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Rede

"Bessere Ausbildungsbedingungen und Perspektiven würden die berufliche Ausbildung wirklich attraktiver machen"

Janine Wissler
Janine WisslerBildungWirtschaft und Arbeit

Gute Nachricht für Hessens Auszubildende: Azubi- Card stärkt Berufsbildung und öffnet Türen (Antrag Aktuelle Stunde Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ds 20/205)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die Landesregierung hat sich wieder einmal etwas einfallen lassen: Nach der Ehrenamts-Card jetzt die Azubi-Card, die Bonuskarte der Hessen Agentur und der IHK.

Was diese Karte den Inhaberinnen und Inhabern genau bringt, bleibt abzuwarten. Sie hat den Zweck, dass Auszubildende den Studierenden und Schülern nicht nachstehen, was Rabatte in Museen, in Schwimmbädern, bei Handyverträgen usw. angeht, wie man bei der Vorstellung der Card gehört hat. Diese Funktion – darauf ist schon hingewiesen worden – erfüllt allerdings in vielen Fällen schon heute der Schülerausweis, den jede Berufsschülerin, jeder Berufsschüler und damit jeder Azubi erhalten kann.

Von daher gesehen, ist der Zusatznutzen der Azubi-Card etwas ungewiss. Auf der dazugehörigen Website bieten viele Kommunen beispielsweise Ermäßigungen für den Besuch von Schwimmbädern und Museen an. Das ist zwar gut und sinnvoll, aber das hat man bisher auch gegen Vorlage des Schülerausweises bekommen. Ansonsten findet man Angebote von Bars, Hotels und Einzelhändlern, die die Website ein Stück weit auch als Werbeplattform nutzen. Von daher gesehen, ist die Frage, ob diese Karte in der Praxis viel nutzt.

Hinter der Azubi-Card steht der Versuch, die duale berufliche Ausbildung attraktiver zu machen, weil – so wird es hier immer wieder dargestellt – angeblich alle jungen Menschen studieren wollten. Das wird gerne auf das vermeintlich schlechte Image der Ausbildung zurückgeführt. Deshalb starten Sie Werbekampagnen – bei denen Sie zugleich für die Landesregierung werben –, und Sie beschließen hier im Landtag Anträge, die zum Inhalt haben, dass Ausbildungen toll und einem Studium gleichwertig sind.

Es ist aber eben nicht einfach der angeblich schlechte Ruf der Berufsausbildung, der sie unattraktiv macht, sondern der Grund sind schlechte Rahmenbedingungen und schlechtere Gehaltsaussichten. Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen verdienen z. B. deutlich weniger als Lehrkräfte, die bekanntlich studiert haben.

Was die berufliche Ausbildung wirklich attraktiver machen würde, wären bessere Ausbildungsbedingungen, bessere Perspektiven und höhere Löhne für Ausgelernte sowie Mindestausbildungsvergütungen für Auszubildende, wie es die Gewerkschaften seit Langem fordern.

(Beifall DIE LINKE)

Eine Gehaltsstudie aus dem Jahre 2017 besagt, dass ein Akademiker im Schnitt mit 31 Lebensjahren einen gleich alten Menschen mit Berufsausbildung beim bis dahin erzielten Lebenseinkommen überholt. Bis zur Rente wird ein Durchschnitts-Akademiker rund ein Drittel mehr Geld verdient haben. Obwohl die Gefahr der Altersarmut auch bei höher Qualifizierten steigt, kommt sie bei diesen, statistisch gesehen, immer noch deutlich seltener vor.

Auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist angesprochen worden. Es ist selbstverständlich ein Problem, wenn man sich vom Azubi-Lohn nicht einmal die Miete leisten kann. Das ist ein Missstand. Darauf hat die IHK bei der Vorstellung der Azubi-Card hingewiesen.

Wir müssen auch über die Qualität der Ausbildung reden. Hier gibt es Probleme, besonders häufig in den Berufen, in denen am lautesten über einen Bewerbermangel geklagt wird. Wenn man sich den „Ausbildungsreport 2018“ der DGB-Jugend anschaut, dann liest man, dass die Zufriedenheit mit der Ausbildung bei den 15.000 befragten Azubis auf ein Rekordtief von 70 % gesunken ist. Besonders in den Lebensmittel verarbeitenden Berufen sowie im Hotelund Gaststättengewerbe gibt es große Qualitätsdefizite.

Die Ausstattung der Berufsschulen – die so etwas wie ein Stiefkind des Schulsystems sind – trägt ebenfalls nicht zur Attraktivität des Ausbildungssystems bei. Zwei Drittel aller Berufsschüler sagen, die Berufsschulen seien zu schlecht ausgestattet und hätten keine zeitgemäßen Unterrichtsmaterialien. Vor diesem Hintergrund kann man eine Azubi-Card zwar einführen, sie wird die tatsächlichen Probleme aber nicht lösen.

Es wird darüber geklagt, dass die berufliche Ausbildung nicht attraktiv genug sei. Es gibt in der Tat in bestimmten Branchen und in bestimmten Regionen einen Bewerbermangel. Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, dass es nach wie vor junge Menschen gibt, die keinen passenden Ausbildungsplatz finden. Die Zahl der Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist weiterhin höher als die Zahl der unbesetzten Stellen. Die Angebots-Nachfrage-Relation in Hessen liegt weiterhin unter dem Bundesschnitt, und die Ausbildungsquote in Hessen ist erneut gesunken – auf jetzt 4,4 %.

Wir sind weiterhin der Auffassung, dass eine Ausbildungsplatzumlage notwendig und sinnvoll wäre, damit die Betriebe, die ausbilden, wenigstens dabei unterstützt werden. Vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe bilden aus, während sich viele große Unternehmen aus der Verantwortung stehlen. Deshalb brauchen wir eine Ausbildungsplatzumlage.

Wir brauchen eine stärkere Förderung der Ausbildungsverbünde, und wir brauchen auch mehr Ausbildungsplätze beim Land. Der öffentliche Dienst hat sich nämlich aus der Berufsausbildung ziemlich zurückgezogen und bildet deutlich weniger junge Menschen aus, als das vorher der Fall war.

(Beifall DIE LINKE)

Präsident Boris Rhein: Frau Kollegin, ich muss auf die Redezeit hinweisen.

Janine Wissler (DIE LINKE): Solche Maßnahmen würden den Auszubildenden und solchen, die es werden wollen, mehr nutzen als eine Azubi- Card.

(Beifall DIE LINKE)