"Schlanke Verwaltung? Versuchen Sie doch einmal Bürokratieabbau im Bereich der überbordenden Kontrollwut bei Sozialbehörden!"

Torsten Felstehausen
Torsten FelstehausenDigitalisierungInnenpolitik

Bürokratie abbauen – Bürger und Unternehmen entlasten – Chancen der Digitalisierung nutzen (Antrag Fraktion der Freien Demokraten, Ds. 20/390)

 

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bamberger, Sie haben in Ihrer ersten Rede gefragt: Wo steht die Hessische Landesregierung? Was ist bisher passiert? – Dabei haben Sie die Hessische Landesregierung doch sehr über den grünen Klee gelobt, was den Bereich der Digitalisierung angeht. Wörtlich haben Sie gesagt: Die Hessische Landesregierung ist sehr interessiert und motiviert, wenn es um Digitalisierung geht.

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Wenn man das einmal in Zeugnissprache übersetzen würde, dann würde man sagen: Die Hessische Landesregierung hat sich stets bemüht. – Jeder von uns weiß, was das eigentlich heißt.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf CDU: Ach!)

Die Hessische Landesregierung hat sich nämlich in der Vergangenheit nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie im Bereich der Digitalisierung ambitioniert vorangeschritten wäre. Was man gemacht hat, ist: Man hat das mit der Einrichtung eines Ministeriums fortgesetzt; man hat Titel vergeben. Herr Finanzminister Dr. Schäfer wurde CIO. Das hört sich besser an, aber passiert ist nichts. Bei meiner Recherche habe ich auch geschaut, was jetzt eigentlich in Planung ist, und möchte zitieren: Mit ihrer neuen Agenda legt die Hessische Landesregierung einen umfassenden Masterplan für digitales Verwaltungshandeln für die nächsten fünf Jahre vor. Damit gehen wir den Weg der Verwaltungsmodernisierung in Hessen konsequent weiter. Der Dreiklang unserer E-Government-Strategie, der Strategie für digitales Verwaltungshandeln, lautet: E-Services…, E-Administration … und Open-Government... Einige dieser Begriffe haben wir schon gehört. So machen wir unsere Verwaltung weiter schlank und fit für die Zukunft, …Das hört sich eigentlich ganz gut an. Aber jetzt muss ich Ihnen sagen: Das stammt aus einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2015. Jetzt schauen wir einmal, was seitdem passiert ist, und stellen fest: Viel Planung ist in dieser Zeit nicht passiert. Und, noch viel wichtiger: An der Umsetzung hapert es nach wie vor. Im Mai 2018 hat dieser Landtag das E-Government-Gesetz beschlossen – im Übrigen als eines der letzten Bundesländer. Hessen ist da nicht ganz vorne, wie immer behauptet wurde, sondern Hessen hat im Bereich der Digitalisierung die rote Laterne übernommen.

(Beifall DIE LINKE – Tobias Eckert (SPD): Genau!)

Dieses Gesetz, das 2018 beschlossen worden ist, ist auf zehn Jahre befristet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Befürchtung, dass wir, wenn es in diesem Tempo mit der Digitalisierung weitergeht, keine grundlegenden Veränderungen mehr erleben werden, bevor dieses Gesetz nach zehn Jahren wieder außer Kraft tritt. Dann geht es nämlich überhaupt nicht weiter. Das Ziel dieses Gesetzes sollte nämlich sein – das steht auch in dem Antrag –, wenn es darum geht, wie mit Anträgen und Planungsunterlagen umgegangen wird, eine medienbruchfreie Antragsbearbeitung, also vom Eingang über die Bearbeitung bis hin zur Bescheidung, sicherzustellen. Aber all das ist nicht passiert; und es ist vor allen Dingen deshalb nicht passiert, weil die Kommunen in keiner Weise eingebunden sind. In diesem E-Government-Gesetz befinden sich lauter SollundKannvorschriften, aber die wenigsten Sachen sind verbindlich geregelt. Vor allen Dingen: All das soll erst 2022 in Kraft treten. Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wie schnell die Digitalisierung voranschreitet. Wenn Sie schauen, was im Banken- und Versicherungsbereich passiert, dann kann man sich ungefähr ein Bild davon machen, welche Dynamik das Ganze hat. Wenn die Hessische Landesregierung mit dieser Zeitplanung bis 2022 ff. weiter fortfährt, dann wird uns das Ganze überholen, ohne dass wir überhaupt mitbekommen, dass etwas passiert ist.

(Beifall DIE LINKE, Jürgen Lenders (Freie Demokraten) und Robert Lambrou (AfD))

Natürlich gibt es bei der Digitalisierung auch Dinge zu beachten. Die FDP hat auf ihre Plakate geschrieben: „Digital first. Bedenken second.“

(Demonstrativer Beifall Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

– Warten Sie meine Antwort ab. – Es gibt durchaus einige Sachen, die wir bedenken sollten und nicht einfach beiseiteschieben können.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist unter anderem die Frage, wie die Digitalisierung im ländlichen Raum passiert. Da ist bisher an vielen Stellen sehr wenig zu erleben. Es ist die Frage zu stellen – sie ist eben auch schon aufgekommen –: Wie sieht eigentlich die Möglichkeit für einen umfassenden Zugang zu digitalen Medien aus? Haben wir dabei nur die Generation der unter 50-Jährigen im Kopf, oder wie gehen wir mit denjenigen um, die an dieser Stelle nicht qualifiziert sind? Last, but noch least hat Digitalisierung in der Verwaltung vor allem auch etwas mit der Qualifizierung und der Weiterbildung der Beschäftigten zu tun. Die Aufgabe muss sein, dass alle Mitarbeiter auf dem Weg in die digitale Verwaltung befähigt und mitgenommen werden. Es reicht eben nicht aus, Rechner irgendwohin zu stellen und Leitungen zu verlegen. Die Kompetenz muss bei den Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung wachsen und aufgebaut werden. Dafür muss man erheblich Geld in die Hand nehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte zum Schluss noch einmal auf den anderen Aspekt Ihres Antrags eingehen. „Bürokratie abbauen“ fordern Sie. Wenn Sie an dieser Stelle von Bürokratieabbau reden, dann höre ich von Ihnen immer nur die Begriffe „Unternehmen“, „Mittelstand“, all das. Bürokratie macht aber viele, viele andere Bereiche aus. Wenn Sie wirklich Bürokratie abbauen wollen, dann möchte ich Ihnen einen Hinweis geben, bei dem wir als LINKE auf jeden Fall mit dabei wären. Versuchen Sie doch einmal den Bürokratieabbau in dem Bereich der überbordenden Kontrollwut bei den Sozialbehörden und schieben dem einen Riegel vor.

(Beifall DIE LINKE)

Täglich schwärmen Tausende von Mitarbeitern im Außendienst aus, diese sogenannten Hartz-IV-Kontrolleure, um Bagatellverstöße aufzudecken. Da werden Zahnbürsten gezählt, da werden Möbelstücke begutachtet, da werden Kleiderstücke im Schrank inspiziert, immer in der Hoffnung, man könnte einen Sozialbetrüger aufdecken und ihn möglicherweise auch abschrecken. Meine Damen und Herren, wenn wir Bürokratieabbau wirklich ernst meinen, dann sollten wir an den Stellen anfangen, an denen es am wirkungsvollsten ist, und sollten dort unterstützen, wo wir feststellen, Bürokratie hat dort nur eine abschreckende Wirkung und überhaupt keine Wirkung, was die Kosten angeht. – Vielen Dank. Ich bin gut in der Zeit. Nach meiner Rede haben wir, glaube ich, Feierabend. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)