Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler zum Haushalt 2021 - Bereich Wirtschaft und Verkehr

Janine Wissler
Janine WisslerHaushalt und FinanzenVerkehrWirtschaft und Arbeit

In der 61. Plenarsitzung am 9. Dezember 2020 diskutierte der Hessische Landtag über den Haushalt des Landes Hessen für das Jahr 2021. Für den Bereich Wirtschaft und Verkehr sprach unsere Fraktionsvorsitzende Janine Wissler.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Wir stecken inmitten einer globalen Pandemiekrise. Das beeinträchtigt natürlich gerade auch das Wirtschaftsressort, den Einzelplan 07, ganz immens.

Gestern haben wir anlässlich der Regierungserklärung schon ausführlich über die Corona-Situation in Hessen diskutiert. Dennoch möchte ich heute noch einmal das Augenmerk speziell auf die ökonomische Situation der Menschen in diesem Land richten, weil die in vielen Teilen dramatisch ist.

Deswegen zu Beginn kurz zu Ihnen, Herr Dr. Naas, weil Sie sich in Ihrer Rede sehr lange mit mir auseinandergesetzt haben, obwohl ich gar nicht Wirtschaftsministerin von Hessen bin, zumindest noch nicht – und wenn ich es wäre, kann ich Ihnen zusichern, dass ich Ihnen das reichhaltige Angebot an Joghurt nicht verwehren will; aber ich werde mich persönlich dafür einsetzen, dass Sie nur noch linksdrehenden Joghurt bekommen, wenn ich das Wirtschaftsministerium führe.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE und SPD – Zurufe)

Vorneweg will ich noch etwas sagen. Sie hatten es auch kritisiert, als ich gestern gesagt habe, wir dürften bei den Corona-Einschränkungen nicht nur über die Privatsphäre, sondern auch über das Arbeitsleben sprechen, was Sie als wirtschaftsfeindlich dargestellt haben. Wenn man den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz fordert, wenn man sagt, wir müssten unnötige Wege reduzieren und die Menschen davor schützen, viel Zeit im ÖPNV zu verbringen, wenn man sagt, wir brauchen nicht nur eine freundliche Bitte, dass Homeoffice dort eingesetzt wird, wo es möglich ist, sondern wir brauchen eine Verpflichtung dafür, und angesichts der dramatischen Situation, die wir gerade haben, mit einer Todeszahl von 590 innerhalb der letzten 24 Stunden, muss man natürlich die Frage stellen, wie wir auch im Arbeitsleben und in den Betrieben die Menschen schützen können: Das ist nicht wirtschaftsfeindlich, sondern ein Schutz der Beschäftigten.

Gerade das, was die FDP die ganze Zeit fordert – hier nur ein bisschen schließen und dort wieder lockern –, sorgt doch dafür, dass es einen immensen wirtschaftlichen Schaden gibt, weil sich die Krise immer weiter hinzieht und die Zahlen immer weiter steigen. Deswegen setzen wir uns für eine Regulierung am Arbeitsplatz und für den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz ein. Dazu gehört die Reduzierung von unnötigen Kontakten, meine Damen und Herren.

Aber jetzt zum Einzelplan selbst. Immer noch sind Hunderttausende Beschäftigte in Hessen in Kurzarbeit, davon viele durchgehend seit dem Frühjahr, manche nun erneut. Laut einer Studie des WSI hatte mehr als die Hälfte der Beschäftigten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.000 € mit Einbußen von über 25 % zu kämpfen. Bei ca. jedem Zehnten brachen mehr als 50 % des Einkommens weg. Ich will noch einmal sagen, dass Frauen ganz besonders häufig davon betroffen sind, weil Frauen überdurchschnittlich oft zu Niedriglöhnen arbeiten. Es waren auch die Frauen, die an vielen Stellen die wegfallende Kinderbetreuung kompensieren mussten.

Deswegen will ich noch einmal sagen: Es würde dem Corona-Kabinett gut anstehen, wenn eine einzige Frau darin vertreten wäre; und es würde dem hessischen Wirtschaftsministerium gut anstehen – ich finde, es ist im 21. Jahrhundert auch nicht zu viel verlangt –, wenn es mal eine Abteilungsleiterin oder eine weibliche Staatssekretärin in diesem Ministerium gäbe. Herr Al-Wazir, Sie hatten ja erst sieben Jahre Zeit, das durchzusetzen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Viele Wirtschaftsbereiche unterliegen einem dramatischen Nachfrageeinbruch, etwa Reisebüros, Busunternehmen, Schausteller, Cateringfirmen und natürlich der gesamte Kultur- und Veranstaltungsbereich. Es sind in diesen Branchen ganz besonders die Soloselbstständigen, die durch die Raster fallen. Die haben häufig von den Soforthilfen nicht profitieren können und haben auch keine großen Rücklagen. Diese unternehmerisch Tätigen ohne nennenswerte Fixkosten, denen vielleicht ihre Tätigkeit nicht untersagt wurde, die aber de facto keine Aufträge mehr haben, fallen in Scharen in die Grundsicherung, oft bei gleichbleibenden Lebenshaltungskosten.

Bei den Schaustellern z. B. ist die Lage verheerend, gerade bei denen, die sich auf Weihnachtsmärkte spezialisiert haben: Hier droht nicht einfach das Geschäft eines Monats wegzufallen, sondern wirklich das ganze Jahresgeschäft. Das Land muss hier hilfsweise eintreten – das haben wir schon im Frühjahr gesagt –, um Förderlücken zu schließen und den Leuten zu helfen, die durch diese Förderlücken fallen und auch durch die November- und Dezemberhilfen überhaupt nicht berücksichtigt sind.

Natürlich ist zu befürchten, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer das Handtuch werfen, sobald die Anzeigepflicht für Insolvenzen wieder in Kraft tritt. Dann stehen viele Arbeitsplätze, die in diesem Jahr zu Recht mit viel Geld, dem Kurzarbeitergeld, gerettet wurden, auf der Kippe.

Wenn man jetzt sieht, dass die Novemberhilfe, die der Bund zugesagt hat und die eigentlich Novemberhilfe heißt, in den meisten Fällen vermutlich erst im Januar ausgezahlt wird und es immense Probleme gibt – es sollte zwar Abschlagszahlungen geben, aber die sind z. B. bei vielen Gastronomiebetrieben auch noch nicht angekommen –, ist das natürlich eine Katastrophe für die Leute. Die haben sowieso schon schlechte Monate hinter sich, und jetzt bleiben die zugesagten Hilfsmaßnahmen aus, und nicht einmal die Abschlagszahlungen kommen.

Ich kritisiere ja immer viel, aber da muss ich sagen, Herr Minister: Das hat das Land im Frühjahr deutlich besser organisiert. Die Auszahlung dieser Gelder lief deutlich besser, als im Frühjahr das Land dafür verantwortlich war und als die Beschäftigten in den Regierungspräsidien die Osterfeiertage durchgearbeitet haben. Deshalb auch noch einmal herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz im Frühjahr an die Beschäftigten in den Regierungspräsidien, die dort Anträge bearbeitet haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An der Stelle hätte ich eine Frage, Herr Minister. Ich weiß, dass es nur halb Ihr Zuständigkeitsbereich ist, und ich hätte es auch gestern gefragt, aber da lagen uns die Eskalationsstufen von dem, was der Ministerpräsident verkündet hat, noch nicht vor. Weil bei den Inzidenzen von 200 und den Ausgangsbeschränkungen ganz viele Ausnahmefälle angeführt sind, aber das Einkaufen nicht erwähnt wird: Mich würde interessieren – das ist vielleicht auch für viele Beschäftigte von Relevanz –, wenn es ab 21 Uhr eine Ausgangsperre gibt und Einkaufen nicht als Ausnahme in der Verordnung steht, ob es dann bedeutet, dass z. B. die Supermärkte um 21 Uhr schließen müssen. Das ist eine relevante Information auch für die Beschäftigten dort. Diese Frage hätte ich gerne beantwortet.

Ich will noch etwas zur Ausbildung sagen; denn im Oktober haben knapp 6.000 junge Menschen in Hessen einen Ausbildungsplatz gesucht. Der zweite Lockdown droht natürlich auch hier die Lage zu verschärfen. Die Landesregierung muss ihre Bemühungen verstärken, um hier eine verlorene Generation zu verhindern und um die Auszubildenden aufzufangen, deren Unternehmen jetzt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich – das habe ich schon gestern gesagt – gibt es in dieser Krise auch profitable Unternehmen, die Massenentlassungen und Werksschließungen planen. Das ist eine Unverschämtheit. Wir wünschen den Beschäftigten bei Hitachi, bei ABB, bei Continental, bei der Lufthansa, die jetzt um ihre Arbeitsplätze kämpfen, viel Erfolg und einen langen Atem. Wir würden uns wünschen, dass die Landesregierung sich ganz deutlich an die Seite dieser Beschäftigten stellt und deutlich macht, dass sie sich für den Erhalt dieser Arbeitsplätze einsetzt.

(Beifall DIE LINKE)

Die Klimakrise hängt sehr stark mit dem Verkehrsbereich zusammen. Nun haben wir die Situation, dass der ÖPNV im Ballungsraum weiterhin überlastet ist; auf dem Land ist er zu dünn, das Angebot zu unattraktiv, die Preise sind zu hoch. Deshalb schlagen wir als Teil unseres Neustartprogramms und als Teil unserer Änderungsanträge ein 300Millionen-€-Programm für die ÖPNV-Infrastruktur vor. Wir brauchen einen Angebotsausbau, wir brauchen Preissenkungen. Bürgerbusse und Mitnahmebänke sind kein verlässliches Mobilitätsangebot. Anstatt Autobahnen und Flughäfen auszubauen, brauchen wir einen Ausbau des ÖPNV, und wir brauchen dringend die Verkehrswende.

Bereits angesprochen wurde, dass es durch die privatrechtliche Umgestaltung der Autobahnen zum Jahreswechsel einen umfangreichen Personalumbau bei Hessen Mobil gibt. Ich will noch einmal sagen: Wir als LINKE haben damals deutlich gemacht, diese Autobahngesellschaft für einen Fehler zu halten. Wir halten sie für falsch, weil sie privatrechtlich organisiert ist. Wir waren auch schon dagegen, als noch nicht klar war, dass keine der Niederlassungen nach Hessen kommt, sondern Hessen auf drei Bundesländer aufgeteilt wird. Dass es hier nicht so gut läuft, wie Herr Kasseckert auch deutlich gemacht hat, zeigt, dass es kein sinnvolles Projekt war und dass es sinnvoller gewesen wäre, wenn die Landesregierung im Bundesrat dem nicht zugestimmt hätte.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte noch auf ein Thema eingehen, und das ist das Thema Wohnen und Mieten, weil es gerade in Krisenzeiten existenziell ist. Hier überschlägt sich der zuständige Minister vor Eigenlob. Allein in der letzten Woche hat Ihr Ministerium vier Presseerklärungen herausgegeben, um der Welt zu verkünden, wie großartig Sie Ihre Arbeit machen würden. Ja, Immobilienkonzernen gefällt das – aber für die meisten anderen Menschen gibt es ein entscheidendes Problem bei Ihrer Selbstinszenierung, nämlich, dass ihre Realität eine andere ist: Die Mieten steigen, steigen und steigen, und man findet in den Städten – aber nicht nur in den Städten – als Normal- oder Geringverdiener, als Studierender oder als Rentner keine bezahlbare Wohnung.

Die Zahl der Sozialwohnungen nimmt von Jahr zu Jahr ab. Dass Menschen auf der Straße oder in überbelegten Wohnungen leben müssen, während gleichzeitig ganze Häuser leer stehen, immer neue Luxuswohnungen entstehen und Immobilieninvestoren riesige Profite erwirtschaften, das zeigt auch die soziale Spaltung, und das ist die Realität am Wohnungsmarkt in Hessen.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Wenn Sie sich an die Redezeit halten wollen, wäre es jetzt Zeit für den letzten Satz.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Wir haben ein bisschen Puffer!)

Janine Wissler (DIE LINKE):

Das ist eine schöne Frage, ob man sich an die Redezeit halten möchte. Ja, ich führe noch ein paar Minuten aus. Vielen Dank, dass Sie mir Bescheid gesagt haben – am Ende trifft es sowieso wieder mich, was die Redezeit angeht.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Durch die Pandemie hat sich die Situation für viele Mieterinnen und Mieter natürlich verschärft; denn wer seine Miete vorher kaum zahlen konnte, der kann sie mit Kurzarbeitergeld erst recht nicht bezahlen. Deswegen häufen sich die Mietschulden, und im schlimmsten Fall drohen Zwangsräumungen und Wohnungsverlust. Da stellt sich die Frage: Was tut denn die Landesregierung in dieser Situation? Sie tut nichts, was darauf hindeuten würde, dass sie den Ernst der Lage erkannt hätte.

Weder kümmern Sie sich um das Problem der Mietschulden durch Corona – da wäre die Frage, ob man einen landesweiten Mietschuldenfonds macht, um zu verhindern, dass Menschen ihre Wohnung verlieren –, noch nehmen Sie eine grundlegende Veränderung in der Wohnungspolitik in Angriff.

Beim Mieterschutz wird der Geltungsbereich der Mietpreisbremse und anderer Regelungen ausgeweitet, aber Städte wie Hanau, Gießen, Kassel oder Oberursel sind weiterhin oder nicht mehr bei der Mietpreisebremse dabei. Das verstehen nicht einmal Ihre Parteikolleginnen und -kollegen vor Ort.

An wirklich schärfere wirksame Maßnahmen, ein echtes Wohnraumzweckentfremdungsverbot, einen sofortigen Mietenstopp, die Einführung eines echten Mietendeckels nach Berliner Vorbild – an all diese Maßnahmen gehen Sie nicht ran. Auch zu dem Thema von eben, dem Mietschuldenfonds, habe ich zumindest keinen Vorschlag von Ihnen gehört, Herr Minister.

Dasselbe gilt beim Thema soziale Wohnraumförderung: Es ist noch immer nicht gelungen, den massiven Abbau von Sozialwohnungen zu stoppen, geschweige denn, ihn wirklich umzukehren. Mittlerweile haben wir nicht einmal mehr 80.000 Sozialwohnungen in Hessen. Bis 2024 werden noch einmal 9.000 aus der Bindung fallen. Die Landesregierung aber freut sich, wenn die Zahl der Sozialwohnungen am Ende des Jahres gerade einmal um ein paar Hundert, und nicht um ein paar Tausend, fällt.

Letztes Jahr wurden in Hessen gerade einmal 618 sozial geförderte Wohnungen fertiggestellt – 618 in einem Jahr. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis. Da passiert viel zu wenig in diesem Bereich, so werden Sie die Wohnungskrise nicht lösen, Herr Minister. Hier wäre dringend ein Politikwechsel erforderlich.

(Beifall DIE LINKE)

Beim Thema Energiewende geht nichts voran. Die viel zitierten vier Windräder, die im letzten Jahr in Betrieb gegangen sind, sind viel zu wenig. Ich gebe zu, da sind die Bundespolitik und die Änderung am EEG nicht hilfreich. Aber es gibt eine ganze Menge Dinge, die Sie auch in Landesverantwortung ändern können. Beispielsweise könnten Sie, um nur eines zu nennen, die Mindestwindgeschwindigkeiten, die die FDP einmal in den Entwicklungsplan geschrieben hat, seit Langem geändert haben. Das ist eine bürokratische Hürde. Das erschwert den Ausbau der Windenergie. Das könnte man z. B. korrigieren. Wenn man die Abstandsregelungen und noch die Windgeschwindigkeiten hat, hat man eben Probleme, auf 2 % der Landesfläche zu kommen, was eigentlich einmal das Ziel war.

Zusammengefasst: Es ist notwendig, die sozialen Folgen der Krise abzufedern, bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den Azubis, bei den Mieterinnen und Mietern. Es ist notwendig, um diese Krise für einen sozialökologischen Umbau zu nutzen, also nicht veraltete Technologien zu zementieren und nicht an verfehlten und veralteten Verkehrskonzepten festzuhalten, sondern die Verkehrs- und die Energiewende zu gestalten. Davon ist in diesem Haushalt viel zu wenig zu spüren. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)