Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024
Rede
DIE LINKE-Antrag: Familien gehören zusammen – Familiennachzug zu Geflüchteten ermöglichen
Rede von Gabi Faulhaber am 31.Januar 2018 im Hessischen Landtag
– Es gilt das gesprochene Wort –
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Es sind nunmehr zwei Jahre, seitdem der Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiären Schutzstatus ausgesetzt ist. Das sind Flüchtlinge, die zwar keine individuelle Verfolgung, aber trotzdem eine ernsthafte Gefährdung nachweisen können, etwa durch
den Bürgerkrieg in Syrien. Sie bleiben seitdem von ihren Familien getrennt. Diese erzwungene Familientrennung verstößt gegen die Verfassung und gegen die Menschenrechte.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie gefährdet das Kindeswohl und ignoriert die UN-Kinderrechtskonvention. Sie muss deshalb sofort beendet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Möglichkeit, gemeinsam als Familie zu leben, ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute und gelungene Integration. Wer sich ständig um das Leben seiner Angehörigen Sorgen machen muss, der wird sich kaum auf Schule, Ausbildung oder Arbeitssuche konzentrieren können. Studien, wie z. B. vor Kurzem die des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, belegen, wie wichtig der Familiennachzug für die Gesundheit und die Integration der Geflüchteten ist. Deshalb fordern neben vielen Nichtregierungsorganisationen auch die Diakonie Hessen und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau: Macht den Familiennachzug wieder möglich. – Doch bisher fanden sie kein Gehör.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass Ihre bisherigen Kampagnen für ein weltoffenes, tolerantes Hessen nicht nur Lippenbekenntnisse waren. Ich hoffe sehr, dass Sie heute unseren Antrag beschließen werden und dass Sie Ihren Einfluss in Ihre Parteien hinein geltend machen werden. Es kann doch nicht sein, dass sich die Große Koalition von der AfD und CSU nach rechts treiben lässt. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte noch einen weiteren Grund für die Familienzusammenführungen nennen. Der Familiennachzug ist einer der ganz wenigen sicheren und legalen Einreisemöglichkeiten für Menschen in Not. Ansonsten sind sie auf Schlepper, Schleuser und lebensgefährliche Überfahrten angewiesen.
Deswegen sagen wir: Wenn es CDU und SPD mit der Bekämpfung der Schlepper und Schleuser ernst meinen, muss die zukünftige Bundesregierung aufhören, z. B. türkischen Menschenschiebern oder lybischen Warlords das Geschäft zu ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es müssen dringend legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden. Der Familiennachzug ist eine solche Möglichkeit. Er muss wieder stattfinden dürfen. Ganz besonders möchte ich hier noch einmal die Jugendlichen erwähnen. Die „hessenschau“ berichtete
im September 2017 über das Schicksal eines zwölfjährigen Jungen. Er heißt Adib und kommt aus dem syrischen Aleppo. Zwei Jahre hat er im südhessischen Reinheim, getrennt von Eltern und Geschwistern, gelebt, die nicht nachkommen durften. Auch wenn der Junge es geschafft hätte, einen Härtegrund glaubhaft zu machen und so seine Eltern nachzuholen, seine ebenfalls minderjährigen Geschwister hätten in Syrien bleiben müssen.
Am Ende hielt es der Zwölfjährige nicht mehr aus und ist zu seiner Familie nach Syrien zurückgekehrt. Jetzt ist er wieder im Bürgerkrieg, dem er eigentlich schon entronnen war. Kurz bevor er abflog, fragte er: Konnten Sie ohne Ihre Eltern leben, als Sie zwölf Jahre alt waren? – Er konnte es nicht. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, keiner in diesem Haus hätte das mit zwölf Jahren gekonnt.
Aber genau das verlangt die aktuelle Rechtslage von den Betroffenen. Sie trennt Eltern von ihren Kindern und Kinder von ihren Eltern. Sie fordert direkt Unmenschliches. Das kann nicht rechtens sein. Das dürfen wir nicht zulassen.
(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Sagen Sie etwas zu den Zwangsadoptionen in der DDR!))
– Sie müssen jetzt ablenken. – Am morgigen Donnerstag steht im Bundestag der Familiennachzug zur abschließenden Beratung an. Es geht konkret um etwa 60.000 Personen, die nach Deutschland zuziehen würden. Diese 60.000 sind vor allem Kinder und Ehepartner aus Syrien. Diese Zahl ergibt sich aus den bisherigen Visumsanträgen in den Auslandsvertretungen. Diese Zahl nannte erst vor wenigen Tagen Herbert Brücker, der Leiter des Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Bei etwa 60.000 Personen handelt es sich um eine Größenordnung, die ein reiches Land wie unseres nicht überfordern würde. Deutschland kann die Aufnahme dieser Menschen gewährleisten. Ich meine, angesichts der weiterhin dramatischen Lage in Syrien ist Deutschland auch menschlich verpflichtet, diesen Nachzug zu ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ein Ergebnis der Sondierungsgespräche für die GroKo ist, dass im Rahmen des Familiennachzugs pro Monat nur 1.000 Personen nachfolgen können; das sind also 12.000 Personen im Jahr. Bei geschätzten 60.000 Angehörigen, die nachziehen wollen, bedeutet dass, die Familien müssen weiterhin bis zu fünf Jahre warten, bis die Angehörigen hierherkommen können.
Meine Damen und Herren, dabei handelt es sich doch nicht um eine Urlaubsreise, die man beliebig aufschieben kann. Ich halte das ganz klar für verfassungswidrig. Damit missachtet die Bundesregierung den Grundsatz des Schutzes der Familie ganz eindeutig.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiteres Ergebnis der Sondierungsgespräche ist, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge keine Möglichkeit haben sollen, ihre Eltern nachzuholen. Das ist wirklich skandalös. Ein Teil der Minderjährigen wurde während der Zeit der Aussetzung des Nachzugs volljährig und ist bereits auf diese Weise um seine Chance gebracht, die Eltern nachzuholen. In Zukunft soll diese Möglichkeit komplett ausgeschlossen sein.
Bundesminister Thomas de Maizière begründet das so: Es soll keine Anreize geben, Kinder fortzuschicken. – Das ist doch an Zynismus kaum zu überbieten. Ist es denn verwunderlich, dass Eltern in einer Bürgerkriegssituation zuerst einmal versuchen, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen? Würden Sie das anders machen?
In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch noch einmal an die SPD wenden. Die SPD ist schon bei der ersten Aussetzung des Familiennachzugs vor zwei Jahren über den Tisch gezogen worden. Der Innenminister sagte damals, es werde nur einige wenige Fälle geben, in denen der Familiennachzug ausgesetzt werde. Bei syrischen Familien sollte das schon gar nicht der Fall sein. Dass die Aussetzung auch unbegleitete Minderjährige betrifft, haben Sie viel zu spät registriert.
Wie kann es denn sein, dass sich die SPD nun schon wieder auf einen faulen Kompromiss einlässt? Ich würde mich jedenfalls sehr über ein unmissverständliches Zeichen der hessischen SPD freuen, dass sie den jetzigen Kompromiss nicht mitträgt.
(Beifall bei der LINKEN)
Unter dem Eindruck des Leids der Menschen in Syrien hatte Hessen 2014 ein eigenes Aufnahmeprogramm eingerichtet. Dadurch sollte Kriegsflüchtlingen, die bereits Verwandte in Hessen haben, die Einreise ermöglicht werden. Dieses zeitlich befristete Programm war trotz all seiner Schwächen eine sinnvolle Maßnahme. Damit konnten Menschen in Not legal und sicher in Hessen einreisen.
Noch im Juli 2015 kündigte der Kollege Bocklet hier im Hause eine Fortsetzung des Aufnahmeprogramms an, doch Ende 2015 wurde es sang- und klanglos eingestellt. Dann wurde übrigens auch noch eine Evakuierung von 1.000 Frauen angekündigt, die Opfer geschlechtsspezifischer oder sexueller Gewalt in Syrien geworden waren. Davon ist auch nichts zu hören.
Ich wäre jetzt sehr an einem Hinweis der Landesregierung oder des Kollegen Bocklet interessiert, welche grundlegenden Veränderungen in Syrien dazu geführt haben, dass dieses Programm eingestellt wurde. Ich bin der Überzeugung, dass das Aufnahmeprogramm wiederbelebt werden muss. Die Lage in Syrien hat sich nicht beruhigt. Im Gegenteil, durch den Angriff der Türkei auf Afrin eskaliert die Situation weiter – übrigens mit deutschen Waffen. Tausende sind auf der Flucht. Hessen kann und sollte in dieser
Situation helfen. Ich denke, dafür gibt es viele Möglichkeiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)