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Rede

Elisabeth Kula - Hessens Grundschulen sind für Umsetzung des Ganztagsanspruchs nicht vorbereitet

Elisabeth KulaBildung

In seiner 100. Plenarsitzung am 30. März 2022 diskutierte der Hessische Landtag über den Ganztagsanspruch an Hessens Schulen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im September des letzten Jahres hat die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 beschlossen, und das war längst überfällig für mehr sozialen Ausgleich und Bildungsgerechtigkeit. Das zeigt, dass das Modell der Halbtagsschule, das ideologisch von Konservativen im deutschsprachigen Raum lange mit allen Kräften verteidigt wurde, endgültig politisch und gesellschaftlich überholt ist. Das ist auch gut so.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)

Man muss sagen: außer am rechten Rand.

(Zurufe AfD: Oh!)

Die inszenieren sich ja immer gerne als Vertreter von Familien.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Wir sind die Letzten!)

Ich muss an der Stelle einmal ganz klar sagen: Wer gegen die Ganztagsschule ist, der macht familienfeindliche Politik.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Moritz Promny (Freie Demo-

kraten))

Viele europäische Länder sind uns beim Ganztag einiges voraus, beispielsweise Frankreich oder Schweden, die traditionell mit echten Ganztagsschulen arbeiten. Nun gibt es in Deutschland und auch in Hessen schon ganztägig arbeitende Schulen, aber insbesondere der Ausbau echter Ganztagsschulen im Grundschulbereich wird seit Jahren verschleppt. Ja, das muss sich die schwarz-grüne Landesregierung vorwerfen lassen. Hessen ist immer noch Schlusslicht beim Anteil der ganztägig arbeitenden, gebundenen Grundschulen, also der Grundschulen, die jeden Tag verbindliche schulische Bildungsangebote am Nachmittag haben. Davon gibt es in Hessen ganze zwölf Grundschulen. Ich finde, das ist einfach immer noch ein Armutszeugnis.

Stattdessen macht Schwarz-Grün mit dem Pakt für den Nachmittag, jetzt Pakt für den Ganztag, den SchmalspurGanztag. Nicht einmal der wird wahrscheinlich ausreichen, um dem Rechtsanspruch auf Betreuung ab 2026 gerecht zu werden.

In Hessen gab es im Schuljahr 2020/2021  673 reine Grundschulen mit ganztägigen Angeboten. Das sind etwa 58 % aller Grundschulen. Das Bundesfamilienministerium geht aber von einem deutlich höheren Bedarf von schätzungsweise 75 % bis 80 % aus, um den Rechtsanspruch umzusetzen. Da frage ich mich schon: Was macht der Kultusminister denn, um diese Lücke bis 2026 zu schließen?

Bis heute gibt es keine Antworten, keinen Plan. Da muss der Kultusminister liefern.

(Beifall DIE LINKE, Moritz Promny und Yanki Pürsün (Freie Demokraten))

Es braucht jetzt ein Konzept, wie Hessen das personell, baulich und organisatorisch überhaupt hinbekommen will – allein bei der Frage, wie dem Bedarf an Fachkräften gerecht begegnet werden soll. Der Lehrkräftemangel führt schon jetzt, und zwar unabhängig von Corona, zu Unterrichtsausfall. Immer wieder hören wir von Schulen, in denen ganze Unterrichtsfächer für längere Zeit ausfallen müssen, weil es keine Lehrkraft und auch keinen Lehrkräfteersatz gibt. Zunehmend werden Lehramtsstudierende als Lückenfüller herangezogen. Mittlerweile ist es so, dass Studierende aufgrund ihrer Lehrtätigkeit ihre Abschlüsse um ein oder zwei Semester verschieben müssen. Es fehlt schlicht und ergreifend ein Konzept, woher die notwendigen Fachkräfte – und das sind nicht nur Lehrkräfte – bis 2026 herkommen sollen. Die Landesregierung hat das jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang verschlafen.

Herr Lorz, da nützen auch keine Werbevideos, die junge Menschen für den Beruf begeistern sollen und die in hessischen Kinos liefen. Der Kultusminister stellte die Kampagne „Lehrer werden in Hessen“ folgendermaßen vor. Herr Präsident, ich darf zitieren:

„Sie“ sind natürlich die Lehrerinnen und Lehrer, denen hier ein Denkmal gesetzt wird, aber kein Denkmal für die Vergangenheit, wie sonst, sondern eines für die Zukunft. Wir wollen die Botschaft senden, dass Lehrer ein toller Beruf ist und bleibt.

Herr Lorz, ein Denkmal für die Lehrkräfte: Na, da werden sich die Kolleginnen und Kollegen, die am Rande der völligen Erschöpfung arbeiten und im Grundschulbereich die höchste Pflichtstundenzahl aller Länder haben, aber ganz herzlich bedanken.

(Beifall DIE LINKE und Moritz Promny (Freie Demokraten))

Nein, mit Werbefilmchen alleine löst man keinen Fachkräfte- und Lehrermangel. Stattdessen braucht es gute Arbeitsbedingungen, eine faire Bezahlung, auch an den Grundschulen, wo die Kolleginnen und Kollegen noch immer weniger verdienen als an den anderen Schulformen. Es braucht auch eine echte Ausbildungsoffensive an den Hochschulen, die mit einer modernen Lehrerausbildung Studierende gewinnen kann, die das Studium auch beenden und dann wirklich an den Schulen arbeiten wollen. Stattdessen verschlechtern Sie mit Ihrem neuen Lehrkräftebildungsgesetz sogar noch die Qualität des Lehramtsstudiums im Grundschulbereich. Darüber werden wir morgen noch einmal diskutieren.

Vor diesem Hintergrund sind Ihre Werbefilmchen die reinste Steuergeldverschwendung und ein herber Schlag in die Magengrube der Lehrerinnen und Lehrer, die so dringend Entlastung brauchen. Außerdem braucht es für den Ganztag nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Pädagoginnen und Pädagogen. Auch die müssen ausgebildet werden; denn da gibt es auch einen erheblichen Fachkräftemangel. Dazu müssten aber der Kultusminister und der Sozialminister endlich einmal anfangen, zusammenzuarbeiten. Das klappt aber weder beim Thema Inklusion, noch hat es bei dem Thema Corona funktioniert. Da frage ich mich schon: Gibt es denn eine Zusammenarbeit beim Thema Ganztag? Wie sieht die aus? Ist die Beauftragte für Kinderrechte einbezogen? Ich finde, es kann doch echt nicht sein, dass bei diesen Schnittstellenthemen jeder vor sich hin wurschtelt und keiner in der Landesregierung weiß, was der andere macht. Ich glaube, da muss es endlich eine bessere Zusammenarbeit der Ressorts geben.

(Beifall DIE LINKE)

Aber nicht nur personell fehlt es in Hessen an allen Ecken und Enden; auch die Frage nach dem baulichen Zustand und der nötigen baulichen Erweiterung der Grundschulen, die ganztägig arbeiten sollen, geht an dem Kultusminister scheinbar spurlos vorbei. Weder weiß er, wie hoch der Sanierungs- und Ausbaubedarf an seinen Schulen ist, noch interessiert es ihn.

Ganze 80 Millionen € standen den Schulträgern im letzten Jahr zur Verfügung, um Investitionen zu tätigen, damit der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung an den Grundschulen umgesetzt werden kann. Das meiste Geld kommt, wie so oft in Hessen, vom Bund, mit einem Anteil in Höhe von rund 55 Millionen €. Das Land ergänzt diesen Betrag großzügig um 25 Millionen €.

Frau Ravensburg hat gerade angekündigt, dass das Land noch mehr Mittel zur Verfügung stellt. Das finde ich interessant und finde ich gut. Aber von diesem Geld sollen Grundschulen instand gesetzt und ausgebaut werden mit Ruheräumen, Mensen und neuer Ausstattung. Angesichts des enormen Sanierungsbedarfs, gerade an den Grundschulen, dürften diese Mittel nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die GEW schätzt den Gesamtsanierungsbedarf in Hessen auf rund 3 bis 4 Milliarden €.

Deswegen: Herr Lorz, machen Sie endlich eine Bestandsaufnahme, wie hoch der Investitionsbedarf an den Grundschulen ist, um den Rechtsanspruch umzusetzen; und reden Sie sich bitte nicht wieder mit haarsträubenden verfassungsrechtlichen Argumenten heraus, das Land könne den Bedarf gar nicht ermitteln. Das Land Thüringen hat den Sanierungsbedarf der Schulen im Schuljahr 2016/2017 ermitteln lassen. Das geht, wenn man es will.

(Beifall DIE LINKE)

Selbst wenn die Landesregierung es schaffen würde, diese Voraussetzungen umzusetzen – wovon sie leider meilenweit entfernt ist –, sind die Programme des Landes, die den Grundschulen angeboten werden, sozial und pädagogisch nicht sinnvoll. Sie wollen den Ausbau des Ganztags an den Grundschulen auf Sparflamme. Es wird nämlich hauptsächlich im Pakt für den Ganztag umgesetzt und kaum über das echte Ganztagsschulprogramm. Im Pakt für den Ganztag übernehmen Fördervereine, städtische Betreuungseinrichtungen und auch Kitas die Ganztagsbetreuung. Unterricht findet am Nachmittag hingegen nicht statt. Für diese Betreuung müssen Eltern dann nicht selten richtig blechen. Mit dem Mittagessen, welches nur für Kinder von Transferleistungsbeziehern kostenfrei ist, kommen monatlich auch einmal 200 € für den Ganztag an der Grundschule zusammen. Meine Damen und Herren, das geht gar nicht. Bildungs- und Betreuungsangebote müssen grundsätzlich kostenfrei sein, ansonsten wird die soziale Spaltung vertieft statt bekämpft.

(Beifall DIE LINKE)

Echte, gebundene Ganztagsschulen haben einen rhythmisierten Tagesablauf aus Unterricht, Freizeit und Sport – verpflichtend, mindestens acht Stunden am Tag. Das ist sozial und pädagogisch sinnvoll. Aber die Landesregierung scheut die damit verbundenen Kosten und verlagert Verantwortung auf die Schulträger, die den Pakt für den Ganztag umsetzen sollen. Dafür gibt es aber keinerlei Qualitätsstandards. Ungefähr 300 hessische Grundschulen sind aktuell Teil dieses Pakts, der von der Landesregierung wie warme Semmeln angepriesen wird. Auch der Rechtsanspruch soll hauptsächlich darüber umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren, wir lehnen den hessischen Ganztag auf Sparflamme ab und setzen uns weiterhin für echte ganztägige Bildungs- und nicht nur Betreuungsangebote ein, um allen Kindern den bestmöglichen Start in das Leben zu ermöglichen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und Karin Hartmann (SPD))