"Wir werden Ihren Kulturrollback verhindern!"

Ulrich Wilken
Ulrich WilkenFrauenKultur

Gendersprache in hessischen Ministerien, Landesbehörden und der Landtagsverwaltung abschaffen (Antrag Fraktion der AfD, Ds. 20/376)

 

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich möchte auch betonen: Sprache bildet gesellschaftliche Wirklichkeit ab und ist damit zugleich Teil dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit. Als solche ist sie einem ständigen Wandel unterworfen. Sie muss selbstverständlich die Erfolge des jahrzehntelangen feministischen Kampfes um Gleichberechtigung abbilden.

(Beifall DIE LINKE)

Sprache erzeugt Bilder im Kopf. Wenn in einem Text nur männliche Formen vorkommen, entsteht der Eindruck, dass es nur um Männer geht und nicht auch um Gewerkschafterinnen, Politikerinnen, Arbeitnehmerinnen oder Frauen in Führungspositionen. Es geht nicht um korrekte Sprache, sondern um geschlechtergerechte Sprache und letztlich darum, ob wir Frauen und Männer in der Vielfalt ihrer Arbeits- und Lebenswelten ansprechen und erreichen. Es geht vor allem darum, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen und ihnen so zu angemessener Repräsentation in der Verbalkommunikation zu verhelfen. Wir wollen geschlechtergerechte Sprache. Wir bemühen uns um Sprache, indem wir von mehr als nur Männern explizit sprechen. Mit „wir“ meine ich – da bin ich ganz sicher – die überwiegende Mehrheit in diesem Haus.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Meine Herren von der AfD – damit, Frau Papst-Dippel, sind Sie in der Logik Ihrer Sprache mit gemeint –, Sie wollen das nicht. Dabei gestehe ich Ihnen zu, dass Sie Frauen nicht nur in der Sprache unterdrücken, sondern auch wieder in längst überwundene Rollenmodelle des letzten Jahrtausends zurückdrängen wollen.

(Klaus Herrmann (AfD): Oh!)

Das ist der Kern Ihres verqueren Menschenbildes.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich will mich heute gar nicht darüber auslassen, welche guten oder eher umständlichen Lösungsmöglichkeiten wir da diskutieren, sondern ich will vielmehr über den gesellschaftlichen Rollback, den die AfD versucht, reden. Ich habe in meiner Schulzeit in meinem Schulbuch gelesen: Der Mann liest die Zeitung, die Frau liest Erbsen. – Weil es Frauen gab, die das beanstandet und zusammen mit solidarischen Männern dagegen gekämpft haben, sind solche Sätze verschwunden. Genau das will die AfD rückgängig machen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – Vereinzelter Widerspruch AfD)

Politische und administrative Entscheidungen können Männer und Frauen sehr unterschiedlich treffen.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Warum gendern Sie Ihre Rede nicht?)

Deshalb hat die Weltfrauenkonferenz in Peking bereits 1995 Gender-Mainstreaming als eigenständige Strategie festgelegt.

(Robert Lambrou (AfD): Tja, Strategie ist es!)

Die AfD aber wähnt hinter dem längst etablierten Instrument des Gender-Mainstreamings das Ziel, die traditionelle Familie zu zerstören.

(Zuruf AfD: Das ist so!)

Solche Bestrebungen seien – Zitat – „Genderwahn“ [„Gender“ englisch ausgesprochen] oder, wenn ich den PGF der AfD zitiere, „Genderwahn“ [„Gender“ buchstäblich ausgesprochen]

(Heiterkeit Janine Wissler (DIE LINKE) und Felix Martin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und „Gleichmachung von Geschlechtern unter einem ideologisch verbrämten Etikett“, wie es in einer Pressemitteilung der hessischen AfD heißt. Wenn in Kita und Schule Genderaspekte berücksichtigt werden, fürchtet die AfD eine Konfrontation von Kleinstkindern mit sexuellen Methoden und Praktiken.

(Zuruf DIE LINKE: Ja, genau!)

Dass sich die AfD gern über geschlechtergerechte Sprache in Dokumenten und Beschlüssen lustig macht, mag dem einen oder anderen nicht so wichtig erscheinen. Sprache drückt aber eine innere Haltung aus und entfaltet reale Wirkung.

(Zuruf AfD: Genau!)

Vorherrschend bei der AfD ist das Bild der zweigeschlechtlichen Kleinfamilie als Keimzelle der Gesellschaft mit klassischer Rollenverteilung.

(Andreas Lichert (AfD): Was sonst? – Zuruf AfD: Richtig!)

Abtreibungen, Quotenregelung, homosexuelle Lebensweisen – das alles wird bekämpft.

(Zurufe AfD: Nein! – Falsch! – Da haben Sie gestern nicht zugehört!)

Hinter diesem Familienbild versteckt sich ein verstaubtes, urkonservatives und antifeministisches Frauenbild.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD – Zurufe AfD)

Dabei ist die AfD zugegebenermaßen nicht allein. Ich erinnere nur an die frühere, aus der Hessen-CDU kommende Familienministerin Kristina Schröder. Auch sie hat ein ähnlich konservatives neoliberales Frauenbild vertreten. Es ist also noch ein weiter Weg, bis dieses konservative Frauenbild aus den Köpfen verschwunden ist. Wir müssen dafür streiten, dass die idealen Bedingungen der Geschlechtergerechtigkeit endlich erreicht werden. Die Schritte weg von der traditionellen Kleinfamilie mit berufstätigem Mann dürfen nicht durch Doppelbelastungen und Überlastungen berufstätiger Frauen gefährdet werden.

(Robert Lambrou (AfD): Ach, da ist jemand ideologisch unterwegs!)

Hinzu kommt das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Das alles führt zu neuen Ungleichheiten. Wir setzen uns für ein selbstbestimmtes solidarisches Leben ein,

(Lachen Heiko Scholz (AfD))

in dem Erwerbsarbeit, Familienarbeit, gesellschaftliches und politisches Engagement für Männer und Frauen miteinander vereinbar sind.

(Beifall DIE LINKE)

Wir treten dafür ein, die sozialen Sicherungssysteme, die Gestaltung der Arbeitswelt, das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen und die Rahmenbedingungen für die politische Beteiligung in Wirtschaft und Politik so zu verändern, dass Benachteiligungen – vor allem von Frauen – beseitigt werden. Das heißt eben auch, dass alle politischen Entscheidungen und Vorschläge systematisch danach beurteilt werden müssen, welche Auswirkungen sie auf Frauen und auf Männer haben. Das alles, meine Herren von der AfD, ist für Sie Teufelszeug. Aber Sie werden uns nicht aufhalten, im Gegenteil: Wir werden Ihren Kulturrollback verhindern.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)