Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Ausbildung muss angemessen vergütet werden! Azubis dürfen nicht mit Almosen abgespeist werden!"

Janine Wissler
Janine WisslerWirtschaft und Arbeit

Gute Rahmenbedingungen für Ausbildungen in Deutschland und Hessen (Dringlicher Entschließungsantrag Fraktion der CDU, Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Ds. 20/837)

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Dass die Debatte um eine Mindestausbildungsvergütung neuen Schwung aufnimmt und die Große Koalition endlich handeln will, das begrüßen wir. Man muss noch einmal sagen, dass das vor allem dem Druck der Gewerkschaften und der Jugend- und Auszubildendenvertretungen zu verdanken ist. Natürlich sind wir der Meinung: Ausbildung muss angemessen vergütet werden. Azubis dürfen nicht mit Almosen abgespeist werden.

(Beifall DIE LINKE)

Es wird immer wieder darüber geklagt – nicht von uns, aber seitens der Unternehmen, aber auch in diesem Haus –, dass die Studierneigung junger Menschen immer weiter zunimmt. Das wird immer gerne mit einem „schlechten Image“ der beruflichen Ausbildung begründet. Da werden Werbekampagnen gestartet, mit denen das Image der beruflichen Ausbildung verbessert werden soll. Zuletzt wurde die Azubicard beschlossen, eine mehr oder weniger attraktive Rabattkarte für Auszubildende. Ich will noch einmal ganz deutlich sagen, es ist eben nicht der schlechte Ruf, der die Berufsausbildung unattraktiv macht, sondern es sind ganz real schlechte Rahmenbedingungen, und vor allen Dingen sind es schlechtere Gehaltsaussichten.

(Beifall DIE LINKE – J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Das ist Quatsch!)

– Wer hat „Quatsch“ gerufen?

(Heiterkeit – Zuruf: Da hinten war es!)

– Sie?

(Heiterkeit)

Ich will nur darauf hinweisen, dass es Studien dazu gibt, dass der Durchschnittsakademiker schon nach wenigen Jahren mit seinem Durchschnittseinkommen den Absolventen einer beruflichen Ausbildung überholt hat. Diese Statistiken lasse ich Ihnen gerne zukommen, falls Sie bereit sind, Ihr Weltbild durch die Realität erschüttern zu lassen, Herr Kollege.

(Beifall DIE LINKE – J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Wenn Sie das umgekehrt genauso machen, dann gerne!)

Es sind schlechtere Gehaltsaussichten im späteren Berufsleben. Erzieherinnen und Erzieher verdienen nun einmal deutlich weniger als Lehrkräfte. Das ist so, dieses Problem haben wir in vielen Ausbildungsberufen. Es geht nicht nur um die Frage, ob es eine mangelnde Wertschätzung für die Ausbildungsberufe gibt – ja, die gibt es. Wertschätzung drückt sich in der Arbeitswelt aber hauptsächlich über Geld aus und nicht über warme Worte und Sonntagsreden, wie wichtig diese Berufe sind. Wenn man Berufe aufwerten möchte, dann muss man sie auch gescheit bezahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Eine Mindestvergütung für Azubis ist überfällig, um Anerkennung auszudrücken, aber auch um den Missbrauch von Auszubildenden als Billigarbeitskräfte zu unterbinden. Herr Dr. Naas, Sie haben eben gesagt, dass das Thema Vergütung für die Auszubildenden gar kein so großes Thema sei und dass es eher um Übernahme und um andere Fragen gehe. Die Übernahme ist sicherlich auch ein wichtiges Thema. Jetzt haben Sie gesagt, Sie hätten Anfragen im Bundestag gestellt, die das bestätigt hätten. Ich will darauf hinweisen: Wenn Sie im Bundestag Anfragen stellen, dann antwortet die Bundesregierung, es antworten nicht die Azubis.

(Heiterkeit Günter Rudolph (SPD))

Viele Auszubildende können eben nicht bei ihren Eltern wohnen bleiben, weil sie vielleicht einen Ausbildungsplatz in einer anderen Stadt annehmen müssen. Deswegen glaube ich sehr wohl, dass die Frage für die Auszubildenden schon eine gewisse Relevanz hat, wie viel Auszubildendenvergütung sie am Ende bekommen. Dass das nicht die alles entscheidende Frage ist, mag sein. Aber Sie machen Ihre Arbeit ja auch nicht nur, weil sie Ihnen wahnsinnig viel Spaß macht und Sie ein nettes Umfeld haben, sondern Sie werden auch angemessen dafür bezahlt, Herr Kollege.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Darüber sollten wir diskutieren!)

– Nein, ich diskutiere jetzt nicht über die Angemessenheit der Bezahlung einzelner Abgeordneter. Das mache ich nicht. Es ist grundsätzlich sinnvoll und notwendig, dass es eine Mindestvergütung für Auszubildende und eine gesetzliche Untergrenze gibt.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Jetzt will ich aber sagen, wo das Problem liegt. Letzten Monat wurden die Pläne der Bundesregierung für eine Mindestausbildungsvergütung vorgestellt. Es wurde klar, leider würden von dieser Form der Mindestausbildungsvergütung viel zu wenige Auszubildende profitieren. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesbildungsministerin – nicht gerade ein Aktivposten innerhalb der Bundesregierung, wenn ich das einmal so sagen darf – würden im Jahr 2020 – –

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten): Wer ist ein Aktivposten?)

– Das ist schwer zu sagen. Es gibt einige in der Bundesregierung, die mehr auffallen, aber Sie haben vollkommen recht: oft nicht positiv. Frau Karliczek ist aber schon ein besonderer Ausfall, würde ich sagen.

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt wird es kritisch!)

Von dem vorliegenden Gesetzentwurf würden im Jahr 2020 lediglich, das finde ich jetzt wirklich wichtig, 26.000 junge Menschen profitieren, weil sie im ersten Lehrjahr weniger als 515 € verdienen, die die Bundesregierung in ihrem Entwurf als Untergrenze vorsieht. Das sind schon sehr wenige Azubis, zumal die vollschulische Ausbildung außen vor ist, weil sie außerhalb des Geltungsbereichs des Berufsbildungsgesetzes liegt. 515 € Untergrenze – 26.000 Jugendliche, die im Moment weniger bekommen. Wir fordern, wie die DGB-Gewerkschaften auch, eine Mindestausbildungsvergütung von 80 % der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung aller Branchen des jeweiligen Ausbildungsjahres. Das wären dann, um auch Zahlen zu nennen, nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung und des DGB, Stand 2018, 660 € im ersten Ausbildungsjahr, 720 € im zweiten und 795 € im dritten Jahr. Von diesen 660 € brutto pro Monat im ersten Ausbildungsjahr würden dann über 125.000 Jugendliche profitieren, vom derzeitigen Gesetzentwurf der Bundesregierung 26.000 Jugendliche. Wenn man die Forderungen des DGB umsetzen würde, wären das 125.000 Jugendliche, deren Ausbildungsvergütung derzeit unter 660 € liegt und die davon profitieren würden. Ich finde, das ist das Mindeste; denn Auszubildende sind keine Billigarbeitskräfte – als solche werden sie oft behandelt. Deswegen schließen wir uns der Forderung des DGB an. Wir brauchen eine Mindestausbildungsvergütung, aber sie muss deutlich höher liegen als das, was die Bundesregierung gerade vorschlägt.

Natürlich müssen wir auch über die Qualität der Ausbildung reden. Im „Ausbildungsreport 2018“ der DGB-Jugend sank die Zufriedenheit mit der Ausbildung bei den befragten Azubis auf ein Rekordtief von 70 %. Besonders in den lebensmittelverarbeitenden Berufen sowie im Hotelund Gastgewerbe gibt es große Qualitätsdefizite. Natürlich müssen wir auch – das wurde schon angesprochen – über die Ausstattung der Berufsschulen sprechen, die quasi das Stiefkind des Schulsystems sind. Auch diese tragen nicht gerade zur Attraktivität des Ausbildungssystems bei, um es ganz vorsichtig zu sagen. Zwei Drittel aller Berufsschüler sagen, die Berufsschulen seien schlecht ausgestattet und hätten keine zeitgemäßen Unterrichtsmaterialien. Wir brauchen also Mindeststandards für Ausbildungen. Wir brauchen z. B. die Verankerung des Rechtsanspruchs auf eine vollqualifizierende Ausbildung, das Recht auf Teilzeitausbildung, mehr Schutz und Mitbestimmung für Azubis und die Übernahme von Fahrt- und Unterbringungskosten seitens der Betriebe. Die Kritik daran – die haben wir heute auch gehört – ist immer die gleiche Leier wie auch bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Herr Dr. Naas, Sie haben eben gesagt, würde man Mindeststandards einführen, würde das Ausbildungsplätze gefährden. – Ich sage Ihnen, Ausbildungsplätze sind nicht dadurch gefährdet, dass es eine Mindestvergütung oder Mindeststandards gibt. Ausbildungsplätze werden gefährdet, wenn sich Unternehmen aus ihrer Verantwortung stehlen und nicht ausreichend Ausbildungsplätze schaffen.

(Beifall Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) – Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Die FDP hat vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auch immer gesagt: Wenn wir den gesetzlichen Mindestlohn einführen – –

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Ausbildung ist kein Mindestlohn!)

– Das ist kein Mindestlohn, da gebe ich Ihnen recht. Aber Ihre Argumentation ist genauso falsch wie bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns; denn auch da haben Sie den Teufel an die Wand gemalt: Es würde Arbeitsplätze kosten, und weiß der Geier was. – Das hat sich alles nicht bestätigt. Die Einführung des Mindestlohns war richtig, notwendig und absolut überfällig. Deswegen wird auch die Mindestausbildungsvergütung keine Ausbildungsplätze gefährden.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde, die Bundesregierung könnte auch über eine Ausbildungsumlage nachdenken: Wer nicht ausbildet, soll zahlen, gerade um die kleinen und mittleren Unternehmen ein bisschen zu entlasten, da viele große Unternehmen ihrer Ausbildungspflicht nicht so ganz nachkommen. Ich finde auch, bei allem Gejammer über den Fachkräftemangel dürfen wir nicht vergessen, dass es immer noch Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsplatz finden, die über lange Zeit keinen Ausbildungsplatz finden und als unqualifizierte Arbeitskräfte dauerhaft im Niedriglohnbereich bleiben.

Nach dem letzten Berufsbildungsbericht der Landesregierung liegt Hessen bei der Angebot-Nachfrage-Relation weiterhin unter dem Bundesschnitt: bei 90,7 % gegenüber 94,8 %. Auch die Ausbildungsquote, der Anteil der Azubis unter den Beschäftigten, ist in Hessen gesunken. Frau Bächle-Scholz, Sie reden davon, dass es einen Überhang gibt. Ja, an einigen Stellen gibt es einen Überhang. Aber ich möchte an eine sehr vergessene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnern, das einmal festgestellt hat, dass wir, um das Grundrecht auf freie Berufswahl zu gewährleisten, wie es im Grundgesetz garantiert ist, ein Angebot von 112,5 % bräuchten. Das müsste laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Angebot sein. Wir bräuchten also einen sehr viel stärkeren Überhang als den, den wir derzeit haben. In diesem Sinne: Es gibt noch eine ganze Menge zu tun. Wir brauchen eine Ausbildungsumlage. Wir brauchen eine stärkere Förderung von Ausbildungsverbünden. Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze beim Land. Auch darauf kann man hinweisen, dass sich der öffentliche Dienst ganz schön aus der Ausbildung zurückgezogen hat. Das ist ein Problem, weil der öffentliche Dienst, das Land, mit gutem Beispiel vorangehen muss, wenn man von Unternehmen fordert, dass sie gute und ausreichend Ausbildungsplätze schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)