Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Heide Scheuch-Paschkewitz - Streuobstwiesenstrategie ist Strategie der Zerstreuung mit Obst

Heidemarie Scheuch-PaschkewitzLandwirtschaft und TierschutzUmwelt- und Klimaschutz

In seiner 110. Plenarsitzung am 13. Juli 2022 diskutierte der Hessische Landtag die sogenannte Streuobstwiesenstrategie. Dazu die Rede unserer landwirtschafts- und umweltpolitischen Sprecherin Heidemarie Scheuch-Paschkewitz.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Schutz der Streuobstwiesen – da kann wohl niemand dagegen sein. Lokal für den Naturschutz und als Naherholungsflächen sowie für die lokale Apfelweinproduktion sind sie essenziell. Mit Kindheitserinnerungen verbunden, erfreuen die Streuobstwiesen die Herzen vieler Hessinnen und Hessen sowie die traditionsbewussten Fans des Stöffschens. Für den Arten- und Biotopschutz sowie für den Klimaschutz sind sie aber annähernd bedeutungslos, wenn man den Pestizideinsatz auf dem zehnmal so großen Acker direkt neben der Streuobstwiese nicht in den Griff bekommt.

(Beifall DIE LINKE)

Auch gilt das für 50.000 € Lottomittel für bienenfreundliche Projekte, die Überreichung des Bundesverdienstkreuzes an Günther Hagemeister sowie den Tierschutzpreis und den Verdienstorden am Bande für Marianne Knöss. Das alles sind Pressemeldungen aus dem Umweltministerium der letzten Wochen. Das ist alles verdient, das ist auch alles richtig. Streuobstwiesen, Blühstreifen und Orden kommen bei der interessierten Öffentlichkeit so gut an wie Tierbilder auf Facebook, nur, dass sie keinen Beitrag zur Lösung der unmittelbar anstehenden Probleme leisten. Die heißen: Klimawandel, Klimaanpassung – z. B. der Wasserversorgung der Landwirtschaft und unserer Städte –, Wasserknappheit, Ernährungssicherheit, Artensterben, und zwar flächenhaft, Flussversalzung, Flächenverbrauch, Abbau guter Böden, Waldsterben 3.0 usw., usw.

Es kann eine Strategie sein, die Menschen nicht ständig mit den schweren und grundlegenden Problemen unserer Zivilisation zu konfrontieren und eine mediale Wohlfühlumweltpolitik zu betreiben:

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Wohlfühlumweltpolitik!) die hessische Streuobstwiesenstrategie sozusagen als Strategie der Zerstreuung mit Obst. Das kann man machen, wenn man für die größeren Probleme Lösungswege hat.

(Beifall DIE LINKE – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie lange haben Sie daran gesessen?)

– Sehr lange. – Das kann man machen, wenn man für die größeren Probleme Lösungswege hat, diese politisch sowie administrativ umsetzt. Das hat die Landesregierung aber nicht. Die Zahlen, Statistiken und Indikatoren lassen keine Erfolge der Landesregierung erkennen. Der Ausstoß der Treibhausgase ist in Hessen viel zu hoch. Der integrierte Klimaschutzplan 2025 ist eine nahezu folgenlose Ansammlung von über 200 Einzelmaßnahmen. Die Umsetzung der Hessischen Biodiversitätsstrategie ist gescheitert. Darüber können auch einzelne Erfolgsmeldungen nicht hinwegtäuschen. Da kann die Frau Ministerin noch so viele Feldhamster ganz persönlich auswildern. Das Sterben von Arten und die Vernichtung von Lebensräumen gehen großflächig weiter.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Landesregierung bekommt den Verlust von Flächen des Offenlandes, Wiesen, Äckern und Weiden nicht gestoppt. Das Nachhaltigkeitsziel, die Flächenneuinanspruchnahme bis 2020 auf 2,5 ha täglich zu reduzieren, hat sie aufgegeben – ob Gewässerschutz, die Erreichung guter ökologischer Zustände unserer Flüsse, die Versalzung der Werra, die Nitratbelastung des Grundwassers, die vierte Reinigungsstufe der Klärwerke und, und, und. Da wundert es nicht, dass die Fraktion der GRÜNEN Streuobstwiesen und nicht den Fortschritt der hessischen Klimapolitik, den Stand der Arbeiten am neuen Klimaschutzplan oder an dem auf Druck von LINKEN und SPD angekündigten Klimaschutzgesetz zum Thema machen. Wer weiterhin Autobahnneu- und -ausbauten durchsetzt, Blühstreifen anlegt und Hamster freisetzt, die eigene Biodiversitätsstrategie und Agrarwende nicht umsetzt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn Menschen aus Protest gegen diese miserable Umwelt- und Klimapolitik Bäume besetzen, sich von Brücken abseilen oder auf Straßen festkleben. So was kommt von so was.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe jetzt lange genug deutlich gemacht, wie bescheiden ich die Themensetzung der GRÜNEN finde. Lassen Sie uns über Streuobstwiesen sprechen.

Definitionsgemäß gehören auch Streuobstwiesen mit alten Hochstammsorten zu den Agroforstsystemen. Anders aber als die Agroforstsysteme, die wir als Hoffnungsträger für eine Form der klimastabilen Landwirtschaft fördern wollen, werden die traditionellen Streuobstwiesen mit Hochstammsorten eher Opfer des Klimawandels sein. Den Obstbäumen wird es durch den Klimawandel viel zu warm. Sie haben große Probleme, lange Trockenperioden im Sommer zu überstehen, und neigen so wie die Buche zum Sonnenbrand. Vor allem Apfelbäume erkranken am Schwarzen Rindenbrand und werden vom Borkenkäfer befallen. Weil die Obstbäume durch die milden Winter früher blühen, fallen die Blüten immer häufiger Spätfrösten zum Opfer: keine Äpfel, kein Äppler.

Liebe Freundinnen und Freunde des Apfelweins, wenn ihr bis jetzt keinen Grund gesehen habt, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur unter 2 Grad zu halten, dann habt ihr jetzt einen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE – Elisabeth Kula (DIE LINKE): Keine Äpfel, kein Apfelwein! So einfach ist das!)