Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Dr. Ulrich Wilken - Mangelhafte Zustände in der hessischen Justiz sind seit Jahren bekannt

Ulrich WilkenJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 111. Plenarsitzung am 14. Juli 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Personalnot in der hessischen Justiz. Dazu die Rede unseres rechtspolitischen Sprechers Dr. Ulrich Wilken.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Problem, das wir heute auf Antrag der SPD bereden, ist ein Problem mit Ansage gewesen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Wir haben eine Überlastung insbesondere der Amts- und Landgerichte im Land Hessen. Das ist seit Jahren bekannt und hat nicht erst unter der nur schwarzen Regierung begonnen, sondern auch, als das Justizministerium von der FDP besetzt war. Wir haben ein jahrzehntelanges Problem, und das wissen wir alle. Was jetzt aber versucht wird – mit Nebelkerzen das Problem zu minimieren, indem immer wieder gesagt wird: „Wir haben doch seit Jahren einen tröpfelnden Stellenaufbau“ –, das kompensiert den massiven Stellenabbau aus den Vorjahren nicht.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir haben – auch das ist seit Jahren bekannt – gleichzeitig eine deutliche Zunahme der Komplexität der Verfahren,

(Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD): Richtig!) so wahrscheinlich auch bei den Verfahren in der derzeitigen Statistik, wo gesagt wird: Wir haben 130 % Auslastung an den Gerichten, an den Amts- und Landgerichten. Das heißt, wir haben eine 30-prozentige Überlastung, Mehrarbeit und Überstunden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das heißt, wir kennen das Problem, und wir alle in diesem Haus kennen es. Es war nicht nur die SPD, die diesen Stellenzuwachs, übrigens nicht nur von Richter- und Staatsanwaltsstellen, sondern auch von Servicekräften, gefordert hat. Wir haben diese Haushaltsanträge genauso gestellt, und ihnen ist das gleiche Schicksal widerfahren.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Herr Poseck, ich kann nur hoffen, dass Sie vor Eintritt in die Landesregierung gut verhandelt haben und jetzt in einer besseren Ausgangsposition gegenüber den anderen Kabinettsmitgliedern sind, wirklich wahrzumachen, dass es einen nennenswerten Stellenaufbau geben wird, sowohl bei den Serviceeinheiten als auch bei den Staatsanwälten und Richtern. Wir brauchen das dringend.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Noch einmal zu den Nebelkerzen. Es ist vollkommen korrekt, dass dies kein hessisches Phänomen ist, sondern dass wir bundesweit das Problem haben, dass es immer wieder zu vorzeitigen U-Haft-Entlassungen kommt. – Ja, natürlich. Ich gebe mich aber nicht damit zufrieden, dass Hessen genauso schlecht ist wie alle anderen. Ich habe hier die Verantwortung für eine bessere Justiz.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Was mich besonders ärgert, ist, dass immer wieder versucht wird, zu sagen: „Ja, nun, das liegt am Richterwahlausschuss, der ist zu langsam“, dass wir Richterinnen und Richter in Hessen verlieren, weil sie in Rheinland-Pfalz schneller eingestellt werden.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Wohlgemerkt, ich finde Ihren Vorschlag sehr lobenswert, zu sagen: Wir schaffen in der Übergangszeit Möglichkeiten. – Ich frage mich aber auch, ob nicht eine rechtzeitige Information derjenigen, die in einem halben oder Dreivierteljahr das Examen haben, möglich ist, weil wir im Richterwahlausschuss durchaus immer wieder Bewerberinnen und Bewerber hatten, wo die letzten Unterlagen, also das letzte Zeugnis, in die Sitzung nachgereicht wurde, weil es eben Menschen gibt, die sich rechtzeitig beworben haben. Daher muss die Informationspolitik vielleicht einmal überprüft werden.

(Beifall DIE LINKE)

Noch eine Bemerkung zu dem skandalösen Vorgang, dass mutmaßliche Schwerverbrecher aus der U-Haft entlassen werden sollen. Ich will eine Facette betonen, die mir in dieser Diskussion genauso wichtig ist: Es gilt die Unschuldsvermutung. Wenn wir es nicht geregelt bekommen, unsere Gerichte so auszustatten, dass sie zeitnah vor einem Richter erscheinen und eventuell verurteilt werden, dann ist es richtig, dass sie aus der U-Haft entlassen werden müssen. Wir können es uns als Rechtsstaat nicht leisten, dass wir Leute, die noch vermutet unschuldig sind, so lange festsetzen, bloß weil wir es nicht gebacken bekommen haben, die Gerichte so auszustatten, dass zeitnah ein Gerichtsprozess stattfindet.

(Beifall DIE LINKE)

Nur noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. Über die Nebelkerze, die heute den ganzen Morgen von der ganz rechten Fraktion immer wieder abgeschossen wurde, egal, worum es geht, dass immer die Migration das Problem ist, sage ich jetzt nichts weiter. Sie sollten sich einfach nur schämen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU))