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Rede

Christiane Böhm - Hessens Landesregierung hat keinen Plan in der Pflege

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 110. Plenarsitzung am 13. Juli 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Forderung nach einem Landespflegeplan. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Mein Dank gilt der SPD für diesen Setzpunkt. Er ist bitter nötig. Er ist unbedingt erforderlich. Solange diese Landesregierung nicht ins Handeln kommt, muss sie sich, wenn es sein muss, in jeder Plenarsitzung mit dem Thema der Pflege beschäftigen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Immerhin geht es in Hessen um 300.000 Pflegebedürftige und um noch viel mehr pflegende Angehörige sowie Pflegekräfte, die unser Thema sein müssen. Ich denke, es würde den GRÜNEN gut anstehen, hierzu einmal eine Diskussion im Landtag aufzumachen. Warum tun Sie das nicht, wenn Sie denn so tolle Ergebnisse nachzuweisen haben? Hierüber müssten Sie doch reden statt über Streuobstwiesen.

Es geht uns um die gesamte Situation in der Pflege. In Nordrhein-Westfalen streiken die Unikliniken seit elf Wochen. Im UKGM findet heute und morgen ein zweitägiger Wahnstreik statt. Die Kolleginnen und Kollegen streiken dagegen, dass sie der Spielball sind zwischen den Profitinteressen von Asklepios und der Unfähigkeit des Landes, diese Klinik wieder in Landeseigentum zurückzuführen. Sie haben unsere unbedingte Solidarität, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen am Universitätsklinikum Frankfurt, die sich wie die UKGM-Beschäftigten für eine Entlastung und für mehr Personal einsetzen und die jetzt, Gott sei Dank, zu einer Rahmenvereinbarung gekommen sind, sodass es tatsächlich eine Chance gibt, dass die Verhandlungen gut laufen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist eine große Sache, wenn Beschäftigte in der Gesundheitsversorgung streiken, ganz besonders, wenn es um Ärztinnen und Ärzte sowie um Pflegekräfte geht. Bei einem solchen Streik steht keine Fertigungsstraße still, auf der beispielsweise ein Auto produziert wird. Es bleiben keine Pakete liegen. Hier geht es um die Sorge um Menschen. Deswegen ist es etwas Besonderes, dass sich diese fürsorglichen Kolleginnen und Kollegen für ihre eigenen Interessen einsetzen. Sie wissen, es geht um die Qualität der Versorgung, dass wir alle früher oder später Patientinnen oder Patienten oder pflegebedürftig sein werden und dass wir ausreichend Personal haben müssen, um gut versorgt werden zu können.

Ganz unmöglich, zu streiken, ist es für die Angehörigen, für die Nachbarn und Familien, die ihre Nächsten pflegen. Deswegen hat der VdK zum Auftakt seiner Kampagne Hunderte Schilder mit Aussagen von Nächstenpflegekräften in Berlin aufgestellt. Diese Streiks und Aktionen, die Kampagne des VdK und von anderen, sind bitter notwendig, da sowohl die Landesregierung als auch die Bundesregierung sehenden Auges in einen Pflegenotstand laufen. Ja, wir sind schon mittendrin, ohne dass wirksame Maßnahmen entwickelt werden.

Wir als LINKE fordern die Landesregierung daher auf: Werden Sie endlich aktiv, gehen Sie entscheidende Schritte zur Verbesserung der Pflegesituation der Menschen in Hessen, sodass Pflege tatsächlich würdevoll sein kann.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Frau Brünnel, ich frage mich wirklich: Wenn Sie sagen, Sie hätten kein Erkenntnisproblem, warum brauchen Sie dann einen Pflegebericht? Und warum ärgern Sie sich so über Oppositionsanträge? Ich finde das nicht nachvollziehbar. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie einen Bericht vorlegen; aber das ist nur sinnvoll, wenn Sie sich den Realitäten schonungslos beugen und sich das wirklich genau anschauen und eine schonungslose und ungeschönte Analyse machen.

(Zuruf Freie Demokraten)

Machen Sie eine Analyse, die sich damit beschäftigt, dass schon heute in Hessen mindestens 12.000 Pflegekräfte fehlen, eine Analyse, die sich damit beschäftigt, warum fast 30 % der Pflege-Azubis ihre Ausbildung abbrechen, eine Analyse, die aufzeigt, dass die Konflikte zwischen Auszubildenden und ausbildenden Betrieben tatsächlich gelöst werden können. Nicht einmal eine Ombudsstelle will die Landesregierung einrichten, wie wir gestern gehört haben. Machen Sie eine Analyse, die sich damit beschäftigt, warum immer mehr Pflegekräfte diesen eigentlich geliebten Beruf verlassen und wohin sie gehen, eine Analyse, die sich damit beschäftigt, was es bedeutet, die Nächsten zu pflegen und rund um die Uhr für die Nächsten, die einem oft genug auf die Nerven gehen können, da zu sein, die man aber nicht alleinlassen kann und will, obwohl man die eigenen Bedürfnisse rund um die Uhr nicht mehr gelten lassen kann und obwohl man rund um die Uhr tätig ist, aber selbst nicht mehr weiß, wie man finanziell über die Runden kommen und wie man damit hinterher eine Rente zustande bekommen soll.

Es ist bedenklich, dass die Landesregierung keinen Landespflegeplan will. Der Antrag der SPD wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir auch gern noch ein paar Schritte weiter gehen würden. Allerdings sind auch ein paar Vorschläge zur Anpassung sowie Entlastungsmaßnahmen angekündigt worden. Ich befürchte allerdings: Das Jahr 2023 ist das Jahr der Landtagswahl.

Wahrscheinlich wird der Bericht kurz davor veröffentlicht, sodass gar keiner mehr mitbekommt, dass sich diese Landesregierung mit diesem Thema überhaupt nicht beschäftigen will und die ganzen fünf Jahre verschlafen hat.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Wir haben als LINKE bereits Anfang Mai einen Antrag eingereicht und die wesentlichen Baustellen und die notwendigen Werkzeuge zur Überwindung dargestellt. Im Gegensatz zu den nordischen Ländern ist die Pflege bei uns Privatangelegenheit. Der Staat schreitet nur ein, wenn es unbedingt sein muss, und selbst dann lässt er sich lange bitten. Ein Beispiel hierfür ist die fehlende Unterstützung für die Altenpflegeeinrichtungen, welchen aufgrund der Corona-Pandemie viel Geld verloren gegangen ist.

Seit Monaten, ich glaube, inzwischen schon mehr als ein Jahr, verhandeln das Land und die Träger miteinander. Ich frage die Landesregierung, ob sie nun endlich eine Lösung auf den Weg gebracht hat. Was ist denn mit dem Corona-Schutzschirm, der versprochen wurde? Es geht sowohl auf Kosten der Pflegebedürftigen als auch des Personals, dass sich das Land vollständig aus der Finanzierung der Investitionskosten bei der Altenhilfe herausgezogen hat. Ich fordere die Hessische Landesregierung daher auf, wieder in diese Investitionskostenförderung einzusteigen,

(Beifall DIE LINKE)

weil das Land nur so Einfluss auf die Qualität und Quantität der stationären Pflege in Hessen nehmen kann. Gerade in der Langzeitpflege herrschen private Eigentümer vor. Eine Studie aus dem letzten Jahr, die sich zum ersten Mal in Deutschland mit dem Verhältnis zwischen Qualität, Preis und Profitorientierung deutscher Pflegeheime beschäftigt hat, stellte fest: 41 % der über 10.000 untersuchten deutschen Pflegeheime arbeiteten profitorientiert und boten in vier der sechs berücksichtigten Qualitätskategorien eine signifikant schlechtere Qualität. Die Qualität verbesserte sich zwar bei steigenden Tagespreisen, jedoch blieben diese Qualitätsunterschiede zwischen profitorientierten und nicht profitorientierten Pflegeheimen – unabhängig vom Preis – bestehen. Ich denke, es ist ein Skandal, dass man die Pflege privaten Konzernen zum Fraß vorgeworfen hat.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Nur wegen der Rendite!)

– Genau, es geht um Rendite. Es geht um die Rendite auf dem Rücken von Menschen, die sich selbst nicht mehr wehren können. Das ist wirklich skandalös, das ist eine Schande für dieses Land.

Ich denke, wir brauchen in allen Bereichen, ob das die stationäre Pflege in den Kliniken oder die stationäre Pflege in den Altenheimen ist, dringend Entlastungstarifverträge. Und das zeigt sich auch. Die Erfahrungen in Berlin, im Saarland oder auch an der Uniklinik in Mainz zeigen deutlich, dass das wirklich hilft, um Pflegekräfte zu halten, weil die Pflegekräfte eben selbst mitentscheiden, was für ihre Entlastung notwendig ist. Es gibt bei diesen Entlastungstarifverträgen eine echte Mitbestimmung; und natürlich muss hinterher die Umsetzung stimmen. Aber damit ist es möglich, Pflegekräfte tatsächlich zu halten. Ich denke, das ist der richtige Schritt; und den muss auch diese Landesregierung deutlich gehen und dies entsprechend unterstützen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe das letzte Mal einiges dazu gesagt, wie Pflegekräfte wieder zurückgewonnen werden könnten. Dazu gibt es eine gute Untersuchung. Aber es ist nicht möglich, dass tatsächlich viel mehr Menschen in der professionellen Pflege betreut werden, sondern die Pflege von Angehörigen durch Nächste ist wirklich notwendig.

Da frage ich mich: Warum ist man denn stolz darauf, dass es in jedem Kreis einen Pflegestützpunkt gibt? In Rheinland-Pfalz haben wir überall Beratungs- und Koordinierungsstellen, in jedem Stadt- und Ortsteil. Warum gibt es in Hessen nur in jedem Kreis eine Stelle? Das ist doch absolut nicht ausreichend. Daher ist diese Beratung hier notwendig; und es ist notwendig, die Unterstützung der häuslichen Pflege wesentlich zu intensivieren.

Das alles ist ein notwendiger Teil – ich weiß, ich komme gleich zum Schluss – der kommunalen Altenhilfeplanung; und hier ist das Land gefordert, die Kommunen finanziell zu unterstützen und zu verpflichten, eine ordentliche Altenhilfeplanung auf den Weg zu bringen. Ich denke, das ist ein wesentlicher Auftrag, den die Landesregierung hat. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)