Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Kunst und Kultur für Alle und überall!

Elisabeth KulaKultur

In seiner 106. Plenarsitzung am 01. Juni 2022 diskutierte der Hessische Landtag über die Landesförderung von Kunst- und Kulturprojekten. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und kulturpolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dieser Rede gerade eben hat sich selbst die Germania am Rhein von Frankreich abgewendet und sich drohend in Richtung Landtag gedreht.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich bin, wie wahrscheinlich viele von Ihnen, im ländlich geprägten Hessen auf dem Land aufgewachsen, nämlich im schönen mittelhessischen Grünberg, genauer gesagt, in Göbelnrod. Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen das Dorf kennt. Wahrscheinlich ist das nicht der Fall. Ich kann einen Besuch des Dorfes nur wärmstens empfehlen. Vor allen Dingen sollte man einen Abstecher zum malerischen Wirberg mit der schönen Kirche und der Evangelischen Bildungs- und Begegnungsstätte machen. Für den ländlichen Raum kann man echt viel Werbung machen. Das kann nicht schaden.

Aber leider gibt es viele Gründe, warum in vielen Dörfern – auch in Göbelnrod – und Kleinstädten viele Häuser und Wohnungen leer stehen. Neben der fehlenden digitalen Infrastruktur gehören dazu zu wenig bezahlbarer und passender Wohnraum und das Fehlen des ÖPNV.

Oft gibt es auch nur ein löchriges kulturelles Angebot. Das liegt nicht daran, dass sich die Kommunen im ländlichen Raum überhaupt nicht für Kultur interessieren. Vielmehr ist die Förderung der Kultur schlichtweg keine Pflichtaufgabe der hessischen Kommunen. Aber, wie der Kollege gerade schon gesagt hat, ist das Staatsziel des Landes Hessen. Kulturelle Angebote sind somit auch und vor allem von der Finanzkraft der jeweiligen Kommune vor Ort abhängig.

Wir finden, Kunst und Kultur sollten allen Hessinnen und Hessen in ihrem direkten Nahumfeld zugänglich sein, unabhängig davon, ob sie in Bad Homburg oder in Ober-Seibertenrod wohnen.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE)

Alle fragen sich jetzt, wo Ober-Seibertenrod liegt. Herr Michael Ruhl weiß es. Es liegt im Vogelsberg.

(Zuruf: Ich auch!)

– Frau Goldbach weiß es auch. Das ist gut.

Ja, es gibt auch im ländlichen Raum Hessens kulturelle Angebote. Das ist doch ganz klar. Neben Gesangs- und Tanzvereinen, Obst- und Gartenbauvereinen, ehrenamtlich betriebenen Heimatmuseen usw. bietet beispielsweise auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren jährlich an die 3.500 Veranstaltungen an. Sie tut das unter anderem auch im ländlichen Raum.

Vieles ist aber in den vergangenen Jahrzehnten weggebrochen. Auch das gehört zur Realität. Die Mitglieder der Vereine sind überaltert, oder die Vereine bieten nicht das kulturelle Angebot, das sich jüngere Menschen vielleicht wünschen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Landesregierung aktiv wird, um kulturelle Angebote auf dem Land weiterhin zu unterstützen.

Wir können der Wissenschaftsministerin nicht absprechen, dass ihr die Kunst- und Kulturlandschaft am Herzen liegt. Tatsächlich finden eine Stärkung der Angebote und eine höhere Finanzierung statt. Das ist in Ordnung.

Schaut man aber auf die Details, sieht man, dass noch sehr viel zu tun ist. Das gilt gerade nach den Einschnitten durch die Corona-Pandemie. Sie hat dazu geführt, dass fast allerorts Kulturveranstaltungen in großem Stil abgesagt werden mussten. Vielen Kulturschaffenden ist durch die Auswirkung der Pandemie ihre ganze finanzielle Existenzgrundlage abhandengekommen. Das konnten die Hilfsprogramme des Bundes und des Landes nicht abfedern. Kleine Kinos und Theaterstätten mussten ihre Türen für immer schließen. Künstlerinnen und Künstler wurden in andere Berufe gedrängt. Sie sind in ihrer Existenz bedroht.

Deswegen wäre es dringend notwendig, auch jetzt noch Auffangsysteme für hessische Kulturschaffende, aber auch für die gesamte Branche zu schaffen. Da ist das Gröbste noch längst nicht überstanden.

Im ländlichen Raum wiegen die Ausfälle durch die Corona-Pandemie natürlich besonders schwer. Oft haben einige wenige Menschen die Vereine am Leben erhalten. Jetzt gibt es da oft gar keine Zukunft mehr.

Statt wohlwollend Sammelanträge aufzulegen und ein paar nette Worte zu dem zu sprechen, was man eh schon macht, muss die Landesregierung jetzt aktiv werden, um das Sterben der kulturellen Vereine aufzuhalten. Jede Alltagserfahrung zeigt leider, dass es heutzutage nicht mehr ohne die Unterstützung durch Hauptamtliche geht.

Es braucht vor Ort im ländlichen Raum Ansprechpartner und Koordinierungsstellen zur systematischen Unterstützung kleiner Musik-, Gesangs- und Kulturvereine. So etwas in der Art steht auch mit den Regionalmanagern und -managerinnen in dem Antrag drin. Ob das jetzt der richtige Begriff zur Unterstützung der Kultur im ländlichen Raum ist, sei mal dahingestellt. Aber wir werden es sicherlich kritisch begleiten, ob dadurch auch wirklich Aufbauarbeit in der Fläche geleistet werden kann.

Generell kann Teilhabe an Kultur nur da ermöglicht werden, wo es auch kulturelle Angebote gibt. Dort, wo vieles weggebrochen ist, ist die kulturelle Förderung in Kita und Schule umso wichtiger. Sie findet im Idealfall kostenfrei und an jedes einzelne Kind gerichtet statt. Als vor Jahren das JeKi-Programm – „Jedem Kind ein Instrument“ – aufgelegt wurde, und auch, wenn es nicht ausreichend vom Land gefördert wurde: Genau das war der Hintergedanke. Für viele der Kinder, die an dem Programm teilnahmen, war das die erste Gelegenheit, mit einem Musikinstrument in Berührung zu kommen.

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

Mit anfangs 70 Grundschulen wurde da ein guter Grundstein gelegt. Im jetzigen Programm „ZusammenSpiel Musik“ könnte noch viel mehr gemacht werden, gerade bei der Anzahl der teilnehmenden Schulen. Das ist einfach noch viel zu wenig.

Der Zugang zu Kultur für Kinder und Jugendliche im schulischen Kontext könnte generell viel besser sein. Theater und Musikpädagogik sollten eine wesentlich größere Rolle spielen, gerade nach Corona, damit junge Menschen den Raum bekommen, ihre Erfahrungen während der Pandemie auszudrücken und aufzuarbeiten. Leider gibt es dafür aber weder Raum in den Lehrplänen noch das nötige Personal. An hessischen Grundschulen fallen 80 % des Musikunterrichts entweder aus oder werden fachfremd unterrichtet. Es braucht endlich ein Fachkräftegewinnungsprogramm, auch für Musikpädagogen; ansonsten sieht es bald ganz düster mit der musischen Ausbildung in Hessen aus.

Das bekommen auch und vor allem die Musikschulen zu spüren. Auch die suchen händeringend nach Nachwuchs. Doch die Rahmenbedingungen an den hessischen Musikschulen, das muss man leider so sagen, sind weiterhin katastrophal; denn insbesondere die Situation der Honorarkräfte ist sehr prekär. In den meisten Fällen sind es keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse, es gibt keine Tarifbindung. Aber auch Kunstschaffende und Musizierende brauchen eben Geld zum Leben.

(Beifall Hermann Schaus (DIE LINKE) und Stephan Grüger (SPD))

Wenn der Wille wirklich da ist, die Musikschulen zu stärken, dann braucht es endlich eine angemessene Erhöhung der Mittel.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Da geht es nicht nur um das Halten und die Gewinnung neuer Fachkräfte, sondern auch um sozialen Ausgleich: Aktuell zahlen nämlich hessische Eltern überproportional viele Gebühren für die Teilnahme ihrer Kinder am Musikschulunterricht.

(Stephan Grüger (SPD): Hört, hört!)

Unsere Schülerinnen und Schüler bezahlen zwischen 61 % und 80 % der Gesamtkosten ihrer öffentlichen Musikschule. Land und Kommunen bezuschussen die Arbeit lediglich mit 20 % bis 36 %. Das geht gar nicht, und dafür braucht man sich auch nicht selbst zu loben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ein reiches Land wie Hessen sollte zumindest ein Drittel der Kosten tragen, ein Drittel die Kommunen, ein Drittel die Eltern. Aber selbst dagegen wehren Sie sich.

Insgesamt muss das Land auch mehr dafür tun, dass kulturelle Angebote allen Menschen – auch denen mit sehr geringem Einkommen – offenstehen. Teilweise sind die Ticketpreise sehr hoch, wenn wir an die sogenannte Hochkultur denken, die dann doch oft nur einem finanziell gut ausgestatteten Publikum zugänglich ist.

Es ist gut und richtig, dass die hessischen Zentren der Soziokultur eine deutlich höhere Förderung bekommen sollen. Wie wichtig sie sind, zeigt jetzt auch ihr Engagement für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die Unterstützung kleiner Festivals im ländlichen Raum ist auch begrüßenswert. Allerdings zielt das Programm „Ins Freie!“ auf eine relativ schmale Zielgruppe, weil es doch eine sehr enge inhaltliche Ausrichtung gibt. Für kleine Musikfestivals bzw. Metalfestivals, wie ich sie besuche, die von kleinen Clubs organisiert werden, mit denen ich mich auch sehr verbunden fühle, war es doch ziemlich schwer, bei der Konzeption des Programms an diese Fördermittel heranzukommen.

Alles in allem sind es also ganz gute Ansätze, aber grundlegende Probleme wie die anhaltende Projekteritis in der Kulturfinanzierung bleiben bestehen. Das können wir hier auch gerne immer wieder diskutieren – vielleicht, wenn endlich einmal der Masterplan Kultur vorgelegt wird. Darauf sind wir sehr gespannt. Wir finden, es muss sich endlich etwas tun, Grundlegendes in der Finanzierung der Kultur, nicht immer nur Projekte. Wir brauchen endlich eine anständige Ausstattung: Musikschulen, Bibliotheken, Kulturszene. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)