Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Menschenrechte verteidigen

Elisabeth KulaThemenAntifaschismusBundespolitikEuropaInternationalesJustiz- und RechtspolitikMigration und IntegrationRegierung und Hessischer Landtag

In der 138. Plenarsitzung am 29.06.2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Antrag "Menschenrechte verteidigen, das Recht auf Asyl bewahren und menschenwürdige Aufnahmebedingungen schaffen - in

Hessen und ganz Europa!" von der LINKEN. Dazu unsere Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Vor zwei Wochen, am 14. Juni 2023, ereignete sich eine der wohl größten menschlichen Katastrophen im Mittelmeer. Ein Fischkutter mit etwa 750 Menschen an Bord kenterte vor der griechischen Küste. Über 600 Menschen starben, davon rund 100 Kinder, die unter Deck untergebracht waren, um vor dem schlechten Wetter geschützt zu sein.

Das war kein Schiffsunglück – ich sage es, wie es ist –, es war Mord, und zwar an europäischen Grenzen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Holger Bellino (CDU))

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die griechischen Behörden waren informiert, sie haben das überfüllte Schiff fotografiert, stundenlang begleitet und untergehen lassen. Überlebende sprechen gar davon, dass die Küstenwache das Kentern verursacht habe, bei dem Versuch, das Boot in Richtung Italien – und damit aus dem eigenen Verantwortungsbereich – zu schleppen. Das ist verbrecherisch und menschenverachtend, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Praxis der griechischen Küstenwache ist aber nicht neu, sondern seit Jahren gut dokumentiert, und geschieht unter der Duldung von Frontex.

Schätzungen der UN zufolge hat Griechenland allein im Zeitraum 2020/2021  17.000 Asylsuchende mit Gewalt in die Türkei zurückgebracht. Die zuständige EU-Kommissarin zeigte sich angesichts dieser Zahlen „besorgt“. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte Aufklärung.

Gleiches gilt auch für die vielen weiteren dokumentierten illegalen Pushbacks an europäischen Außengrenzen.

Doch keiner der politisch Verantwortlichen kommt auf die Idee, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland oder Italien initiieren zu lassen. Stattdessen lässt man sie gewähren und hat mit der jüngsten Asylreform sogar dafür gesorgt, dass es noch mehr dieser Pushbacks geben wird, meine Damen und Herren.

Statt geltendes Recht zu verteidigen, hat sich die EU auf ein neues Regelwerk geeinigt, eines, bei dem man offensichtlich hoffte, auch die ultrakonservativen und die extrem rechten Regierungen mit ins Boot holen zu können. So überrascht es nicht, dass die Reformvorschläge für das Gemeinsame Europäische Asylsystem, das unter Zustimmung von Bundesinnenministerin Faeser sowie der gesamten Ampel-Bundesregierung im Rat beschlossen wurde, vor allem auf weitere Abschottung und Entrechtung setzen, meine Damen und Herren.

Alle Versuche von Nancy Faeser, aber auch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, den Inhalt der neuen Verordnung zu relativieren oder gar als Erfolg verkaufen zu wollen, täuschen nicht über die Brutalität hinweg, mit der Europa zukünftig gegen Schutzsuchende an seinen Grenzen vorgehen will, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Es geht um riesige Grenzlager, in denen bis zu 30.000 Asylsuchende, auch Kinder, unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden sollen – ja, eben auch Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan, wenn sie über einen sicheren Drittstaat einreisen.

Dazu kommen Schnellverfahren, von denen wir aus den Erfahrungen in Griechenland und auch am Frankfurter Flughafen doch wissen, dass dabei Standards für ein faires Verfahren unmöglich eingehalten werden können.

Jetzt tingelt Frau Faeser von Interview zu Interview und verbreitet Mythen über den Inhalt des Reformvorschlags. Ich will einmal einige von ihnen hier aufgreifen, allen voran den angeblichen Solidaritätsmechanismus, der diese Einigung zu einem „historischen Erfolg“ mache. Den gibt es aber gar nicht.

Im neuen Asylsystem ist kein verpflichtender Verteilmechanismus für EU-Staaten vorgesehen. Den Mitgliedstaaten, die keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, wird lediglich angedroht, empfindliche Pro-Kopf-Zahlungen tätigen zu müssen. Diese Gelder können dann aber wiederum an Außengrenzen für die Flüchtlingsabwehr eingesetzt werden. Die Regierungen in Polen und Ungarn haben bereits angekündigt, dass sie nicht vorhätten, sich an diese Regelung zu halten.

Die Rechte von Schutzsuchenden sind also für den Solidaritätsmechanismus verkauft worden – der ein Papiertiger bleiben wird.

Schon jetzt verläuft doch die südlichste Außengrenze Europas durch die Sahara. Künftig wird sie mithilfe ebendieser Gelder noch lückenloser überwacht und militarisiert werden, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.

(Beifall DIE LINKE)

Während sich die GRÜNEN gegenseitig beschwichtigen, dass sie bei der Zustimmung zu den Reformplänen auch ganz starke Bauchschmerzen gehabt hätten, und sich auf harte Verhandlungen im Trilog einstimmen, ist die Zeit der Verhandlungen längst vorbei. Die Ratsposition ist dank Nancy Faesers Wahlkampfmodus finalisiert.

Nur dank des unermüdlichen Einsatzes linker Kräfte im EU-Parlament konnten einige der größten Härten gestrichen werden. Im Großen und Ganzen ist man sich auf EU-Ebene aber leider einig. Der einzige Weg, die Reform jetzt noch zu stoppen, wäre es, keine Einigung im Trilog zu erzielen. Das wäre eine gute Nachricht für die Menschenrechte in Europa.

(Beifall DIE LINKE)

Da ich ahne, dass meine Ausführungen bei den GRÜNEN sauer aufstoßen werden und die GRÜNEN wieder mit „Bauchschmerzen“ argumentieren, habe ich Ihnen heute ein paar Bauchschmerztabletten mitgebracht. Als Beipackzettel hätten wir Ihnen gerne die Genfer Flüchtlingskonvention mitgegeben. Die ist aber zu lang. Lesen Sie sich diese doch vielleicht einmal durch, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.

(Beifall DIE LINKE)

Bei der SPD scheint es noch nicht einmal mehr Bauchschmerzen auszulösen, vielleicht noch beim Jugendverband. Die Innenministerin und Spitzenkandidatin bezeichnet diese Reform auch noch als „historischen Erfolg“. Das wäre vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen. Aber natürlich kommt Faesers Vorstoß wenige Monate vor der Hessenwahl, weil sie sich als harte Verhandlerin darstellen will, die den überlasteten Kommunen zur Seite steht. Diese Reform wird den Kommunen aber überhaupt nichts bringen.

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

Die allermeisten Menschen, die in den vergangenen Monaten zu uns gekommen sind, werden bleiben. Weitere mit Bleiberecht werden hinzukommen. Die Schutzquote ist historisch hoch. Genau deswegen braucht es einen Paradigmenwechsel in der Fluchtpolitik, weg von einem System, das seit 30 Jahren auf Abschreckung, Entrechtung und Abschiebung setzt, hin zu einem System, das die globalen Realitäten anerkennt, Fluchtmigration als Fakt begreift und die Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden als humanitäre Aufgabe ansieht.

(Beifall DIE LINKE)

Im Bund müsste dafür das Asyl- und Aufenthaltsrecht reformiert werden, angefangen bei der irrsinnigen Lagerpflicht für Asylsuchende. Als Nächstes müssen Arbeitsverbote für Asylsuchende und Geduldete restlos aus dem Gesetz gestrichen werden. Es ist doch längst klar, dass Arbeitsverbote vor allem die Integration behindern und Menschen die Möglichkeit rauben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Zu guter Letzt muss 30 Jahre nach dem sogenannten Asylkompromiss endlich das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden und allen Menschen ein gleichberechtigter Zugang zu Leistungen der Sozialgesetzbücher ermöglicht werden. Dies würde im Übrigen auch die Kommunen entlasten; denn dann wäre der Bund in der Pflicht, einen Teil dieser Kosten zu übernehmen, ohne mühselige Verhandlungen über jeden Cent.

Aber auch die Hessische Landesregierung muss endlich umsteuern. Wie konnte es sein, dass angesichts steigender Zahlen von Geflüchteten in Hessen in den vergangenen Jahren in Hessen gleichzeitig massenhaft Unterkünfte geschlossen wurden? Wie kann es sein, dass sich seit 30 Jahren der Sozialwohnungsbestand um mehr als die Hälfte reduziert hat? Wie kann es sein, dass nach wie vor für essenzielle Integrationsarbeit nur unzureichende und zeitlich befristete Mittel bereitgestellt werden?

Ein Blick auf die politische Ausrichtung des Innenministeriums gibt Aufschluss. Weit über seine Grenzen hinaus ist Hessen für seine repressive Gangart gegenüber Asylsuchenden bekannt: eine skrupellose Abschiebepraxis, die selbst vor Kliniken und Schulen nicht haltmacht, Familien auseinanderreißt und Suizidgefährdete in den sicheren Tod schickt. Wir leisten uns in Hessen den drittgrößten Abschiebeknast der Republik, der nicht einmal zu einem Viertel belegt ist, aber Millionen an Steuergeldern frisst.

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

Wir leisten uns eine zentrale Ausländerbehörde, die sich nicht davor scheut, Menschen bei erstbester Gelegenheit die Arbeitserlaubnis wegzunehmen, selbst Auszubildenden trotz Fachkräftemangels ihre Leistungen auf ein Niveau unterhalb des Existenzminimums zu kürzen und sie in Gemeinschaftsunterkünften versauern zu lassen, bis nachts die Polizei klopft. Das ist die Politik der schwarz-grünen Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Ich bin immer noch fassungslos über die Zustimmung von SPD und GRÜNEN zur GEAS-Reform. Sie bedeutet viele Tausend Tote mehr an europäischen Außengrenzen. Statt vor rechten Kräften einzuknicken, braucht es mutige gesellschaftliche politische Kräfte, die Nein sagen, wie die berühmten Künstler und Musiker, die sich gegen diese Reform gewehrt haben, wie die zivile Seenotrettung, die im Mittelmeer unter schweren Bedingungen Menschenleben rettet, um das Schlimmste zu verhindern. Statt diese mutigen Retter zu unterstützen, blockiert jetzt auch noch das grün geführte Außenministerium von Annalena Baerbock die dringend notwendigen Gelder für die Seenotrettung.

Als das bekannt wurde, habe ich den Abgeordneten der LINKEN-Fraktionen im Bundestag, in den Landtagen und im EU-Parlament vorgeschlagen, spontan zu spenden, um wenigstens ein bisschen abzupuffern. Mithilfe unserer und anderer Spenden kann die Seawatch vielleicht sogar im Spätsommer auslaufen. Es braucht aber dauerhaft dringend die zugesagten Mittel des Bundes, um weiter Menschen zu retten.

(Beifall DIE LINKE)

Damit zeigen die Seenotretter nämlich tagtäglich mehr Courage als GRÜNE und SPD, die die Menschenrechte in der EU rechten Kräften zum Fraß vorwerfen, während sie permanent Desinformationen darüber verbreiten. Diese Reform ist ein Dammbruch zulasten der Menschenrechte, die Sie sich fortan nicht mehr auf die Fahnen schreiben sollten, wenn es gerade politisch opportun ist.

(Beifall DIE LINKE)