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Rede

Christiane Böhm - Nicht die Versäumnisse beim Landesgesundheitsamt der Vergangenheit fortschreiben

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 113. Plenarsitzung am 21. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag über die Schaffung eines Landesgesundheitsamtes. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich immer sehr, wenn die Regierung auf die Opposition hört und das umsetzt, was wir vor einem knappen Jahr gefordert haben. Sie haben es schon dargestellt, Frau Sommer: Anlässlich der Verabschiedung des ÖGDGesetzes im Dezember 2021 haben wir schon damals gesagt, wir brauchten ein handlungsfähiges Landesgesundheitsamt. Mit unserem Änderungsantrag haben wir auch deutliche Schritte beschrieben, wie man zu einem solchen Landesgesundheitsamt kommen kann. Das wurde damals von Schwarz-Grün abgelehnt.

(Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD): Hört, hört!)

– Ja. – Es dauerte dann keinen Monat, bis Staatsminister Klose wie Kai aus der Kiste gesprungen kam, um ein Hessisches Landesamt für Gesundheit und Pflege anzukündigen. Ich begrüße diesen Schritt ja sehr – dass Sie allerdings behaupten, es sei Ihre Idee gewesen, finde ich schon infam.

(Beifall DIE LINKE, Dr. Daniela Sommer und Gernot Grumbach (SPD))

Es war sehr deutlich. Frau Sommer, wir haben auch nur auf die Anzuhörenden gehört. Wir haben gleich darauf gehört, was sie sehr deutlich gesagt haben. Wir wissen ja, dass wir in Hessen ein großes Problem haben, wenn wir uns an den großen Sparstrumpf der Regierung Koch erinnern, die damals die Aufgaben einfach mal kommunalisiert hat. Dagegen, Aufgaben zu kommunalisieren, spricht auch erst einmal nichts, allerdings nur dann, wenn die Finanzierung stimmen würde. Das wäre aber auch notwendig, damit die Kommunen in die Lage versetzt würden, diese Aufgaben auch tatsächlich zu erfüllen.

Aber somit hat sich die Landesregierung sämtlicher Steuerungskompetenzen entledigt. – Ich würde darum bitten, dass die Fraktion rechts außen entweder rausgeht oder still ist.

(Zuruf AfD: Still!)

Das ist uns in der Pandemie auch ordentlich auf die Füße gefallen, und das ist nicht nur beim Thema Landesgesundheitsamt der Fall, sondern auch das formal bestehende Landesjugendamt ist ein solches Beispiel, wo es an allen Ecken und Enden an Koordination fehlt.

Ich denke, nicht nur in der Pandemie sind Koordination, Fachaufsicht und Kompetenz notwendig. Das ist überall erforderlich. Ich will das an diesen zwei Beispielen klarmachen: Das ist Aufgabe der Hessischen Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Aber wie muss jetzt ein konkretes, funktionierendes Landesgesundheitsamt aussehen? Was ist dafür notwendig?

Wir brauchen ein personell und sachlich gut ausgestattetes Amt, welches zentrale Fragen der Koordination absichern kann, Fachwissen für hoch spezialisierte Fragen für die kommunalen Gesundheitsämter zur Verfügung stellt und die vielen Baustellen abräumt, die wir in anderen Bereichen des Gesundheitswesens haben.

(Minister Kai Klose: Die sind doch beseitigt!)

Da nenne ich nur ein Beispiel: die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in den Gesundheitsfachberufen. Wenn dies erfolgt und auf ein neues, auf ein gutes Niveau gehoben wird: Das wären sinnvolle Arbeiten für ein Landesgesundheitsamt. Dazu kommt noch eine funktionierende Landesgesundheitsberichterstattung. Das gehört ebenso dazu wie mehr Kompetenz zur Beratung der kommunalen Gesundheitsämter.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt frage ich mich natürlich: Erfüllt der Gesetzentwurf diese Anforderungen, Herr Klose? – Leider nein. Damit lassen Sie die Gesundheitsämter vor Ort wieder einmal im Stich und damit auch die Gesundheitsvorsorge.

Beginnen wir einmal mit der angemessenen Personalausstattung. Der Gesetzentwurf klaubt aus jeder Ecke der Landesverwaltung ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen – rund 450. Die Zahl ist schon genannt worden. Aber Sie haben offensichtlich noch gar keine Übersicht, wo Sie mehr Personal benötigen. Ich kann aus dem Gesetzentwurf nur erkennen, dass es neue Stellen für den Präsidenten, die Präsidentin und den Vizepräsidenten, die Vizepräsidentin geben soll. Da wäre es aber doch notwendig, dass es eine genaue Analyse zu den personellen Mehrbedarfen gibt, um das Amt wirklich mit einer ordentlichen Schlagkraft auszustatten. Wenn Sie das Hessische Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen integrieren, ohne z. B. an der Situation im Bereich der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse etwas zu verändern, dann versandet die Reform automatisch.

Schauen wir einmal auf die Tätigkeitsbereiche, die die Landesregierung beschreibt, nämlich die wesentlichen Aufgaben. Ich sage dazu: Das ist völlig unzureichend. Es steht kein Wort zur Prävention, kein Wort zur Koordination und kein Wort zum Auftrag einer Landesgesundheitsberichterstattung darin,

(Zuruf Minister Kai Klose)

wie es damals, 2021, von vielen Anzuhörenden gefordert wurde, unter anderem – das habe ich noch sehr gut im Ohr – von der HAGE. Sie bilden nicht einmal die Aufgaben nach dem ÖGD-Gesetz in Gänze hier ab. Ihr Gesetzentwurf präsentiert schon jetzt nur eine Rumpflösung ohne Kopf, weil Sie Fragen der Steuerung und Planung gar nicht erst als Kompetenzen zuschreiben.

Vor diesem Hintergrund – mangelnde personelle Basis und unzureichende Aufgabenklärung – fürchte ich, dass das eher ein Nullsummenspiel wird. Sie würfeln ein nicht funktionierendes System neu zusammen, Sie erhoffen sich Synergieeffekte. Aber ohne ein eigenes finanzielles Engagement werden diese Effekte sicher nicht eintreten.

Sie haben auch einen deutlichen fachlichen Rückschritt in Ihrem Gesetz. Sie streichen die fachlichen Qualifizierungsvorgaben für die stellvertretenden Leitungen der kommunalen Gesundheitsämter. Da ist die Begründung wirklich ein starkes Stück: Die Aufgaben der Stellvertretungen lägen eher im administrativen Bereich und nicht in der medizinischen Ausbildung. Die wäre nicht nötig. – Da muss ich mich aber schon etwas wundern; denn es könnte doch vorkommen, dass ein leitender Arzt oder eine leitende Ärztin im ÖGD einmal ausfällt oder in Urlaub fährt. Dann wollen Sie eine Verwaltungskraft ohne medizinische Kenntnisse für einen längeren Zeitraum als kommissarische Leitung des Gesundheitsamtes haben. Das finde ich jetzt sehr seltsam, und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich frage mich wirklich, wer auf solch unsinnige Ideen kommt.

Zu dem Aspekt, dass sich damit die Bewerber- und Bewerberinnensituation etwas entspannen würde: Bisher war die Regelung so, dass sich die zweite Kraft, die medizinische Stellvertretung, über diese Stellvertretung für die Aufgaben im ÖGD sozusagen in der Praxis qualifiziert hat, um mehr geeignete Personen für Leitungsfunktionen zu haben. Das geben Sie damit auf und werden damit eher weniger als mehr qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber haben. Das bedeutet auch hier eine deutliche Kurzsichtigkeit.

Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kommen. Ich glaube aber, die Herren hinter mir haben so viel zu tun, und sagen: nein, danke.

Vizepräsident Frank Lortz:

Nein, Frau Kollegin, die Herren haben nicht so viel zu tun. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass die Redezeit beendet ist. Aber ich gebe Ihnen jetzt noch zwei Sätze.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich freue mich auf die Anhörung, und ich denke, dass dieser Gesetzentwurf erst einmal kein großer Wurf ist. Aber wir sind gespannt, was die Anzuhörenden dazu sagen werden. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)