Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage stammt offenbar aus einem weit entfernten Parallel-Universum

Hermann Schaus
Hermann SchausInternationales

Rede zur Großen Anfrage DIE LINKE und Fraktion betreffend „Geheimdienstskandale, Massenüberwachung, sowie Grund- und Völkerrechtsverletzung in Hessen“ (DS 19/1614)

 

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,

 

DIE LINKE hat im Mai vergangenen Jahres die vorliegende Große Anfrage „Geheimdienstskandale, Massenüberwachung, sowie Grund- und Völkerrechtsverletzung in Hessen“ gestellt. Wir wollten schon damals auf dem Höhepunkt der bundesweiten Debatte über die unglaublichen Enthüllungen von Edward Snowden von der Landesregierung wissen, ob und wie sie die zahlreichen ungeheuerlichen Vorwürfe einschätzt. Diese Vorwürfe betreffen ja in besonderem Maße auch Hessen.

Denn im Frankfurter US-Konsulat sitzt diejenige CIA-Einheit, die u.a. das Handy von Angela Merkel abgehört hat. In Frankfurt ist der weltweit größte Internetknotenpunkt, der systematisch und massenhaft angezapft wurde.  Und in Wiesbaden und Darmstadt sind große US-Stützpunkte, wobei das Dagger-Gelände in Darmstadt der größte Geheimdienstkomplex außerhalb der USA ist.

Alle Fraktionen haben sich bisher für Aufklärung und gegen Massenüberwachung ausgesprochen. Von der Notwendigkeit einer internationalen Vereinbarung war die Rede. Ausspähen unter Freunden geht gar nicht, sagte die Kanzlerin usw.

Ich sage vorneweg: Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage stammt offenbar aus einem weit entfernten Parallel-Universum. Einem Paralleluniversum, in dem es die Veröffentlichungen zum NSA-Skandal und die Erkenntnisse des NSA-Ausschusses im Deutschen Bundestag schlichtweg nicht gibt. Zitat Landesregierung, Seite 7:

„Es ergaben sich zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte auf die in den Medien behaupteten Aktivitäten der NSA in Deutschland.“

Ich wiederhole das nochmal, weil es so schlicht wie schlimm ist: Keine Anhaltspunkte zu Aktivitäten der NSA in Deutschland, zu keinem Zeitpunkt!

Bei solchen Antworten nach dem Motto: Ich weiß, dass ich nichts weiß, aber ich weiß ganz genau, dass ich gar nichts wissen will, kann ich nur noch zynisch feststellen: In der bizarren Traumwelt in der sich die Landesregierung demnach bewegen muss gibt es also auch keine Steuerung von US-Kampfdrohnen in Deutschland.

Zitat Landesregierung Seite 6:

„Die US-Streitkräfte haben gegenüber der Bundesregierung mehrfach versichert, dass von Amerikanischen Einrichtungen in Deutschland bewaffnete Drohneneinsätze weder geflogen noch befehligt werden.“

Klar, wenn die US-Streitkräfte das sagen, dann muss das auch so sein. Nur: Warum sagen US-Drohnen-Piloten öffentlich genau das Gegenteil? Warum belegen das veröffentlichte Dokumente? Warum fordern die Bundes-Grünen lautstark genau hierüber Aufklärung und bezeichnen dies als Bruch deutschen Rechts und des internationalen Völkerrechts? Wo es das doch gar nicht gibt? Aber in der Welt der Landesregierung,  gibt es auch keine Folter und keine Entführungen durch US-Streitkräfte.  Dazu ein weiteres Zitat aus der Antwort der Landesregierung S. 5,6 und 12:

„Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hat sich über ihre Botschaft in Berlin in einer Stellungnahme vom 15. November 2013 von Folter und Entführungen distanziert (…) Zu hypothetischen Fragestellungen gibt die Landesregierung keine Einschätzungen ab.“

Klar. Das hat ja der US-Botschafter 2013 in Berlin gesagt. Und deshalb gibt es das nicht. Die Menschen sind offenbar auch von selbst nach Guantanamo gereist, um freiwillig  Water-Boarding, kennen zu lernen. Es gibt also auch keine Folter Bilder aus dem Irak und keinen Folter-Bericht des US-Kongress, dessen öffentlicher Teil 600 Seiten umfasst und der teils bestialisch anmutet. Dieser Bericht hat weltweit Beachtung gefunden, nicht nur als Zeugnis eines wenigstens um Aufklärung des Schlimmsten bemühten Parlaments gegenüber den eigenen Geheimdiensten und Militärs. Sondern er hat auch Aufmerksamkeit erregt, weil europäische Staaten und Regierungen hierbei involviert waren.

Aber in der schönen neuen Welt der Landesregierung ist das wohl  Anti-Amerikanische Propaganda, was der US-Kongress da aufgeschrieben hat, denn der US-Botschafter hat es in Berlin 2013 gesagt, dass es das alles gar nicht gibt.

In Hessen findet das Anzapfen des weltweit größten Datenknotenpunktes DE-CIX in Frankfurt statt. Dort laufen pro Sekunde 3 Terabit Email-Daten und Telefongespräche durch. Der Betreiber, also DE-CIX, verklagt jetzt zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichtes den Auslandsgeheimdienst BND. Nämlich weil der BND diese Daten zumindest 2004 bis 2008 massenhaft abgegriffen und freundlichst an die NSA weiterleitet hat.

Heribert Prantl, der den Vorgang im Oktober 2014 kommentierte, sprach in der  Süddeutschen Zeitung vom „Totalverlust eines Grundrechts“ und konstatierte: „rechtsstaatliche Kontrolle existiert nicht“. Und ein BND-Mitarbeiter hat im Bundestag dazu gesagt, die Daten in Frankfurt seien „zum Abschuss freigegeben“.  Aber für die Landesregierung ist das kein Thema, weil es die NSA in Deutschland ja gar nicht gibt. Und weil sie auch gar nicht zuständig ist.

Aber immerhin gesteht die Landesregierung zu;

Zitat S. 6

„sind auch bei den hessischen Strafverfolgungsbehörden Strafanzeigen erstattet worden, die zentral dem Generalbundesanwalt zugeleitet wurden.“

Und der Generalbundesanwalt habe aber immerhin im letzten Jahr einen Prüfvorgang angelegt. Also wartet die Landesregierung mal wieder ab und hat auch ein formales Argument für Ihr Desinteresse.

Keine Verantwortung sieht die Landesregierung offenbar auch für „Contractors“. Hier geht es um Privatunternehmen die aus Einheiten der US-Geheimdienste ausgegliedert wurden. Edward Snowden war z.B. als Spitzen-Agent mit Zugriff auf sämtliche Top-Secret-Daten und Programme gar nicht direkt beim US-Geheimdienst beschäftigt, sondern  bei „Booz Allen & Hamilton“ – dem zweitgrößten dieser weltweit aktiven Contractors.

Contractors  machen die richtige  Drecksarbeit, ähnlich wie die private Söldnertruppe „Blackwater“ im Irak es für die Armee gemacht hat. Die offizielle Eigen-Beschreibung der Tätigkeit von in Hessen tätigen Contractors  ist z.B. „Kampfplanung (Combat Service)“ und „Militärische Geheimdienstplanung (Military Intelligence Planing)“. Privat-rechtlich organisiert. Und der Clou ist: In Deutschland erlaubt eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes diesen Contractors ihre Tätigkeit sogar noch mit Begünstigungen. Und sie arbeiten teilweise auch parallel für deutsche Behörden. Deutschland ist nach Afghanistan das Land mit dem höchsten Budget des US-Militärs. Komisch, wo doch hier eigentlich gar kein Krieg ist?

Aber allein in Hessen sind laut der Antwort der Landesregierung von „Booz Allen & Hamilton“ in den letzten Jahren 84 Privat-Agenten akkreditiert worden. Insgesamt waren es in Hessen sogar 240 Privat-Agenten für die US-Army und die NSA, die mit einer Arbeitsgenehmigung durch die hessische Landesregierung hier spionieren durften und dürfen. Zur Erlangung dieser Genehmigung müssen nach unseren Informationen  sowohl die Arbeitsverträge als auch detaillierte Aufgabenbeschreibung vorgelegt werden. Die Landesregierung muss demnach genauestens Bescheid wissen, bevor sie diesen 240 Privat-Agenten die Erlaubnis zur Spionage von hessischem Boden aus offiziell erteilt!

Bei der Schweigepolitik wundert es nicht, dass in der Antwort der Landesregierung der weltweit größte Contractor, der Milliardenkonzern CSC, fehlt. Der hat seinen Deutschlandsitz in Wiesbaden, klar in Stützpunktnähe. Auch das ist sehr praktisch. Laut einer älteren Anfrage der LINKEN hat auch die Landesregierung viele Verträge mit CSC abgeschlossen. Also zurück ins Parallel-Universum unserer Landesregierung. Gefragt nach der problematischen Geheimdienst-Tätigkeit dieser Contractors und nach deren behördlicher Kontrolle und Sicherheitsüberprüfung, sagt die Landesregierung blos, Zitat S. 11:

„in Bezug auf die Gestellung der privilegierten Arbeitnehmer stellt sich die Tätigkeit der Unternehmen wie eine Arbeitnehmerüberlassung dar. (…) Für diese ausländischen Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine Zuständigkeit der Landesregierung nicht gegeben

Herr Minister diese Aussage deckt sich nicht mit uns vorliegenden Informationen und ich kann Ihnen versichern; Dem gehen wir auf den Grund, darauf können Sie sich verlassen. Nun ist dieser Tage im NSA-Ausschuss des Bundestags ans Licht gekommen, dass seit spätestens 2005 der deutsche BND der NSA behilflich war, massenhaft Daten von Bürgern, europäischen Behörden und Konzernen zu erlangen. Es geht um 40.000 Suchanfragen, die die NSA dem BND jahrelang untergejubelt haben soll. 40.000 NSA-Suchanfragen direkt in den Datenbeständen deutscher Geheimdienste – was für eine Zahl!

Und noch beachtlicher ist, dass das Bundeskanzleramt offenbar seit 2008 darüber unterrichtet ist. Am medialen Pranger steht nun vor allem Thomas de Maizìère, als ehemaliger Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt. Aber auch seine Vorgänger Frank-Walter Steinmeier und bzw. sein Nachfolger Peter Altmaier und natürlich der BND  müssen sich sehr kritische Fragen gefallen lassen. Statt den Belegen Edward Snowdens im Jahr 2013 nach zu gehen und ihn nach Deutschland zu holen, wurde offenkundig alles getan, um die schöne neue Welt nicht zu erschüttern. Auch wenn unsere eigenen Geheimdienste zur Spionage gegen das eigene Land und deutsche Unternehmen und Institutionen benutzt werden herrscht  Schweigen im Walde.

Aber auch da hat unsere Landesregierung eine ewig gültige Antwort aus dem Parallel-Universum parat. Gefragt, ob es bei der internationalen Geheimdienst-Zusammenarbeit eine Kontrolle gibt, die wenigstens der mangelhaften Kontrolle der Inlandsgeheimdienste vergleichbar wäre, antwortet sie auf Seite 10 kurz und dreist:

„Die Kontrolle des LfV ist umfassend“.

Dies war erstens nicht die Frage und steht zweitens in völligem Kontrast zu allem, was wir in NSU-Ausschüssen und NSA-Skandalen erleben und was etliche Menschen mit Sachverstand seit Jahren äußern. Aber das wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Meine Damen und Herren, über die Qualität der Antworten habe ich ja nun einiges gesagt. Aber beim Blick auch auf die Quantität wird es noch deutlicher. Sie haben sich vielleicht gewundert, warum alle verwandten Zitate von den Seiten 6-11 stammen. Das liegt daran, dass die Landesregierung nach 9 Monaten Bearbeitungszeit auf 5 Seiten Fragen knappe 8 Seiten Antworten geliefert hat.

Aber das Schönste kommt zum Schluss, Herr Minister Beuth: Denn ein ganzes Kapitel unserer Großen Anfrage  ist im Parallel-Universum der Landesregierung schlicht verschwunden. Ja sie haben richtig gehört, verschwunden! Wir hatten laut Original-Drucksache 19/382 insgesamt 6 Kapitel mit ca. 50 Unterfragen eingereicht. Das sechste Kapitel umfasste 9 Unterpunkte. Hier stehen unsere heikelsten Fragen zum Thema Extra-Legaler Tötungen und möglicher Beteiligung hessischer Behörden daran. Das ist äußerst brisant und wir haben in zwei hessischen Fällen nachgefragt. Aber das Kapitel 6 ist nicht in der Antwort enthalten, sondern weg.

Ich bin es ja gewohnt, dass Antworten im Behörden-Kauderwelsch  verschwinden. Aber das Fragen verschwinden, ist wirklich neu. Ich lasse mal offen, ob dies Absicht oder nur Unvermögen seitens des Innenministeriums ist. Aber gleich was der Grund sein sollte, es wirft ein weiteres schlechtes Licht auf die Beantwortung von Anfragen aus dem Landtag!

Und deshalb Herr Minister Beuth, will ich Ihnen gleich einige Dinge überreichen. Nämlich erstens den Bericht des US-Kongress zu Folter und Verschleppung durch die US-Geheimdienste. Zweitens die veröffentlichten Snowden-Dokumente zu den NSA-Aktivitäten in Deutschland und Hessen.

Und drittens die Original-Drucksache 19/382 unserer Großen Anfrage mit Kapitel 6.

Sie haben ja ein bisschen Zeit bis sie gleich zum Thema reden. Vielleicht können Sie mir als Verfassungs- und Innenminister gleich nicht wieder vorgefertigte Antworten geben, sondern uns sagen, ob all diese Dinge nur in meiner Fantasie existieren oder ob ihre Antworten auf Anfragen des Parlamentes nur in Ihrer Fantasie existieren. Zumal wir hier über Verfassungs- und Grundrechte reden, und da ist größte Sorgfalt angesagt. Ich erwarte ja weder von ihnen noch von den anderen Fraktionen, dass sie in den offenen Kampf mit der NSA, CIA und dem BND und was weiß ich noch eintreten. Aber ich erwarte von Ihnen und den Fraktionen wenigstens, dass sie bekannte Fakten nicht leugnen und die Rechte des Parlamentes auf Antworten der Regierung nicht mit Füßen getreten werden.

Ich sage damit auch, damit keine Missverständnisse entstehen: Ich hege keinerlei Groll auf die amerikanische Bevölkerung. Aber ich wehre mich gegen Folter, Verschleppung, Massenüberwachung und Drohnen-Tötungen durch die US-Geheimdienste und Armee. Zumal ich das Zutun und Wegschauen unserer Regierungen hierbei ablehne, ist eben kein Anti-Amerikanismus. Es ist Anti-Militarismus und entspringt der Achtung unserer Grundrechte. Das alles hat mit Kampf gegen Terror und Kampf für Werte schon lange nicht mehr das Geringste zu tun, wenn es überhaupt jemals damit zu tun hatte.