Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - Wir brauchen Sozialstandards bei der Vergabe öffentlicher Aufträge

Janine Wissler
Janine WisslerWirtschaft und Arbeit

In seiner 65. Plenarsitzung am 3. Februar 2021 diskutierte der hessische Landtag über ein neues Vergabegesetz. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wir reden heute über zwei neue Anläufe, das hessische Vergaberecht zu reformieren. Meine Fraktion hat in den letzten Jahren ebenfalls einige Gesetzentwürfe zum Vergaberecht eingebracht.

Heute reden wir über die Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion und der Fraktion der Freien Demokraten. Die Gesetzentwürfe könnten erwartungsgemäß unterschiedlicher nicht sein.

Der SPD-Gesetzentwurf geht wenigstens in die richtige Richtung. Auch aus der Anhörung kam aber das Feedback, das er nicht weit genug gehe. Er geht aber zumindest in die richtige Richtung.

Die FDP hingegen legt heute einen Gesetzentwurf vor, der das geltende Vergabegesetz in seinen sozialen und ökologischen Kriterien noch weiter entkernen soll. – Die Abgeordneten der FDP nicken.

Als ich der Rede des Abg. Hofmann von den GRÜNEN zugehört habe, bin ich ein bisschen zusammengezuckt – zum einen deshalb, weil Sie Ihr eigenes Vergabegesetz so stark kritisieren und es für überfrachtet halten. Das ist es, finde ich, gerade nicht. Ich bin aber auch überrascht, dass die GRÜNEN die Stellungnahme der VhU zitieren, um gegen den SPD-Gesetzentwurf zu argumentieren. Ich erinnere mich zumindest noch an Zeiten in diesem Hause, da haben die GRÜNEN noch nicht kritiklos die Position der Unternehmerverbände übernommen. Das ist zwar schon eine Weile her; aber dass sich die Unternehmerverbände sehr häufig gegen Tariflöhne, gegen Sozialstandards, aber auch gegen Umweltstandards gewehrt haben und Sie deren Bewertung jetzt hier kritiklos vortragen – und sich damit ein Stück weit zu eigen machen –, lässt für Ihren Gesetzentwurf Schlimmes erahnen, wenn er denn vorgelegt wird.

Sie haben gesagt, man müsse in Anhörungen zuhören können. Ja, das muss man; ich würde mir sehr wünschen, dass das einige besser könnten. Es darf aber auch kein selektives Zuhören sein. Man sollte nicht nur hören, was die Unternehmerverbände sagen, sondern man sollte auch den Gewerkschaften zuhören; denn diese vertreten sehr viele Menschen in diesem Land, die einen Anspruch auf angemessene Löhne haben.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das gültige Vergabegesetz, das von Schwarz-Grün seinerzeit beschlossen wurde, ist unzureichend. Wir haben in den letzten Jahren regelmäßig darüber gesprochen, wie sinnvoll es wäre, wenn sich die öffentliche Hand verpflichten würde, bei Vergaben auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien, wie etwa die Tarifbindung, zu achten; denn sie hat eine ganz enorme Marktmacht. Warum soll der Staat Unternehmen mit Aufträgen belohnen, die Sozialstandards und Tarife unterlaufen, ökologisch zweifelhaft arbeiten und die Gesellschaft am Ende mehr Geld kosten? Warum soll die öffentliche Hand solche Unternehmen fördern, unterstützen und sie auch noch mit öffentlichen Aufträgen belohnen?

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das gültige schwarz-grüne Vergabegesetz sieht nur völlig unverbindliche Kannbestimmungen für soziale und ökologische Kriterien vor. Insbesondere sieht es keinerlei Kontrollen vor. Deswegen ist es hier zu Recht schon oft als „zahnloser Tiger“ bezeichnet worden. Diesem armen zahnlosen Tiger will die FDP jetzt auch noch die letzte halbe Kralle ziehen. Konkret wollen Sie jetzt auch noch die Kannbestimmungen streichen und die Freigrenzen erhöhen, unterhalb derer das Gesetz gar nicht greift. Damit würden Sie das Vergabegesetz faktisch abschaffen. Das halten wir für falsch und für unverantwortlich.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

– Herr Dr. Naas, ein Tiger ohne Krallen und ohne Zähne ist eben nicht mehr lebensfähig.

Ja, die Corona-Krise trifft viele Unternehmen hart, und auch deren Beschäftigte. Aber das verringert ja die anderen Krisen nicht, die parallel weiterlaufen. Wir haben auch eine Klimakrise, die sich zuspitzt, und wir haben eine Krise der sozialen Gerechtigkeit. Wir haben auch humanitäre Krisen in allen Weltteilen. Gerade die soziale Krise droht sich durch Corona noch zu verschärfen.

Deshalb ist es notwendig, dass die Milliarden, die jetzt in die Wirtschaft fließen, auch genutzt werden, um den sozial-ökologischen Umbau einzuleiten. Das Geld, das der Staat für öffentliche Aufträge ausgibt, muss an sozial und ökologisch sinnvolle Waren und Dienstleistungen geknüpft werden. Nicht trotz Corona, sondern gerade wegen Corona ist es umso notwendiger, jetzt auf die Einhaltung von Tariflöhnen zu achten.

Es ist also das Gegenteil von dem, was die FDP fordert, dringend notwendig: die Überarbeitung des Vergaberechts dahin gehend, dass der Staat nur einkauft, was sozial und ökologisch sinnvoll ist, und zwar bei Firmen, die ihre Beschäftigten gut bezahlen und seriös kalkulieren. Auch das haben wir immer wieder erlebt: dass Unternehmen mit Dumpingangeboten kommen und man dann merkt, dass sie die Leistungen für diese Preise eigentlich gar nicht erbringen können. Die Situation ist eben immer noch so, dass viel zu oft der Billigste zum Zuge kommt. Der Billigste ist aber eben langfristig nicht der Billigste, wenn es soziale Folgekosten gibt und die Leute zu niedrige Löhne bekommen, die die Allgemeinheit am Ende aufstocken muss, oder wenn massive ökologische Schäden geduldet werden müssen.

Deshalb muss ein gutes Vergabegesetz verbindliche Leitplanken setzen, und es muss Druck auf den Markt insgesamt ausüben; denn es ist doch völlig klar: Wenn sich Unternehmen um öffentliche Aufträge bewerben, Tariflöhne bezahlen und gewisse Standards einhalten, um sich auf öffentliche Aufträge bewerben zu können,

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Alles staatlich!)

dann werden sie auch bei anderen Aufträgen diese Standards einhalten, und das halte ich für notwendig.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Bei Ihnen ist alles staatlich!)

Das ist etwas, was der Staat, wie ich finde, schützen muss. – Herr Dr. Naas, weil Sie jetzt „Alles staatlich!“ dazwischenrufen: Ist es nicht auch im Interesse von Unternehmen, die ausbilden, die Tariflöhne zahlen, die seriös kalkulieren und die nicht auf Kosten der Umwelt wirtschaften, dass sie geschützt werden vor der Dumpingkonkurrenz und vor Unternehmen, die zwar einen Auftrag annehmen, ihn dann aber an Subsubsubsubunternehmen – endlose Lieferketten – weitergeben, sodass am Ende 1,02 € Stundenlohn herauskommt? Das ist zwar rechtswidrig, aber das ist die Praxis, die wir hier erleben.

(Beifall DIE LINKE)

Wir hatten doch diese Situation: eine Baustelle in Wiesbaden, auf der die Arbeiter einen Stundenlohn von 1,02 € erhielten. Das ist Wiesbaden. Solche Zustände muss man doch verhindern.

Natürlich ist das gegen alle gesetzlichen Regelungen. Das ist ja auch ein Problem des jetzigen schwarz-grünen Vergabegesetzes, dass es überhaupt keine Generalunternehmerhaftung gibt. Das heißt, ein Unternehmer übernimmt den Auftrag, aber er haftet nicht. Er haftet nicht für das, was die Subunternehmer am Ende machen. Das ist ein Problem.

Deshalb haben wir in unserem Gesetzentwurf geschrieben, dass wir das begrenzen müssen. Diese elenden Subunternehmerketten müssen begrenzt werden. Sonst kann man es einfach nicht kontrollieren. Wir brauchen bei den Bauaufträgen die gleiche Regelung wie bei den ÖPNV-Aufträgen. Ein Unternehmen, das sich um einen Auftrag bewirbt, muss versichern, dass es Tariflohn zahlt, ohne Wenn und Aber. Wir brauchen Tariflöhne.

Dort, wo wir aus irgendwelchen Gründen keine Tariflöhne haben – was schon schlimm genug ist –, brauchen wir einen Landesmindestlohn, und zwar als Krücke, weil es da nicht anders geht. Der gesetzliche Mindestlohn ist gerade in einer Region wie Rhein-Main viel zu niedrig. Der schützt nicht vor Armut. Deshalb gilt: Von Arbeit muss man leben können. Wir brauchen daher in einem Land wie Hessen einen Landesmindestlohn. Das geht. Natürlich kann man einen Landesmindestlohn einführen. In einigen Vergabegesetzen sind Landesmindestlöhne geregelt. Es ist durchaus möglich, das zu machen. Das wäre gerade auch in einem Land wie Hessen sinnvoll.

Jetzt geht es um die Freiwilligkeit bzw. um die Kontrollen. Es ist halt nur wenig sinnvoll, eine Regel einzuführen und ihre Einhaltung nicht zu kontrollieren. Das haben wir doch im Moment. Im Moment haben wir die Situation, dass Unternehmen sagen: Ja, ja, machen wir. – Sie verpflichten sich schriftlich, das alles einzuhalten, und dann gibt es zu wenige Kontrollen.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Wissen Sie, Herr Dr. Naas, das ist ein bisschen so, als ob Sie jetzt allen Autofahrern die Straßenverkehrs-Ordnung vorlegen und ihnen sagen würden: Bitte versichert uns schriftlich, dass ihr euch daran halten werdet. Dann können wir alle Verkehrskontrollen abschaffen und alle Blitzer abmontieren; denn die Leute haben sich schriftlich verpflichtet. – Gut, das ist jetzt ein schlechtes Beispiel; denn die FDP würde wahrscheinlich sogar sagen: Das ist gut, das machen wir so. – Ihr früherer Wirtschaftsminister hat ja tatsächlich mal Blitzer abgebaut.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SPD)

Das zeigt doch die Logik. Natürlich halten sich die Leute nicht zwangsläufig an Regeln, nur weil sie sagen, sie würden das tun. Natürlich muss es eine Form von Kontrolle geben; selbstverständlich muss das sein. Wenn man Vergabegesetze nicht kontrolliert, werden ihre Regelungen einfach nicht eingehalten.

Das alles haben wir in dem Gesetzentwurf, den wir vor zwei Jahren vorgelegt haben, gefordert. Vieles davon fordert die SPD jetzt auch in ihrem Gesetzentwurf. Ja, wir finden die eine oder andere Formulierung bei euch etwas weicher als bei uns.

(Zuruf SPD: Wir waren vor euch vor zwei Jahren!)

– Ich glaube, wir waren die Ersten, die so etwas eingereicht haben. Aber ich will mich darüber nicht streiten. Ich weiß nicht, wie viele Entwürfe für Vergabegesetze ich eingereicht habe. Das ist auch nicht der Punkt.

Es gibt ein paar Formulierungen, die bei uns einfach ein bisschen schärfer waren. In der Anhörung ist von den Vertretern der Gewerkschaften auch noch Verbesserungspotenzial herausgearbeitet worden. Aber das ist nicht der Punkt, über den ich mich jetzt streiten will. Wir hätten ein paar Sachen anders geschrieben, aber es bleibt, wie ich gesagt habe, ein Schritt in die richtige Richtung.

Der SPD-Entwurf wäre eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Status quo. Deswegen machen wir es wie die FDP: Wir stimmen einem Gesetzentwurf zu und lehnen einen ab. Aber es ist halt der Gesetzentwurf der FDP, den wir ablehnen. Das haben Sie auch so erwartet, weil es einfach ein schlechter Gesetzentwurf ist. Dem Gesetzentwurf der SPD stimmen wir zu, und wir sind gespannt, was Schwarz-Grün irgendwann einmal vorlegt. Vor allem sind wir gespannt darauf, wann Sie es vorlegen; denn es wäre natürlich auch wichtig, dass wir dieses Gesetz irgendwann novellieren. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)