Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - Soziale Verwerfungen mit aller Kraft verhindern!

Jan SchalauskeFriedenInternationales

In seiner 113. Plenarsitzung am 21. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Krieg in der Ukraine. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In diesen Tagen fragen sich hierzulande viele Menschen,

(Unruhe – Glockenzeichen)

ob sie zukünftig den Kühlschrank noch füllen oder die Heizung noch andrehen können. Briefe der Energieversorger treffen ein, in denen der monatliche Abschlag um mindestens dreistellige Beträge erhöht wird. Menschen erleben, dass sie heute für das gleiche Geld den Einkaufswagen nur noch halb so voll machen können wie vor ein paar Monaten.

Wegen der gewaltigen Preissteigerungen bei Lebensmitteln und der Energie bangen Millionen Menschen mit geringem Einkommen, aber auch mit durchschnittlichem Einkommen um ihre Existenz. Diese Sorgen und Ängste müssen wir ernst nehmen. Diese dürfen wir nicht relativieren, und wir müssen kommende soziale Verwerfungen verhindern.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt ist von verschiedenen Fraktionen viel von Verantwortung gesprochen worden. Aber ich möchte Sie fragen: Welche Signale senden denn in diesen Tagen die Regierungsvertreter aus? Ist es verantwortlich, den Menschen im Land den Einsatz von Duschsparköpfen, dicken Pullovern oder warmen Waschlappen zu empfehlen oder gar auf das Wetter zu hoffen? Ich sage Ihnen, was bei mir ankommt: In den Ohren vieler Menschen, die am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat übrig haben, klingen solche Empfehlungen wie Hohn und befördern Politik- und Parteienverdrossenheit.

(Beifall DIE LINKE)

Daher reden wir über konkrete Lösungen, die angemahnt wurden. Die Entlastungspakete der Ampelregierung in Berlin sind doch eher ein Päckchen mit einer enormen sozialen Unwucht. Sogar das DIW hat Ihnen ausgerechnet, dass vor allem Spitzenverdiener profitieren, während geringe Einkommen kaum entlastet werden.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Wenn die Zahlen stimmen, dann fallen die Entlastungspakete geringer aus als das Sondervermögen von 100 Milliarden € für die Bundeswehr. In Berlin wird bei der Abfederung von sozialen Härten gekleckert statt geklotzt.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 100 Milliarden € sind ein „Päckchen“? Sie haben doch Maß und Mitte verloren!)

Dabei wäre es jetzt an der Zeit, endlich zu klotzen und richtig viel Geld in die Hand zu nehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist gut, dass die Ungerechtigkeit vergangener Pakete beseitigt wurde. Es ist richtig, dass auch Studierende und Rentner das Energiegeld bekommen. Aber Einmalzahlungen reichen bei dauerhaften Preisanstiegen doch nicht. Dauerhafte Kosten brauchen auch dauerhafte Hilfen. Das Kindergeld wird jetzt um 18 € erhöht. Dabei lässt sich, da in diesen Tagen die Schule wieder anfängt, von einem solchen Betrag, auch über mehrere Monate, bei heutigen Preisen nicht einmal eine Schulausstattung finanzieren.

Deswegen ist es nach wie vor so wichtig, eine Kindergrundsicherung zu bekommen sowie eine Grundsicherung, die tatsächlich existenzsichernd ist. Deswegen muss sie um mindestens 200 € erhöht werden. Hartz IV in ein „Bürgergeld“ umzubenennen, klingt zwar schöner, ändert aber nichts an existenziellen Problemen. Das muss verändert werden.

(Beifall DIE LINKE)

Statt der Armut im Land den Kampf anzusagen, wälzt die Bundesregierung die Kosten der Krise in Form der Gasumlage auch noch auf die Bevölkerung ab, während Profite von profitablen Energiekonzernen abgesichert werden. Diese Gesetze werden dann auch noch von den Konzernen selbst geschrieben. Jetzt scheint die Gasumlage auf der Kippe zu stehen. Ich glaube, es wäre gut, wenn dieses Vorhaben zulasten breiter Teile der Bevölkerung endlich beerdigt würde.

(Beifall DIE LINKE)

Der notwendige Gaspreisdeckel wird auf den Sankt-Nimmerleins- Tag verschoben; und man hat den Eindruck, dass es wie immer läuft: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Diese Logik lehnen wir entschieden ab.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei wären – da sind wir beim Thema Lösungen, Kollege Wagner – viele Maßnahmen zur Abfederung der Krise finanzierbar, wenn wir z. B. wie andere europäische Länder, wie Italien, Spanien, Griechenland oder Großbritannien, endlich eine Übergewinnsteuer hätten. Leider hat Schwarz-Grün in Hessen hierzu eine entsprechende Bundesratsinitiative abgelehnt. Sie scheinen die Krisengewinnler lieber zu schonen. Dabei könnte man mit diesem Geld vieles machen: Die Energieversorgung in die öffentliche Hand überführen, Millionen Menschen entlasten und endlich in erneuerbare Energien investieren. Dann hätten wir unsere Hausaufgaben in den letzten Jahren auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht. Dann müssten wir in der Krise, aufgrund unserer Abhängigkeit von fossilen Energien, die eine Autokratie nicht durch eine andere ersetzen. Da ist der Ausbau erneuerbarer Energien doch die bessere Lösung.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, richtig, wir sind hier im Hessischen Landtag. Deswegen: Was macht die Landesregierung bisher im Kampf gegen Armut und eine soziale Schieflage? Schwarz-Grün bleibt ein Totalausfall. Der Ministerpräsident hält einen Gasgipfel ab, der keine Folgen hat. Teilnehmende berichten, es sei eher ein Kaffeekränzchen gewesen. Herr Ministerpräsident Rhein, wenn Sie schon einen solchen Gipfel organisieren, dann wäre es doch das Mindeste gewesen, in Hessen dafür zu sorgen, dass es bei der Energieversorgung einen Verzicht auf Strom- und Gassperren gibt. Kein Mensch darf ohne Strom, Warmwasser oder Heizung leben, nur weil er seine Rechnung nicht mehr bezahlen kann. Das wäre doch einmal ein Ergebnis des Gasgipfels gewesen.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass es einen runden Tisch mit den Sozialverbänden geben wird. Einen Tag, nachdem wir das gefordert haben, haben Sie dies öffentlich verkündet. Dies wurde auch höchste Zeit. „Links wirkt“, könnte man sagen.

(Lachen CDU)

Aber ich verlange von der Regierung, dass auch dies kein folgenloses Treffen bleiben darf, nach dem Motto: „Gut, dass wir darüber einmal geredet haben“, sondern es braucht konkrete Ergebnisse, um die soziale Lage der Menschen in Hessen zu verbessern.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben dafür Vorschläge gemacht. Herr Kollege Wagner, hier sind wir wieder beim Thema Lösungen: einen Landesaktionsplan zur Sicherung sozialer Teilhabe, der sich auch deutlich im Landeshaushalt niederschlägt, einen Härtefallfond, wie ihn Gewerkschaften und Sozialverbände für private Haushalte fordern, sowie eine Verlängerung der 9 €-Tickets auf Landesebene.

Herr Kollege Wagner, mit „Maß und Mitte“ wird diese Krise nicht zu bewältigen sein. Die beste Antwort auf die wachsende soziale Kälte im Land ist ein heißer Herbst. Deswegen beteiligt sich DIE LINKE im Schulterschluss mit den Gewerkschaften und Sozialverbänden an Protesten für Solidarität und Gerechtigkeit. Entscheidend ist dabei nicht der Wochentag, sondern dass Menschen für Solidarität und Gerechtigkeit auf die Straße gehen.

(Beifall DIE LINKE)

Für uns ist dabei auch völlig klar: Nationalistische, rassistische Losungen werden auf diesen Kundgebungen, an denen wir uns beteiligen, nicht geduldet.

(Robert Lambrou (AfD): Auf unseren auch nicht, Herr Schalauske!)

Ich weiß nicht, was der Ministerpräsident unter Kuscheln versteht; und ich will es eigentlich gar nicht wissen. Was ich aber weiß, ist:

(Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist mit Sahra Wagenknecht?)

Mit Blick auf die soziale Not im Land sollten Sie sich besser, statt Hufeisentheorien das Wort zu reden, um die soziale Kälte im Land kümmern.

(Beifall DIE LINKE)

Das wäre doch eine Aufgabe für einen Ministerpräsidenten.

(Anhaltende Zurufe CDU)

Bevor Sie sich alle immer weiter aufregen: Natürlich darf man bei alldem nicht vergessen, dass die Preisexplosion durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verursacht worden ist

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass dieser Krieg ein Verbrechen ist, das auch wir verurteilen.

(Beifall DIE LINKE)

Tod, Leid, Zerstörung – die Folgen des Krieges sind schrecklich, vor allem für die Menschen in der Ukraine und für die gesamte Region. Unsere Solidarität gilt allen Menschen, die unter diesem Krieg leiden, egal auf welcher Seite.

(Beifall DIE LINKE)

Millionen Menschen sind durch diesen Krieg zur Flucht getrieben, und es ist gut, dass diesen Menschen in Hessen so außerordentlich gut geholfen wird.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Wir finden aber, das sollte für alle Menschen gelten, die vor Krieg und vor Gewalt fliehen, im Übrigen auch, das sage ich mit Blick auf die russische Mobilmachung, für Kriegsdienstverweigerer. Wann wird Kriegsdienstverweigerung endlich als Grund anerkannt, um auch hier Schutz und Geborgenheit zu finden? Dafür ist es allerhöchste Zeit.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Holger Bellino (CDU))

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch: Die Sanktionen des Westens scheinen nicht zu einer schnellen Beendigung des Krieges beizutragen.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegenteil, Russland verkauft seine Ressourcen gewinnbringend an andere Teile der Welt. Die Fähigkeit, diesen Krieg zu führen, erscheint nicht beeinträchtigt, und Auswirkungen auf den militärisch-industriellen Komplex sind nicht zu beobachten.

(Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie müssen sich entschieden, auf welcher Seite Sie stehen! – Weitere Zurufe)

Hören Sie mir gut zu: Wenn Sanktionen eine Wirkung haben sollen, dann müssen sie ausschließlich auf die Beendigung des Krieges ausgerichtet sein und die Profiteure dieses Krieges treffen, die Machthabenden, die Rüstungsindustrie,

(Beifall DIE LINKE)

und eben nicht breite Teile der Bevölkerung, weder in Russland noch in Europa, noch im globalen Süden. Wir müssen doch feststellen, dass die Kriegsmaschinerie unbeeindruckt weiterrollt, europäische Sanktionen gar nicht helfen und es im globalen Süden enorme Versorgungslücken gibt.

(Zurufe)

Auch deswegen bleiben wir dabei: Es muss alles unternommen werden, so schwierig es auch ausschaut, um diesen Krieg auf diplomatischem Wege zu beenden.

(Anhaltende Zurufe – Glockenzeichen)

Kriege werden mit Waffen geführt, aber mit Verhandlungen werden sie beendet, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Statt mit immer größeren Waffenlieferungen diesen Krieg zu verlängern, braucht es mehr diplomatische Initiativen für Waffenstillstand und für einen Eintritt in Friedensverhandlungen.

(Zurufe)

Meine Damen und Herren, als LINKE lehnen wir Krieg als Mittel der Politik ab, unabhängig davon, von wem er ausgeht.

(Anhaltende Zurufe – Glockenzeichen)

Wir verurteilen heute den Krieg in der Ukraine. Wir haben in der Vergangenheit die Kriege im Irak, in Afghanistan und auch in Jugoslawien verurteilt.

(Oliver Ulloth (SPD): Das ist Doppelmoral! – Weitere Zurufe)

Wir kritisieren auch, wenn der Aggressor Alijev heißt und Gas nach Europa liefert. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kein Wort zu Wagenknecht, peinlich! – Anhaltende Zurufe)

Vizepräsident Frank Lortz:

Eine Kurzintervention, Kollege Grumbach.

Gernot Grumbach (SPD):

Herr Schalauske, ich finde, wir sollten die Welt einmal sauber sortieren. Es gibt einen Unterschied zwischen Kriegsführung und dem Versuch, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem Staaten Sanktionen gegen Brecher von Frieden verhängen. Das ist nicht das Gleiche.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Freie Demokraten)

Ich habe viele Probleme, die Sie auch haben. Wir sollten aber die Begriffe nicht durcheinanderschmeißen. Sie ordnen Sanktionen in eine andere Form der Kriegsführung ein. Sie sind aber Bestandteil einer Friedensordnung, indem die Nationen, die Frieden wollen, gemeinsam mit nicht militärischen Mitteln versuchen, ihn zu erreichen. – Das darf man nicht durcheinanderschmeißen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Demokraten, Walter Wissenbach (AfD) und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank. – Es antwortet der Kollege Schalauske.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Herr Kollege Grumbach, ich fühle mich durch Ihre Zwischenbemerkung eher in meinen Ausführungen bestätigt.

(Vereinzeltes Lachen)

Wir bleiben dabei: Sanktionen müssen geeignet sein, um den Krieg zu beenden. Sie müssen die Verantwortlichen für den Krieg treffen, d. h. die Machthabenden, den militärisch- industriellen Komplex. Sie müssen dazu beitragen, den Krieg zu beenden. Stattdessen erleben wir, dass die Fähigkeit Russlands, den Krieg zu führen, nicht beeinträchtigt zu sein scheint.

(Zurufe)

Wir erleben wirtschaftliche Auswirkungen für breite Teile der Bevölkerung in Russland, im globalen Süden und auch in Europa.

(Anhaltende Zurufe – Glockenzeichen)

Deswegen muss man über diese Form der Sanktionen diskutieren und darüber reden, was man tun kann, um diesen schrecklichen Krieg zu beenden. Unsere Priorität wäre dabei, alles in der Macht Stehende zu tun, um Friedenslösungen voranzubringen, um Verhandlungslösungen voranzubringen.

(Zurufe – Glockenzeichen)

Die italienische Regierung hat einen Friedensplan vorgelegt. Ich glaube, die deutsche Regierung sollte sich stärker dafür einsetzen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)