Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula zum Forschungs- und Gesundheitsstandort Hessen

Elisabeth KulaWissenschaft

In seiner 131. Plenarsitzung am 22. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Forschungs- und Gesundheitsstandort Hessen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich weiß nicht genau, wer von Ihnen sich die diesjährige Oscar-Verleihung angeschaut hat. Der Antrag, den CDU und GRÜNE hier vorgelegt haben, der Setzpunkt der CDU, hätte bei diesen Oscar-Verleihungen wirklich abgeräumt. Der Oscar für den besten Film ging nämlich an „Everything Everywhere All at Once“, übersetzt: alles überall auf einmal. Angesichts dessen, wie viel in diesem Antrag willkürlich zusammengewürfelt wurde, könnte das auch die Überschrift Ihres Setzpunkts sein.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Nicht alles, was im Kino Erfolge feiert, ist auch politisch sinnvoll. Sie scheinen wieder einmal auf der Suche nach einem Erfolgsthema für die Landesregierung zu sein, aber die Erfolgsthemen sind leider dünn gesät. Grottiges Klimaschutzgesetz, verfassungsfeindliches Versammlungsgesetz, unverschämtes Integrationsgesetz und Skandale aus dem Innenministerium: Es bleibt nicht mehr viel Substanzielles übrig, was man vorweisen kann. Deswegen mischt man hier einen Cocktail aus Exzellenzförderung, Fusionsforschung, Geisteswissenschaften, Teilchenbeschleuniger, künstlicher Intelligenz, Onkologiezentrum, Pharmastandort und Green Technology beliebig zusammen. Das ist Namedropping auf höchstem Niveau: Es klingt alles toll, modern und wichtig. Mir persönlich fehlen da noch der Hessenpark, die Forschung über die Verstädterung der Waschbären in Nordhessen oder die Rheingauer Weinkönigin.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Mir kommt es so vor, als ob Ihr Antrag und diese Rede von ChatGPT geschrieben worden wären; denn so viele Allgemeinplätze kann sich ein Mensch doch gar nicht überlegen.

(Holger Bellino (CDU): Nur rückwärtsgewandt! Herzlich willkommen im Hessenpark! Ich mache die Führung!)

Aber im Ernst: Was wollen Sie uns eigentlich mit diesem Antrag sagen? Dass man nirgendwo in Deutschland mit Gesundheit so gute Profite machen kann wie in Hessen? Dass es in Darmstadt KI-Start-ups gibt? Dass Hochschulen wichtig für Fortschritte und gesellschaftliche Entwicklung sind oder dass Schwarz-Grün jetzt auf die völlig sachfremde FDP-Dauerschleife der Technologieoffenheit bei der Energie- und Verkehrswende aufgesprungen ist?

Viele Sachen, die hier aufgeschrieben sind, sind nicht unbedingt schlecht. Aber eine Idee, welche Forschungsvorhaben man wie fördern möchte, oder gar eine Forschungsstrategie der Landesregierung ist dieses Sammelsurium sicherlich nicht. Oder will man sich mit wohlklingenden Projekten schmücken, um nicht über die Probleme an unseren Hochschulen sprechen zu müssen?

Das bietet sich aber gut an, da aktuell Beschäftigte an den Hochschulen gemeinsam mit Professorinnen und Professoren sowie Studierenden öffentlich Sturm laufen wegen prekärer Arbeitsbedingungen an den Hochschulen und eines Eckpunktepapiers aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, durch das sich diese Situation leider weiter verschlimmern wird. Über 80 % des wissenschaftlichen Personals in Hessen arbeitet befristet, und zwar dauerhaft. Das hat sich durch unverbindliche Verpflichtungserklärungen wie den sicherlich gut gemeinten Kodex für gute Arbeit auch nicht geändert.

In den Zielvereinbarungen mit den Hochschulen waren die Absprachen in Bezug auf die Entfristungen deutlich zu gering dimensioniert. Ein Beispiel: Die Uni Marburg muss laut den aktuellen Zielvereinbarungen bis 2025 keine einzige wissenschaftliche Stelle entfristen. An anderen Unis sind es zwar nicht null, sondern immerhin ein paar Stellen, aber selbst da steht die Stellenentfristung aufgrund der Inflation aktuell oft unter Finanzierungsvorbehalt.

Jetzt kommen die Planungen der Ampel obendrauf, wonach Postdocs für drei Jahre befristet beschäftigt werden können. Aktuell sind es sechs Jahre. Bei dem Mangel an Dauerstellen bedeutet das quasi ein Berufsverbot für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das wäre, um es einmal so zu sagen, eine Katastrophe.

(Beifall DIE LINKE)

Die Prekarisierung der Wissenschaft geht weiter. Dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn sich viele Kolleginnen und Kollegen und Nachwuchswissenschaftler im Ausland nach Jobs umsehen, weil dort die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft einfach besser sind. Da helfen Ihnen auch kein Exzellenzcluster und tolle Wortschöpfungen, sondern es braucht schlichtweg bessere Bedingungen und eine auskömmliche Grundfinanzierung an unseren Hochschulen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir bleiben dabei: Für Dauerstellen an den Hochschulen braucht es auch Daueraufgaben. Die Verantwortlichen in Bund und Land dürfen sich hier nicht länger die Verantwortung zuschieben. Dieses Trauerspiel auf dem Rücken der Beschäftigten muss endlich ein Ende haben. Wenn man sich einige Leuchtturmprojekte anschaut, die Sie in Ihrem Antrag erwähnt haben, fragt man sich schon, welchen Anteil die Landesregierung an diesen tollen Projekten überhaupt hat.

Ein Beispiel: Das KI-Innovationslabor in Darmstadt, zu dessen Eröffnung am Montag zwei Ministerinnen und ein Minister gereist sind, hat das Land mit 10 Millionen € bezuschusst. Die EU hat ebenfalls 5,5 Millionen € dazugegeben. Drei Minister reisen für 10 Millionen € Unterstützung dort an: Für mich klingt das nicht nach einem wirklichen Schwerpunkt, sondern einmal wieder nach viel PR anstatt nach etwas Substanziellem.

Besonders schön finde ich in Ihrem Antrag den Begriff der nachhaltigen Chemie- und Pharmaindustrie. Mensch, einen schöneren Euphemismus hätte ich mir nicht ausdenken können. Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist mit einem Anteil von 15 % am Gesamtverbrauch der größte Gasverbraucher in Deutschland. Da würden mich schon einmal die Strategien dieser Landesregierung interessieren, wie man diese Industrie wirklich nachhaltiger machen will. Aber auch dazu steht nichts in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren.

Spannend ist Ihr Fokus in der Forschungspolitik: welche Bereiche Sie hier aufzählen und welche nicht. Das sind alles spannende und meist wichtige Forschungsfelder, keine Frage. Aber die Forschung, auch die Spitzenforschung, findet in Hessen noch in anderen, außeruniversitären Bereichen statt. Als ein Beispiel will ich das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel nennen.

Aber, Frau Claus, es hat sich in Ihrem Antrag und leider auch in Ihrer Rede hier gezeigt, dass Sie ein sehr verengtes Bild von Spitzenforschung haben, das an Wettbewerbsund Marktlogiken anknüpft. Wir brauchen aber auch Forschung, die unsere gesellschaftlichen Herausforderungen in den Blick nimmt und nicht eingehegt ist in bestimmte wirtschaftliche Anwendungsbereiche. Wissenschaftspolitik ist mehr als Wirtschaftspolitik, und Wissenschaftseinrichtungen sind keine Industrieforschungseinrichtungen. Frau Claus, ich glaube, das muss man Ihnen immer wieder ins Stammbuch schreiben.

(Zurufe CDU)

Man kann auch einmal andere Leuchtturmprojekte mit Hessenbezug ins Auge fassen, die wichtige gesellschaftliche Themenbereiche bearbeiten. Ich mache Ihnen ein paar Vorschläge: Um dem eklatanten Musiklehrermangel zu begegnen, könnte man ein Hans-Zimmer-Stipendium für herausragende Musikpädagogik schaffen, den Gudrun-Pausewang-Preis für historische Forschung zur Antiatombewegung verleihen – da bahnt sich ja ein gesellschaftliches Rollback an – oder ein Wolfgang-Abendroth-Stipendium für kritische Politikwissenschaften in einer Zeit der Polarisierung und des Erstarkens rechtsnationaler Kräfte vergeben.

(Beifall DIE LINKE)

Leider ist aber der Zustand an geisteswissenschaftlichen Fakultäten besonders prekär. Durch die Inflation werden Stellen nicht nachbesetzt, und den Fachbereichen drohen Einsparungen.

Als LINKE wollen wir keine marktkonforme Hochschule, sondern gute Forschungs-, Lehr- und Arbeitsbedingungen sowie Spitzenforschung da, wo es gesellschaftlich dringend nötig ist. Sie hingegen haben mit Ihrem Antrag nicht nur ein unnötiges Sammelsurium an Forschungsvorhaben und Institutionen vorgelegt, sondern auch ein sehr einseitiges Verständnis von Forschungspolitik bewiesen.

(Beifall DIE LINKE)