Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm - Ergebnisoffene und anonyme Schwangerenkonfliktberatung endlich wieder möglich

"Beratungsstellen von pro familia dürfen nicht direkt belagert werden - Der Druck der Straße und unser Gesetzentwurf haben gewirkt!"

Christiane Böhm
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„Schutzzonen“ vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen rechtlich verankern (Antrag Fraktion der Freien Demokraten, Ds. 20/1227)

 

Frau Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren!

Wir hatten jetzt eine lebhafte Debatte, in der immer nur die „Bürger“ vorkamen. Ich habe gedacht, vielleicht gibt es auch Frauen, die Auto fahren. Aber jetzt haben wir auf jeden Fall ein Thema, das ganz speziell und vorwiegend Frauen betrifft. Ich freue mich sehr, dass ich verkünden darf: Heute ist ein guter Tag für die Rechte von Frauen und für die sexuelle Selbstbestimmung von ungewollt Schwangeren. Es ist ein guter Tag, weil die Selbstbestimmungsgegnerinnen und -gegner die Beratungsstelle von pro familia in Frankfurt nicht direkt belagern dürfen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Menschen können auch heute ungehindert, unbeeinflusst, ohne bedrängt und moralisch und psychisch unter Druck gesetzt zu werden, die dortigen Beratungsangebote wahrnehmen, obwohl die Selbstbestimmungsgegnerinnen und -gegner eine sogenannte Mahnwache angekündigt haben. Den Fundamentalisten, also diesen Selbstbestimmungsgegnern, wurde als Standort für die Mahnwachen während der Öffnungszeiten der pro-familia-Beratungsstelle eine Ecke zugewiesen, wo sie keinen direkten Zugang und keinen direkten Sichtkontakt zur Beratungsstelle hatten, sodass die Forderung des Erlasses der Landesregierung, dass solche Mahnwachen nur außerhalb der Sicht- und Rufweite des Eingangs stattfinden dürfen, erfüllt ist; und das ist gut so. Das ist eine gute Entscheidung. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In allererster Linie verdanken wir dies den vielen engagierten Menschen, die in den vergangenen drei Jahren Druck gemacht und sich Jahr für Jahr 80 Tage an die Seite der Schwangeren und der Beschäftigten von pro familia gestellt haben. Sie haben mit ihrem Druck auf der Straße, ihrem Engagement in Gremien und Parlamenten wesentlich dazu beigetragen, dass es in den nächsten 40 Tagen für die Ratsuchenden keinen Spießrutenlauf gibt. Diesen vielen engagierten Menschen gebührt mein Dank sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das ausgehalten haben, und den Ärztinnen und Ärzten, die von solchen Fundamentalisten ebenfalls belagert wurden.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Engagement ist in den vorliegenden Gesetzentwurf gemündet. Da der Innenminister zu Anfang nicht bereit war, einzusehen, dass er gefordert ist, die Behörden vor Ort anzuweisen, war es notwendig, eine rechtliche Regelung herbeizuführen. Der Druck der außerparlamentarischen Proteste und unser parlamentarischer Lösungsvorschlag haben es am Ende erreicht, dass zumindest ein Teil dieser Regierungskoalition so unter Druck geriet, dass das Innenministerium gleich zwei Handreichungen innerhalb von zwei Monaten zum Thema „Schutzzonen um Beratungsstellen“ erlassen musste.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere der grünen Landtagsfraktion, Sie können es noch so oft dementieren, aber es war Absicht, dass am Vorabend der Anhörung zu unserem Gesetzentwurf ganz exklusiv ein Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ erschien, der den Eindruck vermitteln sollte, es sei alles geklärt.

(René Rock (Freie Demokraten): Klar! Logisch!)

Es war kein Zufall, dass drei Tage vor der Anhörung zu unserem Gesetzentwurf eine zweite Handreichung des Innenministeriums erschien, die das genaue Gegenteil von dem aussagte, was Herr Beuth noch in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf im Landtag erklärt hat.

(René Rock (Freie Demokraten): Klar!)

Ich erinnere Sie gern daran: Herr Beuth erklärte damals von diesem Pult, es gebe vor pro familia in Frankfurt durch die sogenannten Mahnwachen kein Problem. – Es gab aber

ein Problem. Es gab diese Mahnwachen; und dass die Selbstbestimmungsgegnerinnen nicht unmittelbar vor der Beratungsstelle standen, war nur der Zivilgesellschaft in Frankfurt zu verdanken, den Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag bereit waren, dort eine Mahnwache anzumelden und durchzuführen, damit die anderen nicht direkt vor der Tür standen. Ich denke, es war die Zivilgesellschaft, die dieses Problem zumindest etwas abgemildert hat. Das war weder das Ordnungsamt noch der Innenminister, obwohl diese für die Umsetzung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes zuständig und für den Schutz der Frauen verantwortlich sind.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Zwei Monate später, nach der ersten Lesung, kam es pünktlich zur Anhörung unseres Gesetzentwurfs zu dieser 180-Grad-Wende. Ich will es noch einmal sagen: Der Druck der Straße und unser Gesetzentwurf haben gewirkt. Links wirkt also auch im Hessischen Landtag. Es war übrigens sehr schäbig, dass Sie erst versucht haben, die Anhörung mit 30 Expertinnen und Experten öffentlich zu unterminieren, und sich dann noch geweigert haben, den Anzuhörenden und Fraktionen diese Handreichung, die kaum einer der Anwesenden kannte, zur Verfügung zu stellen. Aber auch diese Behinderung der Anhörung ist Ihnen nicht gelungen. Wir hatten eine hervorragende vierstündige Anhörung, die aus meiner Sicht folgende Dinge belegt hat:

Erstens. Die große Mehrheit der Anzuhörenden und alle, die mit dem Thema Schwangerschaftsberatung und -abbruch zu tun haben, waren sehr erfreut über unseren Gesetzentwurf. Die juristische Frage, ob ein Erlass ausreichend ist oder ein Gesetz erforderlich ist, wird sich wahrscheinlich demnächst so oder so klären, wenn die Selbstbestimmungsgegnerinnen klagen werden.

Zweitens. Dazu gab es bei den Verfassungsrechtlern unterschiedliche Auffassungen. Es war deutlich zu sehen, dass diejenigen, die sich stärker mit der Situation der betroffenen Schwangeren beschäftigt haben, zu einem anderen Ergebnis gekommen sind als diejenigen, die die rechtliche Abwägung in den Vordergrund gestellt haben. Ich kann noch immer nicht verstehen, warum es darum ging, dass einseitige politische Meinungsäußerungen verboten werden sollten. Es ist eindeutig klar, dass wir in dem Gesetzentwurf stehen haben, dass zum Thema der Schwangerschaftskonfliktberatung dort „keine“ politischen Meinungsäußerungen stattfinden sollen. Es ist auch keine politische Meinungsbekundung; denn wenn die Selbstbestimmungsgegnerinnen wirklich etwas gegen den Schwangerschaftsabbruch machen wollten, dann würden sie sich in Frankfurt vor den Römer stellen. Dort würden sie viel mehr Leute erreichen und hätten ein größeres Publikum. Nein, sie gehen vor die Beratungsstelle, weil sie schwangere Frauen ganz konkret davon abhalten wollen, ihre Entscheidung unbeeinflusst zu treffen. Ich denke, das ist das Problem; und damit konterkarieren Sie den Auftrag der Schwangerschaftskonfliktberatung bewusst.

(Beifall DIE LINKE)

Drittens. Es ist klar, wir brauchen weiterhin eine eindeutige rechtliche Regelung. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz erfordert eine unbeeinträchtigte, unverzügliche, anonyme und ergebnisoffene Beratung. Das wird mit diesen Mahnwachen nicht möglich. Der Staat hat aber das Gesetz durchzusetzen. Auch andere Angebote wie die vertrauliche Geburt sind durch diese sogenannten Mahnwachen beeinträchtigt.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja, dazu komme ich gleich, danke schön. – Es ist nicht zulässig, dass staatliche Aufgaben auf Dauer der Zivilgesellschaft aufgebürdet werden. Wir brauchen Regelungen wie in anderen Ländern; auch das ist notwendig. Wir werden auch dem Antrag der Freien Demokraten zustimmen, auch wenn er nicht ausreichend ist. Aber jeder Schritt, der in die richtige Richtung geht, ist notwendig. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))