Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Hermann Schaus zur Änderung der Hessischen Kommunalwahlordnung

Hermann Schaus
Hermann SchausKommunales

In seiner 46. Plenarsitzung am 25. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über eine Änderung der Hessischen Kommunalwahlordnung. Dazu die Rede unseres kommunalpolitischen Sprechers Hermann Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Frage, welche persönlichen Informationen die Kandidatinnen und Kandidaten bei Kommunalwahlen angeben müssen, verdient eine sorgfältige Bewertung. Es muss gut abgewogen werden zwischen dem öffentlichen Interesse einer möglichst großen Transparenz der Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und deren persönlichem Interesse an einem möglichst umfangreichen Schutz ihrer Daten und ihrer Privatsphäre andererseits.

Dieser Schutz ist notwendiger denn je in einer Situation, in der die Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern insgesamt massiv zugenommen haben und vor dem persönlichen Nahbereich nicht mehr haltmachen. Das ist völlig inakzeptabel und wird von uns entschieden verurteilt. Vor diesem Hintergrund kann es durchaus Sinn machen, über Änderungen in der Hessischen Kommunalwahlordnung zu sprechen.

Wir haben bereits jetzt die Regelung – Oliver Ulloth hat dies ausführlich dargestellt;

(Beifall SPD)

daher kann ich diesen Teil meiner Rede reduzieren –, dass bei der öffentlichen Bekanntmachung der Wahlvorschläge nur das jeweilige Geburtsjahr der Bewerberinnen und Bewerber genannt werden muss. Wo wegen konkreter Bedrohungen eine Auskunftssperre im Melderegister vorliegt, kann zudem schon jetzt – auch das hat er ausgeführt – statt der Wohnadresse auch nur eine Erreichbarkeitsanschrift angegeben werden. Hier bestehen also schon gewisse Schutzregeln. Das hat die AfD alles übersehen.

Allerdings gehen manch andere Bundesländer inzwischen weiter. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir auch in Hessen zu einer weitreichenderen Regelung kommen könnten, z. B., indem wir die Veröffentlichungen auf Name, Alter, Beruf und eine Erreichbarkeitsanschrift beschränken. Über einen gemeinsamen Vorstoß in diese Richtung können wir gern mit allen demokratischen Kräften in diesem Haus sprechen.

Doch genau hier liegt das zentrale Problem mit dem vorliegenden Antrag der AfD. Die „allgemeine Gefährdungslage von Kommunalpolitikern durch Hass und verbale sowie psychische Gewalt“, wovon in dem Antrag die Rede ist – von wem geht all das denn hauptsächlich aus, wenn nicht vom rechten politischen Spektrum, zu dem die AfD gehört? Wer hat denn das gesellschaftliche Klima geschaffen, in dem so etwas möglich wurde, wenn nicht die AfD mit ihrer andauernden Hetze, mit ihrer Politik der Spaltung, mit ihrem offenen und versteckten Rassismus, Antisemitismus und Sexismus? Sie selbst sind doch die Brandstifter, und jetzt wollen sie sich als Helfer inszenieren. Das ist perfide und scheinheilig; das lassen wir ihnen nicht durchgehen. Sie sind Teil des Problems, aber nicht der Lösung.

(Beifall DIE LINKE)

Schauen wir uns also einmal an, welche Fälle von Drohungen und Gewalt gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker bundesweit Schlagzeilen gemacht haben. Die Betroffen sind fast immer Menschen, die sich öffentlich für eine solidarische und offene Gesellschaft, für Geflüchtete, für die Rechte von Migrantinnen und Migranten und gegen Rassismus und rechte Gewalt eingesetzt haben. Sie und ihre Familien werden angefeindet, beleidigt und beschimpft – oft anonym im Internet, aber auch in Briefen und im persönlichen Kontakt. Ihnen und ihren Liebsten wird mit Schlägen, Vergewaltigung, Folter und dem Tod gedroht. Ihnen werden die Häuserwände mit Hakenkreuzen besprüht, Fenster eingeschlagen, Reifen zerstochen oder Autos angezündet. Sie werden unter Druck gesetzt, ihnen wird Angst eingejagt, ihr Alltag systematisch zerstört. Viele von ihnen halten dem Druck stand, andere werfen irgendwann entkräftet das Handtuch und ziehen sich aus der Kommunalpolitik zurück.

Es gab überall in Deutschland unzählige solcher Fälle in den letzten Monaten und Jahren, in kleinen Gemeinden ebenso wie in großen Städten. Da sind beispielsweise – Oliver Ulloth hat schon einige angesprochen – Rainer Voß in Ratzeburg in Schleswig-Holstein und Silvia Kugelmann in Kutzenhausen in Bayern; Arnd Focke in Estorf in Niedersachsen und Markus Nierth in Tröglitz in Sachsen-Anhalt; Andreas Hollstein in Altena in Nordrhein-Westfalen und Martina Angermann in Arnsdorf; Christiane Schneider in Hamburg und Luigi Pantisano in Stuttgart – und unzählige weitere, deren Namen wir kennen, und solche, die ihre Bedrohungslage aus Angst nicht öffentlich machen.

Es sind Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker der CDU und CSU, der SPD, der GRÜNEN, der FDP und der LINKEN; und es sind solche ohne Parteibuch. Sie alle wurden und werden von rechts angefeindet und bedroht. Ihnen allen gebühren die volle Solidarität und Unterstützung aller demokratischen Kräfte hier im Haus und überall. Von rechts kommen die Anfeindungen; und Sie stellen sich hier scheinheilig hin und wollen das Gegenteil behaupten. Das ist doch der Punkt.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Zuruf AfD)

Natürlich kennen wir auch Fälle aus Hessen. Ich will nur an den ehemaligen Landrat Pipa aus dem Main-KinzigKreis erinnern, und von wem er angefeindet wurde. Das sind die Leute, die in Ihrem Umfeld tätig sind. Das ist die Wahrheit.

(Lebhafte Zurufe AfD)

Ich sage es noch einmal: Sie sind Teil des Problems, aber nicht der Lösung, und das ist sowieso keine.

(Beifall DIE LINKE)

Wir alle wissen, welche Ergebnisse die Befragung von Bürgermeistern und Landräten durch den hr Ende letzten Jahres zutage gefördert hat; darauf haben Sie sich bezogen. Nein, es sind nicht immer nur Rechte, die für Anfeindungen und Beleidigungen verantwortlich sind. Aber Rechtsextremisten und Reichsbürger sind eben die Gruppen, die dies am stärksten tun, und es sind jene Gruppen, bei denen am ehesten aus Worten Taten werden. Rassismus, Antisemitismus und rechter Terror töten. Das dürfen wir nie vergessen, gerade in Hessen nicht.

Bevor irgendwer aus der AfD-Fraktion jetzt scheinheilig fragt, was das alles mit Ihnen zu tun hat, will ich nur darauf hinweisen, dass in der Landtagsdebatte zur besagten hr-Umfrage im Dezember 2019 – ich habe die Szene noch genau vor Augen – Sie, Herr Abg. Dr. Grobe, mit Fotos gegen den Kollegen Marius Weiß gedroht haben

(Zurufe AfD)

und den gesellschaftlichen Antifaschismus als „rote SA“ verunglimpft haben. Ich habe die Szene noch genau im Ohr, und das war eine Bedrohungsszene gegenüber dem Kollegen Weiß. Da haben Sie den Beweis geliefert.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Erinnern wir uns an die unzähligen Beispiele von Hetze gegen die Medien und gegen die parlamentarische Demokratie, von rassistischen Kommentaren über Minderheiten, Geflüchtete und die Opfer von Hanau, die wir seit vielen Jahren von Mitgliedern der hessischen AfD zu hören bekommen.

All das ist kein Zufall. Es sind die Hetze und die Politik der AfD, die in diesem Land ein gesellschaftliches Klima geschaffen haben, in dem sich rechte und rassistische Gewalttäter ermutigt fühlen, ihrem Hass freien Lauf zu lassen gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, genauso wie gegen alle anderen, die für eine offene, freie und solidarische Gesellschaft der vielen eintreten.

Es ist die Strategie der AfD, mit bewussten Tabubrüchen das Sagbare zu verschieben, den Diskurs nach rechts zu drücken und die parlamentarische Demokratie von innen heraus zu zerstören. Doch das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Was wir brauchen, ist ein breites bürgerschaftliches Engagement, eine demokratische Kultur des Hinsehens und eine konsequente staatliche Unterstützung für all jene, die von rechter Bedrohung und Gewalt betroffen sind, also eines starken gesellschaftlichen Antifaschismus.

Wenn wir verhindern wollen, dass die lokale Demokratie langsam stirbt und sich immer mehr Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, Menschen im Ehrenamt, aus der Politik zurückziehen, müssen wir entsprechend gegensteuern. Vergessen wir dabei nie, dass es mehr brauchen wird als gesetzliche Maßnahmen und den Ruf nach einem starken Staat. Vergessen wir vor allem nie, woher die Bedrohung kommt und wer für sie die politische Verantwortung trägt.

In diesem Sinne: Wenn Sie von der AfD wirklich etwas zum Schutz von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern vor Hass und Hetze tun wollen, dann seien Sie konsequent: Packen Sie Ihre Sachen, machen Sie Ihren Laden dicht, und verschwinden Sie von der politischen Bildfläche.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Zurufe AfD)