Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - DIE LINKE lehnt eine Migrationspolitik nach Nützlichkeitskriterien ab

Jan SchalauskeMigration und Integration

In seiner 138. Plenarsitzung am 29. Juni 2023 diskutierte der Hessische Landtag über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Offenkundig ist der Fachkräftemangel ein großes gesellschaftliches Problem; und während sich Forschungsinstitute, Arbeitgeberverbände und auch hessische Landtagsabgeordnete in den Zahlen und Berechnungen überbieten, wie viele Fachkräfte denn genau fehlen, bleibt die entscheidende Frage offen: Warum fehlen eigentlich die Leute?

Der Fachkräftemangel, das ist heute hier überhaupt nicht angesprochen worden, ist nämlich in weiten Teilen hausgemacht. Er hat Ursachen, nämlich eine ungenügende Zahl an Ausbildungsplätzen, Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel in der Gastronomie verdienen die Leute teilweise so wenig, dass sie woanders als Ungelernte mehr verdienen können. Ich sage, wer über den Fachkräftemangel spricht, der darf doch über die Folgen von Deregulierung, von Sozialabbau und von der Agenda 2010 nicht schweigen.

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): So ist es!)

Hier ist von der Ampelregierung in Berlin überhaupt nichts zu erwarten.

(Beifall DIE LINKE)

Klar, die SPD-Fraktion nutzt jetzt die Aktuelle Stunde, um uns die vermeintlichen Errungenschaften der doch etwas ramponierten Berliner Ampel zu präsentieren.

(Zuruf SPD)

Das ist ihr gutes Recht, aber es gibt uns die Gelegenheit, ein paar Sachen klarzustellen, nämlich, dass das Gesetz zur Aus- und Weiterbildung alles andere als ein großer Wurf ist. Diejenigen, die bei Fortbildungen benachteiligt werden, z. B. Geringverdiener oder prekär Beschäftigte, kommen in diesem Gesetz gar nicht vor.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sagt die Frau Wagenknecht dazu? – Gegenruf Elisabeth Kula (DIE LINKE))

Die angekündigte Ausbildungsgarantie ist nicht einmal das Papier wert, auf dem sie steht. Ein Fonds für betriebliche Ausbildungen fehlt einfach. Kurz, dieses gesamte Gesetz enthält viele leere Worte, aber kaum Inhalt.

Dass es auch anders und besser geht, zeigen wir mit unserem Antrag: „Wer nicht ausbildet, wird ‚umgelegt‘: Duale Ausbildung stärken, Ausbildungsumlage einführen“.

(Zurufe – Glockenzeichen)

Eine Ausbildungsumlage nach Bremer Modell, das wäre gut für Hessen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Dafür kämpft DIE LINKE. Die Ausbildungsplatzumlage ist ein seit Jahrzehnten diskutiertes Instrument. Gut, dass die Bremer vorgelegt haben.

(Beifall DIE LINKE)

Neben dem Gesetz für Aus- und Weiterbildung verabschiedet die Ampel ein Einwanderungsgesetz – das ist hier auch diskutiert worden –: ein Gesetz, das Fachkräfte aus dem Ausland abwerben soll und sie dann mit Privilegien ausstattet, damit sie zur Sicherung unseres Wohlstands beitragen.

Eines macht schon allein die Wortwahl und Herangehensweise deutlich, nämlich, dass sich die Migrationspolitik der Ampel, genauso wie die der Vorgängerregierung, vor allem an den Nützlichkeitskriterien der deutschen Wirtschaft orientiert, statt sich an menschenrechtlichen Prinzipien auszurichten.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist Unsinn! Ei, ei, ei! – Gegenruf Elisabeth Kula (DIE LINKE): Genau so ist es!)

Deswegen lehnen wir als LINKE eine solche Logik grundsätzlich ab.

(Beifall DIE LINKE)

Wir fordern gleiche soziale Rechte für alle Menschen, die zu uns kommen.

Es spricht doch auch Bände für den migrationspolitischen Kurs der Bundregierung, dass SPD, GRÜNE und FDP dieses Gesetz genau dann vorlegen, nachdem Bundesinnenministerin Faeser mit ihrer Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems den Weg für eine massenhafte Entrechtung und auch Inhaftierung

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ziemlicher Unsinn! – Gegenruf Elisabeth Kula (DIE LINKE): Nein, so ist es! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sagt Frau Wagenknecht dazu?)

von Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen ebnete.

(Beifall DIE LINKE – Unruhe – Glockenzeichen)

Für uns ist klar – und da können Sie noch so schimpfen –, dass wir diese faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl entschieden ablehnen.

Aber auch wenn wir die Logik des Einwanderungsgesetzes als verfehlt ansehen, gibt es aus unserer Sicht noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. Die Bundesregierung hat versäumt, die sozialen Aufenthaltsrechte eingewanderter Arbeitskräfte im Fall eines Arbeitswechsels oder Jobverlustes ordentlich abzusichern. Dies fördert jedoch Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse. Es wird dazu führen, dass Unternehmen versuchen werden, bestehende Lohnniveaus oder Arbeitnehmerrechte zu unterwandern.

Die Kontrollen der Arbeitsbedingungen und der Einhaltung des Mindestlohns müssen ausgeweitet werden. Wir brauchen eine Stärkung der Tarifbindung. Nur so wird sichergestellt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden und dass Zugewanderte nicht in eine Abhängigkeitsfalle geraten. Das ist gut für alle Beschäftigten, egal, wie lange sie hier schon leben.

(Beifall DIE LINKE)

Das neue Gesetz leistet auch überhaupt keinen erkennbaren Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung. Die Verfahrensdauer bleibt ein Nadelöhr. Überlastete Behörden sind die Sollbruchstellen im System. Die Lage hier, im schwarz-grünen Hessen, ist besonders absurd. Während wir zu einem der wenigen Bundesländer gehören, die schon seit Jahren über eine zentrale Ausländerbehörde verfügen, weigert sich das Innenministerium, diese zum Zweck der beschleunigten Fachkräfteeinwanderung einzusetzen, und das, obwohl das Bundesrecht dies vorsieht. Stattdessen werden die Kräfte gebündelt, um Menschen schneller abzuschieben, übrigens auch solche, die sich gerade in Ausbildung befinden. Das darf doch nicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Frank Lortz:

Kollege Schalauske, Sie müssten zum Schluss kommen.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Es gäbe noch sehr viele Kritikpunkte, die man detailliert aufführen könnte, und so komme ich am Ende nur zu dem Fazit: Wir sehen, dass überall Fachkräfte fehlen. Das ist richtig. Aber weder die Bundesregierung noch die Landesregierung hat die richtigen Lösungen für dieses Problem. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)