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Rede

Christiane Böhm - Bei der Geburt müssen Gebärende und Kinder im Mittelpunkt stehen

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauenGesundheit

In seiner 48. Plenarsitzung am 2. Juli 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Situation von Schwangeren während der Geburt. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Eine Geburt ist tatsächlich ein ganz besonderes Erlebnis. Sie verursacht starke Schmerzen. Man hat keine Kontrolle über den Körper. Manchmal ist es ein langwieriger Prozess, bis das Kind das Licht der Welt erblickt.

Es ist aber auch ein ganz besonderes Erlebnis, das Kind einem eigenständigen, nicht mehr ausschließlich von der Mutter abhängigen Leben zu übergeben und das Kind das erste Mal im Arm halten zu können.

Der Start ins Leben ist für das Kind ebenso ein besonderes Erlebnis. Wie der Eintritt ins Leben aussieht, entscheidet über vieles, was danach kommt. Deshalb sollten wir, sollte diese Gesellschaft die Wertschätzung für das Leben daran festmachen, wie die Bedingungen der Geburt sind.

Jetzt will ich gerne etwas zu den Themen sagen, zu denen meine Vorrednerin gesprochen hat. Es gibt diese Fälle. Es gibt sie leider nicht so selten. Es gibt sie aber lange nicht in dem Ausmaß, wie die Vorrednerin das dargestellt hat. Es gibt sie sicherlich nicht in dieser Dramatik. Das wird von den Frauen sicherlich oft als dramatisch erlebt. Aber es gibt sie nicht in dieser Menge.

Es hat natürlich seine Gründe, warum solche traumatischen oder traumatisierenden Erlebnisse während der Geburt passieren. Es gibt nicht umsonst den Roses Revolution Day. Einmal im Jahr legen Frauen eine Rose dort nieder, wo sie während der Geburt Gewalt erfahren haben.

Es hat Gründe, weshalb solche Dinge passieren, warum Eingriffe vorgenommen werden, ohne dass die Einwilligung der Frauen eingeholt wurde. Sie haben Gewalt erfahren.

Der Deutsche Hebammenverband sagt dazu, er sehe die Hauptursache für Gewalt in der Geburtshilfe in den Klinikstrukturen. Personalmangel, permanente Überforderung und Stress sind heute feste Bestandteile des Arbeitsalltags in vielen Kliniken. Ärztinnen und Ärzte, Pflegende und Hebammen in den Kreißsälen, sie alle leiden darunter. Das ist der Originalton des Deutschen Hebammenverbandes.

Ich denke, es wird deutlich, dass die Hebammen, die Ärztinnen und Ärzte und die Pflegenden mit den Strukturen in den Kliniken nicht einverstanden sind. Sie wollen eine Änderung der Geburtspraxis in den Kliniken.

Es wundert mich auch nicht, dass es notwendig ist, dass sich da etwas ändert. Innerhalb der letzten 25 Jahre wurden deutschlandweit fast 40 % der Geburtsstationen geschlossen.

Wir wissen, dass es erforderlich ist, bereits bei der Feststellung der Schwangerschaft eine Hebamme zu suchen, die die Vorbereitung, die Begleitung und die Nachsorge übernimmt. Denn ansonsten findet man keine mehr. Ansonsten hat man keine Chance, von einer Hebamme tatsächlich begleitet zu werden. Es ist leider nicht so selten, dass Frauen keine Hebamme ihres Vertrauens finden, die sie während der Geburtsphase begleitet.

Selbst diese frühzeitige Suche ist immer noch keine Garantie. Hebammen in Deutschland betreuen inzwischen dauerhaft mehr als doppelt so viel Gebärende wie Hebammen in anderen europäischen Ländern. Teilweise betreut eine Hebamme fünf oder mehr Gebärende gleichzeitig. Daraus ergibt sich natürlich das Problem, dass die Sorge für die Gebärende und das Kind nicht mehr in dem erforderlichen Maß möglich ist.

Auch die Rate der Kaiserschnitte hat sich innerhalb der letzten 25 Jahre verdoppelt. Nein, das ist nicht immer der Wunsch der Frau, sondern da geht es auch um die Planbarkeit des Geburtsablaufs und die Steuerung des Personaleinsatzes. Wenn Sie sich mit den Ärztinnen und Ärzten in den Kliniken auseinandersetzen und wenn Sie die Einsatzplanungen genau studieren, werden Sie das sehen.

Ich denke, das alles sind Gründe, weshalb die Landesregierung wirklich tätig werden sollte. Ein Aussitzen der Probleme oder das Negieren der Probleme wäre überhaupt nicht verantwortungsvoll.

Dass der Fokus auf diesen aktuellen Themen liegt, habe ich eigentlich nach der Betrachtung der Großen Anfrage erwartet. In den Kapiteln VIII, IX und X, in denen es darum geht, eine physiologische Geburt zu fördern, wären Antworten auf die drängenden Fragen angebracht gewesen. Das sind die Fragen, die von vielen gestellt werden, nicht nur von den Hebammen, den Gebärenden und ihren Angehörigen sowie dem Krankenhauspersonal.

Wir alle müssen sie uns stellen, wenn wir wollen, dass die Kinder einen guten Start ins Leben bekommen. Denn eine traumatische Geburt für die Eltern ist auch eine traumatische Geburt für das Kind. Wir alle kennen vielleicht Erwachsene, die ihr Leben lang daran zu knabbern haben, dass sie ein schlimmes Geburtserlebnis hatten.

Was schreibt die Landesregierung bereits in ihrer Vorbemerkung? Da ist von mir noch eine Zwischenbemerkung erforderlich. Frau Dr. Sommer hat mich darauf hingewiesen. Frau Funken hat gesagt, die Große Anfrage sei während der Zeit der Corona-Krise schnell auf den Weg gebracht worden. Sie wurde schon vor den starken Ausbrüchen des Corona-Virus veröffentlicht. Die Fragen wurden im Jahr 2019 gestellt. Das hat also damit gar nichts zu tun. Da kann man wirklich keinen Zusammenhang herstellen.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Die Landesregierung schreibt in ihrer Antwort, dass ein flächendeckendes System an Schwangerschaftsberatungsstellen, Frauenärztinnen und -ärzten, Hebammen, Geburtskliniken sowie Frühen Hilfen zur Verfügung stehe. Lassen Sie uns das einmal überprüfen. Einigermaßen flächendeckend sind die Schwangerschaftsberatungsstellen, auch wenn, wie beispielsweise bei uns in Groß-Gerau, diese Stelle noch einen weiteren Landkreis abdecken muss. Das ist sicherlich keine Ausnahme. Es hakt bei der Finanzierung der Schwangerschaftsberatungsstellen. Wir wissen, dass sie ihre Mitarbeiterinnen nicht so gut bezahlen können, dass sie hinterher eine gute Rente haben.

Gerade auch zu Corona-Zeiten hakt es. Da fallen unheimlich viele Einnahmen weg. Sie haben große Probleme, die Wahrnehmung der Aufgaben zu finanzieren.

Jetzt gehen wir weiter und kommen zum Thema Hebammen. Sie kennen doch die Landkarte des Landesverbandes der Hessischen Hebammen. Sie wissen doch, wie viele erfolglos Hebammen gesucht haben. Sie haben keine gefunden. Oder sie waren sehr lange unterwegs und haben viele Hebammen angefragt.

Jeder müsste wissen, dass die Arbeitssituation der Hebammen äußerst prekär ist. Da kann man nicht mehr von einer flächendeckenden und zufriedenstellenden Abdeckung und Versorgung sprechen.

Geburtsstationen werden eine nach der anderen abgebaut. Haben sie unter 1.000 Geburten, müssen sie im Krankenhaus querfinanziert werden. Deswegen entscheiden sich viele Kliniken, bei denen die Träger nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, dieses Defizit abzutragen, die Geburtsstationen zu schließen.

Diese Landesregierung, namentlich der Sozialminister, aber auch schon sein Vorgänger, sieht sich überhaupt nicht in der Verantwortung, für eine flächendeckende Geburtshilfe zu sorgen. Sie verweist nicht nur beim Abbau der Stationen und der Angebote auf die alleinige Verantwortung der Kliniken. Das ergibt sich aus der Antwort. Auch der notwendige Ausbau der Familienzimmer sei eine Angelegenheit der Kliniken. Nicht nur ich, sondern alle Eltern, Hebammen und alle an der Geburt Beteiligten erwarten von dieser Landesregierung, dass sie ihre Planungs- und Versorgungsaufgabe endlich ernst nimmt.

(Beifall DIE LINKE)

Frühe Hilfen sind sehr wichtig. Allerdings kommt die Finanzierung zum größten Teil aus dem Bundesprojekt. Sie schreiben selbst, sie könnten bei allem Engagement nur punktuell Unterstützung leisten. Dabei wäre die gerade so wichtig. Allen Eltern müsste Unterstützung angeboten werden, nicht nur denjenigen, von denen man weiß, dass sie bedürftig sind. Denn die intergenerationale Weitergabe des Wissens um die Geburt funktioniert heute nicht mehr. Die Menschen leben weit voneinander weg. Die Situation der Geburt hat sich massiv verändert. Der Hebammenberuf hat nicht mehr die Bedeutung wie früher.

Sie gestehen selbst ein, dass bei den Familienhebammen ein riesiger Mangel besteht. Sie schreiben:

Aufgrund der unterschiedlichen regionalen Verteilung … ist eine flächendeckende Begleitung der Familien in den wenigsten Kommunen sichergestellt.

Dieses Angebot muss allerdings unbedingt aufrechterhalten werden. Es muss ausgebaut werden. Es ist dringend notwendig, um den Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Es muss sich bei dem gesamten Komplex Geburt eine Menge ändern. Die Geburtshilfe kann nicht lukrativ sein. Das Gesundheitswesen kann überhaupt nicht lukrativ sein. Das kann sich nicht rechnen.

(Beifall DIE LINKE)

Kein Mensch weiß, wie viele Geburten wann in einer Klinik passieren, außer es sind Kaiserschnitte. Die Personalausstattung ist allerdings weitgehend vorgeschrieben. Es ist dringend erforderlich, dass diese Vorhaltekosten von den Krankenkassen finanziert werden. Dazu braucht es politische Unterstützung. Da kann man keine ökonomischen Anreize schaffen.

Die Qualität soll natürlich eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören die Kenntnisse und das Wissen, aber auch die praktische Erfahrung aus dem Geburtsvorgang.

Wir brauchen deshalb nachhaltige politische Maßnahmen, wie sie der Hebammenverband fordert.

Die 1:1-Betreuung ist der Schlüssel, um strukturbedingte Gewalt in der Geburtshilfe zu verhindern. Unter anderem benötigen wir hierfür die Auflösung der starren hierarchischen Strukturen in den Kliniken.

Das schreibt der Hebammenverband. Ich habe da nur zitiert. Dem können wir uns tatsächlich anschließen.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja, das tue ich. – Ich warte darauf, dass die Landesregierung alles dafür tut, den Frauen – und den Kindern – ein gutes Umfeld und eine gute Möglichkeit zu schaffen, damit sie ihre Kinder gut auf die Welt bringen können. – Ich danke.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))