Jan Schalauske - Die Zustimmung zum Nothaushalt ist kein Blankoscheck

Jan Schalauske
CoronaJan SchalauskeGesundheitHaushalt und FinanzenRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 36. Plenarsitzung am 24. März 2020 stellte der Hessische Landtag einige finanzielle Weichen um auf die Corona-Krise reagieren zu können. Dazu wurde ein umfangreicher Nachtragshaushalt und die Aussetzung der Schuldenbremse beschlossen. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Um die CoronaPandemie und ihre verheerenden Folgen zu bewältigen, die Gesundheit der Menschen zu schützen, ihre Arbeitsplätze, ihre Existenzen und die allgemeine Wirtschaftstätigkeit zu retten, ist es vollkommen richtig, dass die öffentliche Hand jetzt in einem breiten demokratischen Konsens gewaltige Summen mobilisiert, auch um eine sich bereits jetzt abzeichnende dramatische Wirtschaftskrise abzufedern.

Es ist richtig: In der Krise verschärfen sich bestehende soziale Ungleichheiten. Es tritt deutlich zutage, wie es um die sozialen Unterschiede in unserer Gesellschaft bestellt ist. Deswegen haben wir einen Fünfpunkteplan vorgelegt, der unsere Maßstäbe an die Politik für ein solidarisches Miteinander in Zeiten der Krise umreißt. Es ist richtig: Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit müssen jetzt in der Krise die Richtschnur des politischen Handelns sein.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen frage ich Sie, Herr Finanzminister: Wann, wenn nicht jetzt, wo sich für unzählige Menschen in unserem Land existenzielle Fragen stellen, ist es Zeit, seitens der Politik soziale Garantien für das Leben der Menschen abzugeben?

Ich will es zu Beginn der Rede ausdrücklich sagen: Wir werden trotz offener Fragen, trotz einiger Bedenken und auch trotz Bauchschmerzen heute diesem Nachtragshaushalt zustimmen. Aber ich sage auch: Wir werden die Maßnahmen, die Sie veranlassen, genau prüfen, und wir werden darauf achten, wofür die Landesregierung diese Mittel verausgabt. Unsere heutige Zustimmung darf nicht als ein Blankoscheck verstanden werden.

(Beifall DIE LINKE)

Um aber überhaupt entsprechende Maßnahmen im Rahmen eines Nachtragshauhalts zu ermöglichen, ist es auch in Hessen notwendig, die Schuldenbremse in unserer Landesverfassung nach Art. 141 auszusetzen. Dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit der gewählten Mitglieder des Landtags. Wir werden, wie angekündigt, der Aussetzung der Schuldenbremse zustimmen. Ich darf mir aber nicht den Hinweis ersparen: Gemeinsam mit den Gewerkschaften hat die politische Linke gegen die Schuldenbremse gekämpft. Sie hat sie stets als Investitionsbremse kritisiert. Sie hat davor gewarnt, dass sich der Staat unnötige Fesseln anlegt und die eigene Handlungsfähigkeit beschneidet, Herr Boddenberg.

(Zuruf Michael Boddenberg (CDU) – Gegenruf Janine Wissler (DIE LINKE))

Deswegen zeigen die Krise und die Diskussion auch, wie wir mit notwendigen Kreditaufnahmen des Staates umgehen. Diese Diskussion ist heute nicht beendet, und sie ist auch nicht damit beendet, eine Ausnahmeregelung in Anspruch zu nehmen. Unsere Haltung ist und bleibt klar: Die Schuldenbremse war, ist und bleibt ein Fehler, der korrigiert werden muss.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt einen weiteren Punkt, an dem wir ein allgemeines Umdenken brauchen; denn in der Krise erweist sich auch die Regelung im Ausführungsgesetz zu Art. 141 als problematisch. § 2 verlangt – das ist hier heute schon angesprochen worden –, dass die Tilgung in einem Zeitraum von sieben Jahren erfolgen soll. Da fragt man sich: Wie ist man damals eigentlich auf diesen doch etwas anthroposophisch anmutenden Zeitraum gekommen? In völligem Kontrast dazu steht der Zeitraum, in dem wir jetzt gewaltige Summen für den Landeshaushalt mobilisieren. War es vor wenigen Tagen noch ein Nachtrag von 1 Milliarde €, so sollen es jetzt quasi über Nacht berechtigterweise fast 2 Milliarden € sein. Das verdeutlicht noch einmal, mit welchem Vorbehalt wir auf diesen Zeitraum der Tilgung blicken sollten.

Die Summen, die wir jetzt mobilisieren – das wissen Sie; das ist auch gesagt worden –, sind eher der Anfang denn das Ende, weil sich die ohnehin in einem Abschwung befindende Wirtschaft durch die Corona-Pandemie wohl zu einer manifesten Krise entwickelt.

Jetzt ist völlig klar – das hat der Finanzminister ja eingeräumt –: Die Kreditaufnahmen werden niemals über einen Zeitraum von sieben Jahren, und auch nicht über einen

Zeitraum von zehn Jahren, getilgt werden können. Der Herr Finanzminister hat zu Recht von einem Dummy gesprochen und davon, dass das eine Generationenaufgabe ist. Deswegen dürfen wir auch nicht zu kurzfristige Tilgungen anvisieren; denn wenn kurzfristige Tilgungen vorgenommen werden, besteht die Gefahr, dass das mit künftigen Kürzungsgründen und sozialen Abbaumaßnahmen einhergeht. – Das darf nicht sein. Das müssen wir verhindern.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn es also eine Jahrhundertaufgabe ist, die Schulden abzutragen, dann scheint mir beispielsweise das Vorgehen der nordrhein-westfälischen Landesregierung – eine CDU/ FDP-Regierung –, die ihren Nachtragshaushalt aufgrund der Corona-Krise konjunkturgerecht mit einer Tilgung in einem Zeitraum von 50 Jahren veranschlagt, doch die vernünftigere Variante zu sein. Was jetzt notwendig ist, das ist, eine langfristige statt einer kurzfristigen Tilgung in den Blick zu nehmen.

Zum Nachtrag selbst vielleicht nur so viel: Er ist dringend notwendig; aber der Nachtragshaushalt ist zunächst auch so etwas wie ein Platzhalter. Er versetzt die Landesregierung hoffentlich in die Lage, genau das zu tun, was jetzt notwendig ist. Allerdings sehen wir es durchaus mit Sorge, dass der Haushalt, wie er jetzt vorgesehen ist, die Landesregierung mit sehr weitreichenden Rechten ausstattet.

Wir halten es für dringend notwendig, dass das Finanzministerium das Parlament jederzeit umfassend und zeitnah über Entscheidungen informiert. Bisher ist das außerordentlich fair und transparent erfolgt. Dafür möchte ich mich beim Finanzministerium bedanken und an dieser Stelle auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Finanzverwaltung unseren Dank aussprechen.

Trotzdem müssen wir überlegen, wie das Parlament künftig beteiligt werden kann. Bei weiteren Nachträgen müssen wir darüber nachdenken, die Beteiligung des Parlaments zu gewährleisten. Des Weiteren sollten wir über die Zustimmung des Haushaltsausschusses oder über einen Parlamentsvorbehalt zumindest nachdenken.

(Beifall DIE LINKE)

Bei aller Notwendigkeit für rasche, umfangreiche und vielfältige Hilfen dürfen wir das Budgetrecht des Parlaments nicht durch umfangreiche Globalpositionen ausschalten.

Dazu kommt: Der Nachtragshaushalt der Landesregierung listet viele wichtige Maßnahmen detailliert auf, die wir auch unterstützen. Aber andere notwendige Maßnahmen fehlen. Auch ein Verweis auf fehlende Informationen über die Vorhaben des Bundes, auch wenn sich in den letzten Tagen einiges geklärt hat, allein überzeugt nicht.

Im Nachtragshaushalt selbst steht, der Zweck sei „für die Bewältigung der gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Virus-Pandemie“. Diese Ziele teilen wir ausdrücklich. Aber bei der Aufzählung im Maßnahmenkatalog stellen sich uns doch Fragen: Reichen die Mittel für die Beschaffung von Schutzkleidung für den gesamten Gesundheitssektor, etwa auch für die ambulante medizinische Versorgung? Insbesondere – das ist heute auch schon angesprochen worden – brechen Kliniken die Einnahmen weg, weil sie Behandlungen verschieben, weil Kosten steigen. Reicht es jetzt aus, wenn das Land richtigerweise die Investitionsmittel als Liquiditätsmittel bereitstellen will? Wer bezahlt dann später die notwendigen Investitionen?

Wir begrüßen ausdrücklich, dass Soforthilfen für Vereine und Verbände aufgezählt werden. Es ist richtig, dass an Kultur und Sport gedacht wird. Was ist aber mit Vereinen im sozialen und karitativen Bereich? Wird ihnen auch geholfen? Was ist mit Wohlfahrtsverbänden, mit der Gemeinwesenarbeit und sozialen Einrichtungen? Ich möchte Frau Dr. Alinaghi, die neue Liga-Vorsitzende zitieren:

Die soziale Infrastruktur ist systemrelevant und muss unter einen Schutzschirm [der Landesregierung] gestellt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Genau das ist völlig richtig. Wer die soziale Infrastruktur in Hessen schützen möchte, muss die sozialen Einrichtungen berücksichtigen.

Noch ein weiteres Beispiel: In Zeiten von Kontaktsperren steigt die Bedrohung für Frauen durch häusliche Gewalt. In Hessen gibt es ohnehin zu wenige Frauenhäuser, deswegen die Frage: Werden auch die Finanzierung von Frauenhäusern und der Bedarf von diesen Plänen abgedeckt?

Das sind nur drei Beispiele. Insgesamt erwarten wir, dass bei den Maßnahmen des Landes soziale Sicherheit und solidarisches Miteinander großgeschrieben werden.

Noch zu einem weiteren Thema: Sie wollen den Bürgschaftsrahmen um 3,5 auf 5 Milliarden € erhöhen. Die Mittel sind dafür da, Unternehmen in der Krise zu stützen. Wir finden: Richtig, aber Liquiditätshilfen darf es nur für die Unternehmen geben, die sich verpflichten, keine Leute zu entlassen, und die Mitbestimmung sowie die Tarife achten.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn ich die Landesregierung richtig verstanden habe, scheinen auch staatliche Beteiligungen wie im Bund nicht ausgeschlossen zu sein. Als LINKE sind wir der Meinung: Wenn der Staat zum Miteigentümer wird, darf die öffentliche Hand nicht nur retten, sondern sie muss auch über die Zukunft mitreden. Vielleicht verdeutlicht uns diese Krise, dass wir mehr und nicht weniger Demokratie auch in den Betrieben und in der Wirtschaft brauchen.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE)

Ich will abschließend noch einen Blick auf die lange Perspektive werfen. Ich komme damit zum Schluss.

Am Ende wird auch diese Krisenbewältigung von jemandem bezahlt werden müssen. Es muss verhindert werden, dass diejenigen sie bezahlen, die schon die Kosten der Bankenkrise tragen mussten. Damals hat die Politik die Banken gerettet und die Menschen im Stich gelassen. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen. Systemrelevant – das waren nicht die Banken, sondern das sind die Menschen. Das sind die Pflegekräfte, die Busfahrerinnen und Busfahrer, die Kassiererinnen und Kassierer sowie all die, die jetzt in der Krise, aber nicht nur in der Krise, den Laden am Laufen halten. Sie haben unsere Unterstützung verdient. – Vielen Dank, und bleiben Sie gesund.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)