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Rede

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung jugendhilferechtlicher Vorschriften

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberMigration und Integration

Rede von Gabi Faulhaber am 30.August 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Da es um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geht, muss man erst einmal konzertieren, dass diese zu der verletzlichsten Gruppe innerhalb der Schutzsuchenden gehören. Sie haben in der Regel eine aufreibende  und mehrmonatige Flucht hinter sich. Auf dem Weg nach Deutschland sind sie oft von schlimmen  Erlebnissen geprägt worden. Sie haben Gewalt erlebt; sie haben Menschen sterben sehen, und sie selbst  haben manchmal nur knapp überlebt. Diese oftmals traumatisierten und hoch belasteten Jugendlichen brauchen einen sicheren Ort, an dem sie zur Ruhe kommen und eine neue Perspektive für sich entwickeln können. Das Kindeswohl muss daher zentrales Motiv der anstehenden Gesetzesnovelle sein.

Meine Damen und Herren, das neue Verfahren zur Verteilung minderjähriger Flüchtlinge im Bundesgebiet,  das seit Ende 2015 im SGB VIII in Kraft ist, hat viel Kritik seitens der Fachverbände erfahren. In Anwendung  ist nun ein Verteilungsmodus, der sich weitgehend am Königssteiner Schlüssel orientiert, also an dem Verfahren, mit dem erwachsene Asylsuchende auf die Bundesländer verteilt werden. Hiervon gibt es einige  Ausnahmen. So soll eine Verteilung etwa dann unterbleiben, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls zu  befürchten ist. Diese Ausnahmeregelung ist meiner Ansicht nach nicht ausreichend, denn eine  Kindeswohlgefährdung beschreibt eine Extremsituation. Ich finde, eine Weiterverteilung der betroffenen  Minderjährigen sollte nicht erst dann ausgeschlossen sein, wenn eine akute Gefahr für das Kindeswohl  droht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sollte vielmehr ausschließlich darauf ankommen, was dem Kindeswohl im positiven Sinne dient – das gilt für den Verbleib am Ort oder die Weiterverteilung. In dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden Öffnungsklauseln des SGB VIII genutzt, um das Verfahren der landesinternen Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu regeln. Auch in diesem Gesetzentwurf wird meiner Ansicht nach, wie auch im bundesweiten Verteilungsmodus, das Gebot der Priorität des Kindeswohls nicht konsequent berücksichtigt. Das trifft insbesondere auf den von Ihnen vorgeschlagenen § 59 Abs. 1 des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches zu. Dort geht es um die landesinterne Zuweisung an die einzelnen Jugendämter. Bei der Zuweisung sollen vorrangig die Bedürfnisse des Kindes oder Jugendlichen berücksichtigt werden, aus Gründen des Gesundheitsschutzes, aus Gründen, die geschlechtsspezifischer Natur sind, und nach Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen.

Diese Aufzählung ist meines Erachtens nicht ausreichend. Sie gibt nur einige wenige Aspekte wieder, die der Begriff des Kindeswohls umfasst. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Hessen hatte deshalb in ihrer Stellungnahme vorgeschlagen, eine Formulierung zu wählen, wonach vorrangig das Kindeswohl zu  berücksichtigen ist. Aber leider ist die Landesregierung dieser Empfehlung nicht gefolgt. Auch an anderer Stelle macht die Begründung zum Gesetzentwurf stutzig. So soll im neuen § 60 Nr. 2 des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuchs eine Ermächtigung geschaffen werden, um per Rechtsverordnung Regelungen hinsichtlich der vorläufigen Inobhutnahme nach § 88a Abs. 1 SGB VIII zu schaffen. Die vorläufige Inobhutnahme beschreibt die Zeitspanne vom Erstkontakt bis zur Verteilungsentscheidung. Sie kann zur endgültigen Inobhutnahme erstarken, wenn eine Verteilung etwa aus Gründen der Kindeswohlgefährdung unterbleiben muss. Der oder die Minderjährige wird in diesem Fall nicht mehr weiterverteilt.

Die Landesregierung befürchtet nun, dass in Städten mit einer Erstaufnahmeeinrichtung dauerhaft  Kapazitätsprobleme entstehen könnten. Daher soll jetzt per Rechtsverordnung eine andere örtliche Zuständigkeit für die vorläufige Inobhutnahme gewählt werden können, indem zeitlich noch vor der  vorläufigen Inobhutnahme, angesetzt wird. Damit könnte aber die eigentlich bestehende gesetzliche  Regelung aus dem SGB VIII weitgehend ausgehebelt werden. Die besagt ja, dass die vorläufige  Inobhutnahme am Ort des tatsächlichen Erstkontakts entsteht und erst dann, wenn das Kindeswohl  gefährdet ist, daraus eine endgültige Inobhutnahme erstarkt und dass in diesem Fall gerade nicht  weiterverteilt wird. Das, meine Damen und Herren, halte ich doch für zumindest erläuterungswürdig. Es ist  sicherlich nicht der Zweck sogenannter Öffnungsklauseln im SGB VIII, Rechtsverordnungen zu ermöglichen, die die bestehenden gesetzlichen Regelungen im Sozialgesetzbuch umgehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)