Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke - Umbau der hessischen Wirtschaft demokratisch lenken statt dem Markt überlassen

Axel GerntkeWirtschaft und Arbeit

In seiner 132. Plenarsitzung am 22. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag über die Einführung eines Transformationsfonds zur Finanzierung des sozialen und ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Dazu die Rede unseres wirtschaftspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

In der Tat stehen wir vor immensen Herausforderungen. Die Umstellung der Wirtschaft auf eine soziale und ökologisch nachhaltige drängt. Die umfassende Transformation ist notwendig. Dabei dürfen die Beschäftigten nicht auf der Strecke bleiben. Gleichzeitig ist es so, dass viele Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen, dass aber auch gleichzeitig viele Arbeitsplätze wegfallen werden und neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen, das alles mit guten Arbeitsbedingungen und dann auch so schnell, dass der Klimawandel noch gebremst werden kann. Das ist insgesamt eine sehr komplexe Anforderung.

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Zu komplex für die Landesregierung!)

Die Antwort, die wir uns seit Jahrzehnten haben anhören müssen, ist: Ja, das regelt der Markt schon. – Seit Jahren wird wenig regulierend eingegriffen. Dennoch sieht man offensichtlich: Der Markt hat es nicht geregelt, sondern wir stehen vor den Problemen. Gleichzeitig verlassen sich immer noch einige darauf, dass Wachstum und Profitstreben irgendwie automatisch zu einer besseren Welt führen werden, nach dem Motto eben: Der Markt regelt es. – Wir sagen: Der Markt regelt es nicht. So wird das nichts. (Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, die Praxis zeigt doch, dass sich Unternehmen nicht von alleine transformieren, sondern dass sie, solange ihre bisherige Produktionsweise profitabel ist, genauso weitermachen wie bisher. Wenn das irgendwann nicht geht – auch das sehen wir –, dann machen die Unternehmen dicht und machen zu. Das erleben wir ja. Die Konsequenz ist Erwerbslosigkeit.

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Was für ein Quatsch! – Zuruf Jan Schalauske (DIE LINKE) – Weitere Zurufe – Glockenzeichen)

– Was für ein Quatsch? Gibt es das nicht, dass die Firmen in Konkurs gehen, dass wir Entlassungen haben? Mit Karstadt haben wir kein Problem? Ich weiß gar nicht, worüber wir gestern diskutiert haben.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Wir haben Fach- und Arbeitskräftemangel! – Jan Schalauske (DIE LINKE): Was ist mit Galeria? – J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Oh Mann! – Weitere Zurufe)

Zum Teil fehlen allerdings auch die politischen Vorgaben; da muss der Staat in diesen Transformationsprozess eingreifen. Er wird sowieso kommen, aber es ergibt Sinn, ihn zu lenken.

Darum hat DIE LINKE schon seit Längerem gemeinsam mit den Gewerkschaften einen hessischen Transformationsfonds gefordert. Nun hat die SPD uns heute ebenfalls unter diesem Stichwort einen Gesetzentwurf vorgelegt. Das begrüßen wir außerordentlich und nehmen wir zum Anlass, hier miteinander darüber zu diskutieren, was notwendig ist für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation.

Ein Sektor ist: Wir benötigen konkrete politische Ziele und Zwischenziele, z. B. hinsichtlich der Frage: Wie sollen sich CO2-Emissionen entwickeln? Daraus abgeleitet geht es z. B. um Vorstellungen, wie sich die Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln soll. Das muss dann auf einzelne Sektoren heruntergebrochen werden.

Wir brauchen gleichzeitig Ziele im Hinblick darauf, wie sich die Arbeit und die Arbeitsbedingungen entwickeln sollen. Ich will das jetzt nur an einem Beispiel festmachen: dem Verkehrssektor. Ich glaube schon, dass wir eine Vorstellung davon haben müssen, wie hoch denn im Jahr 2030 und im Jahr 2040 die Anzahl der Pkw ist, wie hoch dann die Anzahl der gefahrenen Kilometer ist,

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Um Gottes willen!)

welcher Energieverbrauch damit verbunden ist und wie wir es hinbekommen, dass in diesem Zusammenhang CO2Emissionen drastisch verringert werden. Das wird dazu führen, dass die Unternehmen, die Automobilindustrie anders und auch weniger von den klassischen Produkten produzieren, als das bisher der Fall ist.

Wir brauchen zugleich Vorstellungen, wie wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen wollen. Wir brauchen Vorstellungen davon, wie die Industrie, die in früheren Zeiten vielleicht in höherem Maße Pkw produziert hat, z. B. in diesem Bereich auch mit eingesetzt wird. Das muss mit den Unternehmen und den Beschäftigten gemeinsam diskutiert und entwickelt werden. Dazu braucht es einen Bewusstseinswandel bei den Unternehmen, aber auch bei den Beschäftigten.

Das wird nur funktionieren, wenn die Beschäftigten entsprechend in diesen Transformationsprozess einbezogen werden; sonst wird er scheitern. Das heißt, wir brauchen den Ausbau der Mitbestimmung auf allen Ebenen, auf der betrieblichen Ebene, auf der Unternehmensebene, bei Konzernen, aber auch in der gesamten Branche.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei kann ein Transformationsfonds unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Schaut man sich den Entwurf der SPD an, geht es dort, so habe ich es verstanden, eher um Beratungsprozesse, um Unterstützung und Moderation, gegebenenfalls natürlich schon auch um Förderung unter bestimmten ökologischen und sozialen Bedingungen wie z. B. der Tarifbindung.

Wenn gesagt wird: „Wir sind ja für die Tarifbindung, aber wir können doch die armen Unternehmen, die keine Tarife haben, nicht ausschließen“, dann habe ich in diesem Hause aber noch keine Antwort darauf gehört, wie denn, bitte, zu mehr Tarifbindung gekommen werden soll. Wenn das nicht nur ein allgemeiner Appell ist, sondern wenn es ernst gemeint ist, dann müsste einmal ein konkreter Vorschlag auf den Tisch, wie das von staatlicher Seite unterstützt werden kann.

Die Funktionen, die ich eben genannt habe und von denen ich jetzt ausgehe, dass sie dem Transformationsfonds der SPD innewohnen, sind einige Funktionen, die wir für richtig und notwendig halten.

Wir sind allerdings der Auffassung – gemeinsam mit den GRÜNEN, da zeichnen sich ja fast schon Mehrheiten ab –, dass 200 Millionen € pro Jahr eine doch relativ niedliche Summe sind, gemessen an den Anforderungen und davon ausgehend, dass Hessen ein BIP von 400 Milliarden € hat, würde ich jetzt einmal grob schätzen. Da sind diese 200

Millionen €, die wir da jetzt mobilisieren wollen – –

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Überschaubar!)

Ja, daran kann man noch feilen. Denn wir meinen, dass die Funktionen, die dem Fonds bisher beigemessen wurden, nicht ausreichen.

Es muss meines Erachtens nicht nur darum gehen, Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zu fördern, sondern es muss auch darum gehen, sich an Unternehmen zu beteiligen, zeitweise oder auch längerfristig – und das nicht nur, wenn sie kurz vor der Pleite stehen, wie bei der Lufthansa. Das Wichtigste dabei: Wir wollen uns beteiligen, weil wir den Staat auch einbringen wollen, damit er entsprechend mitreden kann, damit er seine Rechte als Anteilseigner entsprechend nutzt und nicht als stiller Teilhaber, wie das hier so üblich ist, seine Hände in Unschuld wäscht, wie auch immer sich die Prozesse dann gestalten.

(Zuruf: Wie in der DDR?)

– Nein, in der DDR gab es keine Transformationsfonds, an denen der Staat beteiligt war.

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Das stimmt nicht! – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Sie wollten auch immer überholen! – Glockenzeichen)

Noch einmal zu der Summe, den 200 Millionen €: Der DGB hat in seiner Erklärung vorgerechnet: Wenn man das mit den Transformationsfonds vergleicht, die man z. B. im Saarland oder in Bremen hat, dann brauchen wir rund 20 bis 40 Milliarden € und nicht 200 Millionen €. Wenn ich das hochrechne, die 3 Milliarden € in Bremen bis zum Jahr 2027, dann komme ich sogar auf eine Summe von 70 bis 80 Milliarden €, die dem entsprechen würde.

Vizepräsident Frank Lortz:

Kollege Gerntke, Sie müssen zum Schluss kommen.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Das ist aber sehr schade. Das tut mir leid.

Vizepräsident Frank Lortz:

Ja, aber trotzdem.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Ich sehe das Problem. – Okay, also jedenfalls brauchen wir deutlich mehr Geld. Das habe ich deutlich gemacht. Deswegen gilt das, was immer gilt: Wir brauchen eine Steuerreform, und: weg mit der Schuldenbremse.

Schönen Dank auch. Den Rest klären wir später.

(Beifall DIE LINKE)