Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Bodenschutz ist Klimaschutz: Schutz von Ackerflächen vor Versiegelung und Verkauf an landwirtschaftsferne Großinvestoren

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz
Heidemarie Scheuch-PaschkewitzBiodiversitätLandwirtschaft und Tierschutz

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

verehrte Gäste,

der letzte Sommer sollte allen vor Augen geführt haben, dass der Klimawandel die Landwirtschaft im besonderen Maße betrifft. Wir müssen in Zukunft mit erheblichen Ernteeinbußen auf Grund von heißen und trockenen Sommermonaten rechnen. Für den Klimaschutz muss die Agrarwende deutlich schneller geschehen und für die Klimaanpassung dürfen wir gute Ackerböden nicht länger zubetonieren. Bei fort-schreitendem Klimawandel brauchen wir jeden Hektar guten Ackerboden, um die Ernährung der Menschen in Hessen sicher zu stellen.

Im Antrag der Regierungskoalition – der im Kern die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag wiederholt und die Agrarpolitik der vergangenen fünf Jahre lobt - heißt es:

„Der Landtag stellt fest, dass durch gezielte Förderpolitik in der Landwirtschaft gute Erfolge für die von der Landesregierung verfolgten Ziele für Biodiversität, Klima-, Wasser- und Bodenschutz (…) erzielt werden können,"1 Ja richtig, Erfolge können erzielt werden. Das Problem ist aber, dass die Landesregierung nur rhetorische und programmatische Erfolge erzielt.

 

1 Antrag „Nachhaltige Landwirtschaft in Hessen weiter fördern und Unterstützen" (Drs. 20/180, 2.)

 

In den fünf Jahren grüner Landwirtschafts- und Umweltpolitik hat das Artensterben katastrophale Ausmaße angenommen. Dem Insektensterben ist die Ausräumung der Äcker durch glyphosat-behandelte Monokulturen vorangegangen. Das Grundwasser unter den Äckern ist häufig so stark mit Nitrat aus der konventionellen Land-wirtschaft belastet, dass es nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden kann - dazu gibt es ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland - und die Fruchtbarkeit von immer mehr Böden ist nur noch durch massiven Einsatz von Kunstdünger aufrechtzuerhalten. 2

In den letzten fünf Jahren grüner Agrarpolitik konnten diese Trends noch nicht einmal gestoppt werden, von einer Trendumkehr ganz zu schweigen. Die Negativtrends sind so dramatisch, dass es keine Frage der Perspektive ist, ob das Glas halb leer oder halb voll ist.

Das Glas hat mehrere Löcher – meine Damen und Herren - und die müssen dingend gestopft werden!

Zuallererst müssen wir die vorhanden, guten Ackerböden in Hessen besser schützen. Im Zeitraum von 1992 bis 2015 sind die Land-wirtschaftsflächen in Hessen um 40.700 Hektar geschrumpft. Für die Eintracht Fans unter uns: Das entspricht der Fläche von ca. 90.400 Fußballfeldern.

Zweitens muss die landwirtschaftliche Produktion flächendeckend ökologisiert, d.h. auch extensiviert werden. Es wird nicht reichen, auf einem Viertel der Fläche Ökolandbau zu betreiben und den Rest, wie gehabt, konventionell zu bewirtschaften. Eine umweltverträgliche Produktion benötigen wir auf der ganzen Fläche. Denn nur so können wir die ökologischen Leistungen von Äckern – wie Kohlenstoffbindung, Grundwasserbildung, Artenvielfalt und Fruchtbarkeit – aufrechterhalten.

Beides – Extensivierung und Klimawandel - führt zu abnehmenden Erträgen. Wir haben ein Problem. Bereits heute isst die Hälfte der Hessen „auswärts", „weil die Anbauflächen für Nahrungsmittel im Land für die eigene Nachfrage nicht mehr ausreichen" – so lautet es in einer Publikation zum Bodenschutz des Hessischen Umweltministeriums 2016.2

 

2 Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2016): Planung mit Tiefgang

Vorsorgender Bodenschutz: Wissen für die Praxis; S. 16;

 

3 Antrag „Nachhaltige Landwirtschaft in Hessen weiter fördern und Unterstützen" (Drs. 20/180, 5.)

 

Deshalb müssen wir um jeden Hektar Ackerboden kämpfen, meine Damen und Herren. Zubetonierte Ackerböden sind für immer verloren. Gute Böden kann man nicht einfach im Baumarkt nachkaufen. Appelle, freiwillige Maßnahmen und Programme reichen hierbei nicht aus. Wir brauchen eine entschlossenere Bodenschutzpolitk - und das Land Hessen muss an dieser Stelle beispielhaft vorangehen.

Deshalb fordern wir die Landesregierung in einem ersten Schritt auf, das Handeln der Hessischen Landgesellschaft (HLG) so zu ändern, dass gute Ackerböden aus Landesbesitz nicht mehr für Gewerbeflächen und Logistikzentren zubetoniert werden können.

Die HLG muss Ackerböden schützen und darf sie nicht für Kommunen vermarkten. Was im letzten Jahrhundert noch eine gute Serviceleistung für Kommunen gewesen sein mag, muss in Zeiten des Klimawandels gestoppt werden.

In dem Antrag zur „Nachhaltigen Landwirtschaft" von CDU und Grüne heißt es: „Der Landtag ist (…) der Auffassung, dass die bisherigen acht Ökomodellregionen sehr ambitioniert arbeiten und innovative Projekte umsetzen (…)."3 3

Nein! Dieser Auffassung sind wir nicht.

Weder der Ökoaktionsplan, noch die Ökomodellregionen der Landesregierung haben in den letzen Jahren auch nur einen einzigen Hektar Ackerboden vor der Versiegelung geschützt.

Es ist ein Skandal, dass in Neu-Eichenberg, mitten in der aus Lades-mitteln finanzierten „Ökolandbau Modellregion Nordhessen", mit Unter-stützung der Regierungsfraktionen, 80 Hektar bester Ackerboden für ein Logistikzentrum zubetoniert werden sollen. Das einzige, was hieran nachhaltig ist, ist die Zerstörung der Grundlage unserer Nahrungs-mittelproduktion. Damit muss Schluss sein!

 

Ambitioniert wäre gewesen, diejenigen zu unterstützen, die in Neu-Eichenberg versucht haben, das Logistikzentrum - für das über 15 Jahre Investoren gesucht wurden - zu verhindern.

 

Ambitioniert wäre gewesen, der Gemeinde Neu-Eichenberg eine Ausstiegsoption aus dem Knebelvertrag mit der Hessischen Landesgesellschaft zu ermöglichen. Dass die HLG einer Gemeinde mit kleinem Budget, wie Neu-Eichenberg, Entwicklungskosten zwischen 900.000 und 1,2 Millionen Euro aufbürdet, falls das Logistikzentrum nicht zustande kommt, verhindert eine Kursänderung.

Es ist nicht Aufgabe der HLG, die zu 61 % dem Land Hessen gehört, Kommunen in desaströse Geschäfte ohne Ausstiegsoption zu verwickeln, um dann selbst hohe Gewinne auszuweisen. Unter einer „Staatlichen Treuhandstelle für ländliche Bodenordnung" stellen wir uns etwas anderes vor. Es wäre die Aufgabe der HLG, gute Ackerböden treuhänderisch zu bewahren und nicht zu verscherbeln – meine Damen und Herren!

Warum macht die Landesregierung der Gemeinde Neu-Eichenberg kein Angebot, dass es ihr ermöglicht, die lange zurückliegende und durch den Klimawandel untragbar gewordene Entscheidung rückgängig zu machen?

Das wäre ein wirklich ambitioniertes Projekt. Im Rahmen der „Hessischen Nachhaltigkeitsstrategie", im Rahmen der „Ökomodellregion", im Rahmen des „Zukunftspaktes Hessische Landwirtschaft" oder im Rahmen des Programms „Vielfältigen Ackerkulturen" einen Plan zur Rettung der Äcker in Neu-Eichenberg zu schmieden. Dazu ist es noch nicht zu spät.

Was helfen all diese wohlklingenden Programme der Hessischen Landesregierung, wenn sie nicht in der Lage sind, auch nur einen einzigen Hektar Ackerboden zu bewahren?

Wir fordern die Landesregierung auf, die Arbeitsrichtlinien der Hessischen Landgesellschaft grundlegend zu überarbeiten. Anstelle der sogenannten Entwicklung von Flächen zu Gewerbegebieten, muss das Hauptgeschäft der HLG der Schutz von landwirtschaftlichen Flächen werden. Die Hessische Landgesellschaft muss zu einem Frühwarnsystem für von Versiegelung bedrohte Äcker werden und dazu beitragen, diese zu sichern, statt sie zu betonieren, meine Damen und Herren.4

Die Hessische Landesgesellschaft ist zu 100 Prozent im Besitz öffentlicher oder öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften und Institutionen und die Staatsaufsicht liegt beim Hessischen Wirtschafts-minister Tarek Al-Wazir. Anders als bei der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) kann die Landesregierung die Verhältnisse hier unmittelbar ändern.

Greifen Sie unsere Vorschläge auf, werden sie praktisch und richten Sie die Aufgaben der HLG konsequent für den Klimaschutz und die Ernährungssicherheit aus!

Der Klimawandel und seine Folgen lässt für Zögern, Abwarten und Versteckspielchen keine Zeit mehr.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.