Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske – FDP will Bürokratie mit dem Papiertiger bekämpfen

Jan SchalauskeThemenInnenpolitikWirtschaft und Arbeit

In seiner 144. Plenarsitzung am 21. September 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den den Antrag der FDP „Bürger und Unternehmen endlich entlasten – Bürokratieabbau jetzt umsetzen“. Dazu die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden und Sprechers für Verwaltungsreformen Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Mit Bezug auf die letzte Rede, die wir uns hier anhören mussten, will ich festhalten: In den vergangenen fünf Jahren haben wir schon oft erlebt, dass die AfD bei jedem Thema – Wohnraum, Niedriglöhne, Armut – immer Menschen anderer Herkunft zu Sündenböcken erklärt für eine aus unserer Sicht völlig verfehlte Politik. Dass es Ihnen aber noch nicht einmal gelingt, beim Thema Bürokratie ohne rassistische Hetze auszukommen, das spricht wirklich Bände. Das darf hier einfach nicht so stehen gelassen werden.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema. Die FDP hat das Thema Bürokratie auf die Tagesordnung gesetzt. Natürlich kann niemand etwas dagegen haben, überflüssige Bürokratie abzubauen. Natürlich wissen wir alle, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen keine ganzen Abteilungen haben, um monatelang mit Behörden zu kommunizieren. Das ist sicherlich so.

Wenn es aber das Ziel ist, auch von der FDP, eine leistungsfähige Verwaltung zu organisieren, wie verträgt sich das eigentlich mit der so urliberalen Forderung nach einem schlanken Staat? Mit Ihren sonstigen Forderungen nach Steuersenkungen wird doch aus dem Abbau der Bürokratie schnell der Abbau von Bürokraten, also von Verwaltungsmitarbeitern. Wer soll dann eigentlich die Bürokratie erledigen, die aus Ihrer Sicht noch viel schneller gehen sollte? Das sind Fragen, die Sie beantworten müssen.

(Beifall DIE LINKE – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Digitalisierung!)

– Genau. Jetzt komme ich zu Ihrem Antrag. Mit diesem möchte ich mich in Unterschied zu manchem Vorredner detailliert beschäftigen.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Sehr gut!)

Kommen wir einmal zum Thema Digitalisierung. Es ist ja richtig, dass die Digitalisierung bei Schwarz-Grün nur im Schneckentempo vorankommt.

(Beifall Oliver Stirböck (Freie Demokraten))

Mehr als die Forderung, dass das irgendwie besser zu machen ist, fällt der FDP mit ihrem Antrag aber auch nicht ein. Es ist offensichtlich: Gemeinsame Standards und Schnittstellen müssen definiert werden. Das gilt für Bund, Länder und Kommunen. Dafür muss aber auch deutlich mehr investiert werden in die Ausstattung, ins Personal und in die Fortbildung.

Kurios wird es in Ihrem Antrag, wenn es darum geht, die Gesetzgebung zu verändern. Sie sind für ein „Bürokratieentlastungsgesetz“. Allerdings muss man sagen, dass Sie genau genommen unterwegs sind mit einem Bürokratieentlastungsgesetz-Umsetzungsaufforderungsantrag. Es ist schließlich ein Antrag, aber kein Gesetz.

Letztlich fordern Sie damit mehr parlamentarische Selbstbeschäftigung. Sie sagen, für jede neue Regelung sollen zwei alte abgeschafft werden. Wie gut aber solche dann doch irgendwie bürokratischen Ansätze funktionieren, sehen wir hier im Landtag bei den befristeten Gesetzen. Diese werden von der Landesregierung so gut wie nie ernsthaft evaluiert und hier im Haus meistens einfach nur verlängert.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Finde den Fehler!)

Damit kann man zwar die Tagesordnung füllen, aber wirklich weiter hilft uns das beim Thema Bürokratie nicht.

Ferner fordern Sie, das Europarecht maximal 1 : 1 umzusetzen. Es soll bestenfalls keine eigenen Landesregelungen geben. Schon klar, was Sie damit wollen. Sie wollen nämlich z. B. verhindern, dass es einen Landesmindestlohn gibt.

(Beifall Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Ferner wollen Sie, dass das Land Aufträge zu Dumpinglöhnen vergibt.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Wettbewerb nennt man das!)

Schön, dass Sie da klatschen. Wir wollen das nicht. Von Arbeit muss man leben können, aber nicht in Armut dahinvegetieren.

(Beifall DIE LINKE)

Sie wollen mit einem Best-Practice-Ansatz bei Regulierungen zu bundeseinheitlichen Lösungen kommen. Klingt alles gut. Es ist nur politisch ein bisschen umstritten, welche Lösung die beste ist.

Das ist ja nicht das einzige Prinzip, das über Bord geworfen wird, wenn die FDP auf der Landesebene z. B. für Sonderwege bei der Grunderwerbsteuer ist, die sie in Thüringen gemeinsam mit der CDU und denen von rechts außen auch noch umsetzt. All das tut sie, obwohl sie den Bundesfinanzminister stellt, der die Regelungen vorgeben könnte. Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das hat mit einer schlanken Gesetzgebung überhaupt nichts zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Kommen wir zu einem weiteren bei Ihnen beliebten Thema, der Genehmigungsfiktion. Das klingt gut, aber statt die Menschen von Bürokratie zu befreien, die am dringendsten darauf angewiesen sind, z. B. wenn sie Anträge auf Gewährung von Bürgergeld, Elterngeld, auf Anerkennung von Erwerbsminderung, BAföG-Anträge oder Rentenanträge stellen, gibt es für all diese Vorgänge bei Ihnen natürlich keine Genehmigungsfiktion. Die gilt wieder einmal nur und ausschließlich für Unternehmen. Das ist Klientelpolitik, wie wir sie von der FDP kennen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Forderung klingt ja schön, die Förderbürokratie zu vereinfachen. Allerdings: Mehr als die Einrichtung einer Website fällt Ihnen dazu nicht ein. Dagegen ist sicherlich wenig einzuwenden. Aber ist das wirklich der große Wurf, auf den die hessische Wirtschaft gewartet hat und weshalb sie jetzt froh ist, dass die FDP das im Landtag zur Sprache bringt? Daran habe sogar ich meine Zweifel.

Am Ende Ihres Antrags wird es dann etwas blumig. Sie wollen – Zitat –

… sämtliche Digitalisierungs-, Standardisierungsund Automatisierungspotenziale bei Verwaltungsverfahren … heben, um Verwaltungsprozesse radikal zu vereinfachen und Verwaltungsbeschäftigte zu entlasten. Dort, wo diese Potenziale ausgeschöpft sind, müssen bedarfsgerecht und gezielt Fachkräfte gewonnen werden.

Ich bin ja froh, dass die FDP-Fraktion Probleme einmal radikal angeht – das ist sonst eigentlich mehr unser Ansatz, an der Wurzel. Wer will gegen solche Formulierungen etwas haben? Der Knackpunkt kommt in Ihrem Antrag aber nicht vor, nämlich die Fachkräfte. Eine moderne Verwaltung wird man nämlich nicht bekommen, wenn das Land und die Kommunen nicht beste Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung bieten. Weder die Digitalisierung noch eine effiziente Verwaltung gibt es zum Nulltarif. Das passt dann aber eben nicht zu einer Partei, die im Bund und im Land regelmäßig davon spricht, dass die Steuern zu hoch sind, dass der Staat doch sparen soll. Das passt einfach nicht zusammen.

(Beifall DIE LINKE)

Worüber Sie ebenfalls kein Wort verlieren: Schwarz-Grün schafft es seit Jahren nicht, Fachkräfte in ausreichender Zahl zu gewinnen. Stellen werden auf dem Papier geschaffen, sie bleiben aber unbesetzt: bei den Lehrkräften, in der Steuerverwaltung, in der Justiz und natürlich auch in der Landesverwaltung. Für dieses Problem hat die FDP keine Lösung.

Wenn Sie in dieser Situation aber vorschlagen, bei den Regierungspräsidien auf externe Projektentwickler zu setzen, dann muss ich doch sagen: Sie geben einfach auf. Jedenfalls ich will nicht, dass der Staat bei der Erfüllung seiner Kernaufgaben immer mehr darauf angewiesen ist, private Dienstleister zu beschäftigen. Das ist am Ende auch ein Problem für die Demokratie. Der Einsatz Externer macht die Aufgabenerfüllung – das sollten uns die letzten 30 Jahre eigentlich gelehrt haben – außerdem nicht billiger oder besser, sondern führt lediglich zu privaten Gewinnen – da, wo wir eigentlich eine effiziente öffentliche Verwaltung brauchen.

Ich komme zum Schluss. Für eine leistungsfähige Verwaltung, die am Ende auch den Unternehmen nützt, braucht es eine gut ausgestattete und personell gut aufgestellte öffentliche Verwaltung, finanziert über ein gerechtes Steuersystem. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die FDP will.

(Beifall DIE LINKE)