Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske: Hessen bleibt stabil - bei der Umverteilung von unten nach oben

In seiner 128. Plenarsitzung am 15. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Antrag der beiden Regierungsfraktionen CDU und Grünen ‚Hessen kommt stabil durch die Krise‘. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Wir debattieren hier heute auf Antrag von CDU und GRÜNEN darüber, wie Hessen durch die Krise gekommen sein soll. In ihrem Antrag formulieren die Regierungsparteien, dass es „die Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen [sei], Härten abzumildern, sodass alle in unserem Land die Krise bewältigen können“. Ich will gleich zu Beginn sagen: Diese Erwartungshaltung an politische Entscheidungsträger teilen wir als LINKE ausdrücklich. Das Problem aber ist: Diesen Anforderungen wird weder Schwarz-Grün in Hessen noch die Ampel im Bund gerecht.

(Beifall DIE LINKE)

Wie ist denn die Lage der Menschen in diesem Land? Bisher ist nur sehr abstrakt darüber geredet worden. Mittlerweile müssen 2 Millionen Menschen in unserem Land bei den Tafeln Schlange stehen. Die Inflation hat in breiten Bevölkerungskreisen zu massiven Reallohnverlusten geführt. Für viele Beschäftigte heißt es, das dritte Jahr in Folge weniger im Portemonnaie zu haben.

Noch immer belasten die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise breite Teile der Bevölkerung. Viele Menschen haben noch immer die Sorge, wie sie das Ende des Monats bewältigen sollen. Am stärksten sind wie in jeder Krise diejenigen betroffen, die ohnehin am wenigsten haben: Menschen im Niedriglohnbereich, Familien mit vielen Kindern, also alle die, die seit vielen Jahren das Nachsehen haben. Inzwischen sind in diesem ach, so reichen Bundesland Hessen jedes vierte Kind, jede dritte junge Frau und jede zweite Alleinerziehende armutsbetroffen. Die spürbaren Gegenmaßnahmen dazu – sowohl im Bund als auch im Land – bleiben aus. Meine Damen und Herren, alleine diese Befunde dürfen doch kein Anlass zur Selbstzufriedenheit sein.

(Beifall DIE LINKE)

Die Wahrheit zur Krise ist doch: Die soziale Ungleichheit hat sich auch in dieser Krise weiter verschärft. Das ist das Stabile, was in Deutschland bleibt. Stabil bleibt die weitere und fortwährende Umverteilung von unten nach oben.

Meine Damen und Herren – insbesondere an den Kollegen Wagner gerichtet –: Solche Missstände, solche Fehlentwicklungen müssen doch im Hessischen Landtag benannt werden dürfen, ohne dass gleich der Vorwurf von Parteipolitik erhoben wird. Denken Sie das doch einmal weiter. Man könnte den Vorwurf der Parteipolitik so weit treiben, dass alle Maßnahmen, die wir für unzureichend befinden, die die Regierenden vorgenommen haben, von Ihnen nur aus Parteipolitik betrieben werden. Was ist denn das für ein Argument? Lassen Sie das doch bitte. So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt will ich die einzelnen Maßnahmen durchgehen. Nehmen wir den Gaspreisdeckel. Es ist sehr viel Geld in die Hand genommen worden, ja, aber die Wirkung ist sozial völlig unausgewogen. Einsparungen sind für die, die richtig viel Geld haben, für Villenbesitzer viel leichter zu realisieren als für Menschen in ungedämmten Mietwohnungen, die ohnehin schon vorher knapsen mussten.

Nehmen wir das Beispiel Bürgergeld. Sie haben Hartz IV zwar umbenannt, Sie haben aber am grundlegenden Prinzip nichts geändert. Die Erhöhung von 50 € wird von der Inflation völlig aufgefressen. Das reicht doch nicht, meine Damen und Herren.

Nehmen wir die Energiepauschale für die Studierenden. Die wird seit Monaten nicht ausgezahlt. Die Digitalisierungspartei FDP hat jetzt ein Portal vorgestellt.

(Wiebke Knell (Freie Demokraten): Es ist doch gestern gemacht worden!)

Wahnsinn, ein Portal. Ich sage Ihnen, beim Besuch von Bundeskanzler Scholz in Marburg demonstrierten 500 Studierende für Milliarden für finanzielle Entlastung und Bildung statt für Aufrüstung. Recht haben sie, unsere Unterstützung haben sie.

(Beifall DIE LINKE)

Oder nehmen wir das Deutschlandticket. Selbst die „FAZ“ kommt zu dem Schluss, das ist einfach zu teuer, um einen wirklichen Anreiz zu bieten, das Auto stehen zu lassen. Auch das hessische Sozialticket, das DIE LINKE seit vielen Jahren eingefordert hat, ist immer noch viel zu teuer für Menschen, die von Transferleistungen betroffen sind.

Nehmen wir die Übergewinnsteuer. Es gibt nach wie vor keinerlei Initiative in Deutschland, um die Krisengewinner heranzuziehen. Dabei müssen die endlich besser besteuert werden. Wissen Sie, was die Experten sagen? Exxon, Chevron, BP, Shell und Total haben im vergangenen Jahr einen Profit von 190 Milliarden US-Dollar gemacht. Doch während selbst US-Präsident Biden diese Entwicklung empörend findet, wehrt sich die Ampel in Berlin gegen die Besteuerung der Krisengewinner. SPD und GRÜNE verstecken sich hinter der FDP. Schwarz-Grün stimmt nicht einmal im Bundesrat für eine Übergewinnsteuer. Am Ende hat sich da eine große Koalition zugunsten der Krisenprofiteure zusammengefunden. Das ist beschämend, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, einen heißen Herbst der sozialen Proteste hat es in dieser Form nicht gegeben. Das ist richtig. Dass aber überhaupt von den Regierenden – wenn auch unzureichende – Maßnahmen in Angriff genommen worden sind, ist doch auch das Ergebnis des Drucks von Gewerkschaften, von Sozialverbänden und auch von der LINKEN. Auch auf die Gasumlage musste die Ampel verzichten. Das ist ein Erfolg des Drucks aus der Gesellschaft. Im Übrigen: Gerade im Einsatz für Gerechtigkeit und Solidarität unterscheidet sich DIE LINKE ganz klar von den Kräften rechts außen, meine Damen und Herren. Das sollte man hier nicht in einen Topf werfen.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt kommen wir einmal zu Hessen. Über Hessen ist in der Debatte wenig gesprochen worden. Wie sieht es denn aus? Wir haben ein minimales Hilfspaket des Landes Hessen in Höhe von 200 Millionen €.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Minimal?)

Ich möchte Sie einmal fragen: Wie viel ist von diesen Mitteln denn überhaupt abgeflossen? Ich kenne keine öffentliche Bekanntmachung der Landesregierung hierzu. Ich sehe keine Formulare, mit denen man Mittel abrufen kann. Ich frage Sie: Wo sollen sich Leute hinwenden, wenn Rechnungen reinflattern und deren Bezahlung für viele nicht mehr machbar ist? Schnelle Hilfe in Not sieht wirklich anders aus. Das gilt für die nicht fließenden Bundeshilfen ebenso wie für die Verzögerung in Hessen.

Im Übrigen, weil Sie oft über die Zustände in Berlin sprechen, fließen dort unter einer rot-rot-grünen Regierung schon lange Landeshilfen an die Menschen. Das ist der bessere Weg.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): Haben Sie sich einmal die Umfragen angeschaut?)

CDU und GRÜNE beschwören die gemeinsame Kraftanstrengung der Bürgerinnen und Bürger. Die Realität ist leider: Viele Menschen fühlen sich von der herrschenden Politik, ja, auch von der Demokratie als solcher im Stich gelassen. Das ist brandgefährlich. Da hilft es auch nicht, wenn Politiker in der Krise Einsparungen einfordern, indem sie über warme Waschlappen, über Duschsparköpfe oder dicke Pullover sprechen. So eine Wirkung hatten nämlich die Energiespartipps von hoch bezahlten Politikern auf viele Menschen. Die konnten da nur den Kopf schütteln.

(Manfred Pentz (CDU): Was sind Sie denn?)

Wissen Sie, was CDU und GRÜNE auch in ihrem Antrag machen? Sie sagen, es sei gelungen, die Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und Kohle deutlich zu reduzieren. Sie müssen sich aber schon fragen lassen, zu welchem Preis. Deutschland kauft jetzt ökologisch schädlicheres Frackinggas aus den USA. Während die LNG-Terminals dafür innerhalb eines Jahres errichtet worden sind,

(Manfred Pentz (CDU): Dann doch lieber Öl aus

Russland! Das ist Ihre Rede! Dann doch lieber mit Putin!)

braucht es 38 Monate, lieber Herr Pentz, um ein einziges Windrad in Hessen zu genehmigen. Meine Damen und Herren, das sagt doch viel über die falschen Prioritäten grüner Politik – sowohl in Deutschland als auch in Hessen.

(Beifall DIE LINKE)

Sie verschweigen das auch. Es ist doch nicht ganz ehrlich, wenn Sie verschweigen, dass Sie die Abhängigkeit von der russischen Autokratie durch die Abhängigkeit von GolfAutokratien ersetzt haben.

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): So ist es!)

Das ist keine grüne, keine nachhaltige Politik.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen hat DIE LINKE eingefordert, statt 100 Milliarden € in Aufrüstung zu stecken, ein Sondervermögen zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien aufzulegen, um unabhängig von fossilen Energiestoffen zu werden, um der Klimakrise die Stirn zu bieten.

(Holger Bellino (CDU): Damit Putin auch bei uns einmarschieren kann!)

Das wäre doch einmal etwas: 100 Milliarden € für erneuerbare Energien.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): Gehen Sie doch zur AfD! – Glockenzeichen)

Dann machen wir hier auch wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise, Herr Bellino.

(Holger Bellino (CDU): Hören Sie mir doch auf! Putin-Versteher!)

Natürlich müssen wir auch über den Krieg in der Ukraine sprechen. Man darf bei alldem nicht vergessen, dass die – –

(Holger Bellino (CDU): Schönen Gruß an Frau Wagenknecht! Sie und die AfD!)

– Jetzt beruhigen Sie sich doch einmal für einen Moment.

Präsidentin Astrid Wallmann:

Das Wort hat Herr Schalauske. Ich würde bitten, dass er die Aufmerksamkeit für seine Rede erhält.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Man darf bei alldem nicht vergessen, dass die Preisentwicklung durch den russischen Krieg und die darauf folgenden Maßnahmen verursacht worden ist. Seit fast einem Jahr tobt der russische Krieg in der Ukraine. DIE LINKE hat ihn klar und unmissverständlich verurteilt,

(Lachen CDU)

so wie sie übrigens in der Vergangenheit alle völkerrechtswidrigen Kriege verurteilt hat, meine Damen und Herren, egal, von wem sie ausgegangen sind.

(Beifall DIE LINKE – Manfred Pentz (CDU): Realitätsverlust!)

Die Leidtragenden sind natürlich die Bevölkerung in der Ukraine und die Bevölkerung in der ganzen Region: Tod, Leid, Zerstörung, 280.000 tote und verletzte Soldaten auf beiden Seiten,

(Felix Martin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dagegen wollt ihr nichts machen?)

Zehntausende tote Zivilisten. Deswegen muss das oberste Ziel sein, dass dieser Krieg möglichst schnell endet, dass die Waffen endlich schweigen.

(Beifall DIE LINKE)

In diesen Tagen arbeitet die EU am zehnten Aktionspaket. Bereits beim ersten ist angekündigt worden, dass das Russland wirtschaftlich erheblich einschränken würde, aber das ist gar nicht passiert. Es hieß, die Sanktionen würden Russlands Fähigkeit, den Krieg zu führen, erheblich beeinträchtigen. Auch das ist nicht passiert. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen.

Was aber passiert ist, was auch diese Debatte hier prägt, ist: In einem noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Ausmaß dominiert die Logik des Militärischen die politischen Entscheidungen und den öffentlichen Diskurs. Da werden Kampfpanzer geliefert. Da wird davon gesprochen, dass wir uns in einem Krieg befinden. Da wird im Hessischen Landtag sogar von der Kriegsfähigkeit der Bundeswehr gesprochen. Da wird bei Twitter im Leopardenkostüm per Hashtag die Befreiung der Leoparden gefordert, als wäre Krieg ein Social-Media-Event. – Meine Damen und Herren, ich finde das alles völlig inakzeptabel.

(Beifall DIE LINKE)

Ich frage Sie: Wo soll das alles hinführen? Was wird da noch an Eskalationen kommen?

Präsidentin Astrid Wallmann:

Herr Schalauske, bitte kommen Sie zum Schluss.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Es droht eine immer weitere Eskalation des Krieges mit unvorstellbaren Folgen. Deswegen muss alles unternommen werden, um den Krieg auf diplomatischem Wege zu beenden.

(Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit was denn? Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)

Kriege werden mit Waffen geführt, mit Verhandlungen werden sie beendet. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)