Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler- Drei große Krisen und keine Antworten von der Landesregierung

Janine Wissler
Janine WisslerHaushalt und Finanzen

Am 8. Dezember 2020 fand die große Generaldebatte im Rahmen der Haushaltsberatungen im Hessischen Landtag statt. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wir diskutieren in dieser Woche den Landeshaushalt für 2021. Das ist auch immer eine Bestandsaufnahme und eine Debatte über den Kurs der Landesregierung und ihre Prioritätensetzung. Aktuell erleben wir das Zusammenkommen verschiedener Krisen: die Corona-Pandemie, die die Gesundheit vieler Menschen gefährdet und die sozialen Ungleichheiten weiter verschärft, die Klimakrise, die sich weiter zuspitzt, und eine wachsende Gefahr von rechts. Die Politik der Landesregierung muss sich daran messen lassen, ob und welche Antworten sie auf diese Probleme gibt.

Über die Corona-Maßnahmen haben wir eben lange diskutiert. Deshalb will ich darauf verzichten, Ihnen noch einmal vollständig darzustellen, was wir in diesem Bereich fordern und welche Maßnahmen wir kritisieren – auch mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit.

Fest steht aber, dass die Corona-Krise die sozialen Ungleichheiten verschärft. Corona trifft alle, aber Corona trifft eben nicht alle gleich. Wer vorher schon ein niedriges Einkommen hatte, wer vorher schon keine Ersparnisse oder Schulden hatte, der kommt jetzt kaum über die Runden. Viele Menschen, die in Kurzarbeit leben, können kaum noch ihre Miete bezahlen. Dabei wirkt die CoronaPandemie wie ein Brennglas und macht die Missstände, die es bereits vorher gab, noch mal so deutlich sichtbar.

Das sehen wir in den verschiedenen Bereichen: auf dem Arbeitsmarkt, wo sich prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne ausgebreitet haben. Wir sehen es auf dem Wohnungsmarkt, wo die Mieten in den Städten viel zu hoch sind und sich viele Normal- und Geringverdiener kaum noch eine Wohnung leisten können. Auch das verschärft sich natürlich in der Krise. Wir sehen es an den Schulen, bei denen seit Jahren über den maroden Zustand der Gebäude und über Lehrermangel gesprochen wurde und wir jetzt in dieser Krise merken, wie eklatant das ist und dass es eben nicht funktioniert. Ganz stark merken wir es natürlich im Gesundheitssystem – beim öffentlichen Gesundheitsdienst, bei den Gesundheitsämtern, aber auch in den Pflegeeinrichtungen und in den Krankenhäusern –, dass wir dort einen Personalnotstand haben, auf den seit Jahren hingewiesen wurde.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Deshalb gibt es hier einen Bedarf, und deshalb ist es so dringend notwendig, in die öffentliche Infrastruktur, in die öffentliche Daseinsvorsorge zu investieren. Deswegen ist es so richtig, dass man sich – auch wenn es jetzt erst einmal nur zeitweise war – in dieser Krise von der schwarzen Null und von der Schuldenbremse verabschiedet hat; denn mit Kürzungen und schwarzer Null kommt man nicht durch die Krise, und das hat auch diese Landesregierung eingesehen.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, wir haben die Schuldenbremse ausgesetzt. Das halten wir für richtig, deswegen haben wir als LINKE dem auch zugestimmt, weil wir es immer für falsch hielten, dass es ein Kreditverbot für öffentliche Haushalte gibt. Undogmatisch, wie wir sind und wie Sie uns kennen, stimmen wir dann eben auch Anträgen der Landesregierung zu, wenn wir sie für sinnvoll und für richtig halten; damit haben wir kein Problem.

Das haben wir auch im Rahmen des Sondervermögens getan: Auch hier haben wir vielen sinnvollen Maßnahmen zugestimmt. Vielen Maßnahmen, wo wir über Jahre hinweg gefordert haben, dass Investitionen in verschiedenen Bereichen erfolgen, haben wir zugestimmt. Deswegen will ich ganz deutlich sagen: Wir beurteilen Anträge grundsätzlich nach dem, was drinsteht, und nicht danach, wer sie einbringt. Wir haben immer gesagt, die Schuldenbremse ist ein Problem, die schwarze Null ist ein Problem, weil sie Investitionen erschwert. Ich will es noch einmal sagen: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn die CDU bei einer inhaltlichen Frage umfällt. Solange sie in die richtige Richtung fällt, trifft das auf unsere Zustimmung.

(Beifall DIE LINKE)

Aber das Sondervermögen reicht natürlich nicht. Wir brauchen dauerhaft Investitionen und Maßnahmen, die dazu dienen, dass es eine soziale Gerechtigkeit gibt und dass die Menschen, die auf die soziale Infrastruktur am allermeisten angewiesen sind, sie auch haben. Die strukturellen Probleme werden in diesem Landeshaushalt leider nicht angepackt.

Natürlich stellt sich auch die Frage – sie ist ein paarmal in dieser Debatte aufgeworfen worden –: Wer zahlt denn am Ende für diese Krise? Wir reden bundesweit von Summen in dreistelliger Milliardenhöhe. Schon jetzt wird darüber gestritten, wer es am Ende eigentlich bezahlt, schon bei der Januarhilfe. Zahlt es der Bund, oder zahlen die Länder? Ich finde, wir sollten einmal damit aufhören, uns über die Frage zu streiten, ob es der Bund oder die Länder zahlen, sondern wir sollten einmal die Debatte in den Raum stellen, warum es nicht einmal die Reichen und Vermögenden in diesem Land zahlen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Kosten dürfen doch nicht wieder auf die breiten Teile der Bevölkerung abgewälzt werden. Meine Damen und Herren, es gibt in Hessen zwei Familien, deren Vermögen so hoch ist, dass es die Staatsverschuldung des Landes Hessen beinahe übersteigt. Die Eigentümerfamilie von BMW bekommt jedes Jahr 1 Milliarde € nur aus ihren Dividenden von BMW-Aktien – 1 Milliarde €. Das liegt vor allem daran, dass sie in eine Familie geboren worden sind und all das geerbt haben.

Wenn wir uns anschauen, dass die Reichen und Superreichen auch in der Krise immer reicher werden, schlagen wir eine einmalige Vermögensabgabe vor; unsere Bundestagsfraktion hat ein Gutachten dazu gemacht. Es gab so etwas schon einmal nach dem Zweiten Weltkrieg. Es wurde vielfach gesagt, dass wir die schwerste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik erleben; dann müssen wir eben auch Maßnahmen ergreifen. Es wäre eine Vermögensabgabe, die 0,7 % der Bevölkerung betreffen würde. Die meisten Menschen müssten sich keine Sorgen machen, weil es einen Freibetrag von 2 Millionen € geben sollte, den wohl die wenigsten haben. Aber es gilt, deutlich zu machen, dass Menschen mit so großen Vermögen auch einen Beitrag leisten müssen, dass diese Krise bewältigt werden kann; denn die Alternative wäre, dass es wieder diejenigen zahlen, die ohnehin schon riesige Einkommens- und Vermögensverluste in dieser Krise erlitten haben.

Deshalb ist Umverteilung das Gebot der Stunde, Vermögensabgabe, Vermögensteuer, und zwar aus zwei Gründen: Erstens brauchen wir mehr Geld für die öffentliche Hand und für die Kosten dieser Krise. Aber es ist auch eine Frage von Demokratie: Wenn die Ungleichheit in einer Gesellschaft so groß wird, dass die Vermögens- und Einkommensunterschiede so groß sind, dann ist das auch eine Gefahr für die Demokratie, und es ist gefährlich für die Gesellschaft. Deshalb ist es eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, auf Umverteilung zu setzen und die hohen Vermögen endlich zur Kasse zu bitten, um die Kosten für diese Krise tragen zu können.

(Beifall DIE LINKE und Gerald Kummer (SPD))

Schwarz-Grün spricht von Klimaschutz und Verkehrswende. Aber Worte werden das Klima nicht retten, an den Taten soll man sie erkennen. In den zurückliegenden Tagen wurden die letzten Baumhäuser im Dannenröder Wald geräumt. Über ein Jahr lang haben Aktive den Dannenröder Wald besetzt, um dort für den Erhalt des Waldes und gegen den Weiterbau der A 49 zu kämpfen. 85 ha jahrhundertealter wertvoller Mischwald werden gerodet, Ökosysteme zerstört und ein Trinkwasserschutzgebiet gefährdet, um eine Autobahn zu bauen, die mehr Verkehr für die Region bedeuten wird.

Im Waldzustandsbericht der grünen Umweltministerin ist nachzulesen, dass der Zustand des hessischen Waldes alarmierend ist, der Waldschutz müsse intensiviert werden, Schwarz-Grün finanziert aus dem Corona-Sondervermögen Aufforstungsprojekte. Und dann wird wertvoller Wald für Autobahnen, Flughafenausbau und Kiesabbau gerodet – was für ein Irrsinn.

(Beifall DIE LINKE)

Im Landtag wurde häufig das Argument bemüht, dass die Autobahn nun mal seit Jahrzehnten geplant werde und es nun zu spät sei, sie zu verhindern. Das hätte man früher machen müssen. Dabei gibt es bereits seit Jahrzehnten Bürgerinitiativen und Widerstand in der Region. Als der Bau der A 49 geplant wurde, waren die meisten Menschen, die im letzten Jahr auf den Bäumen im Dannenröder Wald saßen, noch nicht einmal geboren. Sie konnten sich überhaupt nicht wehren oder sich einbringen, aber ihre und die kommenden Generationen werden die Folgen dieser Politik spüren. Da frage ich mich: Wo bleibt hier eigentlich die Generationengerechtigkeit, von der an anderer Stelle so gern gesprochen wird?

(Beifall DIE LINKE)

Der Klimawandel ist nicht ferne Zukunft, er ist längst real. Anfang des Jahres brannten die Wälder Australiens, Dürren nehmen zu. Gerade gestern war zu lesen, dass der November der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war. Was aber macht man in Hessen? Man rodet einen Wald und baut eine Autobahn – gegen jede Vernunft und gegen jede klimapolitische Verantwortung.

Der Bau dieser Autobahn ist ein Fehler. Man hätte ihn verhindern können, man hätte ihn verhindern müssen. Ja, es gibt Verträge zum Bau dieser Autobahn. Aber es gibt auch internationale Verträge, wie z. B. das Pariser Klimaabkommen. Warum ist es offenbar kein Problem, diese Verträge permanent zu brechen? Carola Rackete und Luisa Neubauer haben das gut auf den Punkt gebracht, wenn sie schreiben:

Weil einige die Macht haben zu entscheiden, dass es in Ordnung ist, das Pariser Abkommen zu brechen, nicht aber einen Straßenbauvertrag. Weil es für Entscheider okay ist, die Einhaltung von Biodiversitätsabkommen zu gefährden, nicht aber einen Koalitionsbeschluss. Die entscheidende Feststellung vom Dannenröder Wald ist die: Wir werden in den nächsten Jahren immer weiter, immer mehr Verträge brechen müssen. Die Frage ist nur, welche das sein werden – und wer die Macht hat zu entscheiden, welche. Systemfragen halt.

Ja, ich glaube, wir müssen entscheiden, welche Verträge wir brechen. Das ist am Ende eine Frage des politischen Willens und der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse; denn Recht und Gesetz sind nichts Statisches, sie werden von Menschen gemacht, und sie können von Menschen verändert werden. Wenn geltendes Recht dem Klimaschutz und international vereinbarten Klimazielen im Weg steht, dann müssen diese rechtlichen Grundlagen und dann muss der Bundesverkehrswegeplan geändert werden; denn mit dem Klima und mit physikalischen Prozessen lässt sich nicht verhandeln. Man kann wissenschaftliche Erkenntnisse verleugnen – die AfD-Fraktion in diesem Haus hat das perfektioniert –, aber das setzt Naturgesetze nicht außer Kraft. Man kann auch aus dem Fenster springen, weil man nicht an die Schwerkraft glaubt, nur wird das die Schwerkraft wenig beeindrucken.

Deshalb ist es notwendig, diese falsch getroffenen Entscheidungen infrage zu stellen und auch bereit zu sein, sie zu korrigieren, wenn es dazu ein größeres Ziel gibt. Das Ziel muss die Einhaltung der internationalen Klimaschutzziele sein, die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens, und endlich Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen.

(Beifall DIE LINKE)

Wer kämpft, kann verlieren. Aber die GRÜNEN kämpfen nicht mehr, sondern sie erklären, warum das, was sie selbst lange gefordert haben, heute nicht umsetzbar sein soll. Statt die Proteste aktiv zu unterstützen und sich positiv darauf zu beziehen, verstecken sie sich hinter Verwaltungsvorschriften und erklären den Leuten die vermeintlichen Sachzwänge. Das ist nicht nur beim Danni so, sondern auch beim Flughafenausbau, bei der Werraversalzung oder bei der Rodung des Bannwaldes für Kiesabbau der Sehring.

Die GRÜNEN stellen in Hessen den Verkehrsminister und die Umweltministerin, aber bei der Verkehrs- und Energiewende geht es überhaupt nicht voran. Herr Minister AlWazir, manchmal frage ich mich, warum Sie eigentlich Verkehrsminister werden wollten,

(Torsten Warnecke (SPD): Weil er Autobahnen bauen wollte, logisch!)

wenn Sie gar nicht umsetzen können, was Sie behaupten, doch eigentlich zu wollen.

Ich will noch einmal den geschichtlichen Vergleich bemühen: Das Atomendlager in Gorleben war entschiedene Sache. Das war gerichtlich durchgeklagt und beschlossen. Es ist den BIs im Wendland und der Anti-AKW-Bewegung zu verdanken, dass dieser Plan nach Jahrzehnten endlich vom Tisch ist, obwohl angeblich schon alles abschließend entschieden war.

Oder auch der Hambacher Wald: Dort hatte RWE das Recht, den Wald zu roden und weiter Kohle abzubaggern. Der Protest von „Ende Gelände“, „Fridays for Future“ und vielen anderen hat den politischen Druck so erhöht, dass der Hambi erhalten bleibt.

(Marius Weiß (SPD): Die letzten Reste davon!)

Das zeigt, Protest lohnt sich und kann etwas verändern. Deswegen war auch die Bewegung im Dannenröder Wald nicht vergebens, auch wenn sie die Rodung des Waldes nicht verhindern konnte: Erstens ist die Autobahn noch lange nicht gebaut, und zweitens werden zukünftige Autobahnprojekte durch diesen anhaltenden Widerstand und die breite öffentliche Wahrnehmung noch schwerer durchzusetzen. Deswegen kann ich nur sagen: Grüße in den Dannenröder Wald und Respekt an die Aktivistinnen und Aktivisten, die dort ein Jahr lang in den Bäumen und den Baumhäusern saßen und für den Erhalt dieses Waldes gekämpft haben.

(Beifall DIE LINKE)

„System change, not climate change“ – das ist das Motto von „Fridays for Future“. Und sie haben recht: Ohne eine Veränderung der Macht- und Eigentumsstrukturen werden sich Klimaschutz, die Verkehrs- und Energiewende nicht durchsetzen lassen. Man muss bereit sein, sich mit den Konzernen und den Profiteuren anzulegen, die an fossilen Energien und übermotorisierten Autos gut verdienen.

Natürlich ist das immer auch eine soziale Frage; denn der Kampf um Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft, eine Verkehrswende, einen massiven Ausbau des ÖPNV und eine konsequente Energiewende.

Beim Bundesländerranking Erneuerbare Energien liegt Hessen weit hinten, ganze vier Windräder wurden im letzten Jahr in Hessen in Betrieb genommen. Ich kann es nur immer wieder sagen: Das hätte die FDP auch nicht besser hinbekommen. Vier Windräder: Das ist doch ein Armutszeugnis für einen grünen Minister.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Herr Minister Al-Wazir, vielleicht könnte man die CoronaKrise wenigstens einmal zum Anlass nehmen, um das Millionengrab Kassel Calden zu beerdigen. Schon vor der Pandemie hat niemand diesen Regionalflughafen gebraucht. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, dieses kostspielige Projekt zu beenden. Das macht das Klima zwar nicht besser, da fliegt ja sowieso fast nichts; aber zumindest könnte man ein bisschen Geld sparen.

Zusammengefasst: Beim Thema Klimaschutz passiert viel zu wenig. Das ist bei der CDU wenig verwunderlich; für die GRÜNEN ist es blamabel.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, am 19. Februar wurden in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet: junge Menschen, die ihren Abend mit Freunden in einer Shisha-Bar verbrachten oder sich am Kiosk etwas zu essen kauften – so wahllos und doch gezielt, weil der Mörder Menschen mit Migrationsgeschichte töten wollte. Die Familien trauern um ihre Kinder, ihre Brüder, ihre Mutter. Das Leid, das den Familien angetan wurde, ist unermesslich. Die Opferfamilien und die „Initiative 19. Februar“ fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen.

Niemand kann wiedergutmachen, was ihnen zugestoßen ist. Aber das Mindeste, wofür wir uns einsetzen können, ist, dass ihre Fragen beantwortet werden, dass die Hintergründe der Tat aufgeklärt werden und dass sie finanzielle Unterstützung erhalten. Wir dürfen diese Familien nicht alleinlassen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Und es müssen Konsequenzen gezogen werden. Nach so vielen rechten Anschlägen, nach der Mordserie des NSU und nach über 200 Toten durch rechte Gewalt seit 1990 fordern die Angehörigen der Opfer, dass Hanau nicht eine weitere Station von vielen sein darf – Hanau muss die Endstation sein.

Die Gefahr von rechts wächst – auch in Hessen: Hanau, der Mord an Walter Lübcke, Wächtersbach, rechte Chatgruppen bei der Polizei, Morddrohungen des NSU 2.0. Wer rechte Gewalt und rechten Terror beenden will, muss die rechten Netzwerke erkennen, die Szene konsequent entwaffnen und Rassismus, Antisemitismus und allen anderen Formen der Menschenfeindlichkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen den Kampf ansagen.

Es muss Schluss sein mit dem Gerede von Einzelfällen und Einzeltätern, mit dem Untern-Teppich-Kehren, Verschweigen und Verharmlosen von rechten Vorfällen in Sicherheitsbehörden. Dass der Bundesinnenminister sich nach wie vor weigert, eine Studie zu rassistischen Einstellungen in der Polizei erstellen zu lassen, ist ein Skandal. Das müsste den hessischen Innenminister aber nicht davon abhalten, eine eigene in Auftrag zu geben.

Rassismus in der Gesellschaft und in staatlichen Institutionen muss bekämpft werden. Die Wut und die Verzweiflung über diesen strukturellen Rassismus sind auch bei der Gedenkfeier in Hanau deutlich geworden, als Freunde der Getöteten davon erzählten, wie entwürdigend und beschämend es ist, immer und immer wieder anlasslos – vor den Augen von Passanten und Nachbarn – in Polizeikontrollen zu kommen, dass Eltern ihren Kindern sagen, dass sie in der Schule mehr arbeiten müssen als andere, weil sie nicht die gleichen Chancen haben, wie schwierig es ist, mit einem nicht deutschen Namen eine Wohnung zu finden oder auch nur am Türsteher einer Diskothek vorbeizukommen, dass man bei der Polizei oft nicht ernst genommen oder gar verdächtig wird, wenn man selbst Opfer geworden ist und um Hilfe bittet, das Gefühl, Menschen zweiter Klasse zu sein, nicht dazuzugehören, anders behandelt zu werden, Vorurteilen ausgesetzt zu sein. Es ist gut, dass Bewegungen wie „Black Lives matter“ den Protest dagegen auf die Straße bringen und vor allem diese Erfahrungen in eine breite Öffentlichkeit tragen und sie nicht verschweigen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Diskriminierungen bei der Arbeitsplatzsuche, bei Behörden, auf dem Wohnungsmarkt und in den Schulen müssen beseitigt werden. Racial Profiling muss unterbunden werden, und zivilgesellschaftliche Initiativen und Beratungsangebote gegen rechte Gewalt müssen gestärkt, finanziell besser ausgestattet und langfristig gesichert werden.

Ich will nur daran erinnern, dass diese Landesregierung im letzten Jahr Geld in die Hand genommen hat, um eine Kampagne gegen Linksextremismus an den Schulen aufzulegen. „Aufgeklärt statt autonom“ hat sie die genannt. Ich finde, diese unsägliche Gleichsetzung von rechts und links, die immer wieder passiert, muss aufhören; denn sie ist dumm, und sie ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gefährlich.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen doch die geistigen Brandstifter benennen. Wer von „Kopftuchmädchen, Messermännern und sonstigen Taugenichtsen“ spricht, wer Muslime, Migranten und Geflüchtete diffamiert, die deutsche Geschichte relativiert und rassistische Parolen verbreitet, bereitet den Nährboden für rechte Gewalt.

Umso wichtiger ist eine klare Abgrenzung, eine Brandmauer gegen rechts. Es war im Februar dieses Jahres, als in Thüringen ein Ministerpräsident mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD gewählt wurde. Und jetzt folgt in Sachsen-Anhalt der nächste Dammbruch. Die Ankündigung des CDU-Ministerpräsidenten, die Ratifizierung des Rundfunkänderungsstaatsvertrags auszusetzen, ist doch eine Kapitulation vor rechts außen. So macht man sich zum Steigbügelhalter der AfD.

Heute ist ein guter Tag für Antidemokraten und ein schlechter Tag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es ist für alle ein schlechter Tag, die gehofft haben, dass die vielfach beschworene Brandmauer gegen rechts nicht nur eine Floskel bleibt, meine Damen und Herren.

Mit einer Partei, deren Vertreter eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern, darf es keine Zusammenarbeit geben, und man darf sich auch nicht von ihr treiben lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist auch kein Sachsen-Anhalt-Problem, sondern es betrifft auch uns. Alle Demokratinnen und Demokraten sind gefordert, sich dieser Gefahr von rechts entgegenzustellen – in den Parlamenten und außerhalb.

Meine Damen und Herren, die schwarz-grüne Landesregierung hat auf keines dieser Krisenphänomene eine adäquate Antwort. In der Corona-Krise agiert sie wenig vorausschauend. Sie wälzt Verantwortung ab, wo sie kann. Sie tut zu wenig gegen die sozialen Verwerfungen infolge der Pandemie. Die sozialen Ungleichheiten verschärfen sich im Bildungsbereich, bei den Mieten und auf dem Arbeitsmarkt.

Die Aussetzung der Schuldenbremse und der geplanten Investitionen sind Schritte in die richtige Richtung; aber wir brauchen eine nachhaltige Abkehr vom Kaputtsparen der öffentlichen Infrastruktur, und wir brauchen eine gerechte Verteilung von Hilfen und Kosten in dieser Krise.

Beim Thema Klimaschutz geht es nicht voran, die Emissionen im Verkehr steigen, Flughafen und Autobahnen werden ausgebaut, die Energiewende stockt. Das ist blamabel für eine Regierung, in der die GRÜNEN den Verkehrsminister und die Umweltministerin stellen.

Und im Kampf gegen rechts hat man den Eindruck, dass nach wie vor gilt: Transparenz ist der größte Feind der Hessen-CDU. Statt Konsequenzen aus der Geschichte des NSU zu ziehen, statt Konsequenzen aus der Rolle der Behörden zu ziehen und Dinge aufzuklären und offenzulegen, gibt der Innenminister in der Regel nur das zu, was ohnehin schon bekannt ist.

Wenn wir uns diese drei Krisenphänomene nebeneinander anschauen, stellt sich die Frage: Wie kommen wir aus dieser Corona-Krise heraus? Kommen wir da mit noch größeren sozialen Verwerfungen heraus, als wie wir sie vorher schon hatten? Eigentlich würde diese Krise doch die Chance für mehr gesellschaftliche Solidarität bieten. Wir erleben doch gerade jetzt im Alltag Solidarität, die so viele Menschen praktizieren. Das ist eine Chance für mehr Solidarität, für einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft, weil jetzt endlich Investitionen getätigt werden. Wir wollen diese Investitionen doch nicht tätigen, um an veralteten Technologien festzuhalten, sondern um eine Modernisierung der Technologie voranzubringen.

Diese Krise ist Anlass für ein entschiedenes Zusammenstehen gegen alle menschen- und demokratiefeindlichen Ideologien. Ich finde, in diesem Sinne wäre es notwendig, einen Haushalt aufzustellen, der einen Blick hat auf die Schwächeren in diesem Land, auf die Ärmeren in diesem Land, auf die Menschen, die akut von dieser Krise bedroht sind. Ich denke, Solidarität ist das Gebot der Stunde. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)