Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke: „Al-Wazir redet viel, liefert wenig!“

Axel GerntkeEnergieWirtschaft und Arbeit

Am 12. Juli 2022 hielt der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir eine Regierungserklärung ab. Unser wirtschaftspolitischer Sprecher Axel Gerntke erwidert. Gleichzeitig brachten wir einen Antrag ein, dass das Land Hessen etwas gegen die steigenden Energiekosten unternehmen solle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, werte Verbliebene der Regierungsfraktionen! „Nachhaltig.innovativ.krisenfest.“ – so tituliert die Landesregierung ihre Regierungserklärung. Vergegenwärtigen wir uns, was Sie hier vorgetragen haben, aber auch das, was Sie in den vergangenen Jahren getan und nicht getan haben, vergegenwärtigen wir uns die aktuelle Politik der Bundesregierung, in der Ihre Partei, sehr geehrter Herr Minister Al-Wazir, bekanntlich auch vertreten ist, dann hätte das Motto Ihrer Regierungserklärung eher lauten müssen: „Hessen tut nix – kurzatmig.uninspiriert.krisenabwälzend.“

(Beifall DIE LINKE)

Schon wenn es um die Lagebeschreibung geht, leben wir offensichtlich in zwei verschiedenen Welten; denn die soziale Lage ist nicht gut. Gehen Sie einmal durch das Frankfurter Bahnhofsviertel oder durch andere Stadtteile in den hessischen Großstädten. Menschen suchen nach Flaschen in Papierkörben. Es bilden sich Schlangen vor den Tafeln. Die Tafeln sind nicht einmal in der Lage, alle Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Im Hartz-IV-Regelsatz sind 156 € für Lebensmittel eingeplant. Das reichte schon vorher nicht. Jetzt ist der Satz zynischerweise um 0,3 % erhöht worden. Nennen Sie das Wohlstand für alle?

Die Lebensmittelpreise explodieren. Wer noch einen Liter Milch für weniger als 1 € oder Butter für weniger als 2,50 € ergattert, der hat Glück. Das sind doch die Probleme.

Die Verbraucherpreise rennen der Lohnentwicklung derart davon, dass es selbst für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen zunehmend eng wird. Nennen Sie das Wohlstand für alle?

Auf der anderen Seite haben einige wenige von der Corona-Krise und vom Krieg profitiert. In der Pharmaindustrie sprudeln Milliardengewinne. Einzelne Unternehmen erpressen Kommunen, die Gewerbesteuer zu senken, um noch mehr Gewinn zu machen. Manche glauben wohl, sie wohnen an der Goldgrube.

Die Mineralölkonzerne erfreuen sich zugleich am Tankrabatt, den ihnen Herr Lindner zugesteckt hat, während die Benzinpreise hoch bleiben. Herr Lindner lässt sich dabei nichts anmerken und feiert erst einmal drei Tage lang auf Sylt seine Hochzeit, zu der dann auch noch der vermeintliche Oppositionsführer angeschwebt kommt.

(Yanki Pürsün (Freie Demokraten): Ihr könnt keinen Spaß haben!)

Um nicht falsch verstanden zu werden: Herr Lindner kann von mir aus jedes Jahr heiraten und dies auch jedes Jahr auf Sylt feiern.

(Beifall DIE LINKE)

Ob die Kirche das jedes Mal mitmacht, das weiß ich nicht. Das soll uns hier aber auch nicht weiter interessieren. In der aktuellen Zeit entsteht aber ein Bild, in dem die einen in Luxus schwelgen, während die anderen entscheiden müssen, ob sie heizen oder essen wollen. Das ist das Problem.

(Beifall DIE LINKE)

In diesem Zusammenhang ergibt z. B. die Streichung der Lohnkostenzuschüsse für Langzeiterwerbslose ein ganz schwaches Bild. Wenn dann Regierung und vermeintliche Opposition in trauter Eintracht diese Spaltung nicht nur ignorieren, sondern sie sogar zelebrieren, meine Damen und Herren, müssen wir uns über Politikverdrossenheit wirklich nicht wundern.

Unser Bundeskanzler Scholz tut das Seine, indem er die konzertierte Aktion ausruft. Dass da einige die Befürchtung haben, dass es um Lohnleitlinien geht und damit verbunden um Lohnverzicht, das ist ja wohl klar. Darum ging es bei der konzertierten Aktion in den späten Sechziger- und in den Siebzigerjahren ja auch. Wenn man dann etwas anderes will, ist es wirklich keine gute Idee, an diesen Begriff anzuknüpfen, zumal die Gewerkschaften, gemessen an der aktuellen Inflation, ohnehin nur moderate Erhöhungen vorschlagen. Beispielsweise hat der IG-Metall-Vorstand gestern für die Metall- und Elektroindustrie eine Forderung von 8 % für zwölf Monate beschlossen. Selbst wenn das Ergebnis der Forderung entsprechen würde, würde damit gerade einmal die Inflation ausgeglichen. Deswegen sage ich: Wenn Herr Scholz sagt, wir sollten uns alle unterhaken, dann empfehle ich den Beschäftigten: Haltet eure Portemonnaies fest.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Karin Müller:

Einen kleinen Augenblick bitte. – Ich möchte darauf hinweisen, dass auf der Besuchertribüne keine Beifallsbekundungen erlaubt sind.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Ein nicht viel besseres Bild bietet Herr Habeck. Er betätigt sich als Westentaschen-Sarrazin, indem er die Bevölkerung mit launigen Spartipps traktiert. In diese Richtung ging ja wohl auch Ihre Rede, Herr Al-Wazir. Während Herr Sarrazin den Erwerbslosen empfahl, in der kalten Wohnung einen Pullover zu tragen, wird jetzt gefordert, öffentliche Schwimmbäder müssten nicht unbedingt auf 28 Grad temperiert sein, frei nach dem Motto: Der Plebs kann ja auch kalt baden, solange die Temperatur in den Schwimmbädern der Villenbesitzer im Vordertaunus noch stimmt.

(Beifall DIE LINKE)

An Rande sei darauf hingewiesen: Bereits jetzt sind viele öffentliche Schwimmbäder nicht auf 28 Grad temperiert.

Apropos Villenbesitzer: Ein Freund von mir ist Dachdecker. Er hat gerade im Vordertaunus das Dach einer Villa zu decken. Das Haus ist so konzipiert, dass die Garagen für die zu beherbergenden Oldtimer mit Fußbodenheizung ausgestattet sind.

(Zuruf Yanki Pürsün (Freie Demokraten))

Das finde ich sehr anschaulich: eine Gesellschaft, in der die einen sicherstellen, dass es ihre Autos schön warm haben, während die anderen frieren.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Arbeitet der umsonst?)

„Der Manchester-Kapitalismus, den Friedrich Engels beschrieb, hat sich in Deutschland zur sozialen Marktwirtschaft gewandelt“, heißt es in Ihrer Rede, sehr geehrter Herr Minister Al-Wazir. Fakt ist, der sozialstaatlich geprägte Klassenkompromiss der Nachkriegsordnung ist aufgekündigt worden.

(Beifall DIE LINKE – Jan Schalauske (DIE LINKE): Hat schon Wolfgang Abendroth gesagt!)

– Hat schon Wolfgang Abendroth gesagt. Recht hat er gehabt.

Der sozialstaatliche Klassenkompromiss ist gekennzeichnet durch die Ausweitung von Gewerkschafts- und Beschäftigtenrechten, durch starke Sozialversicherungen, durch Vollbeschäftigung, durch ein aktives Eingreifen des Staates in die Wirtschaftspolitik, durch sozialen Wohnungsbau, durch freien Zugang aller Menschen zu Bildung. Das ist aber längst alles vorbei. Seit der Wiedervereinigung und spätestens seit der Agenda 2010 haben wir keinen sozialstaatlich regulierten Klassenkompromiss, sondern wir haben einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Wenn wir keine soziale Marktwirtschaft haben, dann können Sie diese auch schlecht sozial-ökologisch transformieren.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Einschätzung lässt sich durch konkrete Zahlen belegen. Die Armutsquote liegt bei über 16 % in diesem reichen Land. Wohlstand für alle?

Mehr als ein Fünftel der Menschen arbeitet im Niedriglohnsektor. Jedes fünfte Kind muss in Armut aufwachsen. Wohlstand für alle? Das sind doch Zustände, die wir niemals hinnehmen dürfen.

Fahren Sie einmal in Wiesbaden die Mainzer Straße entlang bis hinter die Autobahnauffahrt nach Frankfurt. Dann kommen Sie zu Fedex. Das ist ein Paketdienst. Über einen Monat lang haben die Kolleginnen und Kollegen dort gestreikt. Wir waren mehrfach da. Einige der Kollegen der SPD haben sich auch blicken lassen. Die Streikenden verdienen dort in Vollzeit zwischen 2.000 € und 2.200 € brutto und kämpfen unter anderem für die Tarifierung eines 13. Monatseinkommens sowie für Nachtzuschläge, die einheitlich gezahlt werden sollen. Zurzeit ist es nämlich so, dass einige 15 % und andere 33 % erhalten.

Nun weiß ich auch, die Handlungsmöglichkeiten eines Landeswirtschaftsministers bei einem Privatdienstleister sind eingeschränkt. Das Normalste der Welt wäre aber doch, dass sich der Wirtschaftsminister da blicken lässt, dass er sich unmittelbar aus erster Hand informiert, aber nicht, dass er signalisiert, dass ihm das Schicksal der Betroffenen egal ist, dass er sich beispielsweise mit dem Regierungspräsidium in Verbindung setzt, wenn in einem solchen Betrieb Streikbrecher eingesetzt werden, die nicht sicherheitsunterwiesen sind, dass er beispielsweise prüft, ob und in welchem Umfang Leistungen von Fedex durch das Land und die Kommunen in Anspruch genommen werden und ob es vielleicht einen Hebel gibt, den Beschäftigten zu helfen. Das wäre doch nicht zu viel verlangt, Herr Al-Wazir.

(Beifall DIE LINKE)

Fedex ist aber nur ein kleines Beispiel für Ihre Tu-nixPolitik. Im größeren Maßstab läuft es nicht anders. Jetzt wird ein Wirtschaftsgipfel unter Beteiligung der Gewerkschaften angekündigt. Wie war das denn mit dem industriepolitischen Trialog? Wir standen doch schon vor Jahren vor gigantischen Aufgaben des sozial-ökologischen Umbaus. Natürlich müssen die Automobilkonzerne zu Mobilitätskonzernen umgebaut werden. Wenn wir weniger Autos benötigen und gleichzeitig den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr ausbauen wollen, dann müssen die Automobilkonzerne und die Zulieferindustrie ihre Angebotspalette grundlegend umstellen. Dabei müssen doch die betroffenen Kolleginnen und Kollegen mitreden. Das erfordert doch den Ausbau und die Erweiterung der Mitbestimmung sowie den Ausbau von Gewerkschaftsrechten. Notwendig ist auch die Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen in Beratungsfragen, aber auch mit Blick auf wissenschaftliche Forschungskapazitäten.

In anderen Bundesländern gibt es z. B. Technologieberatungsstellen. Notwendig sind darüber hinausgehend Gelder für einen Transformationsfonds.

Das alles hätte schon damals Gegenstand des industriepolitischen Trialogs sein müssen. Meine Rückfragen beim DGB ergaben aber, dass der Trialog ausgegangen war wie das Hornberger Schießen. Es gab eine Auftaktveranstaltung, bei der aber nichts herausgekommen ist: keine Verabredung, keine Maßnahmen. Seitdem ruht der See still. Genau diesen Eindruck hatte ich als IG-Metaller auch: Stillstand statt Innovation. Hessen tut nix.

Nun wollen Sie das Gleiche noch einmal machen. Was wird aber anders als beim letzten Mal?

Das gleiche Bild zeigt sich in der Energiepolitik. Lindner schwadronierte jüngst noch von den regenerativen Freiheitsenergien. Jetzt, wo es ernst wird, soll tabufrei über die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke diskutiert werden. Das Ergebnis der Debatte: Die FDP stimmt im Bundestag gespalten ab.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Das gibt es ja nicht!)

Die Bundesregierung trägt auf EU-Ebene dazu bei, dass diese lebensgefährliche Technologie auch noch privilegiert wird. Neben den technischen Fragen, ob eine solche Verlängerung überhaupt möglich wäre, wissen wir immer noch nicht, wohin mit dem weiteren Atommüll. Um es ganz klar zu sagen: Atomkraftwerke sichern die Grundlast ab, sie sind aber nicht geeignet, Probleme, die wir angesichts der fehlenden Gasversorgung haben, zu lösen. Ein Rollback zur Energiepolitik der Siebzigerjahre ist mit uns nicht zu machen. Es bleibt dabei: „Atomkraft? Nein danke!“

(Beifall DIE LINKE)

Das alles, weil man eine völlig verunglückte Sanktionspolitik gegen Putin betreibt. Herrn Putin wird es kaum beeindrucken, wenn das russische Öl zu weit höheren Preisen über Indien von uns gekauft wird. Beeindrucken würde es ihn vielleicht eher, wenn man russische Oligarchen unter Druck setzen würde. Dazu müsste man aber wissen, mit wem man es überhaupt zu tun hat. Man muss einen Überblick darüber gewinnen, wo der Reichtum überhaupt sitzt.

(Yanki Pürsün (Freie Demokraten): Bei Putin!)

Dann könnte es natürlich passieren, wenn man sich damit auseinandersetzt, dass sich Fragen nach dem Reichtum generell stellen. Das will man offensichtlich vermeiden.

(Beifall DIE LINKE)

Stattdessen will Herr Habeck die Instrumente des Energiewirtschaftsgesetzes aktivieren. Er unterrichtet die Bevölkerung, das sei ein scharfes Schwert. Offensichtlich will er dieses Schwert genau gegen diese Bevölkerung, nämlich die Kundinnen und Kunden, richten. Die explodierenden Gaspreise sollen an diese durchgereicht werden, um den Energieanbieter Uniper vor der Insolvenz zu bewahren. Das hieße, die erhöhten Abschlagszahlungen für Energie wären für viele Mieterinnen und Mieter nur die Spitze des Eisbergs. Der große Schock kommt erst mit der Endabrechnung.

Ich sage: Soll Uniper doch in die Insolvenz gehen. Dann kann die öffentliche Hand Uniper zu günstigen Preisen erwerben und muss im Gegenzug nicht die Gaspreise entsprechend subventionieren.

(Robert Lambrou (AfD): Ich glaube es nicht!)

In besseren Zeiten könnten die Verluste über die dann wieder sprudelnden Gewinne ausgeglichen werden. Das ginge also nicht nach dem Modell Lufthansa: Der Staat kauft sich ein, Lufthansa erhält Kurzarbeitergeld, entlässt dennoch viele Menschen und streicht jetzt Flüge, weil Personal fehlt. Der Staat hält sich dann als stiller Teilhaber fein raus.

Wir haben gesehen, was dabei herauskommt. So kann es nicht gehen. Die Beschäftigten brauchen Arbeitsplätze. Das Energiesystem muss auch nach der Krise handlungsfähig sein.

(Yanki Pürsün (Freie Demokraten): Sie wollten das Fliegen doch verbieten!)

Das bedeutet auch, dass sich der Staat aktiv in die Preisbildung einschalten muss. Sonst bleibt es dabei: Die Konzerne stecken sich in guten Zeiten die Profite ein und rufen in der Krise nach dem Staat. Der Markt ist doch hochgradig dysfunktional. Das Wechseln von Anbietern ist kaum möglich. Die meisten Anbieter nehmen aktuell gar keine Neukunden auf, und wenn, dann nur zu Mondpreisen. Wir brauchen eine staatliche Strompreisaufsicht, wie es sie lange gegeben hat und wie sie anderswo selbstverständlich ist.

(Beifall DIE LINKE)

In Frankreich reguliert der Staat die Strompreise. Die französische Regierung hat den Anstieg der Energiepreise bei staatlichen Stromkonzernen auf 4 % gedeckelt. Zum Vergleich: Bei uns stiegen die Strompreise in der gleichen Zeit um 23 %. Das ist das Versagen der Politik.

Sinnvoll wären zudem ganz andere Tarifstrukturen. Die Energie zum Heizen, Kochen und Leben – also für das Existenzminimum – sollte sehr günstig sein, ein überdurchschnittlicher Mehrverbrauch könnte dann verteuert werden. Verschwender zur Kasse bitten, Kleinverbraucherinnen und Kleinverbraucher entlasten – das wäre soziale Gerechtigkeit, auch auf der Stromrechnung.

(Beifall DIE LINKE)

Der billigste Strom kommt mittlerweile vom Wind und von der Sonne. Auch darum müssen wir den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern beschleunigen. Doch das Resultat der Tu-nix-Politik der Landesregierung ist ganz anders. Noch immer hat sie das von ihr selbst gesteckte Ziel, 2 % der Landesfläche für Windräder auszuweisen, nicht erreicht. Seit mehr als drei Jahren stockt der Ausbau der Windenergie in Hessen, und seit mehr als drei Jahren erzählen Sie uns hier etwas von der Beschleunigung des Ausbaus. Erst waren es Altmaier und das komplizierte Ausschreibungsverfahren, dann war es der Naturschutz, der gebremst haben soll, und schließlich will Hessen-Forst auch noch zu viel Pacht für Flächen im Wald. Sinnvoll wäre es, die Kommunen als Akteure zu stärken, ihnen Waldflächen pachtfrei zu überlassen, und auch das Land Hessen sollte sich einfach selbst beim Ausbau der Windkraft engagieren, statt auf andere zu warten.

(Beifall DIE LINKE)

Passiert ist aber nichts. Stattdessen: Tu nix auch bei der Fotovoltaik. Nur ein winziger Teil der in Landeshand befindlichen Gebäude wird mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet – von einer attraktiven Förderung ganz zu schweigen. Seit 2012 reden wir über die Nutzung von landeseigenen Gebäuden und Dächern, und erst jetzt kommt die Pflicht, neue Gebäude entsprechend auszustatten. Wir hängen den Entwicklungen locker ein Jahrzehnt hinterher. So wird das nichts mit der Energiewende.

(Beifall DIE LINKE)

Da heißt es dann oft: Das ist mit erhöhter Geschwindigkeit überhaupt nicht zu realisieren, weil uns die Fachkräfte fehlen. Aber: Überhöhte Geschwindigkeit fördern Sie offensichtlich nur auf der Autobahn. Nun beklagen Sie den Fachkräftemangel. Fachkräftemangel – was für eine Überraschung. Zum einen frage ich: Wie ist denn die Situation im Handwerk? Im Handwerk werden deutlich geringere Löhne gezahlt als in der Industrie. Das gilt bereits für die Tariflöhne. Hinzu kommt, dass in vielen Handwerksunternehmen Wildwest-Zustände herrschen: Tarifliche Gehälter werden nicht gezahlt, eine betriebliche Interessenvertretung gibt es nicht, Schwarzarbeit ist an der Tagesordnung. Dass daher die Menschen nicht unbedingt motiviert sind, einen Handwerksberuf zu ergreifen, darf einen nicht verwundern. Handwerk hat goldenen Boden – aber der gehört den Handwerksmeistern.

(Beifall DIE LINKE)

Um gewollten Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt viele Handwerksunternehmen, die sich an die Regeln halten, die vertretbare Arbeitsbedingungen bieten. Es gibt aber auch die anderen, und um die sollte sich die Landesregierung einmal kümmern.

Zum anderen werden nicht genug Menschen ausgebildet – ein Vorwurf, der insbesondere der Industrie zu machen ist. Seit Jahren fordern die Gewerkschaften: Wer nicht ausbildet, soll zahlen. – Es wurde aber nichts gemacht. Sehenden Auges sind wir in die Situation hineingeschlittert, in der wir jetzt sind. Tu nix auch in der Ausbildung. Darum frage ich: Warum wird kein landesweiter Fonds eingerichtet, in den die Arbeitgeber einzahlen, die eine bestimmte Ausbildungsquote nicht erfüllen? Damit könnten diejenigen, die über die Quote hinaus ausbilden, unterstützt werden. Das wäre eine effektive Maßnahme gegen den Fachkräftemangel.

(Beifall DIE LINKE)

Anders sieht die Situation in der Pflege aus. Es liegt nicht in erster Linie daran, dass wir dort keine Fachkräfte hätten, sondern daran, dass wir einen Massenexodus dieser Fachkräfte aus ihrem Beruf haben. Die Menschen sind völlig überlastet, die Arbeitsbedingungen sind unerträglich. Nicht die Menschen in den Krankenhäusern werden gesund, sondern die Pflegekräfte werden aufgrund der Arbeitssituation krank.

In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung ist nachzulesen: Ein großer Teil derjenigen, die es nicht mehr ausgehalten haben, wäre bereit, in den Job zurückzukehren, wenn sich die Arbeitsbedingungen grundlegend verbessern würden.

Ich nehme als Beispiel die Universitätsklinik Frankfurt. Sie ist in Landeshand. Hier könnte und hier muss die Landesregierung unmittelbar etwas machen. Frau Dorn ist Aufsichtsratsvorsitzende der Uniklinik. Ver.di fordert einen „Tarifvertrag Entlastung“. Ver.di hat für jede Station konkrete Forderungen erhoben, wie der Personalschlüssel aussehen muss, um einigermaßen humane Arbeitsbedingungen zu realisieren. Das wäre gut für die Beschäftigten, das wäre aber auch gut für uns alle; denn potenziell sind wir alle Patientinnen und Patienten.

(Beifall DIE LINKE)

Das Grundproblem ist aber: Auch eine Uniklinik in öffentlicher Hand wird letztlich in das im Gesundheitssystem vorherrschende Korsett der Profitorientierung gezwängt. Es geht eben nicht mehr um eine optimale Versorgung, sondern es geht um immer mehr Effizienz. Das geht am Ende zulasten aller im Krankenhaus – nach dem Motto: Wer eine gute Versorgung will, der muss sich eben zusätzlich privat absichern. – Das ist aber eine Möglichkeit, die die allergrößten Teile der Bevölkerung wegen ihrer Einkommen einfach nicht haben. Wohlstand für alle?

Die Profitorientierung im Gesundheitssystem muss zurückgedrängt werden. Darum fordere ich die Landesregierung auf: Stellen Sie in einem ersten Schritt sicher, dass der Vorstand der Uniklinik die gerechten Forderungen von ver.di erfüllt und den Tarifvertrag abschließt, und stellen Sie das dafür erforderliche Geld bereit.

(Beifall DIE LINKE)

Engagieren Sie sich zweitens im Bundesrat dafür, dass eine einheitliche Kranken- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird. Sie muss paritätisch, ohne Beitragsbemessungsgrenzen und ohne Zuzahlungen und gesonderte Beiträge der Beschäftigten finanziert werden.

Engagieren Sie sich außerdem dafür, dass der Einfluss der Pharmalobby zurückgedrängt wird und die Pharmaindustrie Medikamente nicht mehr zu Fantasiepreisen verkaufen kann wie bisher. Festpreise wären hier sinnvoll.

Drittens. Krankenhäuser und Pflegeheime gehören in die öffentliche Hand. Gesundheit darf keine x-beliebige Ware sein, mit der man Profit macht.

Mit dem Universitätsklinikum Gießen-Marburg könnten Sie anfangen; das gehört zurück in die öffentliche Hand, und zwar schnell.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit großer Umbrüche: Klimawandel, Energiekrise, veränderte Lebensmodelle. Das wirkt sich auch massiv darauf aus, wie wir uns fortbewegen. Wer dabei weniger Autoverkehr haben will, der muss Alternativen anbieten: Das ist in allererster Linie der öffentliche Personennah- und -fernverkehr.

Einer der wenigen Lichtblicke der neuen Bundesregierung war das 9-€-Ticket. Über 30 Millionen Menschen haben dieses Ticket genutzt und damit nach Angaben der Bundesregierung teilweise auch den Pkw-Verkehr substituiert. Das entlastet die Umwelt und hat vielen Menschen geholfen, die sich weder ein Auto noch die teuren Normalpreise leisten können. Das war es aber auch schon mit dem Lichtblick.

Zum einen: Wir wollen unser Leben ja gern in vollen Zügen genießen, aber nicht in überfüllten Zügen. Es hätte die Möglichkeit gegeben, die 1. Klasse generell zu öffnen, die Taktzeiten von Bussen und Bahnen zu erhöhen sowie zusätzliche Buslinien einzurichten. Leider ist das nur selten geschehen. Die Verantwortung dafür wird auf die Verkehrsverbünde abgewälzt, und die Bundesregierung und die Landesregierungen waschen ihre Hände in Unschuld. Bei den über diese Zustände unzufriedenen neuen ÖPNVNutzerinnen und -Nutzern steht nicht zu erwarten, dass sie dauerhaft auf den ÖPNV umsteigen werden.

Zum anderen: Auch bei denjenigen, die einigermaßen zufrieden waren – das sind ja nicht wenige –, dürfte keine Freude aufkommen, wenn es vonseiten der Bundesregierung nun heißt, eine Verlängerung der Geltungsdauer des 9-€-Tickets komme nicht in Betracht. Eine Verlängerung der Geltungsdauer des 9-€-Tickets wäre aber die richtige Maßnahme – und mittelfristig die Einführung eines Nulltarifs.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD)

Die Vereinigung der hessischen Arbeitgeberverbände hat es neulich in einer Anhörung abgelehnt, dass sich Unternehmen am öffentlichen Nahverkehr finanziell beteiligen, auch wenn sie hiervon einen Nutzen haben – mit der Begründung, die hessischen Unternehmen würden ja bereits Steuern zahlen, insoweit sei eine zusätzliche Finanzierung nicht geboten. Die Begründung gefällt mir. Was den Herren Arbeitgebervertretern offensichtlich nicht ganz bewusst war, ist, dass alle Menschen in diesem Lande Steuern zahlen, viele über die Einkommensteuer und alle über die Mehrwertsteuer. Insoweit ist gar nicht einzusehen, wieso sie den ÖPNV zusätzlich über Tickets finanzieren sollen.

(Beifall DIE LINKE)

In dem Zusammenhang ist mir das Logo der Regierungserklärung aufgefallen. Schauen Sie sich einmal das Logo von Hessenmetall an. Da gibt es eigentlich kaum Unterschiede. Darüber sollte man einmal nachdenken.

Zugegeben, das schönste 9-€-Ticket und der beste Nulltarif nutzen dort nichts, wo einfach nichts fährt. Weite Teile Hessens sind für den Nahverkehr überhaupt noch nicht erschlossen, und viele Strecken sind stillgelegt worden. Der DGB hat einen Vorschlag erarbeitet, welche Bahnstrecken reaktiviert werden müssten. Diesen Vorschlag unterstützen wir ausdrücklich und haben bereits in mehreren Landtagssitzungen die zu reaktivierenden Strecken benannt. Es braucht eben niedrige Preise, ein einfaches System und einen Ausbau der Strecken. Das ist kein Widerspruch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mir ist durchaus bewusst, dass die hier dargelegten Forderungen einen erheblichen zusätzlichen Investitionsbedarf nach sich ziehen. Die gute Nachricht ist: Das Geld ist da. – Die schlechte Nachricht ist: Es ist in den falschen Händen. Es gibt in riesigem Umfang gesellschaftliche Armut und zugleich eine Ansammlung unerhörten Reichtums. Das ist nicht akzeptabel.

(Zurufe AfD)

Darum fordere ich die Landesregierung auf: Engagieren Sie sich für die Wiedereinführung der Vermögensteuer mit entsprechenden Freibeträgen, engagieren Sie sich für die Erhöhung der Erbschaftsteuer, ebenso mit Freibeträgen, und engagieren Sie sich für die Anhebung des Spitzensteuersatzes für Hochverdiener sowie für eine Besteuerung von Kapitalerträgen – mindestens nach den Kriterien, wie auch Arbeitseinkommen besteuert werden.

Wenn Sie das alles nicht wollen, dann hätten Sie wenigstens die Bundesratsinitiative für die Einführung einer Übergewinnsteuer unterstützen können. Eine solche ist nach dem Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zulässig und machbar. Damit könnte man zumindest die Extraprofite von Krisen- und Kriegsgewinnlern abschöpfen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD)

– Ich weiß, Sie von der AfD jaulen, wenn Milliardäre zur Kasse gebeten werden sollen. Das ist klar, aber wir wissen ja auch, wessen Interessen Sie vertreten.

(Beifall DIE LINKE – Robert Lambrou (AfD): Wir vertreten die kleinen Bürger, also die, die DIE LINKE schon längst verraten hat! – Weitere Zurufe AfD)

Hessen könnte sich für die Einführung einer Bürger- und Erwerbstätigenversicherung, für eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und die Erhöhung der Regelsätze bei Hartz IV um mindestens 200 € starkmachen.

(Beifall DIE LINKE)

Engagieren Sie sich für ein sozial gerechtes Mobilitätsgeld, das, anders als die Pendlerpauschale, Menschen mit geringem Einkommen nicht mehr benachteiligt, sondern jeder Pendlerin und jedem Pendler pro Kilometer das Gleiche zahlt – unabhängig von der Höhe des Einkommens und der Wahl des Verkehrsmittels.

Sie tun das alles aber einfach nicht. Gerechtigkeit und Umverteilung spielen bei Ihnen keine Rolle – offensichtlich deshalb, weil Sie sich in den Verhältnissen eingerichtet haben: Tu nix auch bei der Umverteilung von oben nach unten.

Insoweit bin ich schon froh, dass in dieser Legislaturperiode Steuerfahnder nicht mehr in die Psychiatrie eingewiesen wurden, wie es früher üblich war, oder gar ins Gefängnis gesteckt wurden. In dem Fall allerdings wären die Betroffenen wiederum einigermaßen sicher; denn angesichts des Personalmangels wären sie relativ schnell wieder in Freiheit.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Fazit: Das Motto Ihrer Regierungserklärung sollte besser lauten: „Hessen tut nix – kurzatmig.uninspiriert.krisenabwälzend.“ – Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)