Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Die letzte Rede von Janine Wissler im Hessischen Landtag

Janine WisslerRegierung und Hessischer LandtagWissenschaft

Unser Fraktionsvorsitzende Janine Wissler verlässt den hessischen Landtag und wechselt in den Bundestag. Am 29. September 2021 hielt sie ihre letzte Rede im Landtag. Wie es der Zufall wollte zu dem selben Thema wie bei ihrer ersten Rede vor 13 Jahren - zur Hochschulpolitik.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, ich freue mich über diese Debatte über 50 Jahre Hochschulen für angewandte Wissenschaften, immer noch bei vielen besser als Fachhochschulen bekannt.

In der Tat war Hessen damals Vorreiter. Ich möchte mich den Glückwünschen und dem Dank namens meiner Fraktion gern anschließen; denn in der Tat: Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften leisten wichtige Arbeit in der Lehre und auch in der Forschung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Die Fachhochschulen sind eine wichtige bildungspolitische Errungenschaft. Schon angesprochen wurde die Bildungsexpansion nach 1968, ein großer und wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit in diesem Land, weil die Hochschulen für angewandte Wissenschaften vielen Menschen den Zugang zur Hochschule und zu einem Studium ermöglicht haben, die es sonst im Bildungssystem schwer hatten. Denn unser Bildungssystem ist eben sozial ungerecht und wirkt wie ein Flaschenhals. Viele Menschen hatten es sehr schwer, an die Universitäten zu kommen. Die Fachhochschulen haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Menschen eine Hochschule auf dem zweiten Bildungsweg besuchen konnten, aber auch studierende Eltern oder Menschen aus Arbeiterfamilien. Dafür möchte ich mich bedanken. Das wollen wir ausdrücklich anerkennen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Es war ein richtiger Schritt der Landesregierung, dass den Hochschulen für angewandte Wissenschaften das eigenständige Promotionsrecht für die forschungsstarken Fachbereiche zuerkannt wurde. Das war auch notwendig, weil es für viele Fachbereiche überhaupt kein Pendant an den Universitäten gab. Das ist ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, damit sie ihren eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden können. – So weit zum Positiven. Diese Änderung im Hochschulgesetz haben wir damals ausdrücklich unterstützt.

Ich will jedoch noch einige Probleme aufzeigen. Natürlich haben wir das Problem, dass die Hochschulfinanzierung im Allgemeinen zu niedrig ist und die Mittel pro Studierenden eben nicht reichen. Das merken wir auch bei den Betreuungsverhältnissen.

An den Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben wir im Speziellen ein Problem bei der Finanzierung, weil die Hochschulen für angewandte Wissenschaften in großen Teilen der Hochschulfinanzierung benachteiligt sind, weil sie faktisch davon abgeschnitten sind. Ich will auf LOEWE, das Exzellenzprogramm des Landes, hinweisen. Wir haben das LOEWE-Programm immer kritisiert, weil damit öffentliche Mittel als Drittmittel – und damit befristet – vergeben werden und weil damit prekäre Beschäftigung gefördert wird, aber auch, weil die Hochschulen für angewandte Wissenschaften dabei einfach benachteiligt sind, da ein Großteil der Mittel an die Universitäten und an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen fließt.

Auch wenn irgendwann die dritte Förderlinie bei LOEWE eingeführt wurde, bei der auch Fachhochschulen Anträge stellen konnten, ist es immer noch so: Wenn man sich die Verteilung der Mittel anschaut, merkt man, dass es eine Ungerechtigkeit bei den Fachhochschulen gibt. Deswegen sind wir der Meinung, wir brauchen eine verlässliche und eine ausgewogene Hochschulfinanzierung. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit.

Deshalb: Wenn wir die Hochschulen für angewandte Wissenschaften weiter stärken wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie eigenes wissenschaftliches Personal ausbilden können, dass sie es unbefristet beschäftigen können, dass die Mittel pro Studierenden steigen, dass es ein gutes Betreuungsverhältnis gibt und dass es kein derartiges Gefälle zwischen den Hochschulen gibt. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Im April 2008 habe ich an diesem Pult meine erste Rede im Landtag gehalten. Heute wird es meine letzte sein. Wie meine erste Rede hatte auch die letzte Rede die Hochschulpolitik zum Thema. Dieses Thema liegt mir in der Tat am Herzen. Ich will mich auch gern auf der Bundesebene weiter dafür starkmachen, Stichwort: BAföG-Reform. Es gibt einiges zu tun – auch auf der Bundesebene.

Damals, 2008, war ich die jüngste Abgeordnete hier im Hessischen Landtag. DIE LINKE war erstmal in den Landtag eingezogen – ganz knapp. In meiner ersten Landtagsrede ging es um die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen. Um dieses Thema hat die Studierendenbewegung zwei Jahre lang gekämpft – auf der Straße, auf den Autobahnen, mit besetzten Ministerien. Die Gewerkschaften hatten das unterstützt. 80.000 Unterschriften wurden gesammelt. Dass SPD, GRÜNE und LINKE damals die Studiengebühren abgeschafft haben – darauf, finde ich, können wir noch heute stolz sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Ministerin Angela Dorn)

Das war auch ein bundesweites Signal; denn wir haben damals den Startschuss gegeben, dass die unsozialen Studiengebühren in allen Bundesländern, in denen sie eingeführt waren, gefallen sind. Ich sage für mich ganz persönlich: Nie habe ich lieber in diesem Landtag die Hand gehoben als bei der Abstimmung, durch die die Studiengebühren Geschichte waren. Gezeigt hat sich: Es lohnt sich, für Dinge zu kämpfen. Das zeigt, dass Veränderungen möglich sind. Mich freut noch heute, dass ich daran mitwirken konnte. Denn das wird bleiben; das haben wir durchgesetzt.

2008 war ein unglaublich spannendes Jahr. Die CDU hat es, glaube ich, in nicht so guter Erinnerung. Aber es war deshalb so spannend – –

(Zurufe CDU)

– Na ja, der Ausgang. – Es war deshalb so spannend, weil man damals nicht wusste, wie es am Ende ausgehen würde, wenn ein Antrag oder ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht wurde. Es gab wechselnde Mehrheiten. Normalerweise hatten wir Rot-Rot-Grün, dann gab es eine Große Koalition, bei dem einen oder anderen Antrag mal Jamaika, mal alle gegen die CDU. Das war eine unglaublich fordernde Zeit – gerade für uns damals als neue Landtagsfraktion, die wir frisch in den Landtag eingezogen waren. Das endete dann bekanntermaßen in Neuwahlen.

DIE LINKE hat es immer spannend gemacht. 2008 sind wir eingezogen mit 5,1 %, 2009 mit 5,4 %, 2013 mit 5,2 %, und 2018 war es deutlich besser. Davor mussten wir immer zittern. Das war eigentlich nicht das, was ich meinte, als ich gesagt habe: „Ich möchte meine hessischen Erfahrungen mit auf die Bundesebene bringen“,

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Freie Demokraten und Rolf Kahnt (fraktionslos))

so wie wir es am letzten Sonntag erlebt haben. Auf diese Erfahrungen hätte ich verzichten können. Nun ist es so.

Dreizehneinhalb Jahre habe ich dem Hessischen Landtag angehört, zwölfeinhalb davon als Fraktionsvorsitzende. Ich habe viel gelernt; das sehen vielleicht nicht alle so, aber ich würde das behaupten. Ich habe an diesem Redepult Hunderte Reden gehalten. Ich weiß nicht, ob ich Tausend vollgemacht habe.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Bestimmt!)

Ich habe zweimal Sondierungen erlebt, eine Landtagsauflösung und eine Immunitätsaufhebung. Ich weiß noch, das war damals bei der Teilnahme an der Blockade eines Naziaufmarschs. Ich habe in drei Untersuchungsausschüssen mitgearbeitet, habe seit 2008 im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst und im Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr immer sehr gern mitgearbeitet, im Wirtschaftsund Verkehrsausschuss in den letzten beiden Jahren als Vorsitzende.

(Beifall Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

– Herr Dr. Naas, Sie werden mich vermissen.

(Zustimmung Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten) – Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten)

Es ist schön, wenn man geht und weiß, dass jemand einen noch vermisst. Wie gesagt, damals war ich die jüngste Abgeordnete. Mittlerweile bin ich nach zwölfeinhalb Jahren die dienstälteste Fraktionsvorsitzende in diesem Haus.

Jetzt möchte ich mich bedanken. Ich möchte mich bei ganz vielen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit und für den Austausch bedanken. Ich möchte mich bedanken bei den Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, GRÜNEN und FDP, bei Ines Claus, Nancy Faeser, Mathias Wagner und René Rock, für die Zusammenarbeit und ganz besonders für eines: Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie im letzten Jahr diese gemeinsame Solidaritätserklärung gemacht haben, als ich die Morddrohungen des NSU 2.0 bekommen habe. Das hat mir viel bedeutet. Das war mir ein wichtiges Zeichen. Dafür noch einmal einen ganz herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Freie Demokraten, Rolf Kahnt

(fraktionslos) und Ministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus)

Absolut entscheidend für diese Demokratie ist, anzukämpfen gegen die Gefahr von rechts – bundesweit und in Hessen. Wir haben die NSU-Morde erlebt, den Mord an unserem ehemaligen Kollegen Walter Lübcke, Hanau und Wächtersbach. Deswegen ist es so wichtig, dass es eines der gemeinsamen Anliegen aller demokratischen Kräfte ist, gegen rechts und gegen alle Formen von Rassismus und von Faschismus anzukämpfen. Das ist eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN und Freie Demokraten)

Ich möchte mich bedanken bei Bündnispartnerinnen und ‑partnern, bei Gewerkschaften, bei Betriebsräten, bei den Aktiven aus Bewegungen wie „Gegen den Flughafenausbau“, Bürgerinitiativen, Sozialverbänden. Ich möchte mich bedanken bei meiner Partei und für die große Unterstützung, die ich hatte, bei den Landesvorsitzenden.

Ich möchte mich bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Landtag, in der Kanzlei, bei den Stenografinnen und Stenografen, bei den Ausschussgeschäftsführern, bei Herrn Meyer und dem gesamten Hausmeisterteam, bei den Reinigungskräften, der Pforte, den Boten, den Saaldienern und den Mitarbeitern des Landtagsrestaurants. Auch meinem langjährigen Fahrer möchte ich ganz herzlich für seinen großartigen Einsatz danken.

Ich möchte mich bedanken bei meiner Ausschussgeschäftsführerin, Frau Schnier, für ihre Unterstützung in all den Jahren und ganz besonders in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Frau Schnier, herzlichen Dank für diese tolle Unterstützung.

Ich danke auch den Mitgliedern der Landespressekonferenz für die faire Berichterstattung.

Mein großer Dank richtet sich natürlich vor allem an meine Fraktion, an alle aktuellen und ehemaligen Abgeordneten. Ich will Willi van Ooyen stellvertretend nennen. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken. Ich vermisse euch jetzt schon. Wir sind ein tolles Team. Ich denke, wir haben gezeigt, dass man als sehr kleine Fraktion auch etwas bewirken kann, dass man auch aus der Opposition heraus Veränderungen zumindest anstoßen kann. Deswegen ganz herzlichen Dank für eure Unterstützung. Ich glaube, wir haben als Team eine ganze Menge gerockt.

Stellvertretend für alle möchte ich drei Personen nennen. Hermann Schaus, unser langjähriger parlamentarischer Geschäftsführer, mein Genosse und mein enger Freund. Hermann, danke für alles. Danke, dass ich mich auf dich immer verlassen konnte und verlassen kann. Mein Dank gilt Thomas Klein, dem dienstältesten Pressesprecher im Landtag. Ich finde, er ist ein sehr witziger Pressesprecher. Er ist seit April 2008 dabei. Auch dir vielen Dank, Thomas. Vielen Dank auch an meinen Referenten, an Sebastian Scholl, der mich in all den Jahren so großartig unterstützt hat. Vielen Dank und danke für alles, Sebastian.

Sie merken, der Abschied fällt mir schwer. Ich bin sehr gerne Landtagsabgeordnete gewesen. Jetzt liegen neue Aufgaben vor mir. Vor diesen Aufgaben habe ich großen Respekt. Diese gehe ich jetzt an. Ich werde den Landtag und zumindest viele von Ihnen vermissen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

(Anhaltender Beifall DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS

90/DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten – Jan Schalauske (DIE LINKE) überreicht Janine Wissler (DIE LINKE) ein Präsent und Blumen. – Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE erheben sich von ihren Plätzen.)