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Rede

Jan Schalauske - Für eine Zeitenwende in der hessischen Sozial- und Wohnungspolitik

Jan SchalauskeSozialesWohnen

In seiner 111. Plenarsitzung am 14. Juli 2022 diskutierte der Hessische Landtag unseren Setzpunkt für eine Zeitenwende in der hessischen Sozial- und Wohnungspolitik. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden und wohnungspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit geraumer Zeit haben viele Menschen große Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Seit Jahren steigen die Mieten.

(Unruhe)

Vizepräsidentin Karin Müller:

Einen kleinen Augenblick. – Auch wenn Sie alle Hunger haben, möchte ich noch einmal um Ruhe bitten. Diesen Tagesordnungspunkt schaffen wir noch.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Frau Präsidentin, vielen Dank. Ich fange einfach noch einmal von vorne an.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit geraumer Zeit haben viele Menschen große Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Seit Jahren steigen die Mieten. Die Zahl der Sozialwohnungen ist massiv gesunken. Sie stagniert jetzt auf historisch niedrigem Niveau.

Gebaut werden vor allem teure Luxusappartements. Mietwohnungen werden in den großen Städten umgewandelt. Die Menschen werden aus ihren angestammten Quartieren verdrängt.

Es rächt sich, dass die Regierenden in Bund und Land bei der Wohnungsversorgung für mindestens zwei Jahrzehnte vor allem auf den freien Markt gesetzt haben. Das Ergebnis sind für die einen hohe Profite auf der Suche nach Betongold. Für die anderen ist das die verzweifelte Suche nach einer bezahlbaren Bleibe. Wenn wir in der letzten Zeit eines gelernt haben sollten, dann ist es: Die Versorgung der Menschen mit bezahlbarem Wohnraum ist zu wichtig, um das allein dem Markt zu überlassen. Wohnungen dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Vielmehr ist Wohnen ein Menschenrecht.

(Beifall DIE LINKE)

Schon vor dem Krieg, den wir jetzt erleben müssen, hat es an bezahlbaren Wohnungen gefehlt. Die schwierige Lage am Wohnungsmarkt wird nun durch den russischen Krieg in der Ukraine weiter verschärft.

Was macht die Politik? Jahrein, jahraus dürfen sich die Mieterinnen und Mieter anhören: Ja, Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. – Beim Bund gibt es ein Bauministerium. Es werden Milliarden Euro für Neubauten in Aussicht gestellt.

Auch in Hessen wird mit großen Zahlen hantiert. Diejenigen, die damit hantieren, können sie gar nicht aufschlüsseln. In Hessen werden große Versprechungen gemacht. Die schwarz-grüne Landesregierung suggeriert: Ja, wir haben verstanden.

Hat sie aber wirklich verstanden? Schauen wir uns die Zahlen einmal an. Mehr als 46.000 Haushalte stehen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung. Mehr als die Hälfte aller hessische Mieterhaushalte – das sind über 750.000 Haushalte – haben in Hessen einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Die Zahl der Sozialwohnungen ist aber von einst über 200.000 auf nunmehr rund 80.000 gesunken.

Insbesondere von der Seite der GRÜNEN werden Sie jetzt einwenden: Wir haben aber einen Zuwachs. – Wie hoch ist denn dieser Zuwachs im letzten Jahr gewesen? Er betrug 800 Wohnungen. Es war Frau Kollegin Barth, die Ihnen ausgerechnet hat, dass das 1 % des Bestandes ist, nach dem der Gesamtbestand zuvor mehr als halbiert wurde.

Das geschah in Hessen, obwohl die GRÜNEN seit 2014 die Verantwortung für die Wohnungspolitik tragen. Ich finde, das ist eine traurige Bilanz für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, sich für bezahlbares Wohnen einzusetzen. Unter einem grünen Wohnungsbauminister versagt Hessen beim Kampf gegen die Wohnungskrise und den Mietenwahnsinn. Das ist für all diejenigen bitter, die davon betroffen sind.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das politische Mantra ist die Idee vom Bauen, Bauen, Bauen. Das hilft denjenigen wenig, die bereits jetzt von der Last der Miete erdrückt werden. Das, was da teuer gebaut wird, können nur die wenigsten bezahlen. Wenn Sie sich das einmal anschauen wollen, gehen Sie in das Frankfurter Europaviertel. Schauen Sie sich das dort mit eigenen Augen an.

Aber selbst da, wo die Politik direkt Verantwortung trägt, versagt der grüne Wohnungsbauminister. Das betrifft die Nassauische Heimstätte. Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich selbst zum Ziel gesetzt, den Wohnungsbestand auf 75.000 zu erhöhen. Wie sieht es in der Realität aus? – Der Bestand stagniert bei 60.000 Wohnungen. Das ist so, obwohl mit den Werkswohnungen in Mittelhessen immerhin ein großer Bestand aufgekauft wurde. Dazu haben wir, DIE LINKE, die Landesregierung aufgefordert.

Das ist aber kein Wunder. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Nassauische Heimstätte/Wohnstadt über 6.000 Wohnungen vor allem im ländlichen Raum verkauft hat. Das Ergebnis kann man in Städten wie Schotten und Schwalmstadt besichtigen. Wir bleiben deswegen dabei: Der Verkauf von Wohnungen der öffentlichen Hand war, ist und bleibt falsch. Da muss die Landesregierung ihre Politik ändern.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich haben die jüngsten Entwicklungen auch direkte Auswirkungen auf die Wohnungspolitik. Täglich gibt es neue Meldungen zu den Auswirkungen des Gasmangels. Gestern hat die ABG Frankfurt Holding mitgeteilt, im Winter die Heizungstemperatur abzusenken. Berlin bereitet öffentliche Wärmeräume vor.

Die Preisexplosion – das muss man so sagen – lässt nicht nur Mieterinnen und Mieter mitten im Hitzesommer das Blut in den Adern gefrieren, sie fragen sich: Wie sollen wir denn die sogenannte zweite Miete – die Nebenkostenabrechnung – noch bezahlen? Auch dafür haben wir in dieser Plenarwoche einen Antrag vorgelegt. Hier braucht es schnelle und dauerhafte Hilfe. Einmalzahlungen reichen nicht aus. Es gibt einen dauerhaften Preisanstieg, also brauchen wir eine dauerhafte Unterstützung.

(Beifall DIE LINKE)

Eine weitere Dimension: Mehr als 60.000 Menschen sind seit Beginn des Krieges aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen und haben hier Zuflucht gesucht. Zum zweiten Mal nach dem Sommer der Migration haben Hessinnen und Hessen überragende Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten gezeigt.

(Zuruf AfD)

Ohne diese Solidarität der Bevölkerung in Hessen hätte diese dezentrale menschenwürdige Unterbringung nicht funktioniert. Dafür gelten auch den Menschen in Hessen, die sich daran beteiligt und die Wohnraum zur Verfügung gestellt haben, unser aller Dank und Anerkennung. Noch besser wäre es, wenn sie von der Landesregierung noch stärker bei ihrem Engagement unterstützt würden.

(Beifall DIE LINKE)

Dieses kurze Panorama der Probleme zeigt: Wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen, um dem Mietenwahnsinn den Kampf anzusagen. Wir legen Ihnen mit unserem heutigen Antrag auch eine Reihe von Maßnahmen vor.

Wir müssen die landesgesetzlichen Möglichkeiten endlich konsequenter nutzen. Das heißt, den Genehmigungsvorbehalt bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nach dem Baulandmobilisierungsgesetz bei bis zu drei Wohnungen anzusetzen und nicht erst bei sechs, wie es der grüne Wohnungsbauminister gemacht hat, um konkreter dagegen vorzugehen, dass bezahlbare Mietwohnungen zu Investitions- und Spekulationsobjekten werden. Da nutzen Sie die Möglichkeiten, die es gibt, nicht. Auch das reicht nicht für einen grünen Wohnungsbauminister.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt noch andere Stellschrauben. Sie können mehr Kommunen als bisher als Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt ausweisen. Würden Sie die gleichen Kriterien anlegen wie die CSU-geführte Landesregierung in Bayern, dann würden auch Kassel, Fulda und viele andere möglicherweise wieder oder neu dazugehören. Geben Sie den hessischen Kommunen endlich die Instrumente, die sie brauchen, um gegen Mietpreistreiberei und gegen eine profitorientierte Stadtentwicklung vorzugehen. Das fordern auch viele Kommunalpolitiker über Parteigrenzen hinweg. Aber diese Landesregierung weiß noch nicht einmal, wie viele Milieuschutzgebiete in Hessen von den Kommunen eigentlich ausgewiesen worden sind – auch das ist ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Dann folgen Sie endlich den Rufen der Städte Frankfurt, Wiesbaden, Kassel, dem Ruf des Deutschen Mieterbundes: Führen Sie wieder ein Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung ein. Es ist doch völlig falsch, dass in diesen Zeiten, in denen Menschen in Not sind, Wohnungen leer stehen, dass Wohnungen verfallen, während andere Menschen in Hessen obdachlos sind, in Sammelunterkünften zusammengepfercht werden oder schlicht und ergreifend einfach nur keine bezahlbare Wohnung finden.

Sorgen Sie da, wo Sie direkt Einfluss haben – bei der Nassauischen Heimstätte, aber indirekt auch bei der GWH –, dafür, dass sich die Geschäftspolitik ausschließlich auf soziale Belange ausrichtet, dass diese Wohnungsbaugesellschaften dafür sorgen, dass wir bezahlbaren Wohnraum für kleine und mittlere Einkommen schaffen. Dazu gehört ein Privatisierungsstopp für öffentliche Wohnungen, aber auch eine Strategie, mit der bisher verkaufte Wohnungen wieder in öffentliches Eigentum zurückgeführt werden. Wir brauchen mehr und nicht weniger Wohnungen bei der Nassauischen Heimstätte.

(Beifall DIE LINKE)

Im Übrigen gehört zu einer solchen sozialen Geschäftspolitik auch, dafür zu sorgen, dass notwendige energetische Sanierungen eben nicht zulasten der Mieterinnen und Mieter gehen. Der Kampf gegen die Klimakrise muss warmmietenneutral sein, und da reichen die Anstrengungen der Landesregierung eben noch nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Sprechen Sie nicht von einer Trendwende beim sozialen Wohnungsbau, sondern machen Sie noch mehr dafür. Wir brauchen noch mehr öffentliche Wohnungen, wir brauchen eine Offensive für ein Wohnungsbauprogramm für 10.000 Sozialwohnungen im Jahr – nicht morgen, auch nicht übermorgen, sondern eigentlich schon gestern und vorgestern.

Wir haben in dieser Woche die Novellierung der Gesetze zum sozialen Wohnungsbau behandelt, Sie haben ein Gesetz eingebracht. Nutzen Sie jetzt die Möglichkeiten, die auch dieses Gesetz bietet, sorgen Sie dafür, dass Bindungsfristen verlängert werden. Für uns muss gelten: einmal sozial gebaut, immer sozial gebunden. Hessen braucht öffentlich geförderte Wohnungen.

(Beifall DIE LINKE)

Mit Blick auf die Zeit: Unser Antrag sieht noch eine Reihe anderer konkreter Maßnahmen und Vorschläge vor. Das ist in etwa das, was wir uns vorstellen, wenn wir von einer politischen Zeitenwende für die Mieterinnen und Mieter in Hessen, für eine sozialere hessische Wohnungspolitik sprechen. Wir legen konkrete Schritte vor, wie das in dem bestehenden Rahmen funktionieren kann. Die schwarz-grüne Landesregierung versagt seit Jahren, sich diesen Problemen zu stellen. Wir werden gemeinsam mit Gewerkschaften und mit Mietervereinen weiter dafür kämpfen, dass die Wohnungspolitik sozialer ausgestaltet wird und dass Mieterinnen und Mieter in Hessen wieder eine bezahlbare Wohnung finden können. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)