Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Antisemitismus darf auf der documenta keinen Platz haben

Elisabeth KulaKultur

In seiner 111. Plenarsitzung am 14. Juli 2022 debattierte der Hessische Landtag zur diesjährigen documenta in Kassel. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und kulturpolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich finde es zunehmend unerträglich, zu einem so wichtigen und sensiblen Thema wie Antisemitismus solche demagogischen Reden in diesem Haus zu hören. Ich finde es wirklich absolut unerträglich.

(Beifall DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – Dr. Frank Grobe (AfD) lacht.)

… die documenta hat die Kunstwelt immer wieder erschüttert, ob in armen, nach Kunst dürstenden Nachkriegszeiten, in aufrührerischen RevolteJahren, in der unbeschwerten Epoche des ausgehenden 20. Jahrhunderts oder dem von der Globalisierung geprägten Jahrhundertwechsel. Die documentaGeschichte ist eine Geschichte der Niederlagen, des Zweifels, der Skandale und gleichzeitig der Erneuerung, der Erkenntnis, der künstlerischen Produktivkraft. Immer aber war sie eine Erfolgsgeschichte …

Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern von Michael Glasmeier und Karin Stengel, die der documenta zum 50. Geburtstag einen Sammelband gewidmet haben. Ich finde, sie haben recht.

Die documenta steht seit vielen Jahren für eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen, für die Überwindung von Grenzen, sowohl im Kopf als auch auf der Landkarte, und für Diskurs und Dialog. Die bedeutendste Ausstellung moderner und zeitgenössischer Kunst will überwinden, was ausgrenzt.

So verstehen auch die Kuratoren der documenta fifteen, das indonesische Kollektiv ruangrupa, das Selbstverständnis der Ausstellung. Sie setzen mit dem Leitmotiv der Lumbung, der gemeinschaftlich genutzten indonesischen Reisscheune, ein künstlerisches Zeichen für Kollektivität und Gemeinsinn gegen Individualisierung und Konkurrenz, die moderne kapitalistische Gesellschaften prägen. Sie stellen künstlerisch gesellschaftliche Gegenentwürfe zur Diskussion, schaffen Möglichkeitsräume für alternative Ökonomien mit Mensch und Natur und ihrem Verhältnis im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung. Auch geht es um globale Machtverhältnisse und Ausbeutung sowie globalisierungskritischen Widerstand – alles vor der künstlerischen Schablone und Praxis der Lumbung als Symbol kollektiven Handelns. Wir können viel lernen von dieser documenta und ihren Künstlerinnen und Künstlern, vor allem aus dem globalen Süden.

(Beifall DIE LINKE)

Überschattet wird die documenta fifteen aber von antisemitischen Abbildungen, die Teil der Ausstellung waren und mittlerweile abgebaut wurden. Auf dem großen Banner, welches am Friedrichsplatz hing, das den Namen „People‘s Justice“ trägt und vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi stammt, war mindestens eine Figur dargestellt, die ohne jeden Zweifel einen antisemitischen Charakter hat. Um es an dieser Stelle klar und deutlich zu sagen und um keine Pappkameraden zu erlauben: Antisemitismus darf niemals unwidersprochen bleiben und hat auf der documenta, in ganz Hessen, in Deutschland und der Welt keinen Platz. Dafür müssen wir uns alle immer wieder tagtäglich einsetzen.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Der antisemitische Charakter der auf dem Banner dargestellten Figur ist ohne Zweifel. Nach monatelanger öffentlicher Diskussion bleibt die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass eine solche Abbildung im Rahmen der documenta in der Ausstellung landete. Alle Beteiligten, die künstlerische Leitung, der Aufsichtsrat der documenta gGmbH und alle politisch Beteiligten in Kommune, Bund und Land müssen Verantwortung dafür übernehmen.

Leider mussten wir aber in den vergangenen Wochen das Gegenteil erleben. Heute müssen wir das in Teilen leider schon wieder. Die Verantwortung wird hin- und hergeschoben. Es gibt öffentliche Schuldzuweisungen. Der Dialog wird abgebrochen.

Das ist der falsche Weg. Diese Art des Umgangs damit schadet der documenta, Kassel und ganz Hessen. Die Verantwortlichen müssen jetzt gemeinsam erklären, wie es dazu kommen konnte, welche Schlüsse man daraus zieht und wie man langfristig damit umgehen will.

Die öffentliche Schlammschlacht um die Ausstellung muss aufhören. Das wird weder der künstlerischen Relevanz der documenta noch einem sensiblen Umgang mit dem Antisemitismus gerecht.

Alle Beteiligten müssen wieder zu Dialog, Austausch und gegenseitiger Lernbereitschaft zurückkehren. Das unwürdige Schauspiel rund um die Frage, wer für die antisemitische Darstellung Verantwortung übernimmt, hat leider auch dazu geführt – das haben wir gerade gemerkt –, dass rechte Agitatoren Morgenluft schnuppern, um ihren antimuslimischen Rassismus salonfähig zu machen.

Ja, wir müssen den Antisemitismus ernst nehmen und bekämpfen. Aber den Versuch, immer mit dem Finger auf die Menschen mit arabischen Wurzeln oder muslimischem Glauben zu zeigen, um vom eigenen Antisemitismus abzulenken, werden wir den Mitgliedern dieser blau-braunen Fraktion dieses Hauses niemals durchgehen lassen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Leider musste ich letzte Woche feststellen, dass in diesem Haus auch nicht alle Mitglieder der Fraktionen dialogfähig und -bereit sind. Wir waren mit dem Ausschuss für Wissenschaft und Kunst an der Universität in Kassel und haben danach die documenta fifteen besucht. Dort konnten die Abgeordneten des Ausschusses mit Vertretern des Kuratorenkollektivs ruangrupa ins Gespräch kommen. Ich empfinde es als Affront gegen die documenta und im Übrigen auch gegen die eigene Ministerin, dass kein Abgeordneter der CDU-Fraktion an diesem Austausch teilgenommen hat.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten)

Das ist ein Politikum. Das ist genau das falsche Signal von einer Fraktion in Regierungsverantwortung.

Dass sich die Mitglieder der AfD nicht für Kunst, Dialog und Austausch interessieren und dass sie nicht auftauchten, ist geschenkt.

(Robert Lambrou (AfD): Das stimmt nicht!)

Ich glaube, sie wurden auch nicht vermisst. Für die hessische CDU-Fraktion ist das aber mehr als peinlich.

Gerade angesichts des letzten Interviews von ruangrupa in der „Zeit“ konnte doch ein Lernprozess zum Thema Antisemitismus beobachtet werden. Es wäre redlich, wenn wir, die hessischen Abgeordneten, zuhören und lernen würden.

Die Kunst auf der documenta hat uns viel zu sagen. Wir sollten signalisieren, dass wir neben der unausweichlichen und dringend notwendigen Auseinandersetzung um antisemitische Darstellungen auch zuhören und lernen wollen. So ging es bei „People’s Justice“ von Taring Padi um die Verantwortung ausländischer Geheimdienste und Regierungen beim Massenmord durch das Suharto-Regime im Jahr 1965.

Es ist mehr als tragisch, dass die antisemitischen Darstellungen auf dem Banner eine Auseinandersetzung mit deutscher Mitverantwortung an der Ermordung Hunderttausender vermeintlicher Kommunisten und Chinesen in Indonesien und der Mitverantwortung deutscher Politik unter Helmut Kohl verhindert. Wir finden, das ist sehr tragisch.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, wir müssen zweifellos darüber sprechen, wie antisemitische Darstellungen auf die documenta gelangen konnten. Gleichzeitig haben wir auch die Verantwortung, uns endlich mit der Unterstützung des mörderischen Regimes durch die deutsche Regierung auseinanderzusetzen. Bisher ist die Unterstützung des Suharto-Regimes durch das Auswärtige Amt unter Helmut Kohl ein blinder Fleck deutscher Geschichte. Wir müssen uns endlich damit beschäftigen.

Auch dürfen wir zur rechten Hetze, die die Künstlerinnen und Künstler der documenta fifteen teilweise haben über sich ergehen lassen müssen, nicht schweigen. Das ist weder zu rechtfertigen noch zu verharmlosen. Queere Künstlerinnen und Künstler des indischen Kollektivs Party Office wurden von vier Männern bedroht. Als sie die Polizei zur Hilfe riefen, haben die Polizeibeamten ihnen Handschellen angelegt. Sie haben sie eine halbe Stunde so ausharren lassen. Diese Bedrohung und das inakzeptable Verhalten der Polizeibeamten müssen aufgeklärt werden und Konsequenzen haben.

(Beifall DIE LINKE)

Die documenta ist wichtig. Sie ist für Kassel, für Hessen und für die Kunstwelt wichtig. Alle Verantwortlichen müssen sich das in Erinnerung rufen und ihre Dialogbereitschaft wiederherstellen. Sie müssen gemeinsam Konsequenzen ziehen und die documenta in Zukunft besser aufstellen.

Politisch motivierte Rücktrittsforderungen, wie wir sie heute auch schon wieder gehört haben, oder das Rufen nach dem Rollen von Köpfen, stellen eher eine Weiterführung der verantwortungslosen Beschädigung der größten Kunstausstellung der Welt dar. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Robert Lambrou (AfD): Also übernimmt niemand die Verantwortung!)