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Rede

Heide Scheuch-Paschkewitz - Wilke-Wurst-Skandal: Verbraucherschutzministerin hat nichts dazu gelernt

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz
Heidemarie Scheuch-PaschkewitzDaten- und Verbraucherschutz

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der hessische Landtag über die Folgen aus dem Wilke-Wurst-Skandal. Dazu die rede unserer landwirtschaftspolitischen Sprecherin Heidemarie Scheuch-Paschkewitz.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer!

Die Folge des mehrfachen Behördenversagens bei der Lebensmittelüberwachung im Fall Wilke waren drei Tote und 37 erkrankte Personen, überwiegend aus Einrichtungen der Altenhilfe und aus Krankenhäusern.

Mit dem Blick in die Wurstkammern der Firma Wilke haben sich Abgründe aufgetan, die in dieser Weise niemand von uns für möglich gehalten hätte. Um solche schlimmen kriminellen Verstöße gegen die Hygienebestimmungen zu verhindern oder festzustellen, braucht es viele und vor allem unangemeldete Kontrollen.

Weil es zu wenig Personal gibt, hat das in Hessen nicht geklappt; das haben wir im letzten Jahr herausgearbeitet. Nach den Auskünften der hessischen Umweltministerin kamen 2018 mehr als 450 zu kontrollierende Betriebe auf einen Veterinär. Im Landkreis Waldeck-Frankenberg, in dem Wilke produzierte, kamen 2018 gerade mal 3,15 Kontrolleure auf knapp 3.000 Betriebe. Das überfordert das Personal, und die geforderte Kontrolldichte konnte nicht erfüllt werden – ein Problem, das sich mit der Neuregelung der Lebensmittelüberwachung sogar verschärfen wird.

Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner verspricht mit ihrer Reform die Erhöhung der Kontrolldichte bei Risikobetrieben durch die Reduzierung der Regelkontrollen. Schon lange, bevor die Reform der Lebensmittelüberwachung aus dem Hause Klöckner in den Bundesrat kam, war klar, dass trotz der Fokussierung auf Risikobetriebe und auf mehr anlassbezogene Kontrollen die Gesamtzahl der Kontrollen um ca. 30 % sinken würde.

In den fünf höchsten Risikokategorien beträgt die zukünftig vorgesehene Mindestanzahl der Kontrollen nur noch ein Viertel der ursprünglich geltenden Vorgabe. Das sind z. B. in der Betriebskategorie II etwa zwölf statt bisher 52 Kontrollen im Jahr. Dass die Anzahl der anlassbezogenen Kontrollen erhöht werden soll, kann nicht beruhigen, ist die Frage doch: Wie, wenn nicht durch Regelkontrollen, sollen Anlässe festgestellt werden: wenn es vor der Werkshalle stinkt und die Nachbarn nach der Lebensmittelüberwachung rufen, oder wenn Menschen sterben wie im Fall Wilke?

Eine möglichst hohe Zahl an Regelkontrollen ist eine entscheidende Voraussetzung für anlassbezogene Kontrollen. Häufige Kontrollen wirken präventiv, weil eine Firma immer damit rechnen muss, kontrolliert zu werden. Es ist doch völlig klar, dass diese Reform zu weniger und nicht zu mehr Kontrollen führen wird.

(Beifall DIE LINKE, Freie Demokraten und Knut John (SPD))

Auf längere Sicht wird jedes Land nach Kassenlage entscheiden. Mit einer einfachen Frage können wir die Wirkung klären: Werden Sie, Frau Ministerin, die Gesamtzahl der Lebensmittelkontrollen in Hessen freiwillig erhöhen, oder orientieren Sie sich an der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Lebensmittelüberwachung? Das können Sie nachher beantworten.

Wie die letzten Jahre leider gezeigt haben, brauchen wir besonders in der Fleischindustrie eine höhere Kontrolldichte. Die sogenannte Reform passt die Zahl der geforderten Kontrollen an zu geringe Kapazitäten durch zu wenig Personal an. Meine Damen und Herren, das ist der Kern der Reform aus dem Hause Klöckner.

(Beifall DIE LINKE)

BSE, Pferde-Lasagne, Dioxin-Eier, EHEC-Gurken und Listerien-Würste sollten allen Verantwortlichen deutlich gemacht haben, dass wir mehr und nicht weniger Kontrollen in der Lebensmittelproduktion, vor allem bei der Fleischproduktion, brauchen. Mit weniger Personal mehr Risikobetriebe kontrollieren zu wollen, kann nicht funktionieren; das ist grober Unfug

(Beifall DIE LINKE)

und nicht erst nach dem Wilke-Wurst-Skandal völlig verantwortungslos. Der Reformvorschlag an sich war schon eine Unverschämtheit. Es ist der Skandal nach dem Skandal, dass ausgerechnet die hessische Verbraucherschutzministerin nach den Erfahrungen aus dem Wilke-Gammelwurst-Skandal der Verminderung der Anzahl der geforderten Mindestkontrollen zustimmt. Nicht nur, dass Frau Hinz nichts dazugelernt hat und nach dem Wilke-Wurst-Skandal mehrfach die falschen Entscheidungen getroffen hat, sondern mit dieser Zustimmung verhöhnt die hessische Ministerin auch die Opfer des Listerien-Wurst-Desasters. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)