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Rede

Axel Gerntke - Verkehrspolitik braucht eine Wende, kein "Weiter So!"

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In seiner 122. Plenarsitzung am 07. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag zu den Haushaltsjahren 2023 und 2024. Dazu die Rede unseres wirtschafts-, energie- und verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren.

(Michael Boddenberg (CDU): Aber doch nicht so!)

Es muss dafür einen Grund geben, und deshalb möchte auch ich jetzt sagen: Der Einzelplan 07 – das Lob möchte ich aussprechen – ist wirklich geschmeidig, so geschmeidig, wie es grüne Politik generell ist.

Man ist für alles Gute. Man ist für den Klimaschutz, man ist für die Verkehrswende, aber auf eine Art und Weise, dass man niemandem wehtut und sich mit niemandem anlegt.

(René Rock (Freie Demokraten): Jetzt tut es weh!)

Das ist gewissermaßen eine geschmeidige Politik: Raketen in die Ukraine liefern und gleichzeitig barfuß zum Grab Mahatma Gandhis pilgern; im Bund eine Übergewinnsteuer veranlassen und im Land dagegen sein – für jeden ist etwas dabei, everything goes –; einen Bundesverkehrswegeplan, der aus dem fossilen letzten Jahrhundert stammt, auf der Bundesebene ohne Wenn und Aber umsetzen, aber auf der Landesebene mit der Schulter zucken und sagen: „Ja, das müssen wir halt machen“, und an die Stadt Frankfurt einen Brief schreiben, dass das eigentlich nicht so schön ist. Es ist also für jeden etwas dabei.

Gemessen wird sich dann am Jahr 2014, als es eine Regierung unter Schwarz-Gelb gab, also an einer Vollkatastrophe. Dann wird gesagt: Schau mal, jetzt sind wir aber schon viel besser. – Da lobt man sich selbst: Wir machen einen Rekordhaushalt nach dem anderen. – Es ist, wie man feststellt, wenn man sich das anschaut, bei Haushalten ziemlich üblich, dass sie jedes Jahr höher sind als im Jahr zuvor; denn in jedem Jahr haben wir Wachstum und Inflation. In 19 von 20 Fällen ist also der nachfolgende Haushalt höher angesetzt als der vorangegangene. Dass man sagt, man tätigt Rekordausgaben, ist also eigentlich ein Allgemeinplatz, aber noch keine Prioritätensetzung der Politik.

Schauen wir einmal in die hessische Landesverfassung: Der Erfolg der Wirtschaftspolitik beispielsweise sollte sich daran messen lassen, ob sie den Wohlstand im Lande gerecht verteilt – Art. 38 der hessischen Landesverfassung. Schaut man sich beispielsweise den jetzt erschienenen neuen Sozialbericht an, stellt man fest, dass genau das, was das Ziel der Wirtschaftspolitik sein sollte, nicht erreicht wird, sondern dass die Spaltung auch in Hessen immer größer und nicht kleiner wird. Die Armutsquote steigt. Mittlerweile sind in Hessen jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche armutsgefährdet.

Schauen wir uns die Energiepolitik an: Auch da kann der Maßstab nicht sein, wie es vor zehn Jahren war, sondern der Maßstab muss doch das sein, was erforderlich ist. Bei den Windrädern – wir hatten das schon so oft im Parlament – ist das Tempo nicht einmal schneckenhaft; denn die Schnecken kommen, wie gesagt, voran, während man beim Ausbau der Windkraft einfach auf der Stelle tritt.

Auch in der Verkehrspolitik ist das so. Sie reden von der Verkehrswende; das ist wunderbar. Aber eine Verkehrswende, die sich dadurch auszeichnet, dass der Anteil der gefahrenen Autokilometer jedes Jahr steigt, ist keine Wende, sondern ein „Weiter so“. Entweder wir wollen eine Wende, und dann müssen wir tatsächlich etwas anderes machen als das, was bisher gemacht worden ist;

(Beifall DIE LINKE)

oder es ist keine Wende. Die 4 km lange Eisenbahnstrecke ist hier auch schon mehrfach genannt worden. Es gibt allerdings zwei 4 km lange Eisenbahnstrecken: die eine, die neu gebaut wurde, und die andere, die abgebaut wurde. Ich will der Landesregierung jetzt nicht zumuten, auszurechnen, was das im Saldo ausmacht. Wenn man sagt: „Wir machen mehr für das Auto, und wir machen mehr für den ÖPNV“, ist das keine Wende, sondern man macht einfach von allem ein bisschen mehr.

Das gleiche Bild zeichnet sich leider auch in der Wirtschaftspolitik ab. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, nämlich an der Binding-Brauerei. Wir haben schon im Wirtschaftsausschuss darüber geredet.

(Michael Boddenberg (CDU): Das war doch noch unter Feldmann! – Weitere Zurufe)

Unser Vorschlag ist: Wenn wir es tatsächlich nicht verhindern können, dass die Unternehmensgruppe das durchzieht, die Leute entlässt und die Produktion verlagert, sollten wir darüber nachdenken, ob wir als Staat einsteigen. Wenn es staatliche Weingüter gibt, könnte es auch eine staatliche Brauerei geben.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU)

Da wurde uns gesagt, das verstoße gegen die Haushaltsordnung. Aber wenn wir uns die Haushaltsordnung anschauen, stellen wir fest, es wird dort genau gesagt, dass so etwas z. B. aus Kulturgutgründen möglich wäre. Aber man ist wohl der Auffassung, dass das juristisch nicht möglich ist: Bei Wein geht es, bei Bier nicht.

(Zurufe CDU) – Was denn?

(Michael Boddenberg (CDU): Wir können fusionieren! Staatsweingut und Binding-Brauerei!)

– Das ist eine schöne Idee. Dass Sie jetzt auf dieser Ebene Scherze machen, freut die Kolleginnen und Kollegen, die davon betroffen sind, nicht. Die finden das vielleicht nicht ganz so lustig.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber das ist schon einmal ganz erfreulich. Das kennt man von der Wirtschaftspolitik der Regierung gar nicht. Aber wenn jetzt die Zusage von Herrn Boddenberg kommt, dass Sie einen neuen Job besorgen, ist das schon einmal ein Ansatz.

(Michael Boddenberg (CDU): Das meine ich ernst!)

Aber kehren wir zurück in den Ausschuss. Unser Vorschlag war, doch einmal über eine staatliche Brauerei nachzudenken. Nein, das gehe nicht wegen der Haushaltsordnung. Das finde ich eine sehr eigenwillige Interpretation. Aber wenn man ihr folgt, könnte man darüber nachdenken, ob man nicht die Haushaltsordnung ändert. Uns wurde dann beschieden, dass auch dies leider nicht möglich ist; denn wir haben die soziale Marktwirtschaft, und die soziale Marktwirtschaft gibt es nicht her, dass man in einem solchen Fall eingreift. Deswegen sei leider nicht damit zu rechnen, dass man etwas in dieser Art und Weise macht. – Ich denke, das ist typisch, das ist kennzeichnend für die gesamte Wirtschaftspolitik.

In der letzten Sitzung z. B. haben wir hier die Situation der armen Pharmaindustrie besprochen. Ihre Politik der Stimulanz – die schlagen Sie auch für die Hauseigentümer vor – kann doch nicht heißen, dass Sie noch etwas in die vollgefüllten Geldsäcke tun wollen, in die eigentlich gar nichts mehr hineinpasst. Das kann nicht die angemessene Politik sein, sondern notwendig wäre, dass wir stattdessen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die reguliert.

Ein Punkt, der dafür notwendig wäre, wären z. B. die Transformationsfonds. Aber wenn es darum geht, der Industrie zu helfen und sie zu befähigen, dass sie auf eine andere Art und Weise produziert und sich dabei an Nachhaltigkeit ausrichtet, kann das nicht nur die Aufgabe eines Transformationsfonds sein, der dann nett berät, sondern es muss auch eine staatliche Einwirkung möglich sein. Das bedeutet z. B. die Beteiligung des Staates an bestimmten Unternehmen, und dafür muss man ganz andere Geldsummen hinterlegen, als das hier der Fall gewesen ist.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Gerntke, ich weise Sie auf die Redezeit hin.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Danke. – Nächster Punkt. Um dafür zu sorgen, dass die Leute ihre Mieten bezahlen können und ordentliche Löhne haben, müsste man vielleicht ein Vergabegesetz initiieren, das seinen Namen auch verdient und mit dem Tariftreue tatsächlich durchgesetzt wird.

Gestern ist kurz darüber gesprochen worden, dass Herr Minister Al-Wazir mit Herrn Bouffier ein Buch schreiben soll. Wenn der Koordinationsaufwand ein bisschen zu hoch ist, schreiben Sie doch erst einmal allein ein Buch über Ihre wirtschaftspolitischen Leistungen. Ich würde sagen, das könnte bis Montag fertig sein; ein kleines Pixi-Buch wäre das. Der Titel könnte vielleicht sein: „Tarek lernt Fahrradwege bauen“. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)