Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Schwarzgrüne Schulpolitik weiterhin ein Totalausfall

Elisabeth KulaBildung

In seiner 116. Plenarsitzung am 12. Oktober 2022 diskutierte der Hessische Landtag den Antrag der SPD "Gute Bedingungen für Schulen – gute Bildung für alle". Dazu die Rede von Elisabeth Kula, Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin.

Frau Präsidentin! Eines hat die Debatte auf jeden Fall gezeigt: Das Einzige, was die AfD in Sachen Schulpolitik zu bieten hat, ist: Ausländer raus.

(Heiko Scholz (AfD): Bitte?)

Wir finden, das ist eher etwas für Ihre blau-braunen Brüder im Geiste von der NPD, aber nicht für dieses Parlament.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf AfD: Zuhören hilft!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall, Krankheitshöchststände, Hilferufe aus den Schulen, abgehängte Kinder nach den Corona-Einschränkungen und eigentlich auch kein Plan, wie der Ganztagsanspruch für die Grundschulen ab 2026 umgesetzt werden soll. Eine Krise jagt die nächste. Man könnte meinen: Jetzt hat die Landesregierung endlich einmal richtig Kohle investiert für die Lehrkräftegewinnung, 779.000 €, um jungen Menschen den Beruf schmackhaft zu machen. Ich muss Sie aber leider enttäuschen. Mit diesen 779.000 € wurden nicht Pflichtstunden reduziert oder eine Qualifizierungsoffensive für Quereinsteiger umgesetzt oder die Besoldung von Grundschullehrkräften auf das Niveau der anderen Bundesländer angehoben. Nein, mit 779.000 € wurden Videoclips produziert. Fünf Kurzfilme – jeweils unter einer Minute – aus dem Schulalltag wurden an der Rudolf-Koch-Schule in Offenbach gedreht. Ein supermodern ausgestattetes Gymnasium.

Der Inhalt dieser Clips ist so grotesk realitätsfern, dass sie fast ein Satirebeitrag in der „heute-show“ oder im „Neo Magazin“ sein könnten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Nehmen wir einmal den Clip unter dem Titel „Kiosk“. Dort wird die Schulmensa als Sternerestaurant dargestellt. In der Realität gibt es oftmals gar keine Mensa oder nur überteuerte und in der Qualität fragwürdige Massenverpflegung.

Nehmen wir z. B. den Clip „Smartboard“, in welchem Jugendliche mit einem funktionierenden Smartboard und modernen Tablets Gleichungen lösen und anschließend vor Glück dem Lehrer applaudieren. Wie absurd müssen eigentlich diese gestellten Szenen den jungen Menschen vorkommen, für die sie gemacht wurden, weil sie ein Lehramtsstudium beginnen sollen? Sie sind aber doch gerade in den Schulen und sehen die Realität vor Ort, die komplett das Gegenteil ist. Ich finde das eher peinlich.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Herr Minister, es ist nicht Ihre Aufgabe, die Bedingungen an den hessischen Schulen zu schönen, um den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Arbeitsbedingungen an den Schulen zu verbessern, damit das Lehramt wieder attraktiver werden kann.

Wenn auf Instagram die Hälfte aller Follower der Kampagne „Lehrerin und Lehrer in Hessen werden“ aus CDUOrtsverbänden und -Landtagsabgeordneten besteht, dann weiß jeder endgültig, dass diese 779.000 € an Steuergeld „hervorragend“ versenkt worden sind.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Lehrerberuf ist bei Jugendlichen in Deutschland immer noch einer der beliebtesten Berufe. Trotzdem fehlen uns Lehrkräfte, vor allem im Bereich der Grund- und Förderschulen; aber auch an weiterführenden Schulen kommt der Mangel immer deutlicher an. Jetzt sind ungefähr 15.000 ukrainische Kinder und Jugendliche zusätzlich an unseren Schulen, der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026 ist beschlossen, und diese Landesregierung tut so, als gebe es überhaupt kein Problem. Das haben wir ja gerade vom Kollegen May gehört. Allen Mahnungen von Eltern, Schülerinnen und Schülern zum Trotz bleibt ein Umdenken bei der Landesregierung aus.

Dabei liegen die Vorschläge zur Entlastung der Lehrkräfte doch auf dem Tisch. Herr May, vielleicht sollten Sie einmal zuhören, wenn jemand von der Opposition redet. Nirgendwo arbeiten Grundschullehrkräfte mehr als in Hessen. Mit 28,5 Pflichtstunden ist Hessen trauriger Spitzenreiter. So habe ich das Motto der Landesregierung „Hessen vorn“ eigentlich nicht verstanden.

Als „Dank“ verdienen die hessischen Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen auch noch weniger als die in den meisten anderen Bundesländern. Über ein ganzes Berufsleben hinweg summiert sich die Differenz erheblich: auf 140.000 € gegenüber dem bundesweiten Durchschnitt. Mehr schuften, weniger verdienen – da braucht man sich wirklich nicht über einen Mangel an Grundschullehrkräften zu beschweren, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.

Die Zahl der Pflichtstunden muss endlich gesenkt werden, und eine Besoldung nach A 13 muss für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer endlich umgesetzt werden. Ich glaube, die Landesregierung hätte da viele Möglichkeiten, aber Sie tun an dieser Stelle einfach nichts.

An den Grundschulen droht sich der Mangel angesichts des Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung noch mehr zu verschärfen. Ab 2026 wird sich der Bedarf an Lehrkräften, aber auch an anderem pädagogischen Personal, drastisch erhöhen. Dr. Melanie Böwing-Schmalenbrock von der Arbeitsstelle „Kinder- und Jugendhilfestatistik“ der TU Dortmund hat in der letzten Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses die quantitativen Bedarfe eindrücklich dargelegt. Bis 2029 braucht es über 50 % mehr Betreuungsplätze im Ganztag an hessischen Grundschulen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass viele der aktuell existierenden Ganztagsplätze überhaupt nicht rechtsansprucherfüllend sind. Bei einem Betreuungsschlüssel von 1 : 10 braucht man, konservativ gerechnet, 5.000 zusätzliche Fachkräfte. Wo sollen die herkommen? Wo sind die Konzepte der Landesregierung? Wie wird sichergestellt, dass nicht die Kitas, die jetzt schon unter Fachkräftemangel leiden, darunter zusätzlich leiden müssen? Die Landesregierung hat überhaupt keinen Plan, wie sie diesen Rechtsanspruch umsetzen soll, und streut den Hessinnen und Hessen Sand in die Augen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Hessen den Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung an den Grundschulen nicht komplett an die Wand fahren will, dann braucht es jetzt eine Fachkräftegewinnung und eine Verständigung mit der Praxis vor Ort über Qualitätsstandards, sodass auch Inklusion und andere wichtige Aufgaben in der Ganztagsbetreuung nicht komplett hinten runterfallen.

Aber nicht nur an den Grundschulen gibt es Überlastung. Die Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie der GEW Hessen hat 2020 Erschreckendes zutage gefördert: 21 % der Vollzeitlehrkräfte arbeiten mehr als 48 Stunden, 89 % der Lehrkräfte sind durch Zeitdruck hoch belastet und müssen Abstriche bei der Qualität ihres Unterrichts machen. Zwei von drei Lehrkräften berichten, dass der Arbeitsdruck im letzten Jahr – also im Jahre 2019 – deutlich zugenommen hat. Eine große Rolle spielt dabei die Vielzahl außerunterrichtlicher Verpflichtungen. Viele Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich erschöpft und ausgebrannt.

Besorgniserregend ist auch, dass die Lehrkräfte bei krankheitsbedingten Fehltagen zwar unter dem Durchschnitt aller Branchen liegen, zugleich aber überdurchschnittlich häufig krank zur Arbeit gehen. Das darf man doch nicht einfach ignorieren, Herr Minister, wie Sie es in den vergangenen Jahren getan haben. Sie haben eine Fürsorgepflicht für Ihre Beamtinnen und Beamten. Verbessern Sie endlich die Arbeitsbedingungen an den Schulen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Realität ist aber leider, dass Sie nicht einmal allen Vertretungskräften die Möglichkeit geben, ins Lehramt einzusteigen und verbeamtet zu werden. Sie setzen weiterhin auf Befristungen und kurzzeitige Trostpflaster. Damit wird sich die Lage an den Schulen aber sicher nicht entspannen.

An den Schulen arbeiten nicht nur Lehrkräfte. Immer mehr sozialpädagogische Fachkräfte und Teilhabeassistenten sind Teil des Unterrichts oder der Schulgemeinde. Aber statt echte Multiprofessionalität an den Schulen umzusetzen, gibt es nichts als Stückwerk. Echte Schulsozialarbeit bekommt Konkurrenz durch das Landesprogramm UBUS, weil das Land besser bezahlen kann als die Kommunen vor Ort. Schulpsychologen sind nicht an den Schulen präsent, sondern an den Schulämtern, und Teilhabeassistenten sind unausgebildete Kräfte, die zwar im Unterricht anwesend sind, um beeinträchtigten Kindern zu helfen, aber Teil eines Teams sind sie sicherlich nicht. So sieht aus unserer Sicht Multiprofessionalität genau nicht aus. Statt eines chaotischen Nebeneinanders braucht es endlich ein Gesamtkonzept für multiprofessionelle Teams an unseren Schulen.

(Beifall DIE LINKE)

Insbesondere die Schulpsychologie muss viel näher an die Schülerinnen und Schüler heranrücken. In Hessen kommt ein Schulpsychologe auf 6.300 Schülerinnen und Schüler. Damit erreichen wir nicht einmal das selbst gesteckte Ziel der Kultusministerkonferenz von 1970. Ich finde das peinlich. Damals hat man als Ziel einen Versorgungsgrad von 1 : 5.000 beschlossen. Aus fachlicher Sicht wird ein Versorgungsgrad von 1 : 1.000 für erforderlich gehalten. Gerade angesichts der Corona-Krise wäre es doch dringend notwendig gewesen, die Zahl der Stellen deutlich aufzustocken und die Schulpsychologie an die Schulen zu bringen.

(Heiko Scholz (AfD): Warum lehnt ihr dann unsere Anträge ab?)

Stattdessen gibt es eine Handvoll befristete Stellen. Das wird der Zunahme an schwersten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht gerecht.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zurufe AfD)

Nicht nur die Arbeit selbst ist für die an Schulen Beschäftigten eine enorme Belastung, sondern es sind leider auch immer mehr die Umstände: bröckelnde und zu enge Schulgebäude, fehlende oder nicht durchdachte Digitalisierung und kein Rückzugsraum oder Büro, in dem man etwas korrigieren oder vorbereiten kann. Ein attraktiver Beruf wird der Lehrerberuf erst wieder dann sein, wenn sich die Arbeitsbedingungen drastisch verändern, wenn man einen angenehmen und gut ausgestatteten Arbeitsplatz vorfindet und man Respekt und Anerkennung für seine wichtige Arbeit bekommt. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Lehrerberuf, sondern für alle Berufe im Bildungs- und Sozialbereich.

Herbert Grönemeyer würde jetzt sagen: „Zeit, dass sich was dreht“. Dieser Kultusminister und diese Landesregierung sind nicht willens, unsere Schulen fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft.

Herr May, es stimmt nicht, dass die Opposition keine Vorschläge macht. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Titel „Reparierte Schule“ trägt. Wir machen mit diesem Gesetzentwurf Vorschläge, wie die Landesregierung endlich aktiv werden und aus ihrem Tiefschlaf erwachen kann, um die Schulen in einen besseren baulichen Zustand zu versetzen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)