür gestartet, die Videoüberwachung zu forcieren und dafür eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.

Auch wenn ich mich jetzt wiederhole: Wir als LINKE lehnen einen massiven Ausbau von Videoüberwachungstechnik weiterhin grundsätzlich ab.

(Beifall DIE LINKE)

Erfreulich ist, dass die Straßenkriminalität um fast 10.000 Delikte zurückgegangen ist. Dies hat sicherlich mit der verstärkten Präsenz von Polizeistreifen in den Schwerpunktgegenden zu tun. Das ist ein Beweis für den erfolgreichen Einsatz von mehr Personal bei der hessischen Polizei. Das ist also allemal besser als Videoüberwachung.

Es freut mich sehr, dass es gelungen ist, die Zahl der Wohnungseinbrüche um fast 10 % zu reduzieren. Dass solche Einbrüche in Privathaushalte nur in weniger als der Hälfte der Fälle gelingen, ist ebenso erfreulich. Bedauerlich ist jedoch, dass die Aufklärungsquote gesunken ist und nur noch bei 17,2 % liegt.

Ich freue mich über Ihre klare Aussage, Herr Beuth, dass die Kriminalitätsstatistik für 2019 wieder bestätigt hat, dass Zuwanderer als Tatverdächtige nicht in besonderer Weise auffällig sind. Das haben Sie heute wiederholt. Dies sollten sich die Scharfmacher und Hetzer in unserer Gesellschaft endlich einmal hinter ihre braunen Ohren schreiben.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ja, wir leben in einem sicheren Land. Das will ich auch betonen. Dabei muss man aber alle Aspekte betrachten. Das haben Sie, Herr Minister, heute leider aber nicht getan. In Ihrer Rede war z. B. keine Aussage enthalten zu der zumindest teilweise erfolgreichen Ermittlungsarbeit gegen rassistische und rechtsextreme hessische Polizeibeamte. Herr Beuth, das können Sie doch nicht einfach ausblenden.

Wenn Sie hier zur inneren Sicherheit des Landes sprechen, dann ist das eben mehr, als nur die Zahlen der Kriminalitätsstatistik zu verkünden. Zu einer ehrlichen Berichterstattung gehört auch dieser unerfreuliche Teil des Innenlebens der Sicherheitsbehörden, auch wenn es unangenehm ist.

Wenn Sie Ihre Regierungserklärung unter den Titel „Erfolgreicher Start in ein sicheres Jahrzehnt“ stellen, dann haben selbstkritische Betrachtungsweisen für Sie da offenbar keinen Platz. So erzählen Sie jedes Jahr im Grunde genommen die gleiche Geschichte. Dabei hat die hessische Polizei in der Tat einiges an Erfolgen vorzuweisen. Das will auch ich gerne zugestehen.

Die hessischen Polizeibeamtinnen und -beamten leisten unter erschwerten Bedingungen, unter weiterhin bestehendem Personalmangel, unter der Last von immer noch knapp 3 Millionen Überstunden und unter einer vergleichsweise schlechteren Besoldung gegenüber der Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen des gehobenen Dienstes in den anderen Bundesländern gute Arbeit. Dafür möchte auch ich mich bei allen recht herzlich bedanken.

(Beifall DIE LINKE)

Hinsichtlich Ihrer Kriminalitätsstatistik muss ich mich leider wiederholen, wenn ich erneut auf folgende Tatsachen hinweise.

Erstens. Ihre Kriminalitätsstatistik ist auf Erfolg getrimmt. Es sind nämlich Polizistinnen und Polizisten, die hinter vorgehaltener Hand sagen, dass diese Statistik wenig Aussagekraft hat – um es einmal vorsichtig zu sagen.

Zweitens. Es ist eine sogenannte Ausgangsstatistik. Das heißt, es lassen sich nur begrenzt Aussagen daraus ableiten. In diesem Fall wissen wir nur – wenn überhaupt –, dass soundso viele Straftaten angezeigt wurden und diesen Straftaten auch ein möglicher Täter zugeordnet wurde. Wir wissen aber nicht explizit, wie viele Straftaten stattfanden, aber nicht angezeigt wurden. Wie viele Straftäter wurden verdächtigt, waren es am Ende aber gar nicht? Das ist ein großes Problem dieser Statistik.

DIE LINKE und die SPD haben sich wiederholt für sogenannte Dunkelfeldstudien eingesetzt, beispielsweise zu häuslicher Gewalt oder zu sexuellem Missbrauch von Kindern. Experten gehen davon aus, dass hier das Dunkelfeld wesentlich größer ist als die in der Statistik gezählten Straftaten. Von bis zu 90 % sprach die LKA-Chefin. Es tut mir leid, es sagen zu müssen: Aber da nutzen Ihre Zahlen in der Kriminalitätsstatistik halt wenig, um die Realität zu beschreiben.

(Alexander Bauer (CDU): Das gilt für alle Bundesländer!)

– Ja, das gilt für alle Bundesländer. Die Kritik ist auch angebracht. Ich komme noch darauf zu sprechen, Herr Bauer. Ich will es an dieser Stelle nur einmal festhalten.

Wenn viele Straftaten überhaupt nie angezeigt werden – aus Scham, wegen des familiären Nahfeldes oder weil die Betroffenen denken, dass es ja eh nichts bringe –, dann haben wir ein großes gesellschaftliches Problem, das in Ihrer Statistik aber nur unzureichend zum Ausdruck kommt. Das sollte man zumindest einmal erwähnen.

Sie haben in Ihrer Kriminalitätsstatistik Verdächtige aufgeführt. Niemand weiß aber, ob diese in einem Gerichtsverfahren verurteilt werden. Wir fordern deshalb seit Jahren eine Verlaufsstatistik, damit man endlich einmal weiß, ob und in welchen Bereichen denn wirklich wie viel aufgeklärt wurde. Die Polizei fordert das im Übrigen selbst.

(Beifall DIE LINKE)

Es wäre also ein großer Schritt nach vorn, wenn wir das, was andere Länder auf der Welt hinbekommen, auch bei uns in Deutschland und in Hessen hätten.

Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich nochmals klarstellen: Ich beziehe meine Kritik auf Sie, Herr Minister, nicht aber auf die hessischen Polizistinnen und Polizisten.

(Günter Rudolph (SPD): Das war ein netter Versuch vorhin!)

Deswegen musste ich darauf hinweisen. – Ich bin derAuffassung, dass bei allen Fehlern, die auch im Polizeidienst gemacht werden, unser Dank der hessischen Polizei für ihre couragierte Arbeit und ihren Einsatz ebenso gelten muss wie nahezu allen Beschäftigten des Landes Hessen.


(Beifall DIE LINKE)


Dass es über 4.000 Übergriffe gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Rettungskräfte und weitere öffentlich Bedienstete bei der Ausübung ihrer Arbeit gegeben hat, ist durch nichts zu entschuldigen. Auf Initiative Hessens wurde bereits 2017 im Bundestag eine Strafverschärfung bei solchen Delikten vorgenommen. Seither werden diese mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet. Das war Ihre Initiative, Herr Minister Beuth.

(Zuruf Minister Peter Beuth)

Natürlich. Ich bin auch weiter dagegen. Ich sage Ihnenauch, warum ich das so sehe.
Heute wissen wir, sie hat den weiteren Anstieg aber nicht verhindert, wie es Ihre Zahlen im Übrigen belegen. Deshalb ist auch die populistische Forderung nach einer weiteren Strafverschärfung auf sechs Monate unnötig, weil sie unwirksam ist. Das müssten Sie angesichts dieser Zahlen auch erkennen.


(Beifall DIE LINKE)


Die bestehenden Gesetze reichen aus. Sie müssen in diesen Fällen nur konsequent angewandt werden. Das richte ich auch an die Justiz. Da bin ich vollkommen einer Meinung mit Günter Rudolph. An dieser Stelle besteht Nachholbedarf auch hinsichtlich der zeitlichen Abläufe. Darüber müssen wir diskutieren.


(Beifall DIE LINKE)


Leider sorgen Teile der hessischen Polizei aber immer wieder für negative Schlagzeilen. In den vergangenen Wochen wurden bei zahlreichen weiteren Polizeibeamten Hausdurchsuchungen vorgenommen. Sie werden beschuldigt, rassistische und rechtsextreme Informationen zu verbreiten. Ich befürchte, es kommen noch weitere Beschuldigte hinzu.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang wird immer wieder von Einzelfällen innerhalb der Polizei gesprochen. Natürlich hoffen auch wir, dass es sich um Einzelfälle handelt; denn alles andere wäre furchtbar. Es kommen aber ständig neue sogenannte Einzelfälle hinzu. Bei derzeit über 60 beschuldigten Polizeibeamten kann man meines Erachtens nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Die Zusammenhänge sind zu offensichtlich.


(Beifall DIE LINKE)


Zumindest gibt es sehr viele sogenannte Einzelfälle, bei denen man sich zum Teil sehr ernsthaft fragen muss, mit welchem Verständnis hier Beamtinnen und Beamte ihren Dienst versehen: Hakenkreuze, SS-Museen zu Hause, Hitlergrüße, offener Rassismus und vieles mehr.
Wir wissen bis heute nicht, was im 1. Frankfurter Polizeirevier seinerzeit genau passiert ist und ob Polizistinnen und Polizisten dort nicht noch in Schlimmeres involviert sind.
Ich kann nur hoffen, dass alle diese Vorkommnisse auch in der Polizei zu einem massiven Umdenken führen, dass Vorgesetzte, Dienstgruppenleiter und alle anderen Führungspersonen genauer hinsehen und hinhören – besser als in der Vergangenheit.
Im Sinne der Glaubwürdigkeit und des Ansehens aller Polizeibeamtinnen und -beamten sind alle Vorfälle genauestens aufzuarbeiten. Es darf keine Toleranz gegenüber Menschenfeinden und Rassisten in der hessischen Polizei geben.


(Beifall DIE LINKE)


Warum ist dieser Punkt so wichtig? – Weil er beispielhaft ist, beispielhaft auch für die Personenakten der mutmaßlichen Lübcke-Mörder – oder des mutmaßlichen LübckeMörders –, die im Verfassungsschutzamt intern gelöscht wurden, obwohl sie als Neonazis über Jahrzehnte hinweg aktiv waren. Die Rechtfertigung des Landesamts für Verfassungsschutz lautet noch immer: Die waren über fünf Jahre nicht auffällig; die sind „abgekühlt“. – Diese Aussage verhöhnt nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch den seinerzeitigen Verfassungsschutzpräsidenten Eisvogel, der Stefan E. noch Ende 2009 in einem internen Vermerk als „brandgefährlich“ bezeichnete. Ich frage mich: Was haben die Leute in diesem Amt gemacht? Haben sie den Vermerk beiseitegelegt, weil er sie nicht interessierte? – So kommt es mir manchmal vor.
Der Hessische Verfassungsschutz steht abermals in der öffentlichen Kritik. Er steht beispielhaft für ein Systemversagen, in dem intern nicht richtig hingeschaut wird, falsche Einschätzungen vorgenommen werden, wobei die Informationen noch dazu auf einem System von bezahlten Spitzeln basieren, deren Unzuverlässigkeit hinlänglich bekannt ist.
Laut Kriminalstatistik haben wir einen erheblichen Anstieg der Zahl rechter Straftaten: um über 50 % in einem Jahr. Von den 1.645 Straftatbeständen in den vier Phänomenbereichen gehen allein 917 auf das Konto von Rechtsextremisten. Darunter ist auch der Mord an unserem Kollegen Dr. Walter Lübcke. Die Zahl der Propagandadelikte ist um 60 %, die Fälle von Volksverhetzungen sind um 33 % gestiegen – in nur einem Jahr. Aber auch die Zahl der Gewalttaten ist im letzten Jahr – um 26 % – gestiegen.
In Ihrer Presseerklärung von gestern, Herr Minister Beuth, relativieren Sie diesen enormen Anstieg an von Rechten begangenen Straftatbeständen, indem Sie schreiben – ich zitiere –:


Vizepräsidentin Karin Müller:
Herr Abg. Schaus, Sie müssen dann aber zum Schluss kommen.


Hermann Schaus (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich zitiere von Seite 7 Ihrer Presseerklärung:
Der starke Anstieg der rechtsmotivierten Kriminalität ist aber im Wesentlichen auf Propagandadelikte (+ 215) zurückzuführen. „Nach so einer fürchterlichen Tat haben die Bürgerinnen und Bürger noch sensibler und wachsamer auf verfassungsfeindliche Kennzeichen und die Verbreitung von rechter Propaganda reagiert. …“
Herr Minister, was soll die Formulierung „überwiegend nur Propaganda“ heißen?


Vizepräsidentin Karin Müller:
Das können Sie nicht mehr komplett ausführen, denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.


Hermann Schaus (DIE LINKE):
Darf ich noch zwei Sätze sagen, Frau Präsidentin?


Vizepräsidentin Karin Müller:
Ein Satz tut es auch.


(Heiterkeit)


Hermann Schaus (DIE LINKE):
Gut, dann mache ich ein Komma.


(Heiterkeit)


Meine Quintessenz daraus ist, dass aus Worten Taten werden. Hakenkreuzschmierereien sind schlimm und dürfen nicht verharmlost werden, Herr Minister.


(Beifall DIE LINKE)