Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - DIE LINKE unterstützt Forderung nach Freigabe der NSU-Akten - Teil 2

Janine WisslerAntifaschismusInnenpolitik

In seiner 74. Plenarsitzung am 19. Mai 2021 diskutierte der hessische Landtag über die Petition zur Freigabe der NSU-Akten. Dazu die zweite Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Innenminister, ich finde es gut, dass Sie noch einmal klargestellt haben, um was es hier eigentlich geht. Herr Bellino hatte behauptet, es ginge um die 2.000 Akten, die offengelegt werden sollten. Der Innenminister hat jetzt selbst ganz klar gesagt, um was es geht. Es geht um einen Bericht bzw. um einen vorläufigen Bericht, einen Vorbericht und einen endgültigen Bericht. Es geht um eine behördeninterne Aufarbeitung, eine Prüfung von Vorgängen im LfV. Darum geht es.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Sonst nichts!)

Im Kern geht es um 38 Seiten, Herr Bellino. Es gibt noch einen gewissen Anhang, der hinten anhängt, aber im Kern sind es 38 Seiten. Diese 38 Seiten sind dieser Geheimbericht. Der vorläufige Bericht ist für 100 Jahre als geheim eingestuft worden und der endgültige Bericht für 120 Jahre. Auf Antrag im NSU-Untersuchungsausschuss ist dieser schon auf Verschlusssache NfD – NfD steht für: nur für den Dienstgebrauch – heruntergestuft worden, also so, dass man überhaupt erst öffentlich daraus zitieren konnte und Teile davon in den Abschlussbericht aufnehmen konnte. Darum geht es im Kern – um die ganzen Nebelkerzen beiseitezupacken, die hier geworfen werden. Keiner möchte ganze Zimmer voller Akten veröffentlichen, in denen Namen und sonst etwas stehen. Es geht im Kern um diese Berichte, meine Damen und Herren.

Es wurden Akten aus 20 Jahren angesehen, ob es zum NSU irgendwelche Bezüge gegeben hat. Es war der damalige Innenminister Rhein, dem im Jahr 2012 – im Sommer, wenn ich es noch richtig weiß – irgendwann der Kragen geplatzt ist und der dann irgendwann gesagt hat: Das Landesamt für Verfassungsschutz muss sich anschauen, ob es irgendwelche Erkenntnisse gegeben hat, ob es Bezüge zum NSU gegeben hat und ob es Versäumnisse gab. – Der damalige Innenminister hat diesen Bericht in Auftrag gegeben, und dann hat man fast zweieinhalb Jahre im Landesamt für Verfassungsschutz diese Akten durchkämmt und immer wieder Berichte abgegeben, die dann aber schon von den Abteilungsleitern im Innenministerium zurückgewiesen wurden, weil sie noch nicht richtig und gut waren. Dieser abschließende Bericht ist dann im Januar 2014 ans Innenministerium gegangen, als Herr Rhein nicht mehr im Amt war, sondern schon Herr Beuth Innenminister war. Nur so viel zur Geschichte dieses Berichtes.

Diese Berichte enthalten keine Primärquellen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Überhaupt nicht! – Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Da sind keine Treffberichte mit V-Männern enthalten. Da stehen auch keine Namen von V-Männern. Wer glaubt, dass das in den Dokumenten steht, der hat wirklich von dem NSU-Untersuchungsausschuss nicht besonders viel mitbekommen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Bei V-Männern steht ein Kürzel im Bericht, nämlich VM gefolgt von der Nummer, unter der er geführt wird. Ab und zu hat man noch vergessen, den Buchstaben dahinter zu schwärzen. Dieser Buchstabe gibt darüber Auskunft, ob der V-Mann zuverlässig ist bzw. wie zuverlässig er einzuschätzen ist. Das steht in den Akten, aber keine Namen. Das sind behördeninterne Prüfungsberichte. Ich sage noch einmal: Hier werden keine Persönlichkeitsrechte geschützt, sondern hier wird das Landesamt geschützt. Hier wird dabei geholfen, diese gewaltigen Verfehlungen, dieses Versagen des Landesamtes zu vertuschen. Das wird hier geschützt, aber keine Persönlichkeitsrechte.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Herr Wagner, die Staatskanzlei hat immer wieder versichert: Die Aktenlieferungen sind vollständig. – Immer wieder hat es Nachlieferungen gegeben. Immer wieder kamen neue Akten. Dieser Bericht, der elementar zu den Akten gehört – selbstverständlich ist er Kern der Akten –, hätte aufgrund des Einsetzungsbeschlusses und aller Aktenbeiziehungsbeschlüsse natürlich vorgelegt werden müssen. Der Bericht ist sowohl dem Deutschen Bundestag als auch dem hessischen Untersuchungsausschuss einfach vorenthalten worden. Er ist einfach nicht geliefert worden, Herr Innenminister. Erst als man in den Akten einen Hinweis darauf gefunden und nachgefragt hat, was mit dem Bericht ist, gab es die Antwort: Ups, haben wir vergessen. Nachlieferung. – So gab es ganz viele Nachlieferungen, weil man immer noch irgendetwas gefunden hat und dann wieder irgendein Aktenstück gerade nicht auffindbar gewesen ist. Das ist doch das Problem.

(Günter Rudolph (SPD): Bis heute gibt es keinen Vollständigkeitsbericht!)

Auf hohen öffentlichen Druck sind die 120 Jahre auf 30 Jahre heruntergestuft worden. Ja, schön, aber wir wissen, dass vielleicht viele Angehörige der Opfer in 30 Jahren nicht mehr leben werden. Deswegen müssen wir den Bericht jetzt öffentlich machen und nicht erst in 30 Jahren, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die GRÜNEN haben damals aus Koalitionsdisziplin der Einsetzung des Untersuchungsausschusses nicht zugestimmt. Der ist damals nur mit den Stimmen der SPD und der LINKEN eingesetzt worden. Leider haben Sie sich im Ausschuss auch über weite Strecken so verhalten. Es war wirklich schwierig, in diesem Ausschuss aufzuklären. Ich will nur sagen: Wir haben da versucht, Dinge zu beleuchten. Auszuleuchten gab es ein Unterstützungsumfeld des NSU in Kassel. So ist man ja auf Stephan Ernst gestoßen, den späteren Mörder von Walter Lübcke. Deswegen war er ja Thema im Untersuchungsausschuss.

In diesem Bericht ging es darum, ob es Bezüge zum NSU gab. Hätte das Landesamt für Verfassungsschutz etwas wissen können? Gab es möglicherweise Hinweise darauf? In dem Bericht stehen doch Hunderte von Hinweisen auf Sprengstoff und Waffen bei Neonazis. Denen ist einfach nicht nachgegangen worden. Hunderte von Akten sind einfach verschwunden, geschreddert worden, nicht mehr da. Vieles kann man heute überhaupt nicht mehr feststellen. Warum unterliegt das der Geheimhaltung? Das ist mir wirklich überhaupt nicht klar. Was soll daran geheim sein? Warum kann man das nicht veröffentlichen? Ein möglicher Grund kann nur sein, dass man sich Sorgen um den Ruf der Behörde macht, in deren Abgründe wir fünf Jahre lang schauen durften.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. 130.000 Menschen fordern die Offenlegung dieser Akte. Herr Wagner, die AfD heranzuziehen, um das Anliegen von 130.000 Menschen und das Anliegen der Opposition zu diskreditieren, das ist nicht in Ordnung. Die Leute fordern Aufklärung und Aufarbeitung. Damit haben sie auch recht. (Anhaltender Beifall DIE LINKE – Beifall SPD, Freie Demokraten und Robert Lambrou (AfD))