Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Heide Scheuch-Paschkewitz zum Handelsabkommen zwischen EU und Großbritannien

Heidemarie Scheuch-PaschkewitzEuropa

In seiner 75. Plenarsitzung am 20. Mai 2021 diskutierte der Hessische Landtag über das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Dazu die Rede unserer europapolitischen Sprecherin Heide Scheuch-Paschkewitz.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Dass die AfD einen Antrag einreicht, in dem sie das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien bejubelt, überrascht nicht.

(Unruhe)

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Kollegen!

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (DIE LINKE):

Ich fange noch einmal an. – Dass die AfD einen Antrag einreicht, in dem sie das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien bejubelt, überrascht nicht. Die AfD hat den Brexit begrüßt und wünscht sich auch einen Austritt Deutschlands aus der EU, und zwar aus purem völkischen Nationalismus. Bei all der Freude über das Bröckeln der verhassten EU ist die AfD völlig blind geworden für die Folgen des Brexits für die britischen Bürgerinnen und Bürger.

Im Januar, als der Brexit gerade vollzogen war, herrschte Chaos: teils leere Regale in britischen Supermärkten, überteuerte Lebensmittel, satte Nachforderungen für Onlineshopper, kilometerlange Lkw-Staus in Dover. Der Brexit war für die Britinnen und Briten spürbar. Die Exporte Großbritanniens in die EU sind um 40 % zurückgegangen. Es sind vor allem kleine Unternehmen und Unternehmer, die unter dem Brexit leiden. Am schwersten hat es die Fischerei getroffen. Der Export von Krusten- und Schalentieren war zwischenzeitlich so gut wie ganz zum Erliegen gekommen. Besonders besorgniserregend ist das Wiederaufflammen des Nordirlandkonflikts.

In dieser dramatischen Lage ist das Handels- und Kooperationsabkommen das kleinste Übel. Die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch deren Unternehmen verdienen Planungssicherheit wegen ihrer Jobs, wegen der Aufrechterhaltung der Lieferketten, wegen der Kontinuität von Handelsbeziehungen. In dem Abkommen werden nicht nur direkte Handelsfragen geregelt, sondern auch die begleitenden Regeln und Standards. Die Kernforderung der Linken im Europäischen Parlament wurde akzeptiert, nämlich, dass der Frieden in Irland durch ein Vermeiden der Rückkehr zu einer Handelsgrenze quer durch die irische Insel hohe Priorität hat.

Auch an anderer Stelle konnte die europäische Linke Schlimmeres verhindern. So gibt es ein Verbot der Absenkung der Sozialstandards zur Erlangung eines Wettbewerbsvorteils. Auch die unsäglichen intransparenten und privaten Schiedsgerichte sind erst einmal vom Tisch. Das ist gut so.

(Beifall DIE LINKE)

Besser als vor dem Brexit ist es aber weder für Britinnen und Briten noch für andere Europäerinnen und Europäer. Der Brexit hat bisher nur Nachteile mit sich gebracht. Die Versprechen der Rechtspopulisten, denen leider viele Britinnen und Briten auf den Leim gegangen sind, wurden nicht eingelöst. Der angekündigte Handelsdeal mit den USA ist in weite Ferne gerückt. Vergleichbare Deals mit Indien und anderen ehemaligen Kolonialgebieten sind wenig realistisch. Auch beschränkt der Deal glücklicherweise die Möglichkeiten Großbritanniens, von europäischen Standards abzuweichen. So weit ist es also mit der viel beschworenen neuen Souveränität nicht her.

Dass die Rechtspopulisten so etwas hierzulande als einen nachahmenswerten Erfolg verkaufen wollen, ist wirklich nur mit blindem Nationalismus zu erklären. Für alle demokratischen Europäerinnen und Europäer sollte der Brexit ein Weckruf sein.

In Großbritannien haben sich viele Menschen von der EU abgewandt, ebenso in anderen Ländern der EU. Überall in Europa leiden die Menschen darunter, dass sich der Neoliberalismus breitgemacht hat. Überall gibt es Menschen, die sozial abgehängt sind, die nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, die nicht wissen, wie sie von den Einkünften ihrer Arbeit leben sollen. Die mangelnde soziale Sicherheit hat viele Menschen desillusioniert und wütend gemacht.

Die Lehre aus dem Brexit müsste heißen: Schluss mit der Politik der sozialen Kälte,

(Beifall DIE LINKE)

her mit einer gerechten Wohlstandsverteilung, her mit einer ausfinanzierten öffentlichen Gesundheitsversorgung, her mit einer starken öffentlichen Daseinsvorsorge, her mit guten Jobs, guten Löhnen und mit einer sozialen Sicherheit, die diesen Namen verdient hat. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)