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Rede

Hermann Schaus zur Änderung des Kommunalwahlgesetz aus Anlass der Pandemie

Hermann Schaus
Hermann SchausCoronaJustiz- und RechtspolitikKommunales

In seiner 60. Plenarsitzung am 8. Dezember 2020 diskutierte der Hessische Landtag über eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes, die notwendig ist um auch während der Corona-Pandemie die Kommunalwahl im März sicher zu stellen. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Hermann Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir beraten heute erneut über Corona-bedingte Änderungen in den politischen Abläufen auf kommunaler Ebene. Als Ende März das Gesetz zur Sicherung der kommunalen Entscheidungsfähigkeit und zur Verschiebung der Bürgermeisterwahlen eingebracht wurde, war eine solche Beratung nicht möglich, Herr Bauer. In der Ausnahmesituation zu Beginn der Pandemie haben wir uns zu Recht darauf verständigt, auf eine Aussprache zu verzichten. Nur, weil Sie davon gesprochen haben, es wäre hier ausreichend diskutiert worden: Das war es nicht.

Es ist gut, dass wir nun das Gesetz hier im Hause wieder in angemessener Form beraten können. Deshalb lassen Sie mich zunächst ein paar allgemeine Worte sagen, bevor ich im Detail zum vorliegenden Gesetzentwurf komme.

Grundsätzlich ist es aus unserer Sicht vollkommen richtig, wenn der Gesetzgeber dafür Sorge trägt, dass auch die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Corona geschützt werden und die kommunalpolitische Arbeit organisatorisch reibungslos fortgesetzt werden kann – inklusive der demokratischen Mitwirkungsrechte, die für Bürgerinnen und Bürger und für politische Parteien und Wählergruppen oder die Ausländerbeiräte bestehen. Dieses Spannungsfeld betrifft vor Ort natürlich alle politischen Akteure. Es betrifft aber insbesondere diejenigen Parteien und Wählergruppen, die sich in der Opposition, in kleineren Fraktionen befinden oder die dafür kämpfen, bei der anstehenden Kommunalwahl erstmals in die Kommunalvertretung einzuziehen.

Gerade die aktuelle gesellschaftliche Situation erfordert den Schutz von Minderheitenrechten und Prozessen der demokratischen Aushandlung, besonders auf lokaler Ebene. Um nicht missverstanden zu werden: Hier meine ich die Demokratinnen und Demokraten, nicht Leute, die von rassistischen, antisemitischen, sexistischen, verschwörungstheoretischen oder sonst wie antidemokratischen Motiven geleitet werden.

(Beifall DIE LINKE)

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Überlegungen begrüßen wir es daher, dass der vorliegende Gesetzentwurf in Art. 1 vorsieht, angesichts der Corona-Pandemie das erforderliche Unterstützungsquorum für Wahlvorschläge für die anstehenden Kommunal- und Ausländerbeiratswahlen sowie die Direktwahlen auf die Hälfte abzusenken.

Ebenso unterstützen wir die in Art. 3 des Gesetzentwurfs vorgesehene Verlängerung der Möglichkeiten, den ehrenamtlich Tätigen auch dann eine Aufwandsentschädigung zu zahlen, wenn Video- oder Telefonkonferenzen abgehalten werden müssen, weil Zusammenkünfte Corona-bedingt nicht möglich sind.

Womit wir allerdings nicht einverstanden sind, ist die geplante Verlängerung der Regelungen über das Eilentscheidungsrecht der Haupt- und Finanzausschüsse nach § 30a HKO, also Landkreisordnung, und § 51a HGO. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Diese Regelung kann dazu führen, dass vorschnell am Kommunalparlament vorbei entschieden wird und kleinere Fraktionen oder Gruppen, die nicht im Haupt- und Finanzausschuss vertreten sind, von ihren Mitwirkungsrechten ausgeschlossen werden.

So hat es im Übrigen das Verwaltungsgericht Darmstadt am 27. Mai dieses Jahres zugunsten unserer Fraktion im Kreistag Darmstadt-Dieburg in einem Eilverfahren entschieden. Das Gericht hat darin festgestellt, dass im konkreten Fall die Voraussetzungen des § 30a HKO nicht erfüllt wären, weil bei einer Übertragung des Entscheidungsrechts auf den Haupt- und Finanzausschuss, in den unsere Fraktion vor Ort – durch Losentscheid – keine Mitglieder entsendet, „die dem freien Mandat entspringenden Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte unwiederbringlich verletzt“ würden.

Außerdem sah sich das Gericht genötigt, daran zu erinnern, dass „§ 30a HKO keine Allkompetenz für Eilentscheidungen statuiert, sondern ein Tätigwerden des Haupt- und Finanzausschusses nur dann erlaubt, wenn das öffentliche Wohl gefährdet ist“. Da muss man in einigen Kommunalparlamenten immer darauf hinweisen, dass das nicht für alle Entscheidungen gilt. Da hat sich eine Praxis eingeschlichen, die nicht akzeptabel ist.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb sprach sich das Gericht im Übrigen dafür aus, die Kreistagssitzungen in Darmstadt-Dieburg entweder regulär oder, falls Corona-bedingt notwendig, proportional zu den Mehrheitsverhältnissen in verkleinerter Form stattfinden zu lassen.

Obwohl der Kreistag Darmstadt-Dieburg angekündigt hatte, das Urteil vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof anzufechten, hat er davon letztlich Abstand genommen. Seither tagt der Kreistag in der größten Halle des Landkreises, in der Stadthalle Groß-Umstadt, wo entsprechende Abstände möglich sind und alle Fraktionen ihre Beteiligungsund Mitwirkungsrechte ausüben können.

Dieses Beispiel zeigt meines Erachtens gut, dass es auch anders geht, dass man also nicht sofort das Entscheidungsrecht auf den Haupt- und Finanzausschuss übertragen muss, der zudem nicht öffentlich tagt.

Diese Verwaltungsgerichtsentscheidung, die meiner Ansicht nach die einzige ist, die es in Hessen dazu gibt, hat auch in anderen Kreisparlamenten zu einem Umdenken geführt. Dass es im Koalitionsentwurf jetzt nicht berücksichtigt wird, halten wir für einen großen Fehler. Diese Entscheidung muss meines Erachtens bei der Regelung in § 30a HKO bzw. § 51a HGO entsprechend berücksichtigt werden. Deshalb ist der Gesetzentwurf an dieser Stelle zu überarbeiten, statt die Geltungsdauer der Regelung unbedacht einfach zu verlängern.

Zudem ist sicherzustellen, dass alle Sonderregelungen bei einem vorzeitigen Ende der Pandemie, auf das wir alle hoffen, auch vor dem 31. März 2022 wieder außer Kraft treten.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Das wissen die!)

Meine Damen und Herren, die lokale Demokratie ist ein hohes Gut und darf nicht allzu leichtfertig eingeschränkt werden. Das muss auch in Zeiten von Corona so sein.

(Beifall DIE LINKE)