Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Guter Unterricht braucht gesunde Lehrkräfte und bestmögliche Arbeitsbedingen!

Elisabeth KulaBildungWirtschaft und Arbeit

In seiner 125. Plenarsitzung am 25. Januar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Lehrkräftemangel. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Der Lehrkräftemangel verstärkt die Bildungsungleichheit. Denn Kinder und Jugendliche, deren Eltern schon von Bildungsausgrenzung betroffen waren, bekommen den Unterrichtsausfall bzw. die schulischen Lücken besonders hart zu spüren, weil die Eltern diese Lücken schwerer kompensieren können. Kinder und Jugendliche, die direkt Lernhilfe in den Familien erhalten, haben es deutlich leichter.

Obwohl der Kultusminister immer behauptet, es gebe keinen so großen Lehrkräftemangel, ist doch die Realität der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte und Eltern in Hessen eine andere. Auch in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses musste der Kultusminister zähneknirschend einräumen, dass es Unterrichtsausfall in Hessen gibt. Besonders schlimm war er in den vergangenen Monaten im Fach Musik.

Zu einem strukturellen Problem der Unterversorgung mit Lehrkräften kam jetzt im Winter auch noch die Erkältungswelle. Damit kann man aber nicht jeden Unterrichtsausfall begründen, auch nicht mit dem Zuzug von ukrainischen Kindern, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Schon vor der Erkältungswelle und vor dem Zuzug der ukrainischen Geflüchteten gab es viel Unterrichtsausfall in Hessen, und der wird in Hessen bisher überhaupt nicht richtig erhoben.

So hat auch der Schulleiter Knut Hahn von der AlbrechtDürer-Schule in Weiterstadt das für die „hessenschau“ bestätigt:

Es gebe kaum ausgebildete Kräfte, die vertretungsweise Unterricht abhalten könnten. In manchen Fächern wie Informatik oder Naturwissenschaften stelle schon der normale Unterricht ein personelles Problem dar.

Genau deswegen muss das Land über 6.000 Vertretungsverträge abschließen, aber meistens leider nicht mit ausgebildetem pädagogischen Personal, sondern mit Studierenden oder Menschen aus anderen Berufsgruppen. Der Kollege Degen hat es gerade schon gesagt: 10.400 Menschen ohne Lehrbefähigung arbeiten an hessischen Schulen. Ich finde, das ist das Zeugnis schwarz-grüner Bildungspolitik.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das führt dann auch dazu, dass immer mehr Stunden an den Schulen fachfremd unterrichtet werden, also von Lehrkräften, die nicht in dem Fach ausgebildet wurden, in dem sie jetzt unterrichten, oft in Erdkunde, Musik, Englisch oder anderen Hauptfächern.

Ja, auch das ist ein Beleg für den eklatanten Lehrkräftemangel. Dann ist es auch keine Überraschung, dass die Qualität des Unterrichts in Hessen sinkt. Das hängt überhaupt nicht mit der individuellen Leistung der Lehrkräfte zusammen, die sich tagein, tagaus aufopfern, um das System irgendwie am Laufen zu halten.

Hessens Schulqualität ist laut Bildungsmonitor 2022 im hintersten Fünftel des Ländervergleichs angesiedelt. Platz 13 belegt Hessen, übrigens auch bei den Bildungsausgaben. Da kann sich der Minister hier noch so oft hinstellen und davon reden, dass es in allen Bundesländern einen Lehrkräftemangel gibt. Die Zahlen des Bildungsmonitors zeigen das Versagen der schwarz-grünen Landesregierung in der Bildungspolitik auf.

Da fragt man sich schon, wann endlich diese unsägliche Realitätsverweigerung zur Situation an unseren Schulen ein Ende nimmt. Vielleicht sollte Kultusminister Lorz statt eines Reisereferenten im Ministerium lieber Graf Zahl einstellen, um die fehlenden Lehrkräfte zu zählen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Lehrkräftemangel ist auch nicht wie eine unvorhersehbare Naturkatastrophe über uns gekommen, sondern er ist hausgemacht. Nicht nur ist viel zu wenig ausgebildet worden, sondern auch die Attraktivität des Berufsfelds hat in den letzten Jahren gelitten. Hessen hat im Grundschulbereich nach wie vor die höchste Pflichtstundenzahl. Nirgendwo arbeiten Grundschullehrkräfte so viel wie in Hessen. Dazu kommt die schlechte Bezahlung, die jahrelang schlechter war als in anderen Bundesländern.

Nun endlich, nach jahrelangem Druck von LINKEN, Gewerkschaften, Verbänden, aber auch der SPD-Fraktion, wurde sie im Grundschulbereich auf A 13 angehoben. Aber auch das ist ein Wahlkampfgeschenk von SchwarzGrün, das einen Hinkefuß hat. Denn nicht schon in diesem Jahr, sondern erst 2028 wird die Besoldungsstufe A 13 erreicht. In diesem Jahr bekommen Grundschullehrkräfte ab August gerade einmal ungefähr 60 € mehr. Das ist nicht einmal ein Inflationsausgleich, und ohne den Druck auf die Landesregierung wäre selbst dieses auf die lange Bank geschobene Wahlkampfgeschenk nicht möglich gewesen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Neben der Besoldung sind es vor allem die Arbeitsbedingungen an den Schulen, die dazu führen, dass Lehrkräfte krank werden, in Teilzeit gehen, sich früher pensionieren lassen oder dass junge Menschen sich nach der Schule überhaupt nicht dafür entscheiden, in das Studium zu gehen, oder noch schlimmer: sich nach dem Studium explizit dafür entscheiden, nicht in das Berufsfeld zu gehen.

Als Fraktion DIE LINKE haben wir am letzten Samstag im Hessischen Landtag gemeinsam mit Vertretern aus der Fachpraxis eine Tagung zum Thema Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich durchgeführt. Die Rückmeldung sowohl der Lehrkräfte als auch der Erzieherinnen und Erzieher war, dass sie nicht davon ausgehen, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen das Rentenalter gesund erreichen werden.

Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis, dass so eine Rückmeldung von den Fachpraktikerinnen und -praktikern kommt. Die Belastungen sind viel zu hoch, die Gruppen und Klassen zu groß. Die Arbeitszeit ist zu lang. Die Arbeitsumgebung macht häufig krank.

All das weiß unser Kultusminister. Es gibt längst Studien zur Arbeitszeit und zur Belastung. Er will es aber nicht wahrhaben. Genau das ist das Problem.

(Beifall DIE LINKE)

Um Entlastung an den Schulen zu schaffen, braucht es zum einen mehr Lehrkräfte. Dazu fehlt eine Strategie der Landesregierung. Aber es fehlt auch an Entlastung durch z. B. mehr Verwaltungsfachangestellte oder andere Berufsgruppen in den Schulen. Da geht es um Erzieherinnen und Erzieher, IT-Personal, Logopäden, Musikpädagogen und Ergotherapeuten. All diese Berufsgruppen können und müssen den Schulalltag bereichern. Sie dürfen aber kein Ersatz für ausgebildete Lehrkräfte sein. Vielmehr muss es eine Ergänzung sein. Meine Damen und Herren, die Multiprofessionalität von Ihnen ist eine Mogelpackung.

(Beifall DIE LINKE)

Schon die vorsichtige Forderung, zu überlegen, ob nicht jede hessische Schule eine eigene Schulpsychologin oder einen eigenen Schulpsychologen haben könnte, wurde als lachhaft, absurd oder nicht umsetzbar abgetan. Immer mehr Kinder und Jugendliche haben psychische Probleme. Es mangelt an Therapieplätzen. In Hessen kommen auf jeden Schulpsychologen 6.300 Schülerinnen und Schüler.

In den Siebzigerjahren hat man sich in der Kultusministerkonferenz auf einen Schlüssel von 1 : 5.000 geeinigt. Weitere 50 Jahre will ich nicht warten müssen, bis die Probleme an den Schulen endlich ernst genommen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Fest steht: Die Lehrkräfte, die dauerhaft bis ins Pensionsalter an den Schulen arbeiten, werden bei diesen Arbeitsbedingungen bald auf der Liste der aussterbenden Arten stehen, wenn sich jetzt nicht etwas Grundlegendes ändert.

Ein erster Schritt der Erkenntnis könnte sein, sich der Initiative aus Berlin für einen Staatsvertrag zur Lehrkräftebildung anzuschließen, um bundesweit eben nicht in Konkurrenz um die Lehrkräfte zu treten, sondern gemeinsam mit den anderen Bundesländern bei der Ausbildung der Lehrkräfte an einem Strang zu ziehen. Da mit Astrid-Sabine Busse Berlin die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz übernommen hat, wäre es doch ein gutes Zeichen, wenn sich der Hessische Kultusminister der Initiative einer seiner Nachfolgerinnen auch anschließen würde.

Wir, DIE LINKE, wollen eine Schule mit guten Arbeitsbedingungen. Da geht es um kleinere Klassen, gute Bezahlung, Arbeiten auf Augenhöhe in einer echten Ganztagsschule und um eine Schule mit längerem gemeinsamen Lernen. Es geht um viel Unterstützung insbesondere für die Kinder, die heutzutage mit vielen sozialen und psychischen Herausforderungen an unsere Schulen kommen.

Eine Schule für alle ist möglich. Bessere Bedingungen für die Bildung und die sozialen Berufe sind ebenso möglich. Wir sehen, für was alles Milliarden-Euro-Beträge aus dem Ärmel geschüttelt werden können. Aber dafür muss der politische Wille da sein. Der ist bei Schwarz-Grün wirklich nicht zu erkennen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)