Torsten Felstehausen - Ministerium für Zauberei und magische Mobilfunkmasten

Ministerium für Zauberei und magische Mobilfunkmasten

Torsten Felstehausen
Torsten FelstehausenDigitalisierung

In der 26. Plenarsitzung des Hessischen Landtags am 10. Dezember 2019 gab die parteilose Digitalministerin Kristina Sinemus ihre erste Regierungserklärung ab. Unser digitalpolitischer Sprecher Torsten Felstehausen mit einer Antwort dazu:

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne!

Wenn man sich die Bilanz der hessischen Digitalministerin nach einem Jahr anhört, dann mag man glauben, Sie seien Ministerin im Ministerium für Zauberei, magische Mobilfunkmasten und Marketing, Frau Sinemus. Schaut man aber einmal genauer hin, verfliegt dieser Zauber relativ schnell. Sie rühmen sich, fünf der zehn am besten mit Internet versorgten Landkreise lägen in Hessen. Wir haben aber nicht nur fünf Landkreise in Hessen, wir haben 26 Landkreise und kreisfreie Städte. Es gilt auch in Hessen der Auftrag der gleichwertigen Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land, und dort sieht es, was die Mobilfunk- und Breitbandversorgung angeht, in vielen Regionen ziemlich düster aus.

(Beifall DIE LINKE)

Sie rühmen sich mit einer Netzabdeckung von 98 % beim Mobilfunk, es wurde schon häufiger angesprochen. Aber jeder, der in Hessen unterwegs ist, weiß, dass diese Zahlen rein theoretische Werte sind. Verbindungsabbrüche, weiße Flecken, Internetverbindungen der ersten Generation sind in vielen Bereichen eher die Regel als die Ausnahme. Ja, mit drei Handys in der Hand, immer entlang von Häuserwänden, mögen diese Zahlen stimmen. Aber der Praxistest dort, wo die Menschen zu Hause sind und wo sie sich aufhalten, entzaubert Ihre Ankündigung ziemlich schnell. Sie rühmen sich, in Nordhessen seien 2.000 km Glasfaser verlegt worden, verschweigen aber, dass dieses Glasfaser nicht bis in die Häuser reicht, sondern auf halber Strecke stehen bleibt und es mit herkömmlichen Kupferkabeln weitergeht. Mehr als 50 MBit/s sind da nicht rauszuholen, und die Gigabitzukunft ist für Nordhessen nach wie vor weit entfernt. Frau Ministerin, Sie verkabeln an dieser Stelle die Vergangenheit. Von den eingestellten 100 Millionen € Fördermitteln 2019 für den Breitbandausbau sind bisher gerade einmal 3 % tatsächlich bewilligt worden, weitere 9,5 Millionen € wollen Sie noch bis zum Jahresende ausgeben, also innerhalb der nächsten 21 Tage. Aber auch dann haben Sie gerade einmal 12 % Ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft. Anders ausgedrückt: 88 % der eingeplanten Mittel 2019 sind eben nicht abgerufen und nicht investiert worden. – Frau Ministerin, das ist keine Zauberei, das ist eine schlechte Bilanz.

(Beifall DIE LINKE)

Ihr Ministerium sollte lieber Ministerium für Ankündigungen, Versprechen und gute Absichten heißen; denn viel mehr haben wir bisher – heute und in der Vergangenheit – nicht zu sehen bekommen von der so viel gerühmten Bündelung digitaler Kompetenzen in der Hessischen Landesregierung. Kleiner Fun Fact am Rande: Der Hessische Landtag ist noch immer das einzige Parlament ohne Livestream – so geht nämlich in Wirklichkeit die Digitalisierung nach dem- Verständnis von Schwarz-Grün.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Ministerin Sinemus, die Ministerin für Digitalisierung, hat gerade ein neues Förderprogramm vorgestellt. Diesmal heißt es Distr@l. In diesem neuen Förderprogramm sollen 40 Millionen € in den nächsten fünf Jahren zur Verfügung stehen, also jährlich tatsächlich ungefähr 8 Millionen €. Mit diesen 8 Millionen € sollen dann Startups gefördert, Wissenstransfer von den Unis angestoßen, Machbarkeitsstudien finanziert, und last, but not least Projektergebnisse evaluiert werden. Wenn wir uns diese Aufgaben ansehen, die mit der Digitalisierung in allen Lebensbereichen verbunden sind, dann sind 8 Millionen € jährlich gerade einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein für den Wissenstransfer aus den Universitäten heraus werden im gleichen Zeitraum beispielsweise in Nordrhein-Westfalen von der dortigen Landesregierung 150 Millionen € zur Verfügung gestellt – und dies wird auch noch zielgerichtet für die Auswahl nur in Richtung Hochschulen ausgegeben. In Hessen heißt es aber vor allem: viel Geld für PR und Marketing. Echte Impulse sind von diesem Programm nicht zu erwarten, dafür ist es zu klein, und dafür ist es vor allem auch zu unspezifisch. „Macht mal irgendwas mit Digitalisierung“, reicht als Förderprogramm eben nicht aus. Hessen braucht eine klare Ausrichtung bei den mit der Digitalisierung verbundenen Chancen und Herausforderungen.

(Beifall DIE LINKE)

Um das noch einmal zu erläutern: Hessen hatte 2018 ca. 250.000 Unternehmen, 99 % davon sind antragsberechtigte KMU. All diese Unternehmen dürfen jetzt also Förderanträge stellen, die irgendwas mit Digitalisierung zu tun haben. Würde man die Fördersumme gleichmäßig verteilen, dann wären es gerade einmal 32 € pro Jahr und Unternehmen, was hier den Förderumfang darstellt. Dann wäre aber auch schon Schluss mit dem Wissenstransfer aus den Universitäten, Schluss mit der Förderung von Start-ups und Schluss mit Machbarkeitsstudien. Wer bei diesem Förderprogramm schließlich den Zuschlag bekommt, soll durch ein unabhängiges Fachgremium transparent und nachvollziehbar entschieden werden. Leider haben Sie vergessen, uns mitzuteilen, wer auf wessen Vorschlag in diese Fach- und Entscheidungsgremien hineingewählt werden soll. Vielleicht tauchen dann auch wieder die Brüder Lochmann – besser bekannt als „die Lochis“ – auf, die die Landesregierung in Sachen Digitalethik beraten. Ich bin sehr gespannt, was da so alles passiert.

(Vereinzelte Heiterkeit – Beifall DIE LINKE)

Die Hauptkritik liegt im Unspezifischen dieses Fördervorhabens. Dabei sind die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung in allen Lebensbereichen verbunden sind, inzwischen
hinreichend beschrieben. Dort müsste angesetzt werden, wenn man gezielt Projekte fördern möchte, wenn man Innovationen nach vorne bringen und Strukturen verbessern will und wenn man Einfluss auf die Zielrichtung der Digitalisierung zu nehmen gedenkt. Eine zukunftsfähige Förderung der Digitalisierung könnte viele Förderschwerpunkte haben. Einige davon möchte ich nennen. Gefördert werden müsste die Ökonomie des Gemeinsamen. Weite Teile des digitalen Fortschritts hätten ohne Kooperation als ökonomisches Prinzip nicht stattgefunden. Gefördert werden müssten offene Plattformen und offene Datenstrukturen, Shared Economy und lizenzfreie Angebote, die allen zugutekommen, nicht nur den Monopolstrukturen der Internetgiganten, die diese noch mächtiger machen.

Die digitalen Netzwerke, die Kommunikation und das gemeinsame Wissen müssen vor Patenten und Copyright- Verfahren geschützt werden, die ausschließlich die Profitsteigerung einiger weniger zum Ziel haben. Projekte, die  mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, müssen sich verpflichten, auch zukünftig dem Gemeinwohl zu dienen, und sie müssen ihre Ergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Ein weiterer Förderschwerpunkt könnte die gute Arbeit sein. Egal welcher Studie man glaubt – die digitale Revolution bedroht Millionen bestehender sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Es macht aber keinen Sinn, jetzt in Maschinenstürmerei zu verfallen, wie es bei der Erfindung des mechanischen Webstuhls in Manchester der Fall war; vielmehr müssen wir jetzt die Chancen nutzen, um die Rationalisierungsgewinne umzuverteilen. Was wir brauchen, ist mehr Zeitwohlstand für alle, damit die Früchte der digitalen Revolution allen zugutekommen können.

(Beifall DIE LINKE)

Das heißt nicht zuletzt: Wir müssen über eine radikale Arbeitszeitverkürzung und das Recht auf Nichterreichbarkeiten nachdenken, reden und letztlich auch entsprechend handeln.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht nur die Quantität der Arbeitsplätze wird sich verändern. Die Arbeitswelt, in der wir zukünftig tätig sein werden, wird einem gravierenden Umbruch unterworfen sein. Ständige Erreichbarkeit, Click- und Cloudworking, Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, Arbeit auf Abruf und vieles andere mehr werden zum Albtraum im beruflichen Alltag vieler Beschäftigter. Hier sind politische Leitlinien gefragt, die die Zukunft der Arbeit zu einer guten Arbeit werden lassen. Die Digitalisierung muss in erster Linie den Menschen und nicht den Märkten zugutekommen.

(Beifall DIE LINKE)

Es wurde schon angesprochen: Ihre Aufgabe wäre es, gestaltend einzugreifen und den Wandel mit den Beschäftigten gemeinsam zu gestalten und nicht gegen sie. Um den digitalen Wandel in den Betrieben gelingen zu lassen, braucht es starke Betriebsparteien und eine funktionierende Mitbestimmung. Die bestehenden Gesetze der betrieblichen Mitbestimmung stammen aus einem Jahrhundert, in dem es noch keinen Computer und kein Internet gab: Big Data, Data Mining, Algorithmen – all das sind Begriffe, die die Beschäftigten in ihrer Ausübung zu gläsernen Belegschaften machen. Sie stellen die Mitbestimmung vor ganz neue Herausforderungen. Wir müssen die Rechte der Betriebs- und der Personalräte bei der Einführung neuer Techniken stärken und dafür sorgen, dass alle Beschäftigten diesen Weg mitgehen können. Mit einem Förderprogramm könnten neue Wege der Mitbestimmung
entwickelt, die betriebliche Mitbestimmung vernetzt und neue Ansätze der gesetzlichen Gestaltung der Betriebs- und Personalratsgesetze diskutiert werden.

Aber auch zu diesem Thema, Frau Ministerin, haben wir nur wenig, eigentlich gar nichts, von Ihnen gehört. Wir haben auch nichts gehört zu den Themen „lebenslanges Lernen“ und „Recht auf Fortbildung“. Die digitale Arbeitswelt erfordert grundlegend neue Kompetenzen und Fähigkeiten. Hierzu müssen die Maßnahmen der schulischen, der außerschulischen und der betrieblichen Bildung verbessert werden. Wir als LINKE fordern ein Recht auf eine bezahlte betriebliche Fortbildung, damit niemand auf dem Weg in die neue digitale Welt zurückgelassen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Ein Förderprogramm könnte hier neue Wege unterstützen und innovative betriebliche Bildungsformate fördern und evaluieren. Wo steht denn Hessen im Bereich des Blended Learning? Wie können wir E-Learning und gruppenbasiertes Onlinelernen betrieblich und außerbetrieblich wirksam werden lassen? Zu alldem haben wir nichts von Ihnen gehört.

Meine Damen und Herren, Digitalisierung heißt mehr als Software, Algorithmen und Apps. Wenn Digitalisierung gelingen soll, dann müssen wir alle Menschen in Hessen mitnehmen und ihnen, unabhängig ob Stadt oder Land, unabhängig von formalen Qualifikationen und unabhängig von ihrem sozialen Status, die Möglichkeit der Teilhabe verschaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Sinemus, ich möchte Sie noch auf eine Sache hinweisen, die mir besonders am Herzen liegt: Die Digitalisierung betrifft nicht nur kleine und mittlere Unternehmen, sondern sie betrifft in gleichem Maße auch die Wohlfahrtsverbände in all ihren Rollen: als Dienstleister, als Interessenvertretung all derjenigen, die keinen Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft
finden konnten. Daher benötigen die Wohlfahrtsverbände sowohl Unterstützung in der Veränderung ihrer innverbandlichen Organisationsprozesse als auch Unterstützung bei der Veränderung ihrer Beziehungen zu Hilfebedürftigen und Klienten. Das jetzt vorgestellte Förderprogramm hat aber einmal mehr die Wohlfahrtsverbände beim Thema Digitalisierung
nicht im Blick, weil sie aus Ihrer Sicht keine KMU sind. Aber gerade in der Beratung, in der Bildung, in der Pflege und Betreuung liegt ein enormes Potenzial, das mithilfe digitaler
Anwendungen, mit Vernetzungen und neuen Verfahren genutzt werden könnte. In Hessen arbeiten 260.000 Menschen sozialversicherungspflichtig in Einrichtungen der Sozialwirtschaft und der freien Wohlfahrtspflege. Das entspricht ungefähr 8 % der gesamtwirtschaftlich Beschäftigten in Hessen. Diesen Bereich haben Sie in Ihrem Förderprogramm vollkommen vernachlässigt, ihn geradezu vollkommen verdrängt. Eine Förderung darf aber nicht nur dort stattfinden, wo Profit zu erwarten ist, sondern eine Förderung muss dort ansetzen, wo sie den Menschen am meisten hilft.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, es könnte auch das Ziel eines Landesförderprogramms sein, Transparenz bei Algorithmen und Big Data zur fördern. Für die Internetgiganten sind wir längst gläserne Konsumenten und für den Staat zunehmend gläserne Bürgerinnen und Bürger. Persönlichkeitsprofile der Kundinnen und Kunden werden erstellt, gehandelt und mit jedem Klick im Internet weiter verfeinert. Sensible Daten wie Gesundheitsdaten, Daten zur ethischen Herkunft, zur Religionszugehörigkeit oder zur sexuellen Orientierung, aber auch das Konsumverhalten werden in immer größeren Datenbanken zusammengefasst und als Datenware verkauft. Algorithmen entscheiden letztlich ohne menschliches Zutun über die Kreditwürdigkeit und die Zugänge zu Angeboten. Der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin weiß nicht mehr, wer was zu welchem Anlass über sie gespeichert hat, wer im Besitz dieser Daten ist, und verliert damit zunehmend die Hoheit über die eigenen Daten. Wir brauchen ein Mehr an Datensouveränität. Wir brauchen ein Mehr an Schutz der Persönlichkeitsrechte im Netz, und wir brauchen mehr Datenschutz in der Netzpolitik. Das wäre ein Förderschwerpunkt, den ich mir von Ihnen gewünscht hätte, Frau Ministerin.

(Beifall DIE LINKE)

Nur wenn wir hier aktiv werden, werden wir verhindern, dass Tools wie Cambridge Analytica Einfluss auf unser demokratisches Gemeinwesen nehmen und am Ende nicht die besten Ideen, sondern die besten Algorithmen die Wahlen gewinnen. Das Ziel des hessischen Förderprogramms müsste es sein, Transparenz zu fördern und sicherzustellen, dass jeder nachvollziehen kann, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen worden sind. Wir brauchen einen verpflichtenden Hinweis bei der Verwendung von Algorithmen und die Verpflichtung, die Datenbasis und die Entscheidungswege nachprüfbar zu machen.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Es gibt eine Menge von Aufgaben, denen wir uns stellen müssen, wenn wir den Sprung in eine neue digitale Gesellschaft schaffen wollen. Es geht um mehr als nur die Förderung von Start-ups und Mobilfunkmasten. Es geht um die Frage, wie wir die digitalen Rahmenbedingungen, das Arbeiten, Leben und Wirtschaften 4.0 gestalten wollen. Was Sie heute vorgestellt haben, bleibt weit hinter den Beispielen anderer Bundesländer zurück. Es gibt keine Fokussierung auf die wirklichen Herausforderungen der digitalen Welt. Das wird jedenfalls keinen großen Beitrag für ein digitales Hessen leisten.

Frau Ministerin, mit Ihrer viel zu kleinen Fördergießkanne, mit der Sie jetzt über das Land ziehen, werden Sie vielleicht ein paar schöne Bilder bei der Übergabe von Förderbescheiden bekommen. Die wirklichen Probleme haben Sie jedoch weder benannt, noch wird das Förderprogramm, Hessen digital nachhaltig nach vorne zu bringen, damit nach vorne gebracht. Ich glaube, Sie sollten hier noch einmal kräftig nacharbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)