Hermann Schaus - Rechtsterror als Staatsgeheimnis? Teil 2

"Rechtsterror als Staatsgeheimnis?" Teil 2

Hermann Schaus
Hermann SchausAntifaschismus

In seiner 24. Plenarsitzung am 30. Oktober 2019 diskutierte der Hessische Landtag über die Versäumnisse von Innenminister Beuth im Mord an Walter Lübcke. Dazu die zweite Rede unseres innenpolitischen Sprechers Hermann Schaus:

 

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich kann mich auf wenige Punkte beschränken. Denn das, was der Kollege Rudolph gesagt hat, kann ich vollinhaltlich unterstreichen. Das muss ich nicht wiederholen. Aber ich will mit einigen Missverständnissen aufräumen. Herr Minister, ein Teil der Sicherheitsbehörden hat, was die Mordermittlungen im Fall unseres Kollegen Lübcke angeht, in der Tat sehr gute Arbeit geleistet: die Polizei. Mein Eindruck ist aber, dass die Polizei die gute Arbeit leisten konnte, weil ihr System der Erfassung von Daten eine andere Laufzeit hat, nämlich zehn Jahre, als beim Verfassungsschutz, wo einiges nur fünf Jahre aufbewahrt wird. Darüber muss man aus meiner Sicht einmal nachdenken. Den Verfassungsschutz nehme ich als Teil der Sicherheitsbehörden ausdrücklich aus, was diesen Ermittlungserfolg angeht. Genau da haben wir das Problem. Genau da müssen wir als Parlament, als diejenigen, die die Regierung kontrollieren, sehr wahrscheinlich in einem Untersuchungsausschuss aufklären, was hier im Einzelnen schiefgelaufen ist; denn unsere Aufgabe ist auch, Sie zu kontrollieren.

(Günter Rudolph (SPD): Richtig!)

Zu den strafrechtlichen Ermittlungen will ich an dieser Stelle ganz eindeutig sagen: Niemand – das unterstelle ich, und das gilt auch für uns – hat ein Interesse daran, die Ermittlungen in irgendeiner Weise zu behindern, zu beeinflussen oder zu konterkarieren. Wir werden Mittel und Wege finden, die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen zu berücksichtigen, damit es nicht zu Überschneidungen und speziell zu zeitlichen Überschneidungen kommt. Da bin ich mir ganz sicher. Wir sind sehr wohl bereit, das zu unterstützen und das im Auge zu behalten. Das heißt aber nicht, dass wir mit der Aufklärungsarbeit warten, bis ein Urteilsspruch da ist. Das kann von uns niemand verlangen. Drittens. Sie haben gesagt, Herr Minister: Wir haben uns auf die 129er-Liste verständigt. – Ich will transparent machen, wie das beim NSU-Untersuchungsausschuss gelaufen ist. Wir hatten ursprünglich beschlossen, dass die gesamte hessische Neonaziszene ins Auge genommen wird. Dann kam der Verfassungsschutz und hat gesagt: Du lieber Gott, so viele Akten, das geht gar nicht, usw. – Dann haben auch wir uns in gutem Glauben, dass wir entsprechende Unterstützung erfahren, auf Nordhessen konzentriert und in einem zweiten Schritt auf die 129er-Liste. Das ist richtig. Es ist trotzdem nur die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte lautet – das ist der entscheidende Punkt –, dass zumindest ich davon ausgegangen bin, dass wir, wenn wir im NSU-Untersuchungsausschuss in dieser Art und Weise dem Verfassungsschutz entgegenkommen, wenn wir auf andere Hinweise z. B. auf Stephan Ernst stoßen, automatisch eine Zulieferung von den Informationen und Akten bekommen, die dort angesprochen sind. Man kann formal darüber streiten nach dem Motto: Das habt ihr nicht vereinbart. – Aber ich sage noch einmal: In jeder Sitzung, in jeder internen Sitzung saß ein Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz, der genau wusste, was wir machen. Er wusste genau, was wir wollen. Er hätte an dieser Stelle sagen müssen: Wenn ihr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vernehmt und wenn Mitarbeiter wie Stephan Ernst oder Markus H. auftauchen, haben wir Akten dazu, die wir euch vorlegen. – Von sich aus; diese Unterstützung erwarte ich von einer Behörde für die Parlamentarische Kontrollkommission bzw. für einen Untersuchungsausschuss.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Freie Demokraten und Robert Lambrou (AfD))

Genau das ist nicht passiert. Sich jetzt darauf zurückzuziehen, dass man sich formal auf die 129er-Liste verständigt habe und nichts darum herum gehe, halte ich für Hinterlist. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen. Das trägt nicht dazu bei, dass man Vertrauen in eine andere Art und Weise von Untersuchungsausschussarbeit gewinnt, anders als wir sie in den letzten vier Jahren gesehen haben und als wir sie erleben mussten – gerade wir von der Opposition. Letzter Punkt. Die ganze Zeit wurde behauptet, auch von Ihnen, Herr Minister, dass der interne Bericht, der für 120 Jahre gesperrt wurde, der im Falle des 2013er-Berichts 235 Seiten und im Falle des 2014er-Berichts 76 Seiten umfasst, ungeschwärzt vorgelegen habe. Ich habe das immer bestritten, und ich bestreite das auch heute. Er lag nicht ungeschwärzt vor. Erst in der letzten Plenarsitzung wurde gesagt: Nein, aber nach dem Wiesbadener Verfahren hättet ihr ja Einsicht nehmen können. – Das ist etwas ganz anderes, Herr Frömmrich. Das wissen Sie auch. Das ist genau das, was Herr Rudolph gesagt hat. Das Wiesbadener Verfahren, so kommt es mir inzwischen vor, war ein Alibi.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Schaus, kommen Sie bitte zum Schluss?

Hermann Schaus (DIE LINKE):

Letzter Satz. – Das war ein Alibi, damit man hinterher sagen konnte: Ihr hättet ja in den Bericht, 300 Seiten stark, Einsicht nehmen können; ihr hättet das alles in eurem Gehirn nach Hause tragen können, und ihr dürft nicht darüber berichten. – Das sind die Fakten; denn Notizen durften wir ja nicht machen, wenn wir in solche Akten Einsicht genommen haben.

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

All das gehört zur Wahrheit, und all das müssen wir bei nächsten Mal berücksichtigen. Das ist nicht vertrauensfördernd, auch wenn Sie dazwischenrufen, Herr Frömmrich.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))