Elisabeth Kula - Regierungserklärung von Kultusministers Lorz ist substanz- und ambitionslos

"Hessische Kultuspolitik von Verdrängungsmechanismen geprägt - Lehrermangel, Überbelastung, Unterrichtsausfall, Ausbau echter Ganztagsgrundschulen"

Elisabeth Kula
Elisabeth KulaBildungDigitalisierung

Wertevermittlung, Digitalisierung und Förderung der Bildungssprache Deutsch – Wir bauen die Schule von morgen (zur Regierungserklärung Hessischer Kultusminister, Ds. 1216)

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Kultusminister, es ist zunächst einmal positiv zu bewerten, dass Sie zu Schuljahresbeginn eine Regierungserklärung abgeben, um Ihre politischen Ziele im Bildungsbereich der Öffentlichkeit und den Hessinnen und Hessen vorzustellen. Die letzten zwei Jahre haben Sie ja darauf verzichtet, obwohl das eine gute Möglichkeit darstellt, eigene Ambitionen darzulegen. Gut, dass Sie jetzt immerhin etwas zu sagen haben, auch wenn am besten mit Goethe zu antworten ist – da stimme ich dem jetzt nicht anwesenden Kollegen Schäfer-Gümbel zu –: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Die letzten Jahre der hessischen Kultuspolitik waren durch Verdrängungsmechanismen und Abwehrreaktionen geprägt, sei es der Lehrermangel, den es angeblich nicht gibt, oder der Unterrichtsausfall, den der Landeselternbeirat jüngst belegte, wie wir schon gehört haben, oder der Ausbau echter Ganztagsgrundschulen nach Profil 3, deren Anteil immer noch nur ca. 2 % beträgt. Herr May, da muss ich Ihnen etwas Wasser in den Wein gießen. Doch anstatt die Probleme und Nöte der eigenen Beamtinnen und Beamten, Beschäftigten, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen, wurde seitens des Kultusministeriums entgegen jeder Faktenlage behauptet: Diese Probleme gibt es gar nicht. – Diese Strategie geht nicht auf, Herr Lorz. Auch Sie müssen sich endlich der Realität stellen und Reformvorschläge vorlegen. Bis heute haben wir aber davon noch nichts gesehen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde es befremdlich, dass Sie in dieser Regierungserklärung überhaupt nichts zu Unterrichtsausfall oder Überlastung der Lehrkräfte sagen, aber dann von den vermeintlichen Gefahren des Linksextremismus fabulieren. Das finde ich doch arg schräg.

(Beifall DIE LINKE)

Die Themen, die Sie in Ihrer Regierungserklärung als maßgeblich für Ihre Bildungspolitik benennen, gehen aber an allen genannten Problemlagen an hessischen Schulen vorbei. Allein die Digitalisierung könnte eine Chance sein, Lernmittelfreiheit auszuweiten, pädagogische Konzepte zu entwickeln und neue Ausstattungsstandards zu setzen. Doch auch hiervon scheint die Landesregierung meilenweit entfernt zu sein. Trotz der Gelder aus dem Digitalpakt sowie trotz der Zuschüsse von Land und Schulträgern fehlen wieder einmal einheitliche Standards und pädagogische Rahmenkonzepte. Vielmehr sollen Schulen und somit diejenigen Lehrkräfte, die sowieso schon überlastet sind, selbst Unterrichtskonzepte erarbeiten. Dass manche Schulen bereits pädagogische Konzepte erarbeitet haben, Herr Minister, kann aber kein Argument für die eigene Untätigkeit in dieser Sache sein. Nachhaltigkeit und Langfristigkeit spielen ebenfalls kaum eine Rolle bei der Digitalisierung hessischer Schulen. Die Wartung und Instandhaltung von Soft- und Hardware innerhalb der fünf Jahre Laufzeit und darüber hinaus sind nicht geregelt. Das Kultusministerium scheint nicht begriffen zu haben, dass es sich bei der Digitalisierung um eine Daueraufgabe mit dauerhaftem Finanzbedarf handelt, auch wenn Sie es heute angedeutet haben. Aber überhaupt nicht geregelt ist, wie das nach den fünf Jahren weitergehen soll. Auch die Verteilung der Fördergelder ist nicht darauf angelegt, hessenweit ähnliche oder sogar gleiche Standards bei der digitalen Ausstattung zu erreichen. Diejenigen Schulen, die bereits eine gute digitale Infrastruktur aufweisen, werden weiter gestärkt, während in anderen, wahrscheinlich ländlicheren Regionen oft nur der Breitbandanschluss herausspringen wird. Die Anhörung zum entsprechenden Gesetzentwurf hat eindeutig gezeigt, dass noch vieles zu klären ist und die Landesregierung noch einiges liefern muss. Ein weiteres zentrales Problem der hessischen Schullandschaft ist die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften; darauf hat der Kollege Schäfer-Gümbel schon hingewiesen. Auch das haben Sie nur in einem Nebensatz erwähnt. Die hohe und steigende Zahl anderer Weiterbildungsanbieter neben der Hessischen Lehrkräfteakademie zeigt, dass hierbei einiges verschlafen wurde. Mit einem Etat von 40 € pro Lehrkraft und Jahr kann nicht der Umgang mit digitalen Medien, Integration, Inklusion usw. in Fortbildungen erlernt werden, was aber dringend notwendig wäre. Der Etat und das Angebot müssen deutlich erhöht werden, damit eine Grundfortbildung überhaupt abgedeckt werden kann. Wie viel die Landesregierung im Rahmen des Digitalpakts für die Lehrkräftefortbildung investieren möchte, wäre sicherlich auch für Ihre Kolleginnen und Kollegen sehr interessant, Herr Kultusminister.

Sie haben ebenfalls den baulichen Zustand vieler Schulen in Hessen überhaupt nicht erwähnt. Etliche Schulgebäude sind weiterhin in einem desolaten Zustand. Zugespitzt gesagt: Was bringt uns denn ein Whiteboard in einem Raum, in den es hineinregnet?

(Beifall DIE LINKE – Michael Boddenberg (CDU): Ach du liebe Zeit! Wann waren Sie denn in der Schule? Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)

– Das gefällt Ihnen natürlich nicht, aber schauen Sie sich doch mal manche Schulen an.

(Michael Boddenberg (CDU): Mann, Mann, Mann!)

Es bedarf endlich einer aussagekräftigen Bedarfsanalyse hinsichtlich des Investitionsstaus an hessischen Schulen, Herr Boddenberg;

(Armin Schwarz (CDU): Machen Sie mal einen Schulbesuch!)

denn diese liegt immer noch nicht vor. Auch bezüglich des Ausbaus von Ganztagsschulen, den die Landesregierung mit 50 Schulen pro Jahr beschleunigen möchte, wäre es dringend geboten, die dafür nötigen Investitionen in Mensen und Cafeterien zu planen und dann öffentlich zu machen, was dort angepeilt ist. Auch hierzu kann die Landesregierung immer noch nichts vorlegen. Aber auch der vermeintliche Ganztagsausbau wird nur sehr zögerlich in Angriff genommen. Die politische Vorgabe, die auch vonseiten der GRÜNEN immer wieder vorgebracht wird, ist die der Wahlfreiheit; das wurde heute auch schon diskutiert. Eltern sollen die Wahl der Schulform für ihr Kind haben. Aktuell ist man aber in Hessen meilenweit von einer echten Wahlfreiheit entfernt. Sie wird vielmehr als Feigenblatt genutzt, um den schleppenden Ausbau von Ganztagsschulen mit rhythmisiertem Tagesablauf schönzureden. Besonders im Hinblick auf die viel beschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das hatte Herr Promny schon dargestellt – wäre es geboten, echte Ganztagsschulen zu schaffen, statt einen Pakt nach dem anderen aufzulegen und so eher die Entwicklung zu einem Flickenteppich als zu einem einheitlichen Ganztagsschulsystem zu fördern.

(Beifall DIE LINKE)

Spannend fand ich auch Ihre Ausführungen zu den sogenannten multiprofessionellen Teams. Wie von 700 Sozialpädagoginnen und -pädagogen und 140 Schulpsychologinnen und Schulpsychologen 2.000 Schulen betreut werden sollen, sodass dort multiprofessionelle Teams entstehen, ist weiterhin völlig schleierhaft. Diese Antwort bleiben Sie uns weiterhin schuldig. Vielmehr scheint es so, als sei dies ein Buzzword der GRÜNEN, die es in Schulpolitik eingebracht haben, ohne es mit Inhalt füllen zu können. Leider haben Sie, Herr Lorz, auch nichts über die ungerecht verteilten Bildungschancen in Hessen gesagt. Auf einen einzigen Bildungsaufstieg kommen in Hessen immer noch ca. neun Bildungsabstiege. Das bedeutet Durchlässigkeit, aber nur in eine Richtung, nämlich nach unten. Das finden wir beschämend.

(Beifall DIE LINKE)

Der Bildungserfolg hängt in Hessen immer noch stark von der sozialen und finanziellen Situation der Eltern ab. Das ist seit Jahrzehnten bekannt, aber statt ganztägig arbeitende integrierte Gesamtschulen für alle zu fördern, wird weiterhin ein mehrgliedriges Schulsystem aus dem Kaiserreich erhalten.

(Vereinzelter demonstrativer Beifall CDU – Michael Boddenberg (CDU): Zwangseinheitsschulen wie Sie wollen wir nicht!)

– Das freut Sie natürlich; wir möchten gern ein Schulsystem, das allen Kindern die gleichen Chancen bietet.

(Zurufe CDU)

Zu guter Letzt: Statt die Belastungen für Ihre Lehrkräfte immer noch zu leugnen, stünde es Ihnen gut zu Gesicht, die Lage ernst zu nehmen, in der diese sich befinden, und ihnen zuzuhören. Wenn eine Fraktion versucht, die Situation und die Überlastung der Lehrkräfte gegen die Situation der Ärmsten der Armen, die sich auf die Flucht begeben, auszuspielen, merkt man, dass diese Fraktion von Bildungspolitik überhaupt keine Ahnung hat.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): Das ist jetzt Selbstreflexion!)

Im Übrigen betrifft diese Situation alle Lehrkräfte an allen Schulformen. Deswegen wäre es das Mindeste, endlich alle Lehrerinnen und Lehrer in Hessen gleichzustellen und endlich auch die Kolleginnen und Kollegen im Grundschulbereich mit A 13 zu entlohnen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Situation, dass es in Hessen Lehrkräfte zweiter Klasse gibt, muss endlich ein Ende haben, Herr Lorz. Eine Studie aus Niedersachsen hat letztes Jahr ans Licht gebracht, dass über 50 % der Lehrkräfte davon überzeugt sind, das Rentenalter unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht gesund erreichen zu können. Ich bezweifle, dass die Situation in Hessen deutlich besserist; es sei denn, Sie wachen aus Ihrem Dornröschenschlaf auf und beginnen wirklich damit, eine Schule von morgen zu bauen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)