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Rede

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz - Naturschutzgesetz ist der Klimakrise nicht gewachsen

Heidemarie Scheuch-PaschkewitzUmwelt- und Klimaschutz

In seiner 133. Plenarsitzung am 23. Mai 2023 diskutierte der Hessische Landtag über das Naturschutzgesetz. Dazu die Rede unserer umweltpolitischen Sprecherin Heide Scheuch-Paschkewitz.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Gäste!

Seit 1991 genießt der Naturschutz in Hessen Verfassungsrang. Arten- und Biotopschutz sind wichtige Säulen des Schutzes unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Diesen Verfassungsauftrag haben vergangene Landesregierungen von CDU, auch unter Beteiligung der FDP, schlichtweg ignoriert.

Auch wenn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf demgegenüber deutliche Verbesserungen erzielt wurden, erfüllt auch dieses Hessische Naturschutzgesetz den verfassungsrechtlichen Anspruch nicht. Der schwarz-grüne Gesetzentwurf ist den Herausforderungen, insbesondere denen des Klimawandels, nicht gewachsen. Das Ziel, bis 2030 zur Wiederherstellung der Natur 30 % der Landesfläche unter Schutz zu stellen, wird mit diesem Gesetz nicht erreicht.

Erstens müssen wir uns prinzipiell die Frage stellen, ob der Schutz vieler Arten und ihrer Lebensräume nach Jahrzehnten der Untätigkeit in der Klimakrise überhaupt noch möglich ist. Der Klimawandel ist bereits so weit fortgeschritten und seine Dynamik so groß, dass wir viele Arten auch mit großen Anstrengungen in unseren Breiten nicht mehr werden halten können. Das HLNUG hat – ich zitiere – 234 Arten identifiziert, für die es Hinweise auf eine erhöhte Gefährdungsdisposition durch die Folgen des Klimawandels gibt. Davon sind 31 % bereits jetzt vom Aussterben bedroht, und 30 % gelten als stark gefährdet.

Das ist dramatisch, und das lässt sich auch an der Veränderung von Lebensgemeinschaften wie z. B. im Hessischen Ried ablesen. Unstrittig ist, dass der Grundwasserstand im Ried angehoben werden muss. Das wissen wir spätestens seit 2006, nur Schwarz-Grün macht es nicht.

Meine Damen und Herren, so wie die Menschenrechte nicht nur für bestimmte Menschen gelten – auch wenn man vor dem Hintergrund der laufenden Asylrechtsdebatte einen anderen Eindruck gewinnen kann –, schützt die Hessische Verfassung auch nur bestimmte Arten oder eine bestimmte Natur. Die Verfassung schützt den Erhalt unserer natürlichen Lebensbedingungen. Das heißt, sie schützt ökologische Leistungen wie Luftreinigung, Grundwasserneubildung oder CO2-Bindung, und das kann im Prinzip auch mit eingewanderten Tier- und Pflanzenarten gehen.

Zweitens. Gleich welche Tier- und Pflanzenarten Teile des ökologischen Gefüges sind, brauchen sie zusammenhängende Flächen. Noch immer liegt die Flächenneuinanspruchnahme in Hessen bei über 2 ha täglich. Das Nachhaltigkeitsziel, die Flächenneuinanspruchnahme bis 2020 zu reduzieren, hat der grüne Minister Al-Wazir buchstäblich dem Autobahnausbau geopfert. Allein der Verzicht auf die Rodung für die A 49 hätte ausgereicht, das Ziel für zwei Jahre einzuhalten. Diesen Verlust an Wald, Wiesen und Äckern, geschätzte Abgeordnete von den GRÜNEN, kann auch das beste Naturschutzgesetz nicht ausgleichen.

Damit sind wir bei dem dritten entscheidenden Punkt. Naturschutz ist kein Reparaturbetrieb für eine verfehlte Verkehrs-, Industrie- oder Landwirtschaftspolitik. Mit den Mitteln des Naturschutzes können die Schäden durch den Flächenverlust nicht ausgeglichen werden. Naturschutz kann den Artenverlust durch die Produktion von Nahrungsmitteln in Monokulturen in einer nahezu ausgeräumten Landschaft nicht kompensieren.

Die Pestizidstrategie für Hessen kommt neun Jahre nach der Ankündigung und ist nichts weiter als das „Könnten die Akteure freiwillig machen“-Papier, dessen geringe Bedeutung mit den GRÜNEN aus der Landesregierung verschwinden wird.

Mit Mitteln des Naturschutzes können wir auch unsere

Gewässer nicht schützen – dazu brauchen wir endlich die Modernisierung unserer Klärwerke mit Phosphor-Rückgewinnung und vierter Reinigungsstufe. Weil die Kommunen damit finanziell heillos überfordert sind, muss das die Landesregierung ausgleichen – macht sie aber nicht, und so erhält in neun Jahren gerade mal ein hessisches Klärwerk eine vierte Reinigungsstufe.

Die Werra wird die kommenden 500 Jahre keinen guten ökologischen Zustand erreichen, wenn die grüne Umweltministern K+S nicht endlich die Einleitung von Salzabwässern und die Aufhaldung von Reststoffen aus der Kaliindustrie untersagt.

Diese Aufzählung ließe sich über die Bereiche Raum- und Flächenplanung, Wohnungspolitik sowie Abfall- und Wirtschaftspolitik weiterführen. Dass wir einen Systemwechsel brauchen, ist mittlerweile Allgemeinwissen und wird in der Landesregierung in Worten geteilt, in der Tat aber geleugnet.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die rechtlichen Grundlagen schon lange gegeben sind: EU-Wasserrahmenrichtlinie, das Wasserhaushaltsgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz, die Umwelthaftungsrichtlinie, das Bodenschutzgesetz, die Klimaentscheidung des Bundesverfassungsgerichts usw. usf. Schwarz-Grün ist nur nicht in der Lage – oder nicht willens –, die gegebene Umweltgesetzgebung auch durchzusetzen. Unter grüner Führung stehen Klima- und Naturschutz per se unter Haushaltsvorbehalt, und die EU-Umweltgesetzgebung wird in der Regel so ausgelegt, dass die EU Vertragsverletzungsverfahren einleiten muss.

Gemessen an den Taten der beiden grünen Ministerinnen bzw. Minister ist es nichts weiter als populistisches Greenwashing, wenn Kollegin Gronemann verlautbaren lässt, dass das Naturschutzgesetz „ein echter Gewinn für die Natur“ sei. Eine Fraktion, deren Ministerin bzw. Minister den Flächenfraß nicht stoppen kann, den Bau der A 49 durch ein Wasserschutzgebiet nicht verhindert, den schnelleren Autobahnausbau – wie vor zwei Wochen den der A 5 auf acht Spuren – durchwinkt, was viele Hektar besten Ackerboden kostet, die Salzwassereinleitung in Flüsse und unser Grundwasser genehmigt, die Abwasserreinigung nicht voranbringt, nichts für die Verlagerung von Kurzstreckenflügen unternimmt, noch darauf besteht, dass Landesbedienstete weiterhin in Deutschland fliegen können, eine solche Fraktion hat jede Legitimation verwirkt, Fortschritte im Naturschutz für sich zu reklamieren.

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben nichts gegen ein Naturschutzgesetz; doch allen Beteiligten muss klar sein, dass wir, wenn wir unsere Lebensgrundlagen wirklich erhalten wollen, einen radikaldemokratischen, sozial-ökologischen Umbau unserer ganzen Gesellschaft brauchen. Die wohlfeile Jubelarie der GRÜNEN versucht zu verschleiern, dass der Gesetzentwurf dazu leider einen nur sehr bescheidenen Beitrag leistet. Wir werden uns deshalb enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur enthalten? Das war aber eine mächtige Rede für eine Enthaltung!)