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Rede

Elisabeth Kula - Schwarzgrüne Schulpolitik in Hessen: von Innovation kann keine Rede sein

Elisabeth KulaBildung

In seiner 112. Plenarsitzung am 20. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässlich einer Regierungserklärung des Kultusministers Alexander Lorz (CDU) zum Schulstart. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war eine spannende Regierungserklärung, oder? So viele Worte, deren Neuigkeitsgehalt gleich null ist. Es gab nichts Neues, überhaupt nichts. Wer da beim Stöckchenziehen verloren hat?

(Beifall DIE LINKE)

Ich glaube, das war schon bei der letzten Regierungserklärung so. Man sollte sich wirklich überlegen, ob es nicht gerade etwas Substanzielles zu den Schulen zu sagen gäbe. Ich glaube, da gäbe es einiges. Aber 20 Minuten reichen eigentlich nicht aus, um über die vielen gravierenden Probleme an unseren Schulen zu sprechen.

Daher war die Überschrift der Pressemitteilung des Kultusministers zum Schuljahresbeginn schon sehr erstaunlich. Ich darf zitieren: „Hessen startet mit Qualität und Innovation in das neue Schuljahr“. Nach meinem Empfinden startet Hessen eher mit großen Bauchschmerzen und ziemlicher Planlosigkeit ins neue Schuljahr.

Auch heute hat sich der Kultusminister um ähnlich wohlklingende Worte bemüht. „Hessens Schulen zukunftsfähig gestalten – Qualität und Innovation als Leitmotiv unserer bildungspolitischen Verantwortung“ lautete der Titel seiner Regierungserklärung. Das sind mächtige Worte, ganz toll.

Aber ein Blick auf die schulische Realität in Hessen reicht aus, um den Popanz, den sich der Minister in der Öffentlichkeit aufbaut, zu entlarven. Dass Schulen bisher im Großen und Ganzen gut durch die Pandemie gekommen sind, liegt nicht an der Politik der Landesregierung, sondern daran, dass sich Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern über alle Maßen engagiert haben, obwohl auf der Landesseite oft ein ziemliches Chaos herrschte und Verantwortung von unten nach oben abgeschoben wurde. Das Selbstlob ist an dieser Stelle völlig unangebracht.

(Beifall DIE LINKE)

Gerade für Innovation, die Sie sich so gerne auf die Fahnen schreiben, ist Ihre Schulpolitik nicht wirklich bekannt. In der aktuellen Schülerinnen- und Schülerbefragung der Landesschülervertretung, bei der nahezu 10.000 junge Menschen befragt wurden, gaben 94 % aller Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an, dass Frontalunterricht dort noch immer die gängigste Unterrichtsform ist – wow. Das ist ungefähr so innovativ wie Ihr „Praxisleitfaden Medienkompetenz“. Darin sind nämlich Unterrichtskonzepte der Landesregierung zur digitaler Bildung zu finden. Weil das so innovativ ist, will ich dazu etwas vorstellen.

(Die Rednerin hält ein Dokument hoch.)

Herr Präsident, ich habe hier etwas aus diesem Praxisleitfaden ausgedruckt. Ich darf das kurz vorstellen. Das ist ein Unterrichtsbeispiel für das Gymnasium, Fach Kunst, Jahrgänge 5 bzw. 6. „Benötigte Materialien: Farbkasten, Pinsel, Zeichenblock, Klebstoff, Schere“. Und dann kommt es: „Digitalkamera, Übertragungskabel und/oder SD-Kartenleser für die Verbindung mit dem PC, Drucker“. Da geht es jetzt darum: Man muss etwas malen. Dann soll man mit der Digitalkamera – ich weiß nicht, ob es die noch gibt – ein Bild machen. Die Digitalkamera muss man dann mit dem Drucker verbinden, und dann muss man das Bild ausdrucken und auf das gemalte Bild aufkleben. Meine Damen und Herren, dieses Unterrichtsbeispiel ist symbolisch für die Digitalisierungskompetenz dieser Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE, Freie Demokraten und vereinzelt SPD)

Das Internet ausdrucken: Ungefähr so funktioniert die Digitalisierung hier im Land.

Übrigens haben die erwähnten 94 % aus der Schülerinnen- und Schülerbefragung auch angegeben, dass sie das derzeitige Notensystem für subjektiv bzw. für ungenau halten. Da fragt man sich doch, warum sich ein konservativer Kultusminister gerade Innovationen auf die Fahnen schreibt. Vielleicht meint er damit die Meldung aus dem Ministerium vom 14. September – also vom Mittwoch letzter Woche –, in der sich der Kultusminister per Pressemitteilung dafür lobte, dass sich wieder drei – ja, ganze drei – Schulen auf den Weg zur pädagogischen Selbstständigkeit gemacht haben.

(Moritz Promny (Freie Demokraten): Hört, hört!)

Nun gibt es also in ganz Hessen 22 – von ungefähr 2.000 – pädagogisch selbstständige Schulen. Einzelne Schulen dürfen jetzt etwas freiere Wege gehen, z. B. Ziffernnoten oder Hausaufgaben abschaffen. Im Koalitionsvertrag steht immerhin, dass jährlich bis zu 30 Schulen zu pädagogisch selbstständigen Schulen werden sollen. Bis jetzt – also ungefähr ein Jahr vor der Landtagswahl – sind es insgesamt nur 22 pädagogisch selbstständige Schulen. Hier von „Innovation“ und „Erfolgsmodell“ zu sprechen: Da muss man wirklich wieder im lorzschen Paralleluniversum angekommen sein.

(Beifall DIE LINKE, Freie Demokraten und vereinzelt SPD)

Nicht einmal so kleinteilige Schritte auf der Ebene der einzelnen Schulen sind mit dieser schwarz-grünen Landesregierung zu machen. Da fragt man sich schon, wie sie die enormen Herausforderungen für unser Bildungssystem und die Schulen eigentlich stemmen will. Die schlechte Nachricht ist: Die Landesregierung will es nicht einmal versuchen. Stattdessen gibt es immer wieder Ankündigungen, nette Imageclips, wohlklingende Worte und einen festen Händedruck beim Ministerbesuch an den Schulen.

Ein Lieblingsbeispiel für die tolle Fassadenpolitik des Kultusministers ist für mich die feierliche Überreichung von Dienstlaptops für hessische Lehrkräfte, z. B. in Marburg, in Wiesbaden oder in Kelsterbach. Man muss sich ja feiern, wenn man es schafft, im Jahr 2021 seinen eigenen Lehrkräften,einmal ein Dienstgerät zur Verfügung zu stellen.

Aber abgesehen davon wäre die Hessische Landesregierung nicht die Hessische Landesregierung, wenn selbst dabei nicht einiges schieflaufen würde. Denn erst ein Jahr nach der Auslieferung der Geräte für Lehrkräfte wurde eine Richtlinie zur Nutzung der Laptops vorgelegt. Dabei stellt sich jetzt blöderweise heraus, dass personenbezogene Daten – also so unwichtige Informationen wie Noten oder Förderpläne – mit diesen Laptops überhaupt nicht verarbeitet werden dürfen. Da fragt man sich doch: Wozu sind diese Geräte denn überhaupt gut? Ich glaube, das weiß wieder nur Herr Lorz, dem sicherlich auch nicht entgangen ist, dass die zu Beginn des Jahres 2020 eingeführten E-Mail-

Adressen für die Lehrkräfte über diesen Laptop nicht einmal abgerufen werden können – was für ein peinlicher Flop, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Da kann der Digitaltruck, den Sie hier anpreisen, auch dreimal im Jahr vor einer Schule anrollen: Das ändert überhaupt nichts daran, dass digitale Ausstattung und Lernkonzepte nicht vom Truck, sondern von Schulträgern und vom Land an die Schulen gebracht werden müssen. Sich jetzt für einen Truck zu loben und da von „Innovation“ zu sprechen, finde ich ganz schön dünn. Statt „Qualität und Innovation“ würde ich eher sagen: Absurdität und Eskalation. Das ist das, was die Schulpolitik dieser Landesregierung am besten beschreibt.

Wenn sich nicht etwas Grundlegendes an unserer Bildungspolitik ändert, wird sich die Lage an den Schulen weiter zuspitzen. Die Anzahl der Erstklässler sowie die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler sind erneut gestiegen. Allein durch die Zuwanderung aus der Ukraine sind mehr als 12.000 junge Menschen mehr an unseren Schulen. Schon in den letzten Schuljahren – Kollege Degen hat es dargestellt – hat der eklatante Lehrkräftemangel zu Unterrichtsausfall bzw. zu fachfremdem Unterricht geführt.

Tatsache ist, dass sogar die Anzahl der Studienabsolventinnen und -absolventen zurückgegangen ist – also die Zahl derjenigen, die dann wirklich ihr Examen machen –, unter anderem deswegen, weil diese eben schon in ihrem Studium vermehrt an den Schulen eingesetzt werden, um dort die Löcher zu stopfen. Das Examen verschiebt sich dann eben immer weiter nach hinten.

Die Perspektive für viele Lehrkräfte sieht auch immer mehr nach Belastung und noch höherem Arbeitspensum aus, was eben wieder zulasten der Gesundheit gehen wird. Besonders trifft es die Bereiche, in denen es jetzt schon verdammt eng ist und in denen es einen erheblichen Mangel gibt: die Grund- und Förderschulen. Das hat Gründe.

Hessen hat schon jetzt mit 28,5 Pflichtstunden pro Woche die höchste wöchentliche Stundenzahl an den Grundschulen unter allen Bundesländern. Nirgendwo arbeiten Grundschullehrkräfte so viel wie in Hessen und verdienen auch noch unterdurchschnittlich. Die Hälfte der anderen Bundesländer bezahlten Grundschullehrkräfte nach A 13 bzw. E 13, also genauso gut wie ihre Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien. Aber Schwarz-Grün in Hessen verweigert den Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen weiter eine gerechte Besoldung. Das haben Sie jetzt in Ihrem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, noch einmal schwarz auf weiß dargelegt. Ich finde das total ungerecht und angesichts des Lehrkräftemangels einfach hanebüchen. A 13 für alle, das wäre gerecht, auch um die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen zu würdigen und um den Beruf attraktiver zu machen.

(Beifall DIE LINKE und Christoph Degen (SPD))

Die Folgen dieser schlechten Arbeitsbedingungen sind nämlich Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall und völlig überlastete Lehrkräfte. Musik- und Schwimmunterricht sind zu einem besonders raren Gut an den Grundschulen geworden. Das gleichen dann eben auch keine durch „Löwenstark“ geförderten Schwimmgutscheine aus. Andere Fächer werden fachfremd und häufig nicht einmal von qualifiziertem Personal unterrichtet. Trotzdem müssten sich in Hessen immer mehr Lehrkräfte über die Sommerferien hinweg arbeitslos melden, da ihre befristeten Kettenverträge nicht nahtlos ineinander übergehen. Meine Damen und Herren, das ist absurd. Das passt nicht zusammen. Das gehört endlich abgeschafft.

(Beifall DIE LINKE und Moritz Promny (Freie Demokraten))

Angesichts dieser Umstände finde ich es besonders abenteuerlich, dass sich der Kultusminister hierhin stellt und wirklich sagt, die Opposition sei schuld daran, dass wir einen Lehrkräftemangel haben – weil wir über diese Missstände reden. Ich glaube, das ist frech. Das soll auch nur ablenken. Herr Kultusminister, Sie sind hier in der Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Fachkräftemangel im Bildungs- und Erziehungsbereich ist eine der größten Herausforderungen in den nächsten Jahren. So zu tun, als gäbe es kein Problem, finde ich fahrlässig. Das widerspricht allen realen Erfahrungen in unserem Bundesland. Ja, es stimmt, es sind wieder einige Stellenhülsen geschaffen worden. Aber ich muss Sie leider enttäuschen, Herr Minister: Hülsen geben keinen Unterricht. Dafür braucht es eben Menschen. Das ist der Istzustand. Ich finde den schon erschreckend genug. Aber in nicht allzu ferner Zukunft könnte es richtig gruselig werden, wenn wir jetzt nicht gegensteuern – Stichwort: Rechtsanspruch Ganztag.

Um es vorweg zu sagen: Ein betreutes Mittagessen dreimal die Woche mit einer Hausaufgabenbetreuung ist keine Ganztagsschule und auch keine qualitativ ganztägige Betreuung. So sieht aber leider die Realität an vielen hessischen Grundschulen aus. Unzuverlässiges Angebot für einen Teil der Schülerinnen und Schüler, dazu noch Elterngebühren – das wird oft vergessen – für die Betreuung am Nachmittag, teures Mittagessen mit einseitigem Angebot und zweifelhaftem Geschmack sowie unausgebildetes Personal prägen nicht selten das Bild der ganztägig arbeitenden

Grundschulen. Der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung im Grundschulbereich war überfällig – das muss man dazusagen. Jetzt muss er aber auch so umgesetzt werden, dass sich Kinder und Eltern überall in Hessen auf diesen Rechtsanspruch verlassen können. Herr Minister, davon sind wir leider noch meilenweit entfernt.

Bis 2029 fehlen bei einem Betreuungsschlüssel von 1 : 10 etwa 5.000 pädagogische Fachkräfte in Hessen. Es werden rund 50 % mehr Ganztagsschulplätze – etwa 62.000 – vonnöten sein. Das ist konservativ gerechnet, bei gleichbleibendem Elternbedarf.

Neben der Tatsache, dass die Inanspruchnahme von Ganztagsschulplätzen in Hessen in dem letzten Jahr stark gestiegen ist, muss zur Kenntnis genommen werden, dass nur 25 % aller Grundschuleltern keinen Ganztagsbedarf haben.

Wir wissen schon heute, dass nicht jedes Kind einen Ganztagsschulplatz, in welcher Form auch immer, bekommen kann. Oftmals wissen Eltern erst kurz vor den Sommerferien – Herr Degen hat schon ein sehr plastisches Beispiel vorgetragen –, ob ihr Kind einen der begehrten Plätze erhält oder nicht. Selbst wenn man es schaffen würde, bis 2029 so viele neue Plätze zu schaffen, hätte man nur den quantitativen Bedarf gedeckt; von der Qualität, die der Kultusminister heute bemüht hat, kann man dann noch lange nicht sprechen. Qualität spielt bei der Umsetzung des Ganztags in Hessen keine Rolle. Das gehört zur Wahrheit dazu und muss gesagt werden. Echte Ganztagsschulen, die

gebunden und rhythmisiert arbeiten, wo auch Lehrkräfte am Nachmittag unterrichten, sind im Grundschulbereich noch sehr rar gesät. Noch immer sind nur 2 % der hessischen Grundschulen echte Ganztagsschulen.

Der Grund ist relativ einfach: Echte Ganztagsschulen sind teuer, vor allem qualifiziertes Personal. Deswegen setzt Hessen mit dem Pakt für den Nachmittag bzw. Pakt für den Ganztag auf den Schmalspurganztag ohne Qualitätsstandards und ohne Verantwortung des Kultusministers; denn

beim Pakt organisieren hauptsächlich kommunale und außerschulische Träger die Nachmittagsbetreuung, mancherorts mit schönen Konzepten, doch an anderer Stelle ist es kaum mehr als eine Hausaufgabenbetreuung durch Studierende. Das kostet die Eltern ab 15 Uhr auch noch ordentlich Geld. Mit den Kosten für das Mittagessen kommen für Familien monatlich gut 250 € zusammen. Das ist genau das Gegenteil von Qualität, Innovation oder Bildungsgerechtigkeit. Es ist ein Etikettenschwindel auf Kosten der Schülerinnen und Schüler. Es kann nicht sein, dass Qualität von Bildung und Betreuung davon abhängt, in welcher Kommune man wohnt oder wie groß der Geldbeutel der Eltern ist.

(Beifall DIE LINKE)

Gleiches gilt auch für das Thema der Digitalisierung. Ich habe mit Schrecken festgestellt, dass laut Entwurf des neuen Schulgesetzes jetzt festgeschrieben werden soll, dass Tablets für Schülerinnen und Schüler keine Lernmittel sind und auf „Bring your own device“ gesetzt werden soll. Das bedeutet, Kinder und Jugendliche müssen ihre eigenen Geräte von zu Hause mitbringen. Damit entzieht sich die Landesregierung nicht nur der Verantwortung für die Umsetzung der Digitalisierung an den Schulen, sondern zementiert auch noch Bildungsungerechtigkeit und -ungleichheit, weil es natürlich so ist, dass gerade Familien mit vielen Kindern eben nicht das teuerste bzw. ein gutes Gerät anschaffen können, gerade wenn sie vielleicht nicht so wohlhabend sind. Aber Menschen mit hohem Einkommen und hohem Vermögen können tolle Geräte anschaffen, die viel leistungsstärker sind. Von daher sagen wir, das darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Wir sind dafür: Tablets müssen selbstverständlich Lernmittel sein und vom Land bezahlt werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Noch einmal zu den Themen Qualität und Quantität. Gerade in der Corona-Zeit ist der Bedarf an schulpsychologischer Betreuung und Begleitung drastisch gestiegen. Durch die Pandemie ist ein Anstieg von psychischen Auffälligkeiten und Erkrankungen bei Schülerinnen und Schülern durch Fachpersonal diagnostiziert worden. In der schon genannten Schülerbefragung gaben 90 % der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien an, die Schule als psychische Belastung wahrzunehmen. Laut der März-Ausgabe des „Deutschen Ärzteblattes“ hat es in der Corona-Zeit einen dreifachen Anstieg von Suizidversuchen von Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren gegeben, und die Zahlen des Kultusministers in Hessen zeigen für 2022 leider eine steigende Tendenz. Die Anlaufstellen und Therapieplätze sind restlos überlaufen, Wartezeiten von bis zu einem Jahr sind leider keine Seltenheit.

Umso erschreckender ist die Relation einer Schulpsychologin bzw. eines Schulpsychologen zu Schülerinnen und Schülern in Hessen; denn in Hessen kommen auf einen Schulpsychologen 6.300 Schülerinnen und Schüler. Die WHO, also die Weltgesundheitsorganisation, empfiehlt ein Verhältnis von 1 : 2.500. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Sich hier auf die Schultern zu klopfen ist daher einfach unverschämt und entspricht nicht den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler.

(Beifall DIE LINKE)

Vor zwei Wochen hat der Minister im Kulturpolitischen Ausschuss berichtet, dass wöchentlich etwa drei Gespräche pro schulpsychologischer Fachkraft stattfinden. Auch hier ist der Fachkräftemangel eklatant. Wäre dem früher nachgekommen worden, hätten wir nun eine deutlich bessere Betreuungsrelation. Tatsächlich wäre nämlich das, was der Kultusminister in der Ausschusssitzung beinahe lächerlich gemacht hat, wünschenswert, nämlich eine schulpsychologische Fachkraft pro Schule, und zwar fest an der Schule implementiert. Die hohen Wartezeiten und der starke Anstieg an Therapieplatznachfragen zeigen doch, dass Kinder und Jugendliche Hilfe suchen und wollen. Dass Kinder und Jugendliche mit einem sozial oder finanziell schlechtergestellten Hintergrund besonders gefährdet sind, ist hinlänglich bekannt.

Das Aufholprogramm „Löwenstark“, von dem hier viel gesprochen wurde, leistet tatsächlich nur einen minimalen Teil. Die zweite Schülerinnen- und Schülerbefragung der Landesschülervertretung, die letzte Woche vorgestellt wurde, hat übrigens ergeben, dass lediglich 3,56 % der Schülerinnen und Schüler ein „Löwenstark“-Angebot wahrgenommen haben. Über 17 % der Schülerinnen und Schüler haben hingegen privaten Nachhilfeunterricht gehabt, von dem wir alle wissen, wie teuer dieser ist. Dies könnte auch daran liegen, dass über 61 % der Befragten von „Löwenstark“ überhaupt nichts wissen. Dieses Programm ist eine Farce. Es braucht endlich langfristige Investitionen in unsere Schulen statt kleiner Aufholprogramme. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und wird die Probleme nicht lösen.

Zum Schluss noch kurz etwas zur Corona-Pandemie. Diese ist noch nicht vorbei. Ja, wir starten ohne flächendeckende Schulschließungen in das neue Schuljahr. Leider starten wir aber auch ohne einen neuen Stufennotfallplan, wie ihn beispielsweise die Hochschulen in den letzten Wochen erarbeitet haben. Wir wissen nicht, wie sich das Infektionsgeschehen in diesem Herbst verändern und in diesem

Winter aussehen wird. Aber sollten sich neue Varianten des Virus ausbreiten, wäre es nach drei Jahren Pandemie nicht zu viel verlangt, einen Fahrplan zu haben. Es ist nicht einmal so, dass es noch kostenlose Masken gibt, die im Falle einer Zunahme oder Mutation schnell und flächendeckend verteilt werden könnten.

Einen Notfallplan hätten die Schulen gern nicht nur in Bezug auf die Corona-Krise – das wurde vorhin schon angesprochen –, sondern auch in Bezug darauf, was die Energiekrise angeht. Es wäre mehr als verantwortungslos, sich nun auf die kommunale Verantwortung zu berufen, hinter der sich die Verantwortlichen so oft verstecken. Wie stehen Sie denn dazu, wenn einige Schulen aufgrund der Gasknappheit nicht ausreichend heizen können? Gibt es Notfallpläne, gibt es eine finanzielle Unterstützung der Landesregierung? Nur weil Schulen Teil der kritischen Infrastruktur sind, bleiben sie von den Auswirkungen einer Krise nicht unbeirrt. Deswegen erwarten wir, dass die Schulträger zumindest Richtlinien und eine finanzielle Unterstützung des Kultusministeriums erhalten.

(Beifall DIE LINKE)

Nach unten wegdelegieren, Verantwortung abschieben, das können Sie gut, Herr Lorz. Aber Eltern, Schülerinnen, Schüler und Schulträger erwarten jetzt Antworten darauf, wie es mit den Schulen im Herbst und Winter störungsfrei weitergehen kann. Dazu haben Sie leider nichts Substanzielles gesagt. Gerade nach drei Jahren Corona sind Sie es ihnen schuldig, sich hierfür verantwortlich zu fühlen.

Der Pleiten-, Pech- und Pannenminister Lorz ist angesichts seiner sich jeglicher Realität verweigernden Selbstbeweihräucherung nur noch zu einer Persiflage seiner selbst geworden, die bei Lehrkräften, Schülern und Eltern nur noch verzweifelten Zynismus oder Ärger hervorbringt, wenn man mit ihnen über diesen Minister spricht. Angesichts solcher Zustände, die an unseren Schulen herrschen, zum einen und solcher Regierungserklärungen zum anderen muss man sich nicht über Frust, Ärger oder Politikerverdrossenheit wundern. Ich finde, es verhält sich frei nach Herbert Grönemeyer: „Zeit, dass sich was dreht“. Nur weil die Richtung stimmt, ist der Marathon noch lange nicht gewonnen; denn am Ende muss man sich auch von der Stelle bewegen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)