Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Antrag: Fachkräftesicherung in Hessen setzt auf Aus- und Weiterbildung, spricht weitere Zielgruppen an und öffnet den Arbeitsmarkt für Zugewanderte

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberWirtschaft und ArbeitMigration und Integration

Rede von Gabi Faulhaber am 26.April 2018 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist erst ein Jahr her, da hat die FDP-Fraktion schon einmal zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt. Heute diskutieren wir erneut über ein Einwanderungsgesetz. Als ich das gelesen habe, sah ich, dass ein Punktesystem nach
kanadischem Vorbild immer noch sehr zu begeistern scheint. Ich habe mich gefragt, woran das liegt.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wofür sind Sie denn?)

Ein System nach Punkten lässt das Bild einer berechenbaren und gut kontrollierten Zuwanderung entstehen. Dieses in der öffentlichen Diskussion sehr verklärte Modell suggeriert, dass sich die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft passgenau abbilden ließen. Zugleich soll anhand dieser Wunschliste eine punktgenaue Auslese unter einwanderungswilligen Migrantinnen und Migranten möglich sein.

Meine Damen und Herren, dieses Modell funktioniert in dieser idealisierten Form noch nicht einmal in Kanada. Das Punktemodell wird dort inzwischen sehr kritisch gesehen. Es geht nämlich mit einigen Nachteilen einher. Das Punktesystem hinkt dem Arbeitsmarkt hinterher, wodurch am Arbeitsmarkt eine Diskrepanz zwischen angeworbenen Arbeitskräften und dem tatsächlichen Fachkräftebedarf entsteht.

Viele hoch qualifizierte Einwanderer müssen, wenn sie trotzdem im Land bleiben wollen, eine Arbeit annehmen, die ihrer Qualifikation bei Weitem nicht entspricht. In Kanada fahren nicht wenige Eingewanderte Taxi. Für diese Verschwendung von Qualifikationen hat sich dort sogar der Begriff „Brain Waste“, also Gehirnabfall, entwickelt.

Meine Damen und Herren, wir LINKE lehnen die dem Punktesystem zugrunde liegenden Vorstellungen auch aus grundsätzlichen Überlegungen ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind gegen eine solche selektive Migrationspolitik, weil sie die Rechte danach vergibt, ob Menschen nach kapitalistischen Verwertungskriterien nützlich oder unnütz sind. Maßstab für uns sind die individuellen Menschenrechte. Die Grenzen müssen durchlässig für alle Menschen sein, nicht nur für besonders Wohlhabende oder Gebildete oder Hochqualifizierte.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz suggeriert, dass es keine rechtlichen Regelungen im Bereich der Migration gäbe. Aber ein Mangel an Gesetzen und Verordnungen besteht in diesem Bereich in keiner Weise. Vielleicht wäre es der einzige Vorteil eines Einwanderungsgesetzes, dass es einmal geordnet würde, dennoch hätte es viele Nachteile.

Gerade für Akademiker und Hochqualifizierte gilt das deutsche Aufenthaltsrecht im europäischen Vergleich sogar als besonders einwanderungsfreundlich. Dass trotzdem so wenige kommen, hat auch damit zu tun, dass sich das Zuwanderungssystem weiterhin als Anwerbestopp mit Ausnahmen präsentiert.

Das kritisiert die OECD, also die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in einer Studie. Deutsch als dominante Arbeitssprache, eine nur rudimentär vorhandene Willkommenskultur, die mangelnde Anerkennung ausländischer Abschlüsse, um nur einige Gründe zu nennen, machen es vielen Fachkräften nicht einfach, sich für Deutschland zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, diese Gründe wären nicht beseitigt, wenn ein Punktesystem kommen würde. Das lässt sich mit einem Einwanderungsgesetz auch nicht so einfach beseitigen. Da muss schon ein Kräfteverhältnis da sein, das diesen Tendenzen entgegenwirkt. Heute schon geht jede vierte Migrantin bzw. jeder vierte Migrant in Deutschland nach Angaben der OECD einem Beruf nach, für den sie oder er überqualifiziert ist.

Im Übrigen möchte ich noch auf einen Aspekt hinweisen. Der frei verfügbare  Fachkräftepool, den sich die FDP und die Interessenverbände aus der Wirtschaft durch das Punktesystem erhoffen, existiert bereits. Über 500 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zählt der deutsche Arbeitsmarkt. In der Europäischen Union gibt es Freizügigkeit. Die Menschen haben freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt
und müssen weder Punkte sammeln, noch brauchen sie einen Aufenthaltstitel.

Die regierenden Parteien befürworten die Nutzung dieses Reservoirs auch. Es werden massenhaft Pflegekräfte aus osteuropäischen Ländern abgeworben, die als Billiglohnkräfte in Mangelberufen arbeiten. Dabei wird der Arbeitsmarkt der Herkunftsländer ausgetrocknet.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:
Frau Faulhaber, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Bocklet zu?

Gabriele Faulhaber (DIE LINKE):
Nein, das machen wir anschließend. Ich bin gleich fertig. – Meine Damen und Herren, das kann doch nicht die deutsche Arbeitsmarktpolitik sein. Regierungen der Balkanländer sprechen immer wieder an, wie sehr diese Politik ihren Ländern schadet. Wenn die deutsche Wirtschaft trotzdem Probleme hat, ihren Fachkräftemangel zu decken, dann ist es dringend Zeit, darüber nachzudenken, welche anderen Gründe es dafür ursächlich geben könnte.

Ein gutes altbewährtes Mittel gegen Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft ist Ausbildung. Die Wirtschaft und vor allem die großen Betriebe müssen einfach wieder ausbilden. Dann haben sie auch keinen Fachkräftemangel.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Wunsch nach einer irgendwie gearteten Fachkräftezuwanderung verträgt sich kaum mit einer Staatsräson, die Einwanderung am liebsten verhindern möchte, die auf Begriffe wie „Heimat“ setzt und zugleich eine unmenschliche Abschiebepolitik betreibt. Wer Zuwanderung möchte, muss sich positiv gegenüber Einwanderung positionieren, der muss Einwanderung als Chance sehen und nicht als Gefahr, die es zu steuern, zu kontrollieren und abzuwehren gilt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)


Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist interessant, Herr Boddenberg, dass Sie ausgerechnet mit den Grenzen der Integrationsfähigkeit angefangen haben. Das ist ein Problem, das wir hier überhaupt nicht haben; denn die Grenzen der Integrationsfähigkeit sind bei uns überhaupt nicht erreicht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Flucht und Asyl sind Grundrechte, und da werden wir niemals irgendwie Grenzen der Integrationsfähigkeit ausrufen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Der andere Punkt ist der Fachkräftebedarf. Herr Rock, die Begründung mit dem Fachkräftebedarf, 500.000 Personen in zwölf Jahren, ist aus meiner Sicht völlig übertrieben; denn man muss eine Politik machen, die diese Fachkräfte ausbildet. Dazu gehören eine ordentliche Bildung und Ausbildung. Dazu gehört auch, dass akademische und duale Ausbildungsgänge für alle möglich sind, die das irgendwie hinkriegen. Diese müssen gefördert werden; Inklusion und Integration müssen wirklich ernst genommen
werden. All das gehört dazu.

Dann gibt es noch einen Bereich, dieser heißt Arbeit 4.0. Hierüber wird überhaupt nicht diskutiert. Es werden sehr viele Arbeitskräfte freigestellt werden, und es wird große soziale Verwerfungen geben. Dazu möchte ich einmal Ihre Haltung hören; dann wird es interessant. Wie werden Sie sich verhalten, um Löhne zu sichern und das Ansehen von Fachkräften bei uns so zu sichern, dass die Leute dies auch machen wollen? Das ist eine große Herausforderung, und dafür müssen die Menschen ausgebildet werden. Darüber haben wir uns in der Bildungspolitik die ganze Zeit über gestritten, und hier müssen
wir ganz andere Maßstäbe anlegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kann nicht sein, dass Sie sich weiterhin damit abfinden, dass wir uns sozusagen als „Ausbluter“ anderer europäischer Länder betätigen, dass wir Fachkräfte, die dort dringend gebraucht werden, abwerben und sie dann hier zur Dequalifizierung und zum Drücken der Löhne einsetzen. Das kann nicht sein. Wir müssen dafür sorgen, dass Leute ausgebildet werden, dass diese eine gute Bezahlung bekommen und dass diese nicht so dastehen, dass sie beispielsweise in der Pflege, wo dies ja der wichtigste Punkt ist, keine Möglichkeit haben, überhaupt bis ans Ende ihrer Berufslaufbahn tätig zu sein.

Ich denke, dort liegen unsere Aufgaben, nicht in irgendeiner Begrenzung von irgendwelcher Integration und Aufnahme.

(Beifall bei der LINKEN)